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Füreinander sorgen (eBook)

Warum unsere Gesellschaft ein neues Miteinander braucht
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01504-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Füreinander sorgen -  Susanne Mierau
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Alle Menschen benötigen Fürsorge. Ohne Fürsorge können Kinder nicht groß werden, können Kranke nicht gesund werden, können ältere Menschen nicht alt werden. Fürsorge hält die Gesellschaft am Laufen. Doch warum wird Fürsorge als gesellschaftlicher Wert oft vernachlässigt? Die Bestsellerautorin Susanne Mierau schreibt in ihrem neuen Buch darüber, wie wichtig ein gutes Miteinander ist. Ohne Kinder würde später niemand unsere Rente bezahlen; die alten Menschen haben unseren Wohlstand aufgebaut. Und dennoch werden beide Gruppen oft als Störwesen gesehen, dennoch werden Erzieherinnen und Krankenpfleger nicht ausreichend bezahlt. Es gibt etliche Ratgeber, die Eltern erklären, wie sie Kinder besser erziehen, wie sie Familie und Job unter einen Hut bekommen - doch Mierau macht deutlich, dass es darum nicht geht: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft müssen zu einer neuen Haltung finden, die Strukturen grundlegend verändern. In einem flammenden, warmherzigen und lösungsorientierten Plädoyer zeigt sie, was sich verändern muss, damit dieses Land nicht sein eigenes Fundament zerstört.

Susanne Mierau, 1980 geboren, ist eine der hierzulande bekanntesten Expertinnen im Bereich bindungs- und bedürfnisorientiertes Familienleben. Als Diplom-Pädagogin hat sie zunächst an der Freien Universität Berlin in Studium und Lehre gearbeitet, bevor sie eine eigene Praxis für Familienbegleitung eröffnet hat. Ihr Blog »Geborgen Wachsen« ist - wie die dazugehörigen Social-Media-Kanäle und das Geborgen-Wachsen-Forum - seit 2012 Anlaufpunkt für Familien zu allen Fragen rund um den Familienalltag. Susanne Mierau leitet Workshops, hält Vorträge für Eltern und Fachpersonen und hat bereits diverse erfolgreiche Elternratgeber veröffentlicht. Sie ist Mutter von drei Kindern.

Susanne Mierau, 1980 geboren, ist eine der hierzulande bekanntesten Expertinnen im Bereich bindungs- und bedürfnisorientiertes Familienleben. Als Diplom-Pädagogin hat sie zunächst an der Freien Universität Berlin in Studium und Lehre gearbeitet, bevor sie eine eigene Praxis für Familienbegleitung eröffnet hat. Ihr Blog »Geborgen Wachsen« ist – wie die dazugehörigen Social-Media-Kanäle und das Geborgen-Wachsen-Forum – seit 2012 Anlaufpunkt für Familien zu allen Fragen rund um den Familienalltag. Susanne Mierau leitet Workshops, hält Vorträge für Eltern und Fachpersonen und hat bereits diverse erfolgreiche Elternratgeber veröffentlicht. Sie ist Mutter von drei Kindern.

Einleitung


«Wenn du gewusst hättest, wie anstrengend es ist, hättest du dann Kinder bekommen?» Es ist eine Frage, die wohl so einigen Eltern nach der Pandemie gestellt wurde. Vielleicht aber auch schon früher. Jedenfalls eher als die Frage: «Wenn du gewusst hättest, wie schön es ist, hättest du dann früher Kinder bekommen?» Mir persönlich wurde nie eine Frage der letzteren Art gestellt – in allen 14 Jahren Elternschaft mit drei Kindern nicht. Kinder sind eben anstrengend, das wissen wir doch alle: Man schläft wenig, muss Wutanfälle begleiten, Kinder werden krank, sind zappelig in Restaurants und ungehalten in Einkaufsmärkten. Wir können nicht mehr spontan ausgehen, die Nächte durchmachen und am nächsten Tag ausruhen, und manche Hotels nehmen Gäst*innen mit Kindern gar nicht erst auf. Natürlich gibt es auch die schönen Seiten des Elternseins. Aber ganz ehrlich: Was fällt uns zuerst ein, wenn wir darüber nachdenken, was es bedeutet, Eltern zu sein? Wahrscheinlich etwas in Richtung Fürsorgepflicht und Überforderung. Und wenn wir an die Versorgung von alten Menschen denken, sieht es ganz ähnlich aus. Wir fragen uns vielleicht manchmal: Muss das eigentlich so sein? Ist das «normal», dass Fürsorge so anstrengend ist? Nein, ist es nicht. Aber wir haben verinnerlicht, dass es so in Ordnung wäre und genau so der Norm entspräche. «Eltern sind eben immer müde, besonders Mütter.»

Fürsorge kann aber auch ganz anders sein und sich ganz anders anfühlen. Wir haben die Sache nur leider über Generationen hinweg total in den Sand gesetzt und nehmen jetzt als normal an, was gar nicht der Norm entsprechen sollte und uns dauerhaft schadet.

