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Im Rausch (eBook)

Russlands Krieg
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
320 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01662-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Im Rausch -  Arkadi Babtschenko
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Arkadi Babtschenko kennt als ehemaliger Soldat die russische Armee aus ihrem Innersten; als kritischer, verfolgter Autor lebt er seit Jahren in der Ukraine und im Exil. Mit dieser einzigartigen Binnensicht beider Seiten schreibt er u?ber die Situation seit 2014, wie niemand sonst es vermag - leidenschaftlich persönlich, stilistisch brillant und mit größter Kenntnis: Da sind die staatsnahen Medien, die mit Trash und Nationalkitsch einen «russischen Infantilismus» heranzu?chten, ohne Wu?rde und Scham. Die russischen Siegestage, die nur die Vergangenheit feiern - keine Zukunft. Diese wird, in Gestalt unzähliger toter Soldaten, doppelt totgeschwiegen. Babtschenko schreibt u?ber Putins Verblendung, die ganz Russland ergriffen hat, u?ber konkrete Schwächen in Material und Strategie und leitet daraus, von Anfang an, verblu?ffend genaue Vorhersagen ab. Vom 24. Februar 2022 an verdichten sich seine Texte in ein Tagebuch u?ber den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den entscheidenden Konflikt der Gegenwart, der die Welt jetzt schon tiefgreifend verändert hat; es wirft Licht auf die Ereignisse und schildert sie mit einer sprachlichen Verve, die ihresgleichen sucht, klarsichtig und doch mit größter Nähe.

Arkadi Babtschenko, 1977 in Moskau geboren, kämpfte in den Tschetschenienkriegen. Später schrieb er für die «Nowaja Gazeta», u.a. als Kriegskorrespondent. Seit 2017 lebt er im Exil. 2018 wurde ein tödlicher Anschlag auf Babtschenko in Kiew gemeldet - laut ukrainischem Geheimdienst eine Inszenierung zum Schutz vor russischen Verfolgern; der Fall sorgte international für Aufsehen. Babtschenkos Bücher wie «Die Farbe des Krieges» (2007) zählen zu den bedeutendsten Werken der jüngeren Kriegsliteratur.

Arkadi Babtschenko, 1977 in Moskau geboren, kämpfte in den Tschetschenienkriegen. Später schrieb er für die «Nowaja Gazeta», u.a. als Kriegskorrespondent. Seit 2017 lebt er im Exil. 2018 wurde ein tödlicher Anschlag auf Babtschenko in Kiew gemeldet – laut ukrainischem Geheimdienst eine Inszenierung zum Schutz vor russischen Verfolgern; der Fall sorgte international für Aufsehen. Babtschenkos Bücher wie «Die Farbe des Krieges» (2007) zählen zu den bedeutendsten Werken der jüngeren Kriegsliteratur. Olaf Kühl, 1955 geboren, studierte Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte und arbeitete lange Jahre als Osteuropareferent für die Regierenden Bürgermeister von Berlin. Er ist Autor und einer der wichtigsten Übersetzer aus dem Polnischen und Russischen, u.a. wurde er mit dem Karl-Dedecius-Preis und dem Brücke Berlin-Preis ausgezeichnet. Sein zweiter Roman, «Der wahre Sohn», war 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert.

Geburt einer Armee


23. April 2014


Im Osten der Ukraine wird eine nationale Armee geboren.

