Die Wiederkehr (eBook)
544 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-19205-6 (ISBN)
Patrick Bahners, geboren 1967, studierte Geschichte und Philosophie in Bonn und Oxford. Im Jahr 1989 trat er in die Feuilletonredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein, die er von 2001 bis 2011 geleitet hat. Nach Stationen in New York von 2012 bis 2015 und in München von 2015 bis 2017 berichtet er als Kulturkorrespondent aus Köln. Seit 2016 ist er zudem verantwortlicher Redakteur für Geisteswissenschaften in der FAZ. Bahners ist einer der einflussreichsten Journalisten Deutschlands und Autor des Bestsellers »Die Panikmacher«.
Patrick Bahners, geboren 1967, studierte Geschichte und Philosophie in Bonn und Oxford. Im Jahr 1989 trat er in die Feuilletonredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein, die er von 2001 bis 2011 geleitet hat. Nach Stationen in New York von 2012 bis 2015 und in München von 2015 bis 2017 berichtet er als Kulturkorrespondent aus Köln. Seit 2016 ist er zudem verantwortlicher Redakteur für Geisteswissenschaften in der FAZ. Bahners ist einer der einflussreichsten Journalisten Deutschlands und Autor des Bestsellers »Die Panikmacher«.
Der Name als Programm: Die AFD
Souveränität
Am 6. August 2019 stellte der Kreisverband Hannover der AfD den pensionierten General Joachim Wundrak als Kandidaten für die Wahl des Oberbürgermeisters der niedersächsischen Landeshauptstadt auf. In 44 Jahren Dienst bei der Luftwaffe hatte Wundrak den Rang eines Generalleutnants (Dreisternegeneral) erreicht, den zweithöchsten Dienstgrad der Bundeswehr. Nach seinem Eintritt in den Ruhestand gab er bekannt, dass er noch vor Ende der Dienstzeit der AfD beigetreten war. Offiziere außer Dienst hatten schon früher das Erscheinungsbild der Partei mitgeprägt. Uwe Junge, Landesvorsitzender in Rheinland-Pfalz, hatte es bis zum Oberstleutnant gebracht, Rüdiger Lucassen, Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen, und Georg Pazderski, Landesvorsitzender in Berlin und stellvertretender Bundesvorsitzender, hatten sich noch einen silbernen Stern mehr auf der Schulterklappe verdient und als Oberste ihren Abschied genommen. Dass ein General sich als politischer Freiwilliger meldete, war unabhängig von der Parteizugehörigkeit für eine Schlagzeile gut, und in der kleinen Gruppe der Berufssoldaten mit politischer Zweitkarriere in der Geschichte der programmatisch zivilen Bundesrepublik ragt Wundrak durch seinen Rang auch im parteiübergreifenden Vergleich heraus. Manfred Opel, der von 1988 bis 2002 für die SPD im Bundestag saß, war Brigadegeneral. Der CDU-Abgeordnete Fritz Berendsen trat 1959 als Brigadegeneral in die Bundeswehr ein und kehrte 1965 als Generalmajor ins Parlament zurück. Denselben Dienstgrad bekleidete Gert Bastian, der 1983 im ersten Kontingent der Grünen in den Bundestag gewählt wurde. Sein Fall legt den Vergleich mit Wundrak nahe, weil der frühere Kommandeur einer Panzerdivision sich einer jungen Partei zur Verfügung stellte, die als Oppositionspartei die Stellung einer Opposition zum gesamten politischen System bezog oder jedenfalls anfangs als feindlich gegenüber dem System eingestellt wahrgenommen wurde.
Ein Generalleutnant erhält Bezüge der Gruppe B9 der Bundesbesoldungsordnung, wie die Botschafter an den größten Botschaften und der Direktor beim Bundesverfassungsgericht. Im Personalhaushalt des Bundesverteidigungsministeriums für 2021 waren 28 Planstellen für Soldaten der Besoldungsgruppe B9 vorgesehen. Der Stellvertreter des Generalinspekteurs, die Abteilungsleiter im Ministerium und die Inspekteure der Teilstreitkräfte sind Dienstposten, die mit einem Generalleutnant beziehungsweise Vizeadmiral besetzt werden. Wundrak wohnt in Wölpinghausen im Schaumburger Land, vierzig Kilometer westlich von Hannover. Vor seiner Bewerbung als Stadtverwaltungschef beschränkte sich seine Verbindung zur Landeshauptstadt auf ein Opernabonnement des Niedersächsischen Staatstheaters. In seiner Vorstellungsrede hielt er sich denn auch nicht lange mit den lokalen Missständen auf. Gewohnt, die Dinge von oben zu erfassen, sagte er, es müsse »vieles falsch gelaufen sein, wenn sich inzwischen ein Großteil des linken Spektrums inklusive der Kanzlerin einer ehemals eher konservativen Partei als antideutsch positioniert«. Die Zahl der Sterne an Wundraks eingemotteter Uniform musste Eindruck machen, wenn man davon erfuhr, aber als Person war der politische Neuling der Öffentlichkeit unbekannt. Und selbst da, wo man sein Gesicht und seine hochgewachsene Erscheinung vom Sehen kannte, hatte man noch nichts Markantes von ihm hören können. In seiner letzten Verwendung hatte er das Zentrum Luftoperationen in Kalkar am Niederrhein geleitet, nicht weit entfernt von seiner Geburtsstadt Kerpen. Zu den Pflichten des Kommandeurs einer solchen Einrichtung gehört es, Präsenz zu zeigen und den Bewohnern der Umgebung das Gefühl zu geben, dass die Bundeswehr so etwas Ähnliches sei wie ein besonders ortsverbundenes Großunternehmen. Regelmäßig berichtete die Lokalausgabe der Rheinischen Post über die Tage der offenen Tür in der nach einem Generalleutnant der Kavallerie Friedrichs des Großen benannten Von-Seydlitz-Kaserne. Ebenso regelmäßig fanden Vortragsveranstaltungen statt, zu denen die Luftwaffe gemeinsam mit der Deutschen Atlantischen Gesellschaft einlud. Der Kommandeur konnte mit seinen Begrüßungsworten an solchen Abenden den Chronisten der Lokalpresse nichts Interessanteres bieten als der Referent; die Einhaltung der Höflichkeitsregel öffentlicher Zurückhaltung war in seinem Fall eine aus dem Mäßigungsgebot des Soldatengesetzes fließende Dienstpflicht.
