Soziale Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen (eBook)
215 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-035739-6 (ISBN)
Dr. Juliane Wahren ist Professorin für Soziale Arbeit an der IU Internationale Hochschule Berlin. Sie hat über 13 Jahre als Projektleiterin von Frauenzufluchtswohnungen und einer Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen in Berlin gearbeitet.
Dr. Juliane Wahren ist Professorin für Soziale Arbeit an der IU Internationale Hochschule Berlin. Sie hat über 13 Jahre als Projektleiterin von Frauenzufluchtswohnungen und einer Beratungsstelle für gewaltbetroffene Frauen in Berlin gearbeitet.
2 Soziale Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen
Nicht nur Studierende, sondern auch Praktiker*innen der Sozialen Arbeit haben Schwierigkeiten, den Gegenstand der Sozialen Arbeit zu benennen, sich mit ihrer Profession und ihren methodischen und technischen Kompetenzen in der Hilfelandschaft zu verorten. Daher soll am Anfang dieses Kapitels herausgestellt werden, was der Gegenstand Sozialer Arbeit ist. Sie beschäftigt sich mit sozialen Problemlagen und ihren Auswirkungen. Oder mit Engelke, Spatscheck und Borrmann gesagt, ist das »Verhindern und Bewältigen sozialer Probleme« (2009: 267) der Gegenstand Sozialer Arbeit.
In den letzten Jahren ist eine Vielzahl an Publikationen erschienen (z. B. Otto/Thiersch 2018), die die Schärfung des Profils der Sozialen Arbeit als Profession und Disziplin gemeinsam mit den Berufsverbänden und Fachgesellschaften vorantreiben. Die internationale Definition Sozialer Arbeit der International Federation of Social Workers wurde von Vertreter*innen des Fachbereichstags Soziale Arbeit (FBTS) in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. (DBSH) übersetzt. Sie bildet die Grundlage sozialarbeiterischen Handelns.
»Soziale Arbeit fördert als praxisorientierte Profession und wissenschaftliche Disziplin gesellschaftliche Veränderungen, soziale Entwicklungen und den sozialen Zusammenhalt sowie die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung von Menschen. Die Prinzipien sozialer Gerechtigkeit, die Menschenrechte, die gemeinsame Verantwortung und die Achtung der Vielfalt bilden die Grundlage der Sozialen Arbeit. Dabei stützt sie sich auf Theorien der Sozialen Arbeit, der Human- und Sozialwissenschaften und auf indigenes Wissen. Soziale Arbeit befähigt und ermutigt Menschen so, dass sie die Herausforderungen des Lebens bewältigen und das Wohlergehen verbessern, dabei bindet sie Strukturen ein. Diese Definition kann auf nationaler und/oder regionaler Ebene weiter ausgeführt werden« (DBSH & FBTS 2016).
2.1 Hilfebedarfe
In der Sozialen Arbeit mir gewaltbetroffenen Frauen geht es um die Verhinderung und Bewältigung von partnerschaftlicher Gewalt. Damit sollen die Bewältigung der Herausforderungen des Lebens nach der erfahrenen Gewalt gebessert und die Gesundheitschancen, die durch die Gewalt beeinträchtigt wurden, erhöht werden. Der Fokus liegt dabei sowohl auf dem Verhalten der Klientinnen als auch auf den gesellschaftlichen Verhältnissen, die ihren Teil zur Entstehung häuslicher Gewalt beitragen. Die Schaffung von Unterstützungs- und Schutzmöglichkeiten für gewaltbetroffene Menschen und deren (zumindest teilweise) staatliche Finanzierung gestalten die gesellschaftlichen Verhältnisse mit. Zuvörderst wird in den Schutzeinrichtungen der Bedarf nach Schutz und Unterbringung umgesetzt. Weitere Hilfebedarfe, die in der Arbeit mit gewaltbetroffenen Menschen relevant sind, können die Orientierung im Hilfesystem, das Verstehen der Situation und die Aufklärung über zugrundeliegende Mechanismen der Gewalt sein. Soziale Unterstützung in ihren verschiedenen Ausprägungen emotionale, instrumentelle, informatorische oder rückmeldende Unterstützung, Einbindung in ein soziales Netzwerk sowie Beteiligung und Einbezug können vorübergehend durch formelle Helfer*innen übernommen werden, wenn das private Netzwerk nicht vorhanden oder dysfunktional ist und keine für den Bedarf passgenauen Hilfen anbieten kann. Der Aufbau informeller Netzwerke oder die Motivation der gewaltbetroffenen Frauen, Kontakte zu ehemals vorhandenen Unterstützer*innen wieder aufzubauen, fällt in den Aufgabenbereich Sozialer Arbeit. Aber auch praktische Dinge wie Hilfe bei der Beantragung staatlicher Leistungen oder die Unterstützung bei der Suche einer neuen Wohnung sind Aufgaben der Sozialen Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen.