Spätestens seit «Regretting Motherhood»[2] beschäftigen wir uns (endlich!) öffentlich mit der Ambivalenz von Mutterschaft: dem Gefühl, es sich anders vorgestellt zu haben. Dem Bedauern des Elternseins. Dem Gefühl, keine gute Mutter zu sein aufgrund der allgegenwärtigen, überhöhten Mutterideale. Dem Gefühl, überfordert zu sein. Und auch mit dem Gefühl der Hilflosigkeit angesichts der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen: sich verlassen zu fühlen durch zu wenig Unterstützung, Fehlen gerechter Aufgabenverteilungen zwischen Eltern, zu wenige öffentliche, niedrigschwellige Hilfs- und Begleitungsangebote, angefangen beim Hebammen- über den Kitaplatzmangel bis hin zum Mangel von Lehrenden an Schulen, zu wenig Therapieplätze für Kinder und Jugendliche, zu wenig Kurangebote für Eltern, familienunfreundliche Infrastruktur, finanzielle Benachteiligung von Familien mit der Folge von (Kinder-)Armut etc. Die strukturellen Bedingungen der Fürsorge sehen wirklich schlecht aus.

Gerade in der Pandemie traten die Schieflage des Elternseins und seine gesellschaftliche Vernachlässigung besonders hervor. Kinder wurden benachteiligt, und Eltern (insbesondere Mütter) haben versucht, dies auszugleichen, indem sie selbst Benachteiligung, Überlastung und Verringerung des Wohlbefindens auf sich genommen haben. Wer denn, wenn nicht wir? Es hat etwas mit uns gemacht, dass wir übersehen, vergessen und in die Erschöpfung getrieben wurden, sowohl strukturell, beispielsweise in Hinblick auf Erwerbstätigkeit und Altersvorsorge, aber auch mit unserem Gefühl und unserer Einstellung, mit Erziehungsverhalten und unseren Werten, die wir weitergeben.

«Care-Arbeit» ist in den vergangenen Jahren ein bedeutsamer Begriff des feministischen und pädagogischen Diskurses geworden, weil sie allgegenwärtig und bedeutsam ist und dennoch lange Zeit beschwiegen wurde. Es ist richtig, dass die fehlende Wertschätzung, die Kümmerfalle und Unsichtbarkeit der Mehrfachbelastung von Frauen zur Sprache kommen, dass wir unsere salzigen, weiblichen Finger in die Wunde der Gerechtigkeit legen. Es ist wichtig, dass wir den Diskurs eröffnen und auf die Ungerechtigkeiten hinweisen. Es muss benannt werden, dass Familien strukturell benachteiligt werden und es auf vielen Ebenen unattraktiv ist, Kinder im Wachsen zu begleiten. Viele Probleme sind im gesellschaftlichen Diskurs bereits identifiziert worden, und es gibt durchaus gute Lösungsansätze. Um aber langfristig etwas zu ändern und vor allem darauf hinzuwirken, dass diese Lösungsansätze von jenen umgesetzt werden, die (aktuell) von den Fürsorgeproblemen nicht betroffen sind, müssen wir noch viel weiter und tiefer in die Aufarbeitung des Problems gehen.

Fürsorge ist mehr als «nur» Arbeit. Sie ist ein Wert unserer Gemeinschaft und hält sie am Laufen. Nicht nur aus der Sicht des Humankapitals, nicht nur als wirtschaftlicher Faktor, sondern auch als emotionaler, psychischer Bestandteil von Gesellschaft, als ihr Entwicklungsmotor auf menschlicher Ebene. Und genau darüber sprechen wir zu wenig neben all den politischen Problemen: über die psychischen, emotionalen, hormonellen, erzieherischen und evolutionsbiologischen Anteile von Care. Diese Aspekte hinter der Fürsorge sind wichtig, wenn es darum geht, die Notwendigkeit zur Veränderung zu verstehen. «Care» sollte nicht rein rational betrachtet werden – bzw. sollte die rationale Betrachtung die emotionalen Aspekte in ihrer Bedeutsamkeit einbeziehen. Wir sind Menschen. Wir erleben jeden Tag eine breite Palette an Gefühlen und dürfen uns davon nicht entkoppeln lassen. Menschen sind bedürftig – von der Wiege bis zur Bahre. Als Kinder genauso wie als Erwachsene, und viele der menschlichen Bedürfnisse stehen mit Fürsorge in Verbindung. Wenn aber Bedürfniserfüllung und Selbstfürsorge schon aberzogen wurden und wir verinnerlicht haben, einfach, anpassungsfähig und möglichst unkompliziert sein zu müssen, dann wird es schwer, Fürsorge als Wert neu zu begreifen und Bedürftigkeit anderer (neben der eigenen) anzuerkennen.

