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Das ewige Ungenügend (eBook)

Eine Bestandsaufnahme des weiblichen Körpers | Wo bleibt die weibliche Selbstbestimmung?
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
272 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2903-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das ewige Ungenügend -  Saralisa Volm
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»Saralisa Volm geht knallhart ins Gericht mit dem Körperterror und Schönheitsdruck auf Frauen, vor allem aber mit den Profitstrukturen, die dahinter stehen.« Süddeutsche Zeitung  Wie viel Hyaluron passt in das Gesicht einer intelligenten Frau? Wie viel Botox kann ich meiner politischen Haltung zumuten? Wie viel Hängebrust ertragen? Saralisa Volm, Schauspielerin, Filmproduzentin und Kuratorin, steckt mittendrin im Schönheitswahn. Es ist Zeit für körperliche Selbstermächtigung, besseren Sex, echte Wut, entspanntes Altwerden und dafür, endlich nein zu sagen. »Was für eine kluge, schmerzhafte wie intime Analyse der permanenten Fremdbestimmungen, denen der weibliche Körper ausgesetzt ist.« Samira El Ouassil »Ein ehrlicher Blick in Abgründe und gleichzeitig eine Umarmung, warm und heilsam.« Verena Altenberger »Fantastisches Buch! Lest es! Verschenkt es an junge Menschen.« Teresa Bücker »Gemeinsam bewohnen wir dieses Gefängnis des Nicht-Genügens. Und nur gemeinsam kann uns der Ausbruch gelingen. Dieses so kluge wie schmerzhafte Buch liefert uns den Schlüssel.« Maria Furtwängler

Saralisa Volm, geboren 1985, ist Schauspielerin, Regisseurin und Filmproduzentin. Als Kunsthistorikerin lotet sie in ihrer Arbeit immer wieder die Grenzen zwischen Film, Text und bildender Kunst aus. Mitte der Nullerjahre wurde sie von Regisseur Klaus Lemke entdeckt. 2017 sorgte die von ihr produzierte Filmsatire »Fikkefuchs« mit Franz Rogowski für Aufsehen. 2022 war sie im preisgekrönten Kinofilm »Als Susan Sontag im Publikum saß« (Regie: RP Kahl) als Germaine Greer zu sehen. Bei diesem Film war sie auch als Drehbuchautorin beteiligt. Ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin, »Schweigend steht der Wald«, feierte bei der Berlinale 2022 seine Premiere.

Saralisa Volm, geboren 1985, ist Schauspielerin, Regisseurin und Filmproduzentin. Als Kunsthistorikerin lotet sie in ihrer Arbeit immer wieder die Grenzen zwischen Film, Text und bildender Kunst aus. Mitte der Nullerjahre wurde sie von Regisseur Klaus Lemke entdeckt. 2017 sorgte die von ihr produzierte Filmsatire »Fikkefuchs« mit Franz Rogowski für Aufsehen. 2022 war sie im preisgekrönten Kinofilm »Als Susan Sontag im Publikum saß« (Regie: RP Kahl) als Germaine Greer zu sehen. Bei diesem Film war sie auch als Drehbuchautorin beteiligt. Ihr Spielfilmdebüt als Regisseurin, »Schweigend steht der Wald«, feierte bei der Berlinale 2022 seine Premiere.

Triggerwarnung –
ein Vorwort


Kultur macht keine Menschen. Menschen machen Kultur. Wenn es wahr ist, dass die volle Menschlichkeit der Frau nicht unsere Kultur ist, dann können und müssen wir sie zu unserer Kultur machen.– CHIMAMANDA NGOZIA ADICHIE

Mein Körper steht mir im Weg. Beim Sport, beim Wachblei­ben, beim Körperflüssigkeiten-Zurückhalten, beim Schönsein und beim würdevollen Altern. Er stört meine Freiheit, meine Gefühle, mein Denken. Mein Körper nimmt sehr viel Zeit in Anspruch, die ihm für meinen Geschmack nicht zusteht. Mein Körper stört.

Ich wurde mit einem Augenfehler geboren. Ich schiele. Bereits mit sechs Monaten trug ich eine Brille. Nahm ich sie ab, begannen meine Augen, wie wild zu tanzen. Menschen, die mit mir sprachen, wusste nicht genau, ob ich sie ansah oder gelangweilt in die Ferne blickte. Meine Eltern nannten mich Otto, wie Otto Schily. Der RAF-Anwalt machte damals als prominentes Mitglied der ersten Grünen Fraktion im Bundestag von sich reden. Daran gewöhnte ich mich. Ich war dürr und lang – wodurch meine Hosen immer zu kurz waren – und unfassbar unbeliebt. Eine sportliche Begabung kann in solchen Fällen helfen. Mich jedoch mussten die Mitschüler*innen im Sportunterricht immer als Letzte ins Team wählen. Bis heute kann ich Bälle weder werfen noch fangen. Meine Gliedmaßen fallen beim Rennen unkoordiniert durch die Luft, und mein Kopf läuft nach zwei Minuten Anstrengung knallrot an. Mit weißen Punkten. Ich bekomme keine Luft mehr und beginne zu japsen. Natürlich war ich nicht gerne unbeliebt, aber ich kam aus der Nummer nicht raus. Ich war eine typische Außenseiterin mit vielen Gründen, mich selbst hässlich zu finden und meinen Körper zu verachten. Er war schuld, und es fühlte sich gut an, einen Schuldigen zu identifizieren.

