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Friesendolch. Ostfrieslandkrimi -  Sina Jorritsma

Friesendolch. Ostfrieslandkrimi (eBook)

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2022 | 1. Auflage
200 Seiten
Klarant (Verlag)
978-3-96586-650-8 (ISBN)
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"Diese Ex-Häuptlinge haben wirklich nicht alle Tassen im Schrank!" Lübbo Fallena, Mitglied einer alten ostfriesischen Häuptlingsfamilie, liegt ermordet am Strand von Borkum. Die Mordwaffe ist ausgerechnet ein wertvoller Zierdolch der verfeindeten Familie Rudinga. Die Borkumer Kommissare Mona Sander und Enno Moll fühlen sich wie in der Zeit versetzt, denn der Konflikt zwischen den Fallenas und Rudingas stammt aus Tagen, als Häuptlinge in Ostfriesland noch das Sagen hatten. Musste der verliebte junge Mann sterben, weil er gerade aus längst überholten jahrhundertealten Traditionen ausbrach? Wollte der Mörder eine Verbindung zwischen Liebenden aus verfeindeten Sippen um jeden Preis verhindern? Es ist kein gewöhnlicher Mordfall, und die ostfriesischen Kommissare müssen damit rechnen, dass ihnen bei der Ermittlungsarbeit jede Menge Knüppel zwischen die Beine geworfen werden...

Kapitel 2


 

Mona war keine gebürtige Borkumerin. Sie hatte schon einmal etwas über die ostfriesischen Häuptlinge gelesen, aber eine Expertin war sie ganz gewiss nicht. Von ihrem einheimischen Dienstpartner konnte sie bestimmt alles Nötige erfahren. Doch dafür war jetzt weder die passende Zeit noch der passende Ort.

Außer der Geldbörse und einigen unverfänglichen Alltagsgegen­ständen wie Papiertaschentüchern und einer Packung Kaugummi fand die Ermittlerin nichts in den Taschen des Toten. Ein Handy suchte sie vergeblich. Stattdessen schaute sie sich den Griff der Mordwaffe genauer an. Dieser hatte auch Ennos Interesse geweckt. Der erfahrene Kriminalist beugte sich vor, indem er die Hände auf seine Knie stützte. Mona leuchtete die Brust des Leichnams an.

»Der junge Mann ist mit einem sehr wertvollen Zierdolch getötet worden«, sagte der Oberkommissar. Er fuhr fort: »Es sollte uns nicht schwerfallen, den Besitzer dieser Waffe zu ermitteln. Solche Stücke sind Unikate, die von renommierten Waffenschmieden hergestellt wurden.«

»Da kennt sich jemand gut aus«, meinte seine Kollegin anerken­nend.

Enno zuckte mit den Schultern und erwiderte: »Prunksucht ist kein Phänomen der Gegenwart. Wenn jemand heutzutage einen teuren Sportwagen fährt, um die Menschen zu beeindrucken, dann hat man das vor Jahrhunderten mithilfe von erlesener Kleidung und exklusi­ven Waffen getan. – Dieses Perlmutt und die Schnörkel sind pure Spielerei. Um einen Menschen mittels eines Dolchs ins Jenseits zu befördern, reicht ein simpler Holzgriff der Waffe völlig aus.«

»Könnte der Dolch etwas mit Lübbos Herkunft aus diesem Häupt­lingsgeschlecht zu tun haben?«, fragte Mona.