Die Anti-Terror-Operation, die die Ukraine vor drei Wochen im Osten des Landes begonnen hat, ist mangels sichtbarer Ergebnisse eingestellt worden. Die selbst gestellten Aufgaben sind nicht erfüllt worden, Militärtechnik ging verloren, Soldaten sind in Gefangenschaft geraten oder gefallen. Den Sieg in dieser Runde haben zweifellos die Vertreter der selbst ernannten Volksrepublik Donezk errungen. Bei den harten Einschränkungen, denen die Streitkräfte heute unterliegen, war ein Erfolg auch kaum zu erwarten gewesen. Am Dienstagabend, nachdem bei Slowjansk der Leichnam des wenige Tage zuvor entführten Stadtrats von Horliwka, Wolodymyr Rybak, gefunden worden war, forderte der amtierende Präsident Oleksandr Turtschynow die Wiederaufnahme der Militäroperation. Aber offenbar haben die Militärs, die jetzt zudem durch die Vereinbarungen von Genf von 2014 gebunden sind, bis heute kein Verständnis für Taktik. Indessen entsteht im Osten der Ukraine eine eigene Volksarmee und -miliz. «Volk» ist dabei wörtlich zu verstehen – die Bewegung kommt von unten. Die Leute errichten Kontrollposten, formieren Einheiten und rüsten sie aus, bereiten die Verteidigung der Städte vor. Von sich aus, auf eigene Initiative.

Am Eingang der Stadtverwaltung von Dnipropetrowsk stehen zwei Klaviere. Das eine ist schwarz und stumm. Das andere gelb-blau, in den Farben der ukrainischen Flagge. Der junge Mann, der daran sitzt, spielt aus irgendeinem Grund das Lied «Vladimir Central». An der Wand über seinem Kopf eine Bekanntmachung zur Aufnahme von Freiwilligen in das Regiment der Nationalverteidigung und das Bataillon «Dnipro». Ich gehe zur Pressekonferenz von Jurij Bereza, dem Kommandeur des Regiments der Nationalverteidigung. Er erzählt gerade, dass die ersten achtzigtausend Dollar für die Auslieferung von «grünen Männchen» ausgezahlt worden seien. Hintergrund ist, dass zuvor der Gouverneur des Gebiets Dnipropetrowsk, der Milliardär Ihor Kolomojskyj, eine Belohnung von zehntausend Dollar für jedes gefasste Mitglied der bewaffneten Gruppierungen ausgelobt hatte.

«Bis jetzt wurden uns elf Mann übergeben», sagt Bereza. «Bei acht von ihnen ist die Beteiligung an bewaffneten Gruppierungen nachgewiesen. Als Beweis dienen Fotos oder Videoaufnahmen. Sie alle haben mit der Waffe in der Hand an der Blockade oder dem Sturm auf unsere Militäreinheiten auf der Krim teilgenommen.»

Die Frage nach der Staatsangehörigkeit der Festgenommenen beantwortet Bereza nicht direkt, gibt jedoch zu verstehen, dass auch Russen darunter seien.

«Es werden schon Witze gemacht: Wir haben hier russische Touristen im Transit von Polen nach Belarus – sollen wir die auch bringen?», lacht er.

Alle Festgenommenen befinden sich derzeit in Kyiv. Der Sicherheitsdienst der Ukraine kümmert sich um sie.

Jurij Bereza ist heute wohl eine der Schlüsselfiguren im Gebiet. Erstens ist er der Kommandeur des Regiments der Nationalverteidigung (nicht zu verwechseln mit der Nationalgarde). Und zweitens der Kommandeur des in Entstehung begriffenen Spezialbataillons «Dnipro». Das ist weniger kompliziert, als es klingt. Das «Regiment der Nationalverteidigung» ist kein Regiment. Es ist eine gesellschaftliche Vereinigung, die Regiment im Namen trägt. Ein militär-patriotischer Klub, der schon vor den Ereignissen existierte. Weder eine staatliche noch eine bewaffnete Struktur. Wenn auch zahlenmäßig schon mit einem Regiment vergleichbar.

Auf der Basis des «Regiments» werden jetzt auf Initiative der Gebietsverwaltung die zwei Bataillone «Dnipro-1» und «Dnipro-2» formiert. Hier wird es sich bereits um vollwertige staatliche Kampfeinheiten handeln. Zum Kommandeur des ersten ist ebenfalls Jurij Bereza ernannt worden. In das «Regiment» wird praktisch jeder aufgenommen, der will, die «Dnipro»-Bataillone treffen ihre Auswahl nach strengeren Kriterien.