Wie alle anderen Mädchen in meiner Klasse fand ich schon mit sieben Jahren meine nicht vorhandenen Oberschenkel zu fett. Bei Übernachtungspartys quetschte ich sie mit allen Kräften zusammen und schrie: »Guck, guck wie eklig! Ich bin viel dicker als du.« Natürlich mit der Hoffnung, die anderen Mädchen würden widersprechen. Das taten sie auch fleißig, doch das änderte nichts an meinem Gefühl. Wir alle wussten, dass es unsere Aufgabe ist, uns irgendwann in die Diätwelt des Frauseins zu stürzen. Selbst mir war das klar, obwohl ich so dünn war, dass meine Eltern mich mit Kakao und süßen Cerealien mästeten, doch an mir blieb davon nichts hängen.

Über die nächsten Jahre hinweg verglichen wir Mädchen immer wieder unser Gewicht, berechneten den BMI und verfolgten aufmerksam, wie wir uns körperlich entwickelten. Das bedeutete auch, auf einer Klassenfahrt nachts um zwei nebeneinander vorm Toilettenspiegel zu stehen und Mittesser zu zählen. Zu Hause in meinem Bett stapelten sich die Ausgaben aller damals erhältlichen Frauenzeitschriften: Maxi, Freundin, petra, Cosmopolitan und Young Miss. Ich lag Schokolade essend daneben und las ein Buch. Es war sehr anstrengend, nicht vollständig zu verblöden.

Die Lektüre der Zeitschriften brachte mich dazu, unzählige Shampoos, Pflaster gegen Mitesser, Gesichtsmasken, Schaumfestiger und Spülungen zu kaufen sowie jede Menge Make-up und mehrere Epilierfoltergeräte. Meine Klassenkameradinnen machten es genauso. Hätte ich meinem damaligen Ich erzählt, was es zwanzig Jahre später sehen wird, wenn es in den Spiegel blickt, hätte es vermutlich gesagt: »Das lasse ich nicht zu, vorher erschieße ich mich.«

So weit sollte es nicht kommen. Heute stehe ich vor dem Spiegel und bin froh, dass es viele gute Gründe gibt, die mich am Leben halten. Das Alter macht milde und genügsam. Mittlerweile habe ich ein paar erfolgreiche Sportmuffel im Umfeld sowie Freund*innen, die mich in Teams brauchen, in denen ganz andere Fähigkeiten gefragt sind. Die Blicke, die ich in meiner Kindheit und Jugend wahrgenommen habe, und die Spitznamen, die ich in meiner Schulzeit hatte, kann jedoch niemand vergessen machen. Wer mich damals mochte, hatte getrennte Eltern, ein Drogenproblem oder war todunglücklich. Es finden sich immer die Richtigen im Leben. Zum Glück.

Mich an all das zu erinnern – und das musste ich, um dieses Buch überhaupt schreiben zu können –, war ein krasser Trigger. Zu Beginn fiel es mir leicht, weil ich alles noch vor Augen habe: die matt vibrierenden Nächte voller Kontrollverlust, das schwarze Loch in mir, das ich mit meinem Magen verwechselte, der Geruch von ausgekotztem Schokoladeneis und der Geruch meines Ex-Freundes, der neben mir auf dem Badewannenrand saß und mir fasziniert dabei zusah, wie ich mich übergab, und mich anschließend tröstete. Der grabschende, onanierende und übergriffige Täter und die Wochen voller Ohnmacht und erstickten Worten danach. Die Namen der Menschen, die in diesem Buch auftauchen, ihre Elternhäuser und ihre Traumata. Jahre später waren sie nur Schatten, die sich gelegentlich in der schimmernden Oberfläche meiner Selbstbeherrschung spiegelten. Doch für dieses Buch musste ich ihnen wieder näherkommen. Das war nicht einfach.

Der Vergangenheit Raum zu geben bedeutet, der Sehnsucht nach Erkenntnis nachzuspüren. Sich der Gefahr auszuliefern, Erklärungen zu finden, die heute keine Entschuldigung mehr sein dürften und trotzdem zur Stelle sind, wenn ich in die falsche Richtung blicke. Doch mir einzugestehen, was ich lange nicht wahrhaben wollte, und es zu formulieren, fühlt sich befreiend an.

