Rechtspopulismus und Rechtsextremismus (eBook)
165 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-038791-1 (ISBN)
Dr. Susanne Rippl ist Professorin für Soziologie an der Technischen Universität Chemnitz. Dr. Christian Seipel ist Akademischer Rat am Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Hildesheim.
Dr. Susanne Rippl ist Professorin für Soziologie an der Technischen Universität Chemnitz. Dr. Christian Seipel ist Akademischer Rat am Institut für Sozialwissenschaften an der Universität Hildesheim.
3 Ideologische Grundlagen, Narrative und die Neue Rechte
Neue Begrifflichkeiten wie Rechtspopulismus oder Neue Rechte zur Beschreibung aktueller Entwicklungen bzw. neuer Akteur:innen im politischen Feld suggerieren, dass wir es mit grundsätzlich neuen oder anderen Phänomenen zu tun haben, als sie in der »alten« Konzeption des Rechtsextremismus vorzufinden sind. Im Kapitel 2 haben wir bereits auf einige begriffliche Unschärfen und Missverständnisse in diesem Zusammenhang hingewiesen (▶ Kap. 2). Im nun folgenden Kapitel werden wir wichtige ideologische Kontinuitäten zwischen »alten« und »neuen« rechten Akteur:innen darlegen, die trotz äußerlicher Veränderung fortbestehen. Zudem werden wir auf die sogenannte Neue Rechte eingehen, die als ein intellektuelles Netzwerk von Akteur:innen gelten kann, das im deutschen Rechtsextremismus und Nationalkonservatismus seinen Ursprung hat und das als geistiger Hintergrund des öffentlichen Erfolges der heutigen rechtspopulistischen Bewegung gilt.
3.1 Das »Volk« als zentrales ideologisches Narrativ der Rechten
Die wichtigen Narrative rechter Bewegungen gruppieren sich um den zentralen Begriff »Volk« (Salzborn 2017). Dazu gehören die Erzählungen von der Volksgemeinschaft, vom »Willen des Volkes« gegen »die da Oben«, gegen Volksverräter:innen, von der »Umvolkung« und dem Völkischen, der Islamisierung, vom Stolz und vom Ende der Scham und der Schande, von Antisemitismus, von Multikulti und Globalisierung und die Erzählung von der Auslöschung oder dem Untergang des deutschen Volkes. Die ideologischen Grundlagen dieser Narrative lassen sich historisch bis in die antidemokratischen Kreise der Weimarer Republik zurückverfolgen. Die Denker der sogenannten »Konservativen Revolution« wie Carl Schmitt, Oswald Spengler oder Ernst Jünger sind bis heute wichtige Bezugsquellen der rechten Ideologie (vgl. Breuer 1993). Fücks (2019) spricht von den »langen Linien des antiliberalen Denkens«. Die Denker der konservativen Revolution kritisierten die liberale Demokratie der 1920er Jahre, den Parlamentarismus, die Gewaltenteilung und die Idee universeller Rechte und setzten diesem Programm eine völkische Vorstellung von Demokratie entgegen, die an einen homogenen »Volkskörper« gebunden ist, verknüpft mit dem Ausschluss des »Artfremden«. Die Vertreter dieser Denktraditionen gelten als intellektuelle Vorhut und Begleiter des Nationalsozialismus, die Idee des Ausschlusses der »Artfremden« mündete letztlich in der Katastrophe des Holocaust. Die neue rechte Bewegung am Ende des 20. und am Anfang des 21. Jahrhunderts versucht, diese geistigen Parallelen zu verdecken, um in der Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu sein, etwa durch neue Wortschöpfungen oder die Vermeidung offen zur Schau gestellter nationalsozialistischer Symbolik, wobei die Verwandtschaft der ideologischen Vorstellungen in ihren Kernelementen immer wieder durchscheint. Kellershohn (2018) verdeutlicht dies am plakativen Pegida-Slogan »Wir sind das Volk«, der in diesem neuen Gebrauch nicht mehr der Slogan der nach Demokratie strebenden Bürgerrechtsbewegung der DDR ist, sondern zum Slogan einer völkischen Bewegung wurde. Der Volksbegriff wird dabei verknüpft mit einer klaren Abgrenzung nach außen. Alle diejenigen, die im völkischen Sinne keine Deutschen sind, gehören nicht dazu.
3.1.1 Volk und Staat – Carl Schmitt als Vordenker
Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang das Denken von Carl Schmitt. Im Folgenden werden relevante Aspekte der Argumentation von Schmitt, wie sie u. a. von Salzborn (2017) oder Kellershohn (2016; 2018) ausführlicher entwickelt wurden, kurz vorgestellt. Carl Schmitts Denken kann als ein zentraler ideologischer Bezugspunkt der rechten Ideologie heute gelten. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang, die Begriffswelten und damit verbundene Argumentationen rechter Ideologien zu verstehen, denn der Begriff der Demokratie und der Volkssouveränität wird im Kontext des völkischen Homogenitätsideals völlig anders besetzt, als dies im Kontext liberaler Demokratievorstellungen der Fall ist. So kann der legitime Wunsch nach »mehr Demokratie« ein erstes Einfallstor, eine Brücke zum rechten Gedankengut sein (Mudde & Rovira Kaltwasser 2018). Carl Schmidt bezeichnete die liberale, plurale Demokratie als schwach und dekadent. Der von ihm entwickelte rechte Demokratiebegriff ist eng mit dem Volksbegriff verbunden und wird in den rechtspopulistischen Bewegungen im Sinne des essentialistischen »ethnos« verwendet. Damit ist eine Gemeinschaft gemeint, die auf gleicher, sprich homogener Abstammung, Sprache und Kultur beruht, ganz im Gegensatz zum Verständnis des Volkes als »demos«, als Gruppe oder Gesellschaft von Bewohner:innen eines Staates, die sich freiwillig zusammenfinden und mit gleichen politischen Teilhaberechten und -pflichten eine wandelbare Sammlung von Individuen darstellt (Salzborn 2017; Kellershohn 2018).