Zu einer Aufwertung von Fürsorge als Wert gelangen wir zudem nicht, wenn Fürsorge als weibliche Eigenschaft begriffen wird, männlich gelesene Menschen davon entfremdet werden und gleichzeitig die Position der Frau in der Gesellschaft weiterhin nur untergeordnet, bestenfalls mitgemeint, aber an vielen Stellen abgewertet bleibt. Denn Fürsorge wird als weiblich zugeordnete Eigenschaft, in einer Gesellschaft, in der Frauen keinen Wert haben, nicht die Anerkennung bekommen, die wir für eine Veränderung brauchen. Fürsorge hängt zusammen mit Gerechtigkeit und Gleichberechtigung – und ganz besonders mit der Erziehung, mit der wir den Vorstellungen über Rollenbilder den Weg ebnen. Solange wir weiterhin den vorgegebenen gesellschaftlichen Rollenbildern anhängen, sie an die nächste Generation weitergeben und sie nicht per se infrage stellen, werden wir an der Ungerechtigkeit nichts verändern. Wir müssen unsere Kategorien dekonstruieren und ganz neue Bilder erschaffen, anstatt uns nur an den vorgefertigten Definitionen abzuarbeiten.

Wir denken oft, wir wären nur am Anfang und Ende unseres Lebens in besonderer Weise auf Fürsorge angewiesen, aber das stimmt so nicht: Die Art der Fürsorge verändert sich im Leben nur, und wir erleben sie unterschiedlich – auch bestimmt dadurch, wie sie uns präsentiert wird, ob als Dienstleistung, die wir einkaufen können, oder als persönliche Zuwendung. Geben wir, oder sind wir angewiesen? Sie ist verwoben mit Selbstbestimmung und unseren persönlichen Möglichkeiten, mit Privilegien. Und auch wenn wir uns ihrer Präsenz nicht an allen Punkten bewusst sind, zieht sie sich wie ein roter Faden durch: Fürsorge ist das Garn, das die bunte Patchworkdecke unseres Lebens zusammenhält. Die Beschaffenheit dieses Garns wird in der frühen Kindheit bestimmt. Sie nimmt Einfluss auf unsere psychische und physische Entwicklung, unser Sozialverhalten, unsere Erwerbsarbeit, Partnerschaft, Hobbys. Sie bildet die Basis für uns als individuelle Menschen, aber auch die Basis unseres Zusammenlebens. «Wir werden geboren, um zu lernen, uns miteinander in Verbindung zu setzen und zu spielen», erklärt der Historiker Rutger Bregman in seinem internationalen Bestseller «Im Grunde gut».[3] «Lange haben wir angenommen, dass der Mensch ein Egoist sei, ein Tier oder Schlimmeres. Lange haben wir geglaubt, dass es sich bei der Zivilisation nur um eine dünne Schicht handele, die beim geringsten Anlass reißen würde. Dieses Menschenbild und dieser Blick auf unsere Geschichte haben sich als völlig unrealistisch erwiesen.»[4] Wir sind gut, wir sind sozial, wir brauchen einander, wir brauchen Fürsorge.

Wir müssen unseren Blick auf Fürsorge verändern, aber auch unseren Blick auf die Menschheitsgeschichte. Fürsorge ist in uns allen tief verankert. Sie ist ein Bedürfnis, das Menschen über Zeit und Raum verbindet. Weil sie aber nur von Menschen gegeben werden kann, die sie vorher empfangen haben, bleibt sie ein ewiger Balanceakt. Wenn wir allerdings wirklich verinnerlichen, dass uns damals wie heute das Gute trägt, dass wir uns nicht durch Konkurrenz und Kampf entwickelt haben, sondern durch Kooperation und Unterstützung, dann kann sich in unserer Gesellschaft wirklich etwas verändern und die gut erdachten Lösungsansätze für unsere Probleme können greifen.

Gerade heute brauchen wir Fürsorge auf allen gesellschaftlichen Ebenen ganz besonders: in Hinblick auf die Versorgung von Kindern, in Hinblick auf unsere alternde Gesellschaft, in Hinblick auf die Versorgung von (chronisch) Erkrankten, Menschen mit Behinderung, aber auch in Anbetracht der Klimakrise und weltweiten Migration. Ein Ende der Fürsorge bedeutet nicht nur das Ende eines Menschen – wie wir schon aus dem erschütternden Baby-Experiment Friedrichs II. von Hohenstaufen auf der Suche nach der «Ursprache» wissen –,[5] sondern das Ende gesellschaftlicher...

Erscheint lt. Verlag 16.5.2023
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Altruismus • Erziehung • Familienkompass • Füreinander • Fürsorge • Gesellschaft • Gesellschaft Bücher • Kinder • Miteinander • Schule • Sozialwissenschaften • Umwelt
ISBN-10 3-644-01504-X / 364401504X
ISBN-13 978-3-644-01504-3 / 9783644015043
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