Etliche Episoden der Apple-TV-Serie Physical beginnen mit einer Warnung: »Die folgende Episode enthält Szenen über eine Essstörung, die einige Zuschauer als beunruhigend empfinden könnten. Wir raten den Zuschauern nach ihrem eigenen Ermessen zu handeln.« Die Serie triggert. Und sie erzählt von Triggern. Von Burgerläden und Männern, die auf der Straße neben Frauen wichsen. Von Frauen, die genormten Bildern zu entsprechen versuchen, und von heimlichen Essstörungen und Kontrollzwängen. Die Hauptfigur Sheila steht vor dem Spiegel und beschimpft sich mit den Worten: »Meine Güte, sieh dich nur an, ist das dein Ernst? Glaubst du wirklich, dass du das noch tragen kannst? […] Heute ernährst du dich frisch und gesund. […] Und wenn du das alles geschafft hast, darfst du dir nach dem Abendessen eine kleine Portion Cobbler gönnen. Aber ohne Eis. […] So schwer ist das nicht. Du brauchst nur ein kleines bisschen Scheißdisziplin. […] Du Fettarsch.«1 Sie tut das, was unendlich viele Frauen jeden Tag machen.

Das ist ein Trigger, aber einer, der mich mit Dankbarkeit erfüllt. Das gilt auch für die ungeschönte Darstellung von Prinzessin Diana in der vierten Staffel von The Crown, wenn sie zwischen glänzenden Kupfertöpfen und endlosen Regalen versteckte Törtchen, Trifles und Eclairs in sich hineinstopft. Oder wenn sie vor der Toilettenschüssel in die Knie geht, nachdem sie sich vollgefressen hat.2 Und nicht nur das. Auch die echte Prinzessin, Lady Di, machte nach ihrer Scheidung Mitte der 1990er ihre Depressionen und ihre Essstörung publik.

Vor solch expliziten Darstellungen wird oft gewarnt, weil sie zur Nachahmung anregen könnten – auf diese Gefahr hat beispielsweise die NEDA (National Eating Disorders Association / USA) in Bezug auf The Crown hingewiesen. Wenn die wunderschönen Vorbilder davon erzählen, wie sie in den Hochzeiten ihres Ruhms nur Halt an der Klobrille finden konnten, wirke es so, als ob die Krankheit zum Lifestyle der Reichen und Schönen gehöre. Dabei ist oft das Gegenteil der Fall: Der Ruhm, der Druck und die Angst zu scheitern lösen die Krankheit aus. Bei den Reichen und Schönen und bei unfassbar vielen Menschen vor den Endgeräten. Die Erwartungshaltungen an unsere Körper überschwemmen uns alle überall.

Und genau deshalb ist es so wichtig, in Filmen, Büchern, auf Podien und in den Medien zu thematisieren, was hier gesellschaftlich falsch läuft. Das hilft uns, Zwänge und Krankheiten einzuordnen, wir müssen uns nicht mehr allein schämen, sondern fühlen uns gesehen. Trotz der Ohnmacht.

Es mehren sich Stimmen, die behaupten, dass die Triggerwarnung selbst triggert. Wer die Warnung liest, habe sofort Bilder im Kopf und Gefühlsempfindungen. Immerhin erlaubt sie, zu entscheiden, ob man weiterlesen will. Andere sagen: Heilung geht durch den Schmerz. Überwindung entsteht durch Aushalten. Ich weiß nicht, was stimmt. Ich befürchte, es stellt sich für jede*n anders dar und ändert sich immerzu. Das Leben bleibt bis auf Weiteres unfair und kompliziert.

Dieses Buch handelt ungeschönt von Essstörungen, von sexualisierter Gewalt, nicht vorhandenen Orgasmen, der Angst vorm Alter und ausgefransten Mottenlöchern im Gemütsteppich. Zu Beginn des Schreibprozesses dachte ich, es ginge hauptsächlich um mich. Dann aber erkannte ich, dass das Gefühl der körperlichen Unzulänglichkeit gewollt ist. Zahlen, Analysen und Texte von Psycholog*innen und Expert*innen untermauern diese Auffassung ebenso wie die Erfahrungsberichte anderer und ihre Geschichten. Nicht ich bin verrückt, sondern das System: Die Erwartungshaltung der Gesellschaft treibt...

Erscheint lt. Verlag 27.4.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Autonomie • Body-Positivity • Emazipation • Empowerment • Esstörungen • Feminismus • Ideal • Körper • körperliche Selbstermächtigung • Körpersprache • Kraft der Selbstwirksamkeit • Normschön • weiblicher Körper
ISBN-10 3-8437-2903-4 / 3843729034
ISBN-13 978-3-8437-2903-1 / 9783843729031
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