Durch diese Verwendung der Begrifflichkeiten gelingt es der rechten Bewegung eine Imagination von Mitbestimmung oder Mitwirkung in ihrem Gesellschaftsmodell zu erzeugen, die aber mit den individualistischen, liberalen Vorstellungen von Partizipation, wie sie im deutschen Grundgesetz festgelegt sind, nichts gemein haben (vgl. auch Müller 2016, S. 188). Die zugrundeliegende Homogenitätsvorstellung negiert letztlich das Individuum, seine Individualinteressen oder individuelle Freiheiten und fokussiert auf das Kollektiv, das Volk, dem alles untergeordnet ist. Auch das Verächtlichmachen wichtiger Institutionen und Prozesse der liberalen, pluralen Demokratie gehört in diesen Kontext. Pluralismus, Parteien, Diskussionen und das Aushandeln von Kompromissen als Wesensmerkmale einer pluralen, parlamentarischen Demokratie werden als Schwäche gesehen. Die plurale und repräsentative Demokratie sei unfähig, Lösungen zu generieren, die den Volkswillen verkörpern. Der Volkswille wird dabei als Kollektivgröße verstanden, die dem Volkskörper innewohnt und nicht das Ergebnis demokratischer Aushandlungsprozesse bei Interessenkonflikten ist. Der Staat hat für Schmitt eine besondere Rolle, er soll nicht zu einer »Beute« einer pluralen Gesellschaft werden, wo Gruppen, so seine Sicht, den Staat für ihre Sonderinteressen instrumentalisieren, sondern er soll viel allgemeiner ein Garant der Ordnung sein – der Staat soll somit der Gesellschaft übergeordnet sein (Kellershohn 2018). Dem Prinzip der Repräsentation wird das Prinzip der Identität entgegengesetzt (Salzborn 2017, S. 63 f.). Damit meint Carl Schmitt eine imaginierte Identität von Herrschern und Beherrschten, die auf der Idee eines homogenen Volkes fußt. Aus dieser Identitätsfiktion ergibt sich, dass der Volkswille von selbst in einer Führungsfigur aufgeht – der wahre Wille des Volkes kann dann auch von einer Minderheit verkörpert werden, wenn das Volk seinen eigenen Willen nicht richtig erkennt. So »erfindet« Carl Schmitt den einheitlichen Volkswillen (Salzborn 2017, S. 73 f.). Einem Diktator allein kann es letztlich gelingen, diesen Volkswillen zu bilden und kraftvoll zu artikulieren (Hacke 2019). Prinzipien der liberalen Demokratie wie die Gewaltenteilung oder die Verteidigung von Minderheitsrechten werden in diesem Gesellschaftsmodell obsolet. Die ersehnte Homogenität nach innen ist zwangsläufig verknüpft mit einer scharfen Abgrenzung nach außen – Carl Schmitt spricht in diesem Zusammenhang ganz explizit von der Notwendigkeit der Ausscheidung und Vernichtung des Heterogenen (Hacke 2019). Ihren scharfen Ausdruck fand diese Denkweise in der rassistischen Ideologie und Rassenpolitik des Nationalsozialismus. Diese Denkweise findet ihre »Wiedergeburt« im heute aktuellen Konzept des Ethnopluralismus.
3.1.2 Ethnopluralismus – altes Denken in neuem Gewand
Die rassistische, völkische Ungleichheitsideologie wird heute im Konzept des Ethnopluralismus in einer modernisierten Variante fortgeführt. Das Konzept des Ethnopluralismus entstammt der Denkschule der französischen Neuen Rechten und wurde von Alain de Benoist (1985, S. 63) populär vertreten. Entsprechend der metapolitischen Strategie der Neuen Rechten, den vorpolitischen Raum zu besetzen und mit ihren sprachlichen Grenzverschiebungen in das Alltagswissen und die Wahrnehmungs- und Deutungsmuster der Menschen einzudringen (▶ Kap. 3.2), wird versucht, über neue Begrifflichkeiten den »alten« ideologischen Unterbau der rechten Bewegung verschleiert in die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse einzuführen. Insbesondere offen rassistische Argumentationen, die auf biologistischen Konzepten der Ungleichwertigkeit beruhen und gar eine Nähe zur nationalsozialistischen Rassenideologie aufweisen, könnten zu einer raschen Abkehr größerer Bevölkerungsgruppen führen. Im Konzept des Ethnopluralismus stehen daher nicht biologisch begründete Unterschiede im Vordergrund, sondern ethnisch-kulturelle Differenzen und damit verbunden ein scheinbar positives Recht auf Verschiedenheit. Völkisches Denken wird somit rekonstruiert, ohne direkten Bezug auf die biologistischen Rassenkonzepte der Vergangenheit (Kellershohn...
Erscheint lt. Verlag | 24.8.2022 |
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Zusatzinfo | 9 Abb., 11 Tab. |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Spezielle Soziologien |
Schlagworte | Extremismus • Rechtsextremismus • Soziologie |
ISBN-10 | 3-17-038791-X / 317038791X |
ISBN-13 | 978-3-17-038791-1 / 9783170387911 |
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