»Ja, das befürchte ich.«

Claas Lammer war nicht untätig geblieben und hatte aus dem an der Süderstraße geparkten Streifenwagen eine Plane geholt. Damit deckte er die Leiche ab. Britt Mölders rief einen Bestatter an, damit er den Toten abholte und den Transport aufs Festland organisierte, wo die Gerichtsmedizin den Leichnam und die Kriminaltechnik den Dolch untersuchen sollten. Enno beleuchtete die unmittelbare Umge­bung des Abfallbehälters und sagte: »Es dürfte sinnlos sein, hier nach Fußabdrücken des Täters zu suchen. Bevor die Leiche abgelegt wurde, haben viele Spaziergänger den angespülten Müll entsorgt.«

»Ja, die Spurensicherung müssen wir nicht anfordern«, meinte Mona. Dann bat sie die uniformierten Kollegen, bis zum Eintreffen des Bestatters bei dem Ermordeten zu warten. Sie und Enno verab­schiedeten sich. Es gab momentan nichts, was sie vor Ort tun konnten. Inzwischen stand der Sonnenaufgang unmittelbar bevor. Am Horizont hatten einige Schleierwolken bereits eine blasse rosa Verfärbung angenommen, und das Licht wurde von den Wellen­kämmen der Nordsee reflektiert. Doch für diesen romantischen Anblick fehlte ihr jetzt der Sinn.

»Ich schlage vor, dass wir schon mal zur Wache gehen«, meinte die Kommissarin. »Wir müssen den Chef über den Leichenfund informieren. Bevor er eintrudelt, könntest du mir erzählen, was du über das Mordopfer weißt. Und währenddessen frühstücken wir. Dazu bist du wahrscheinlich noch nicht gekommen, ebenso wenig wie ich.«

Der Ostfriese lächelte. Er aß für sein Leben gern, was ihm anzuse­hen war.

»Ein ausgezeichneter Vorschlag!«, freute er sich. Die beiden gingen Seite an Seite zur Dienststelle, die sich in der Strandstraße befand. Mona schob ihr Fahrrad. Enno war ohnehin zu Fuß zum Fundort gelaufen, da sein Haus in der Julianenstraße sich nur einen guten Kilometer weit von der Promenade befand. Die Bäckerei unweit vom Inselbahnhof hatte bereits geöffnet. Die Ermittler kauften einige belegte Brötchen. In der Polizeistation setzte der Oberkommissar sofort Wasser für den Tee auf. Nachdem das ostfriesische Lebenselixier zubereitet war, machten die beiden es sich an ihren Schreibtischen bequem. Mona biss in ihr Mettwurst­brötchen und fragte kauend: »Was hat es denn nun mit diesen Häuptlingen auf sich?«

»Diese Familien waren in Ostfriesland so etwas wie der Landadel in anderen deutschen Gegenden. Sie herrschten über die Bauern, bekriegten sich untereinander und ließen beispielsweise durch ihre Handlanger falsche Leuchtfeuer entzünden, um Handelsschiffe absichtlich stranden zu lassen und dann ausplündern zu können.«

»Wirklich reizend«, gab die Kommissarin ironisch zurück, »das muss aber schon ziemlich lange her sein, oder? Das hoffe ich zumin­dest.«

Enno sagte: »Ja, spätestens im 15. Jahrhundert ging den Häupt­lingen die Luft aus. Die bäuerlichen Friesen ließen sich nicht mehr alles gefallen, und außerdem fiel diesen Herrschern ihre Komplizen­schaft mit Seeräubern wie den Vitalienbrüdern auf die Füße. Um es kurz zu machen: Nachdem der Kaiser Ulrich Cirksena zum Reichs­grafen gemacht hatte, war die Zeit der Häuptlinge in Ostfriesland vorbei.«

»Das alles hat sich vor vielen Jahrhunderten ereignet«, stellte Mona fest, »aber der Name Fallena scheint dich trotzdem beunruhigt zu haben.«

Der Oberkommissar nickte und nahm einen Schluck Tee: »Die Häuptlingsfamilien haben heutzutage keine politische Macht mehr, aber viele von ihnen sind stolz auf ihre Herkunft – und darauf, dass Ostfriesland über einen längeren Zeitraum praktisch von ihnen regiert wurde. Einige dieser Sippen sind jedenfalls bis in die Gegenwart einflussreich und wohlhabend, wie beispielsweise die Fallenas.«

»Also, ich würde nicht damit hausieren gehen, dass meine Vorfahren Gesetzlose waren«, spottete die Ermittlerin.