Sowohl das «Regiment» als auch «Dnipro-1» und «Dnipro-2» sind regionale Untereinheiten, die nur im Gebiet Dnipropetrowsk tätig sind. Sie stehen nicht in irgendeiner Beziehung zur Nationalgarde – die ist eine föderale Struktur, die die Regierung der Ukraine jetzt im ganzen Land aufzubauen versucht. Aber angefangen hat alles mit dem Regiment. Und dieses kommt jetzt dem Begriff der «Volksarmee» am nächsten.

Im Grunde ist hier alles genauso wie auf dem Maidan. Da begann auch alles mit dem Bau von Barrikaden. Genauer gesagt, Kontrollposten. Nachdem Föderalisierungsanhänger erfolglos versucht haben, die Gebietsverwaltung einzunehmen, haben die Leute einfach angefangen, Dnipropetrowsk mit Kontrollposten zuzupflastern. SÄMTLICHE Zufahrten zur Stadt wurden gesperrt. Am Anfang handelte es sich um auf die Fahrbahn geschütteten Müll, der zufällig zur Hand war und der von einer Handvoll Leute bewacht wurde.

Danach ging man ernsthafter an die Sache heran. «Da kommt ein Typ und fragt, was wir brauchen», erzählt Wladimir, einer der Kämpfer des Regiments. «‹Eisen und Sand›, antworte ich. Und dann kommt der mit einem Wagen voll Eisen und zwölf Tonnen Sand an. Danach erschienen Militärs außer Dienst. Offiziere der Ingenieurs- und Pioniertruppen. Sie sagten, das alles sei ein Sandkastenspiel. Und zeichneten ordentliche Pläne. Einer davon war fast eine Diplomarbeit – mit Unterständen, MG-Nestern, Zellen, ideal in die Umgebung eingepasst. Fotografieren war, natürlich, nicht erlaubt.»

Die Kontrollposten wirken. Kürzlich haben sie einen voll besetzten Autobus zurückgeschickt, in dem fünfzig junge Burschen unterwegs waren, allesamt, man stelle sich vor – Mitarbeiter bei der Post, klar, die werden hier gebraucht. Aber die Befestigungen haben natürlich vor allem eine psychologische Bedeutung.

«Mir ist klar, dass Profi-Agenten, ob FSB oder GRU, trotzdem einzeln in die Stadt gelangen. Alle kannst du nicht herausfischen. Aber darum geht es nicht. Entscheidend ist, dass man die Situation nur dort hochschaukeln kann, wo die Bevölkerungsbasis dafür vorhanden ist. Und diese «Basis» gar nicht erst hier einschleppen zu lassen – das ist die Hauptaufgabe. Zweite Aufgabe: den Leuten Selbstvertrauen geben. Ihnen zeigen, dass hier jemand ist, der die Situation unter Kontrolle hat. Der bereit ist, sie zu verteidigen. Der bereit ist, dem Chaos zu widerstehen. Wenn jemand Starkes offen zeigt, dass er bereit ist, Verantwortung zu übernehmen, dann folgen die Leute. Am Anfang hatten sie Angst, klar. Inzwischen rufen sie schon an, wenn irgendwo betrunkene Hooligans ruhiggestellt werden müssen. Kannst du dir das vorstellen? Nicht bei der Miliz, sondern bei uns rufen sie an. Dabei ist das überhaupt nicht unsere Aufgabe. Wir rücken trotzdem aus. Damit die Leute das Vertrauen nicht verlieren. Zudem lässt das Gesetz es jetzt auch zu. Gerade in diesen Tagen sind Änderungen über die Festnahme durch Zivile verabschiedet worden.»