Als Wundrak auf der Aufstellungsversammlung in Hannover das Wort ergriff, hantierte er also mit Worten, in deren Gebrauch er nicht ausgebildet war. Seine Wortwahl erregte Aufsehen; insbesondere seine ebenso pauschale wie präzise Beschreibung der Hauptgegnerin der AfD wurde in der Presse mit Verwunderung kommentiert. Wie war das Wort »antideutsch« zu verstehen? Wohl nicht in dem sehr engen Sinne, in dem der Begriff in der Literatur zur jüngsten deutschen Zeitgeschichte gebräuchlich ist: als Bezeichnung für einen kleinen Zirkel linksradikaler Publizisten, die aus der bedingungslosen Ablehnung der Wiederherstellung des deutschen Nationalstaats in der Wiedervereinigung Konsequenzen gezogen haben, die sich mit dem traditionellen Universalismus linker Gesellschaftstheorie kaum noch vermitteln lassen. So wird Antikapitalismus abgelehnt, wo man den Verdacht hat, dass er als Tarnideologie eines fortlebenden deutschen Nationalismus dienen könnte, und unbedingt unterstützt man den Staat Israel als das vermeintliche welthistorische Gegenteil deutscher Nationalstaatlichkeit. Angela Merkel verdankt ihre politische Karriere der Wiedervereinigung, ja, als ostdeutsche Kanzlerin aus der Partei Helmut Kohls verkörpert sie den durch die Wiedervereinigung begründeten Staat. Ihre Denkungsart mag man nicht leicht beschreiben können, aber sie hat jedenfalls nichts gemein mit dem Überscharfsinn des Sektierertums von Blättern wie Bahamas und Konkret, auch wenn Merkels 2008 vor der Knesset abgegebene Erklärung, die historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels sei Teil der Staatsräson ihres Landes, als Bruch mit einem Dogma nationalstaatlichen Denkens verstanden werden konnte, nach dem die Staatsräson zuletzt immer nur das Sicherheitsinteresse des eigenen Staates sei.
Gegen das Deutsche oder die Deutschen zu sein: Ob man den eigenen Standpunkt so beschreibt oder einem anderen diesen Standpunkt zuschreibt, der sich selbst so nie beschreiben würde – die Eigenart einer solchen polemischen Terminologie ist mit Begriffen wie Überspitzung noch nicht getroffen. Diese Sprache mag politisch klingen im Sinne von Carl Schmitts Bestimmung des Politischen als Unterscheidung von Freund und Feind; aber es schwingt etwas Absolutes mit, ein Wunsch des Sprechers, sich abzulösen von der konkreten politischen Welt mit ihren Interessen, Institutionen und widersprüchlichen Verpflichtungen. Erklärungsbedürftig schien daher Wundraks Vokabel »antideutsch«. Zwar stufte der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer sie 2020 in seinem Buch Rechte Bedrohungsallianzen als »typische Parole der AfD« ein. Aber in der Jungen Freiheit, der Zeitung, die das Vokabular der AfD in wohlwollend ausführlicher Berichterstattung dokumentiert und reproduziert, jedoch auch kritisiert, wenn die Redaktion befürchtet, dass die Partei die gemeinsame Sache einer demokratischen Rechten gefährdet, hatte Moritz Schwarz trotzdem bei Wundrak nachfragen müssen. »Sie haben der Kanzlerin öffentlich ›antideutsche Politik‹ vorgeworfen. Was meinen Sie damit genau?« Wundrak meinte eine Politik gegen das deutsche Volk – und zwar im kategorischen Sinne: eine nicht bloß gegen einzelne Interessen dieses Volkes, sondern gegen dessen Fortexistenz gerichtete Politik.
Heitmeyer spricht von einem rhetorischen Manöver, mit dem »Untergangsfantasien angeheizt werden« sollten. Wundrak leitete seine Warnung vor dem Untergang der Bundesrepublik aus einer philosophischen Analyse des Zusammenhangs der Begriffe Volk und Staat ab. »Das Volk aber, so etwa Hannah Arendt, ist ein Element, das unseren Staat ausmacht – die anderen beiden sind das Staatsgebiet und die Rechtsordnung. Frau Merkel nun schleift alle drei: Mit ihren offenen Grenzen verschwimmt das Staatsterritorium, mit der multikulturellen Masseneinwanderung das Volk, und mit ihrer Politik der Rechtsbrüche und der Übertragung unserer Souveränität...
Erscheint lt. Verlag | 14.1.2023 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | AfD • Alexander Gauland • Alice Weidel • Björn Höcke • Buch • Geschichtsrevisionismus • Konservative Revolution • Neue Rechte • Pegida • Politik • Populismus • Rechtspopulismus • Sachbuch • Weimarer Republik |
ISBN-10 | 3-608-19205-0 / 3608192050 |
ISBN-13 | 978-3-608-19205-6 / 9783608192056 |
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