Ihr Kollege hob den Zeigefinger und sagte: »Ja, das geht mir genau­so. Aber welche Handlungen erlaubt und welche verboten waren, haben die Häuptlinge in früheren Zeiten eben selbst bestimmt.«

»Du meinst also, dass die Familie Fallena sich nicht unbedingt an Regeln hält?«

»Das will ich ihnen nicht unterstellen, Mona. Ich kenne Geert Fallena – den Vater des Mordopfers – jedenfalls persönlich. Wir sollten uns nicht darauf verlassen, dass er die Mordermittlungen uns überlässt. Es würde mich nicht wundern, wenn er selbst den Täter zur Verantwortung ziehen will.«

»Da haben wir auch noch ein Wörtchen mitzureden!«, grollte die Kommissarin. Sie fragte: »Was kannst du mir noch über diese Familie erzählen?«

Enno antwortete: »Die Fallenas besitzen ein großes Ferienhaus an den Loogster Dünen. Der eigentliche Stammsitz dieser Sippe befindet sich auf dem Festland. Es handelt sich um eine Burg in der Nähe von Freepsum.«

»Und womit verdienen sie ihren Lebensunterhalt? Strandraub ist ja heutzutage verboten.«

Er grinste und sagte: »Die Fallenas haben ein Baugeschäft mit eini­gen Filialen in Leer, Aurich und Emden. Geert ist außerdem Anteils­eigner einer Spezialwerft, die beispielsweise Vieh-Transportschiffe herstellt.«

»Woher weißt du eigentlich so gut über die Familie Bescheid, Enno? Dass dir die ostfriesische Geschichte geläufig ist, wundert mich nicht. Aber ich hatte nicht angenommen, dass du in solchen Kreisen verkehrst.«

»Das tue ich auch nicht«, erwiderte der Oberkommissar und fuhr fort: »Ich lernte Geert Fallena vor einigen Jahren kennen, als ich die uniformierten Kollegen bei einer Alkoholkontrolle unterstützte. Du weißt ja, wie knapp unsere Personaldecke besonders im Sommer ist. Jedenfalls kam Geert Fallena mit seinem Auto per Fähre vom Festland und hatte offensichtlich auf der Überfahrt ein paar Drinks zu viel gehabt. Er weigerte sich zunächst, ins Röhrchen zu pusten, und erzählte mir lang und breit die glorreiche Geschichte seiner Sippe. Letztendlich bekamen wir doch eine amtlich angeordnete Blutprobe von ihm, woraufhin er seinen Führerschein für einige Zeit abgeben musste. Wenn ich ihm seitdem irgendwo im Ort begegne, lässt er sich über die goldenen Häuptlingsjahre aus, zeigt mir Fotos von seiner Burg und versucht alles, um mich neidisch werden zu lassen.«

»Und er beißt bei dir auf Granit, weil Missgunst dir völlig fremd ist«, vermutete Mona und zwinkerte ihrem Kollegen zu.

»Ja, das bringt doch nichts«, meinte er und fügte hinzu: »Es bleibt die Tatsache, dass Geert Fallena ein reicher und mächtiger Mann ist. Und zumindest eine Person in dieser Polizeiwache wird davon schwer beeindruckt sein.«

»Ich weiß genau, von wem du sprichst«, sagte Mona seufzend.

 

*

 

Hauptkommissar Hinrich Oltbeck stand die Anspannung ins Gesicht geschrieben, als die Ermittler pünktlich zum Dienstbeginn vom Leichenfund am Strand berichteten. Mona und Enno hatten auf den Besucherstühlen im Chefzimmer Platz genommen. Oltbeck trommelte mit den Fingerspitzen auf seine Schreibunterlage. Als die Kommissarin ihre Schilderung beendet hatte, sagte er: »Dies ist eine äußerst heikle Angelegenheit. Wenn Sie...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-96586-650-8 / 3965866508
ISBN-13 978-3-96586-650-8 / 9783965866508
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