Es gibt auch überhaupt keine Antagonismen zwischen den Gesetzeshütern und der Volkswehr. Sie halten zusammen Wache. Die Miliz mit Maschinenpistolen. Die Volkswehr mit den Waffen, die sie als Bürger besitzen. Vom Luftgewehr bis zur «Saiga», was man gerade hat. Waffenführungsgenehmigung vorausgesetzt, natürlich. An einem der Kontrollposten steht sogar ein gepanzertes Aufklärungspatrouillenfahrzeug. Das gehört auch jemandem, ist also Privateigentum, unbewaffnet. Damit kann notfalls rasch die Straße gesperrt werden.

«Eine Zeitlang war es wirklich zum Fürchten», sagt Wladimir. «Ich hatte Angst, mein Auto nachts zu parken. Ich dachte, sie könnten es anzünden. Außerdem fingen sie damals an, die Tituschkos hier reinzubringen. Die Vorbereitungen auf die Eskalation fingen damals schon an. Aber Dnipropetrowsk ist immerhin nicht Donezk. Schau, an jedem fünften Auto weht schon die ukrainische Flagge.»

Das stimmt. An ukrainischen Flaggen herrscht kein Mangel in der Stadt. Zwei junge Mädchen verteilen sie an einer Kreuzung. Die Autos, die am Kontrollposten vorbeifahren, hupen zur Unterstützung. Bewohner der umliegenden Viertel bringen Essen.

«Sie bringen uns so viel zu essen, dass wir das schon an die Kinderheime weiterverteilen müssen.»

Und das, obwohl Dnipropetrowsk eine fast komplett russischsprachige Stadt ist. Ukrainisch hört man hier so gut wie gar nicht auf den Straßen. Der ideologische Kampf ist in dem Gebiet bereits gewonnen. Die russischsprachige ukrainische Stadt hat sich entschieden, sie will für ihr Land kämpfen.

Wobei, so ganz eindeutig ist das nicht. Nach meinem Gefühl verläuft die Wasserscheide in Dnipropetrowsk ungefähr im Verhältnis sechzig zu vierzig. Sechzig Prozent für eine geeinte Ukraine. Vierzig … gar nicht mal für Russland. Nicht einmal für die Föderalisierung. Eher für die Sowjetunion. Sehnsucht nach der alten Ordnung. Das gilt natürlich vor allem für die ältere Generation. Meiner Argumentation, dass das heutige Russland überhaupt nichts mehr mit der Sowjetunion zu tun hat, stimmen sie zu. Aber noch mehr Angst haben sie vor dem Raubtierkapitalismus, und vor allem vor den Dieben an der Macht. Und beide Seiten stimmen darin überein, dass Janukowytschs Herrschaft derart korrupt war, dass gar nichts anderes übrig blieb, als ihn zu stürzen. Und sowohl die einen wie die anderen antworten auf die Frage «Wird es Krieg geben?» einhellig: «Es ist schon Krieg.»

Analoge Prozesse gab es in Sumy,...

Erscheint lt. Verlag 13.9.2022
Übersetzer Olaf Kühl
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Annexion der Krim • Atomkrieg • Bericht • Charkiv • Donbass • Donezk • EU • Europäische Union • Flüchtlinge • Internationale Politik • isbn nummer eingeben • Kiev • Kiew • Kreml • Krieg • Krieg im Donbass • Kriegsverbrechen • Krim • Kyiv • Kyjiv • Lemberg • Luhansk • Lwiw • NATO • Oligarchen • Opfer • Propaganda • Putin • Reportage • Russischer Überfall auf die Ukraine 2022 • Russland • Russland Ukraine Konflikt • Selenskyj • Separatisten • Soldaten • Sowjetunion • Tagebuch • Ukraina • Ukraine • Ukraine-Konflikt • Ukrainekrieg • ukrainischer Präsident • Vereinte Nationen • Völkerrecht • Waffen • Wolodomir Selenski • Wolodymyr Selenskyi
ISBN-10 3-644-01662-3 / 3644016623
ISBN-13 978-3-644-01662-0 / 9783644016620
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