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Gloochmouda -  Herbert Kappauf

Gloochmouda (eBook)

Ein Schwingl Oberpfälzer Geschichte und Geschichten
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
312 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-6621-2 (ISBN)
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Gloochmouda ist in der nordbairischen Sprache die Raupe des Tagpfauenauges. Schwingl bezeichnet in der Oberpfalz einen flachovalen, holz-geflochtenen Korb mit geschwungenem Boden. Er transportiert alles, von Kartoffeln, Äpfeln bis zu Holzscheiten. Das Buch versteht sich als literarisches Schwingl, in dem sich Geschichten mit Geschichte unterhalten.

Herbert Wilhelm Kappauf ist am 1. Dezember 1952 in Güttern, Oberpfalz geboren. Besuch der Volksschule in Fuchsmühl, dann des Stiftland-Gymnasiums Tirschenreuth. 1970-1971 Gastschüler an der Elizabethtown High School, Kentucky, USA, als Stipendiat des American Field Service (AFS), High School Diploma. 1972 Abitur am Stiftland-Gymnasium Tirschenreuth. Medizinstudium an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg mit Famulatur am El Gomhouria Hospital in Kairo, Ägypten, und Studienjahr an den Universitäten Angers und Rennes, Frankreich, als Stipendiat des DAAD und der französischen Regierung. 1978 Promotion zum Dr. med. und ärztliche Approbation. Berufseinstieg als Assistenzarzt am Dr.-Otto Gessler-Krankenhaus in Lindenberg i. Allgäu, dann 1979 bis 2003 ärztliche Tätigkeit am Klinikum Nürnberg. Dort Weiterbildung zum Facharzt für Innere Medizin, dann zum Facharzt für Hämatologie und Onkologie und Palliativmedizin und gleichzeitig zum Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Nach 15 Jahren Tätigkeit als Oberarzt ab 2003 Aufbau einer Internistischen Schwerpunktpraxis - Onkologie - Hämatologie - Psychoonkologie - Palliativmedizin in Starnberg mit sektorübergreifender Tätigkeit als Beleg- und Konsiliararzt am Klinikum Starnberg. Nach Weitergabe der Praxis lebt Herbert Kappauf seit 2020 wieder in Nürnberg.

Annäherung an die Oberpfalz


Dort wo man Kartoffeln zubereitet, da ist man zu Hause.“ So fasste der preisgewürdigte tschechische Schriftsteller Jaroslav Rudiš 2018 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung seine Liebeserklärung an die Kartoffel und seine böhmische Kindheit zusammen. Kartoffeln seien „der Beweis, dass aus Deutschland auch gute Dinge kommen können“, zitierte er seinen kommunistischen Großvater, der im Februar 1945 zwei von einem Todesmarsch entflohene russische Kriegsgefangene gerettet und die halbverhungerten Sowjetsoldaten bis Kriegsende mit Kartoffeln durchgepäppelt hatte. Auch bei den Todesmärschen von KZ-Häftlingen durch die nördliche Oberpfalz waren es Kartoffeln, die anzeigten, ob noch Spuren von Mitmenschlichkeit übriggeblieben waren: ob die ausgemergelten Frauen und Männer bei Rastpausen mit gedämpften Kartoffeln verpflegt werden durften, oder ob die Bauersfrauen, die den Gefangenen Kartoffeln zusteckten, genauso wie die, die ihre Hände danach ausstreckten, mit Gewehrkolben niedergeschlagen wurden.

Böhmen und die Oberpfalz erinnern beide den „Kartoffelkrieg“ von 1777/78. Der pfälzische Kurfürst Karl Theodor hatte damals das Kurfürstentum Bayern geerbt. Den angemeldeten Gebietsansprüchen Österreichs kam er mit Tauschgeschäften entgegen, in denen er die Oberpfalz und Niederbayern an Österreich abtrat. Mit dessen Machtausdehnung auf deutsches Gebiet war jedoch Preußens „Alter Fritz“ nicht einverstanden. Österreichische Truppen waren bereits in der Oberpfalz, dann marschierten ihnen preußische Truppen durch Böhmen entgegen. Beide schlecht vorbereiteten Heere plünderten auf ihren Wegen gegeneinander hungrig die Bauernhöfe und die noch unreifen Kartoffelfelder. Auch wenn es letztlich zu keiner großen Schlacht kam, verharmlost „Kartoffelkrieg“ das damalige Schacherspiel mit der Oberpfalz. Es war keine Folklore, starben doch auf beiden Seiten jeweils etwa 20.000 Soldaten in den Feldlagern, die meisten an Ruhr. Wenige Jahre später wollte der Kurfürst für die österreichischen Niederlande gar sein ganzes bayerisches Erbe tauschen, da ihm ein „Königreich Burgund“ mit Zugang zum Meer vorschwebte. Der Preußenkönig vereitelte auch diese noch größere Präsenz Österreichs, wonach das bayerische Volk die Preußen für die Rettung der bayerischen Eigenständigkeit hochleben ließ und ihren Wittelsbacher Kurfürsten noch mehr hasste.