2.2 Prinzipien der Sozialen Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen
Gewaltbetroffenen Frauen fällt es häufig schwer, sich zu offenbaren und über ihre Erfahrungen zu sprechen. Daher sind die Haltung und das Auftreten von Fachkräften im sozialen und medizinischen Bereich von besonderer Bedeutung für die weitere Befindlichkeit und Offenbarungsbereitschaft der gewaltbetroffenen Frau. Auch für die weitergehende Akzeptanz von Hilfen und Veränderungsprozessen spielt die Haltung der Fachkräfte in der ersten Anlaufstelle, wo über häusliche Gewalt gesprochen wird, eine entscheidende Rolle. Die Fachkräfte sind aufgefordert, ihre eigene Haltung zu häuslicher Gewalt zu reflektieren. So ist eine Sensibilisierung dafür, dass eine häusliche Gewaltsituation vorliegen könnte, im Sozial- wie im Gesundheitswesen notwendig (vgl. Flury 2010). Zudem sollte ein Schutzraum zur Verfügung stehen, wo der Frau mit Verständnis begegnet wird und sie geeignete Interventions- und Stabilisierungsmaßnahmen erfährt. Der Betroffenen sollte Wissen über ihre Rechte vermittelt und Angebote von spezialisierten Hilfeeinrichtungen unterbreitet werden. Zur Umsetzung dieser Prinzipien benötigen Fachkräfte eine gewisse Offenheit und Sensibilität für häusliche Gewalt. Das Wissen um grundlegende rechtliche Aspekte im Bereich Beziehungsgewalt und um spezialisierte Beratungs-, Schutz- und Interventionsangebote ist dafür unabdingbar. Jederzeit sind die Grundsätze der Vertraulichkeit und des Datenschutzes zu beachten.
Für die Arbeit mit von häuslicher Gewalt betroffenen Frauen sind die folgenden Handlungsgrundsätze von entscheidender Bedeutung. Ohne deren Einhaltung wäre die Arbeit im sensiblen Bereich der Anti-Gewalt-Arbeit nicht umsetzbar. Einige der Prinzipien lassen sich in verschiedenen Handlungsfeldern mit verschiedenen Zielgruppen der Sozialen Arbeit umsetzen, z. B. Vertraulichkeit und Datenschutz. Andere wie Parteilichkeit beziehen sich eher ausschließlich auf die Arbeit in Schutzeinrichtungen und im Anti-Gewalt-Bereich.
Auf einen Blick: Prinzipien der Sozialen Arbeit mit gewaltbetroffenen Frauen
Klare Haltung zur Gewalt und Verantwortlichkeit
Akzeptanz
Vertrauen herstellen und Parteilichkeit
Klient(en)zentrierung
Flexibilität
Empathie
Echtheit
Lösungsorientierung
Ressourcenorientierung
Vertraulichkeit und Anonymität
Selbstbestimmung und Einverständnis
Stabilisierung und Ermächtigung
Destabilisierende Interventionen vermeiden
Klare Haltung zur Gewalt und Verantwortlichkeit
Häusliche Gewalt ist kein Kavaliersdelikt, sondern ein Mittel zur Machtausübung. Die Verantwortung für die gewaltgeprägte Situation trägt immer die gewaltausübende Person. Sie hätte auch andere Verhaltensweisen wählen können bzw. gegenüber anderen Personen ein anderes Verhalten an den Tag gelegt. Mithilfe von Gewalt soll den Betroffenen der Wille des Gewaltausübenden aufgezwungen werden. Die Betroffenen fühlen sich oft ambivalent und suchen die Schuld für die Eskalation bei sich und im eigenen Verhalten. Sie versuchen, Verantwortung für die Eskalation zu übernehmen, relativieren die Tat und fühlen sich schuldig. Häufig besteht die Hoffnung, durch eine Verhaltensänderung hin zum ›richtigen‹ Verhalten etwas am Verhalten des Gewaltausübenden zu verändern. Berater*innen sollten deutlich machen, dass einzig und allein die gewaltausübende Person für ihr Verhalten verantwortlich ist und nur sie selbst sich gegen Gewaltanwendung entscheiden kann (vgl. Flury 2010).
Akzeptanz
Jede Frau, die Beratung und/oder Zuflucht in einer Beratungsstelle, Zufluchtswohnung oder in einem Frauenhaus sucht, sollte unabhängig von ihrer Nationalität, ihrem Alter etc. so angenommen werden, wie sie ist. Sie erfährt bedingungslose Akzeptanz bzw. Zuwendung und Wertschätzung ihrer Person durch die Beraterin. Durch das nicht an Bedingungen geknüpfte Akzeptieren ihrer Person bietet die Beraterin der Klientin die Möglichkeit, sie selbst zu sein, sich nicht verstellen zu müssen. Die hilfesuchende Frau bekommt durch die akzeptierende Haltung der Beraterin den Raum sich zu öffnen und alle Themen anzusprechen, ohne dass sie Einschränkung, Kritik oder Ablehnung von Seiten der Beraterin erfährt. Dieses bedingungsfreie Akzeptieren stellt die Person der Adressatin in den Mittelpunkt, nicht ihre Handlungen und Einstellungen, es handelt sich also um Achtung vor der Klientin als individueller Mensch. Kriz (2001: 178) beschreibt es als Fähigkeit, »eine tiefe Achtung vor menschlichem Leben und seiner Vielfalt empfinden zu können, wie sie sich im individuellen So-Sein des Klienten manifestiert«
Die bedingungslose positive Zuwendung ist geprägt durch die Echtheit der Beraterin, das Fehlen von Bewertungen der ratsuchenden Frau und die Wertschätzung der Art des Fühlens und Erlebens der Klientin. Aufgrund dessen wird den Klientinnen ermöglicht sich angstfrei zu öffnen und über ängstigende, schuld- und schambesetzte, belastende, peinliche oder bedrohliche Inhalte und Erfahrungen zu reden.
»Die Wertschätzung des Gegenüber, die nicht an Bedingungen geknüpft ist, die also dem Gegenüber um seiner selber willen, so wie er eben ist, angeboten wird, ermöglicht dem Klienten Sicherheit und Offenheit und ermutigt zu...
Erscheint lt. Verlag | 2.11.2022 |
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Zusatzinfo | 3 Abb. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sozialpädagogik |
Schlagworte | Häusliche Gewalt • Intervention • Methoden |
ISBN-10 | 3-17-035739-5 / 3170357395 |
ISBN-13 | 978-3-17-035739-6 / 9783170357396 |
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