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Erwählt oder gewählt? (eBook)

Der Beitrag theologischer Parlamentarier:innen zur Annäherung von Protestantismus und Demokratie
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
404 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45371-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Erwählt oder gewählt? -  Uta Elisabeth Hohmann
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Auf der Suche nach dem richtigen Verhältnis von Protestantismus und Demokratie legt die parlamentarische Aktivität deutscher Theolog:innen die Vermutung nahe, dass diese in besonderer Weise zu einer Synthese ihrer religiösen Überzeugungen mit der demokratischen Idee herausgefordert waren und sind. Uta Elisabeth Hohmann untersucht in drei Einzelstudien das politische Wirken der Theolog:innen Rudolf Otto (1869-1937), Magdalene von Tiling (1877-1974) sowie Heinrich Albertz (1915-1993) und legt deren Beweggründe für die Aufnahme eines parteipolitischen Engagements, ihre fachpolitischen Schwerpunktsetzungen sowie ihre theologisch begründete Haltung zur Demokratie vergleichend nebeneinander.

Uta Elisabeth Hohmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Exzellenzcluster »Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation« der Universität Münster.

Uta Elisabeth Hohmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Exzellenzcluster »Religion und Politik. Dynamiken von Tradition und Innovation« der Universität Münster.

2.Forschungsbericht


Wie die genannten Forschungsfragen zeigen, ist das Forschungsinteresse der vorliegenden Studie nicht monodisziplinär zu bestimmen, sondern tangiert verschiedene Fachrichtungen. Aufgrund dieser Interdisziplinarität des Forschungskontextes, sind in der Darstellung der Vorarbeiten zum evangelisch-theologischen Parlamentarismus sowohl Untersuchungen aus der Kirchengeschichte, dem evangelischen Kirchenrecht und der theologischen Ethik, als auch ausgewählte profanhistorische, soziologische, politikwissenschaftliche und juristische Arbeiten zu berücksichtigen. Der Überblick über den Forschungsstand wird nachfolgend anhand von fünf Gruppen gegeben.

Als eine erste Gruppe und als übergeordneter Forschungszusammenhang von grundlegender Bedeutung sind zunächst die quantitativen Untersuchungen zur allgemeinen Repräsentation von Berufsgruppen in ausgewählten Parlamenten zu nennen. Die frühen Arbeiten dieser Art sind noch keiner wissenschaftlichen Fachdisziplin eindeutig zuzuordnen, sie entstanden an sozialwissenschaftlichen12, philosophischen13 und profanhistorischen14 Fakultäten und werten die biografischen Angaben der Parlamentshandbücher für ein spezifisches Parlament quantitativ aus. Demgegenüber verorten jüngere Arbeiten ihr Forschungsinteresse und ihre Methodik präziser in den Disziplinen der historischen Parlamentarismus-, Eliten- und Biografieforschung.15 Zu diesen jüngeren Arbeiten gehören insbesondere die in der Datenbank BioParl unter der Leitung von Wilhelm Heinz Schröder am Kölner Zentrum für Historische Sozialforschung zusammengeführten Datenbestände aus verschiedenen kollektiv-biografischen Forschungsprojekten. Es liegen biografische Informationen zu Parlamentarier:innen der Deutschen Reichstage und ausgewählter Landesparlamente sowie der Deutschen Bundestage und der 10. Volkskammer der DDR vor.16

Mit ihrem Fokus auf die erlernten und ausgeübten Professionen der Abgeordneten machen sie eine wesentliche Erkenntnis aus der Professionsforschung zu ihrer Prämisse, nämlich dass dem Beruf die zentrale Bedeutung für die »gesellschaftliche Platzierung von Individuen in der Gesellschaft« zukommt, als ein »entscheidendes, normatives Integrationselement von Gesellschaft« fungiert und der Beruf »also ein wichtiger Teil der sozialen Identität«17 ist. Obwohl die vorliegende Studie an diese Prämisse anknüpft, ist der Ertrag dieser Arbeiten hinsichtlich der evangelisch-theologischen Professionen überschaubar. Mit Blick auf das theologische Handlungsfeld Kirchengemeinde wird die Berufsgruppe der »Geistlichen« zwar zumeist aufgeführt, jedoch wird dabei erstens nicht immer zwischen evangelischen und katholischen Geistlichen unterschieden und zweitens wird diese Gruppe im analytischen Teil der Arbeiten gar nicht oder nur oberflächlich weiter behandelt. Hinsichtlich der theologischen Handlungsfelder Schule und Universität sind die genannten Studien ebenfalls wenig aussagekräftig, da sie – ob ihrer angelegten Studienbreite – bei Lehrpersonen keine Fächerspezifizierung vornehmen, wodurch die Angaben für eine Untersuchung theologischer Parlamentarier:innen nicht weiterzuverwenden sind.