1915 schwadronierte sein inzwischen zum König avancierter Thronnachfahre Ludwig III. erneut über ein bayerisches „Neuburgund“ mit direktem Zugang zum Meer, diesmal nicht durch Tausch, sondern durch Annexionen nach dem propagierten baldigen Sieg. Bald jedoch faulten nur die Kartoffeln auf den Äckern und die Grundpfeiler seiner Monarchie. Trotz propagandistischer „Mobilmachung der Kartoffeln“ reichten diese schon in jenem zweiten sinnlosen Kriegsjahr weder an der Front noch in der Heimat zum Sattwerden aus. Die Kartoffeln waren zudem zensiert. Kurt Tucholskys hatte zwei Jahre vorher mit dieser Glosse im sozialdemokratischen Vorwärts an Begebenheiten aus dem 1870er Krieg erinnert. So hätten sich damals bei der Belagerung von Paris deutsche und französische Vorposten keineswegs immer beschossen, sondern sich manchmal mit Kartoffeln ausgeholfen. „Aber hier waren Leute, die einen Sommer und einen Winter lang an den eigenen Leibern erfahren hatten, was das heißt: Töten, und was das heißt: Hungern. Und da verschwand der ‚tief eingewurzelte Hass‘ und man aß gemeinsam Kartoffeln. […] Dieselben Kartoffeln, dieselben Kapitalisten. Aber andere Röcke. Das ist der Krieg.“4

Krieg und Hunger waren in der nördlichen Oberpfalz über Jahrhunderte regelmäßige existentielle Erfahrungen, die sich anhaltend auf das Gemüt seiner Bewohner ausgewirkt haben. Die Verwüstungen und nachfolgende Not unterschieden sich kaum, ob eigene und verbündetet Truppen des jeweiligen Landesherrn oder feindliche Heere durch das Land zogen und Elend und Seuchen zurückließen. Sehr umgrenzte Besitzstreitigkeiten verwüsteten manche Orte mehr als die Kriege, die Eingang in die Geschichtsbücher fanden. So beschreibt die Chronik des Marktes Wiesau, dass ein Kleinkrieg zwischen den Adeligen der von Nothaft und dem Kloster Waldsassen um die Burg Weissenstein im 14. Jahrhundert für den Ort verheerendere Folgen gehabt habe als die späteren Hussitenkriege oder gar der Dreissigjährige Krieg.

Dabei war die Oberpfalz keineswegs immer die karge „Stoapfalz“ oder „Erdäpfelpfalz“. Vielmehr war die Region mit ihrem Bergbau und zahllosen Hammerwerken vom 12. bis zum 16. Jahrhundert europäisches Zentrum des vor- und frühindustriellen Montanwesens, das unbestrittene „Ruhrgebiet des Mittelalters“. In der nördlichen Oberpfalz kreuzte zudem die die großen Reichstädte Prag und Nürnberg verbindende „Goldene Straße“ mit Salzpfaden und wichtigen Handelswegen, die von der Ostsee über Regensburg in die oberitalienischen Städte oder donauabwärts führten. Die böhmischen Länder zählten zu den am dichtesten besiedelten Territorien im damaligen Europa. Die Oberpfalz war angebunden an die führenden Einrichtungen des Geisteslebens. Das „neuböhmische Gebiet“ zwischen der Reichsstadt Nürnberg und dem Böhmerwald hatte mit der 1334 gegründeten Prager Karlsuniversität die erste deutsche Universität, bevor dann mit einem Besitzwechsel zur Kurpfalz Heidelberg Landesuniversität auch der nördlichen Oberpfalz wurde – bis 1628. Die 1133 gegründete reichsunmittelbare Zisterzienser- Abtei Waldsassen wirkte als größtes und reichstes Stift des Ordens nicht nur in seinem Stiftland, sondern kulturell und wirtschaftlich weit nach Böhmen hinein.