Weitaus ergiebiger für die Fragestellung ist eine zweite Gruppe von Vorarbeiten, die sich spezifischer mit der parlamentarischen Tätigkeit von Personen aus dem theologischen Arbeitsfeld Gemeinde beschäftigen. Während sich die meisten dieser Arbeiten auf eine bestimmte Zeit beschränken, wird ein Gesamtüberblick von 1848 bis in die Zeit der Bundesrepublik bei Heinz Boberach für evangelische Pfarrer18 und bei Rudolf Morsey für katholische Geistliche19 gegeben. Beide Untersuchungen geben einen kursorischen Überblick über die quantitative Repräsentation des Pfarrerstandes in den Parlamenten auf Reichs- und Bundesebene. Die Landesparlamente wurden dabei noch nicht miteinbezogen. Diffus bleibt aber bei beiden die Kriteriologie, nach der die Autoren entschieden haben, wer zum untersuchten Personenkollektiv zu zählen ist. So kann Boberach für unterschiedliche Parlamente einmal nur Pfarrer, dann ebenso theologische Hochschullehrer und anderswo wiederum auch theologische Gymnasiallehrer berücksichtigen. Ebenfalls konnte die Untersuchung von Boberach noch keine qualitative Analyse der parlamentarischen Tätigkeit evangelischer Pfarrer leisten, ihren Bedarf zeigt er jedoch mehrfach auf:

»Was sie alle in fast 150 Jahren in ihrer Tätigkeit als Volksvertreter gewollt und bewirkt haben, muß freilich einer umfassenderen Untersuchung vorbehalten bleiben; sie müßte ebenfalls die Landtage und im Wahlkampf unterlegene Kandidaten einbeziehen ber [sic!] katholische Theologen.«20

»Ob und in welchem Umfang das [Trennen von Theologie und parlamentarischer Arbeit] allen evangelischen Theologen gelungen ist, die seit 1848 als Parlamentarier zu wirken suchten, müßten differenziertere Untersuchungen zu ihren Biographien klären.«21

In diese zweite Gruppe der Vorarbeiten (zur parlamentarischen Tätigkeit von Personen aus dem theologischen Arbeitsfeld Gemeinde) zählen neben den statistischen Überblicksforschungen auch verschiedene Arbeiten zu politisch aktiven Pfarrern und – im weitesten Sinne – evangelischen Christen mit Blick auf spezifische Zeitabschnitte der deutschen Demokratiegeschichte. Hier ist für die erste Station deutscher Demokratiegeschichte die vielbeachtete Arbeit von Christian R. Homrichhausen zu evangelischen Christen in der Paulskirche zu nennen,22 die deren Arbeit sowohl quantitativ mit Blick auf alters-, berufs-, partei- und theologiespezifische Trends wie auch qualitativ mit Blick auf ihre programmatischen Interessen und dem »komplexen Verhältnis von Politik und christlich-kirchlichem Handeln«23 auswertet. Indem Homrichhausen eingangs in eine Unterscheidung zwischen Theologen (gemeint sind ausschließlich evangelische Pastoren) und christlich-protestantischen Laien einführt, misst er der theologischen Profession zwar eine besondere Bedeutung für die politisch-inhaltliche Arbeit bei, jedoch zeigen die nachfolgenden Ausführungen ebenfalls das schon mehrfach bemängelte Problem einer intransparenten Auswahl der berücksichtigten Personen.

Für die Zeit des Deutschen Kaiserreiches und der Weimarer Republik (1862–1932) untersucht Kurt Nowak das Phänomen »Politische[r] Pastoren«24, genauer die seit den 1860er Jahren virulent bleibende Debatte um das richtige Verhältnis von geistlichem Amt und den Rechten und Pflichten der Geistlichen als Staatsbürger. Im Untersuchungsabschnitt zu Pastoren als Parteiführer und Parlamentarier, stellt Nowak für seinen Studienzeitraum insgesamt einen Rückgang des geistlichen Standes aus den politischen Führungsschichten fest, auch wenn der Anteil von Pfarrern in den Weimarer Parlamenten noch einmal anstieg.25 Auch Nowak weist auf das Forschungsdesiderat mit Blick auf eine Untersuchung der Länderparlamente hin. So sei es »[e]ine offene Frage […], ob sich dieser ›Reichsindex‹ grundsätzlich verändert, bezieht man die Geistlichen in den Länder- und Städteparlamenten in die Berechnungen ein«26. Ebenfalls für die Zeit der Weimarer Republik untersucht Wilhelm Dahm die »Soziale Position und politische Mentalität des deutschen evangelischen Pfarrerstandes zwischen 1918 und 1933«.27 Aufbauend auf die Bestimmung der politischen Haltung des evangelischen Pfarrerstandes als »Krisenmentalität«28, die aus der verunsicherten gesellschaftlichen Stellung der Pfarrer und den Traditionsabbrüchen seit 1918 resultiere, zeichnet Dahm die Generaldebatte zur politischen Tätigkeit von Pfarrern und den vom Pfarrer-Kollektiv persönlich erfahrenen sozialen Druck nach und fokussiert sich sodann auf den in diesem Zeitraum unter politischen Geistlichen mehrheitlich vertretenen konservativ-nationalen Typus. Mit Blick auf die Motivationen zur politischen Aktivität, legt er ein Forschungsdesiderat frei, bei welchem die vorliegende qualitativ arbeitende Studie ansetzt:

»Soll nun trotzdem der genauere Hinblick etwas von...

Erscheint lt. Verlag 17.5.2023
Reihe/Serie Religion und Moderne
Religion und Moderne
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte Bundestag • Demokratie • Deutscher Protestantismus • Deutschland • Evangelischer Glauben • Heinrich Albertz • Magdalene von Tiling • Parlament • Parlamentarier • Parlamentarierinnen • Parlamentarische Demokratie • Parlamentarismus • parteipolitisches Engagement • Politische Ethik • Reichstag • Rudolf Otto • Theologen • Theologie • Theologiegeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts • Theologinnen
ISBN-10 3-593-45371-1 / 3593453711
ISBN-13 978-3-593-45371-2 / 9783593453712
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