Die landesherrschaftlichen Besitzverhältnisse glichen in der nördlichen Oberpfalz oft einen Flickenteppich aus im geschichtlichen Verlauf fast kaleidoskopartig wechselnden böhmischen, bayerischen, kurpfälzischen, brandenburgischen, dann preußischen und österreichischen Besitztümern, neben kleinflächigen Zuständigkeiten von reichsunmittelbaren Adeligen, Klöstern und Reichsstädten. In dem kleinen Gebiet der Frais wechselten sogar über 270 Jahre - bis 1862 - Gerichtsbarkeit und Steuerpflichten jährlich zwischen der böhmischen Stadt Cheb-Eger und dem Kloster Waldsassen. Die jetzt zu Oberfranken gehörige Stadt Marktredwitz kam als Exklave des Egerlands erst 1816 im Städtetausch gegen Vils – der damals bayerischen Nachbarstadt Pfrontens - wieder vom österreichischen Böhmen zu Bayern.

Die konkurrierenden Machtinteressen und Begehrlichkeiten machten aus der nördlichen Oberpfalz und dem angrenzenden Böhmen einen häufigen Zankapfel und damit die Region politisch so explosiv, wie es ihre vielen Vulkane auf jetzt bayerischer und tschechischer Seite früher gewesen waren.

Gesellschaftliche Eruptionen hatten sich im 14. Jahrhundert angekündigt. Ab 1347 mähte der schwarze Tod der großen Pest durch Europa und ihr apokalyptisches Sterben erschütterte tradierte Ordnungen. Gleichzeitig wüteten 1348 bis 1350 in Mitteleuropa mit genauso pandemieartiger Ausbreitung Judenpogrome. Auch wenn diese oft als Pestpogrome bezeichnet werden, gingen diese Mordaktionen fast überall in Deutschland dem Peststerben voraus. Wie in der heutigen Zeit genügte bei einem ideologisch aufgeheizten Feindbild die bloße Anschuldigung einer Gotteslästerung oder Brunnenvergiftung, um tödlichen Gewaltexzesse zu triggern. Zuschreibungen, dass die Pest eine göttliche Strafe für die Städte sei, die in ihren Mauern Juden duldeten, verzerrten das Morden zum Blutopfer. Wie knapp 600 Jahre später in den Pogromen der euphemistisch bezeichneten „Reichskristallnacht“ sollten auch damals die wirtschaftlichen Motive und die oft langfristige Vorbereitung verborgen bleiben, die bereits geregelt hatte, wie mit den Opfern auch die Schulden an diese ausgelöscht und ihr Besitz aufgeteilt werden sollte. Dementsprechende Vorabsprachen mit dem Kaiser sind belegt für den Pogrom Ende 1349 in Nürnberg, in das die Pest erst zwei später Jahre eindrang. Mindestens 562 Juden wurden ermordet. Auf den Fundamenten der niedergebrannten Synagoge wurde sofort die Frauenkirche erbaut - vom Baumeister des Prager Veitsdoms. Der Kaiser hat dann für die Nürnberger Frauenkirche die meisterhafte Kunstuhr mit dem „Männleinlaufen“ gestiftet, bei dem bis heute jeweils um zwölf Uhr die sieben Kurfürsten dreimal um den sitzenden Kaiser prozessieren. Diese Uhr sollte an das 1356 in Nürnberg verabschiedete „Nürnberger Gesetzbuch“ der Goldenen Bulle erinnern, in dem auch der Schutz der Juden geregelt ist. Trotzdem hat ein Judenpogrom angestachelt vom Klerus 1389 die gesamte Judenstadt in Prag ausgelöscht.

Der pfälzische Kurfürst verfügte zwei Jahre später die Ausweisung aller Juden und „Häretiker“ -...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7568-6621-1 / 3756866211
ISBN-13 978-3-7568-6621-2 / 9783756866212
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