Praxis der hundegestützten Therapie (eBook)
243 Seiten
Ernst Reinhardt Verlag
978-3-497-61603-9 (ISBN)
Dr. Rainer Wohlfarth, psychologischer Psychotherapeut. Er arbeitet in eigener Psychotherapie Praxis, leitet Ani.Motion, das Institut für tiergestützte Therapie in Sasbachwalden, und ist Vizepräsident der "International Society of Animal-Assisted Therapy" (ISAAT). Bettina Mutschler ist Spezialistin für tiergestützte Therapie. Als Coach setzt sie Hund und Esel in ihrer täglichen Arbeit mit ihren Klienten ein. Außerdem gibt sie deutschlandweit Seminare und bildet Therapiebegleithunde-Teams aus. Weitere Informationen unter: www.animotion-institut.de und www.wohlfarth-mutschler.de
Dr. Rainer Wohlfarth, psychologischer Psychotherapeut. Er arbeitet in eigener Psychotherapie Praxis, leitet Ani.Motion, das Institut für tiergestützte Therapie in Sasbachwalden, und ist Vizepräsident der "International Society of Animal-Assisted Therapy" (ISAAT). Bettina Mutschler ist Spezialistin für tiergestützte Therapie. Als Coach setzt sie Hund und Esel in ihrer täglichen Arbeit mit ihren Klienten ein. Außerdem gibt sie deutschlandweit Seminare und bildet Therapiebegleithunde-Teams aus. Weitere Informationen unter: www.animotion-institut.de und www.wohlfarth-mutschler.de
Geschichte tiergestützter Therapie mit Hunden
Die Anfänge
Die moderne tiergestützte Therapie beginnt im Jahr 1962, damals erschien der erste wissenschaftliche Artikel „The Dog as a Co-Therapist“ („Der Hund als Co-Therapeut“) des amerikanischen Kinderpsychotherapeuten Boris Levinson (Levinson, 1962). Einige Jahre später erschien sein wegweisendes Buch „Pet-Oriented Child Psychotherapy“ (Levinson, 1969).
Levinson, der heute als Pionier der tiergestützten Therapie gilt, entdeckte durch Zufall, dass ein Tier ein Katalysator für menschliche Interaktionen sein kann. Die folgende Schlüsselgeschichte von Boris Levinson verdeutlicht, wie ein Tier einen Therapieprozess unterstützen kann:
Die Eltern eines Jungen, der lange Zeit erfolglos behandelt wurde, baten Levinson, die Behandlung ihres Sohnes zu übernehmen. Daraufhin lud er sie zu einem Gespräch in seine Praxis ein. Die völlig verzweifelten Eltern erschienen bereits eine Stunde vor dem verabredeten Termin. Zu dieser Zeit war zufällig Levinsons Hund Jingles in der Praxis. Auf die stürmische Begrüßung durch Jingles reagierte der Junge nicht ängstlich, sondern drückte und streichelte das Tier. Nach einer Weile fragte das Kind, ob wohl alle Kinder, die in die Praxis kamen, mit dem Hund spielen dürften. Auf die zustimmende Antwort des Psychologen erklärte der Junge, dann auch wiederkommen zu wollen, um mit dem Hund zu spielen. Dies tat er dann einige Sitzungen lang, ohne Levinson selbst Beachtung zu schenken. Allmählich wurde dieser aber in das Spiel mit einbezogen. Langsam entwickelten die beiden eine gute Arbeitsbeziehung, an deren Ende die erfolgreiche Behandlung des Jungen stand.
Nach dieser Erfahrung setzte Levinson nun auch bei seinen anderen Patienten Jingles als „Eisbrecher“ ein und erreichte so, dass sich die psychisch auffälligen Kinder ihm mehr als je zuvor öffneten und ihre Reserviertheit und Feindseligkeit ihm als Therapeuten gegenüber aufgaben.
In den 1970er Jahren bauten Sam und Elizabeth O’Leary Corson an der Psychiatrischen Klinik der Ohio State University ein Tierversuchslabor auf, in dem sie das Verhalten von Hunden in unterschiedlichen Settings beobachten wollten. Sie hatten die Vorstellung, dass das Verhalten der Hunde ihnen einen Einblick in das Verhalten von Kindern und Jugendlichen erlauben würde. Da der Zwinger, in dem die Hunde gehalten wurden, nicht lärmgeschützt war, hörten die Patienten in der Abteilung für Jugendliche die Hunde bellen. Schon bald fragten Jugendliche, die bisher schweigsam waren und sich in sich zurückgezogen hatten, ob sie bei der Versorgung der Hunde mithelfen könnten und ob sie sich nicht intensiver um die Hunde kümmern dürften.
Die Reaktion der Jugendlichen auf die Hunde regte die Corsons an, ein Forschungsprojekt zu starten, das zeigen sollte, welche Effekte Hunde auf psychiatrische Patienten haben können. Ausgewählt wurden vor allem solche Patienten, die bisher nicht auf die herkömmlichen Behandlungsmethoden angesprochen hatten. Das fast unglaubliche Ergebnis dieser Pilotstudie war eine Verbesserung bei 28 von 47 Patienten.
Sie schlussfolgerten, dass es den Jugendlichen aufgrund der Anwesenheit der Hunde leichter falle, soziale Kontakte zu knüpfen. Auch breite sich durch die Interaktion zwischen Patienten, Hunden und Therapeuten ein „erweiternder Kreis aus Wärme und Zustimmung“ aus. Die Verbesserungen erklärten Elisabeth und Samuel Corson auch damit, dass sich Kinder und Jugendliche zu Tieren hingezogen fühlen, unabhängig davon, ob sie in der Lage sind, zu Erwachsenen eine Beziehung aufzubauen. Jugendliche seien bereit, so die Corsons, Tieren Vertrauen entgegenzubringen, da sie entweder noch keine Erfahrungen mit ihnen gemacht haben oder sogar positive. Viele Kinder und Jugendliche konnten zudem durch den Umgang mit den Hunden Selbstwirksamkeit erfahren, da die Tiere – anders als die Therapeuten – keine Ansprüche an sie stellten (Corson et al., 1977).
Später wechselte das Ehepaar Corson in ein Altenpflegeheim, wo sie auch erfolgreich ihre Hunde einsetzten. So fasste die Vorstellung, dass tiergestützte Therapie als therapeutische Intervention, ähnlich der Musik- oder Kunsttherapie, eingesetzt werden könnte, langsam Fuß.
Die wissenschaftliche Erforschung
Bei einer Untersuchung, welche Faktoren die Prognose bei Herzinfarktpatienten positiv beeinflussen, stellte die Soziologin Erika Friedmann in den 1980er Jahren zu ihrem eigenen Erstaunen fest, dass den entschieden günstigsten Einfluss der Besitz eines Haustieres darstellte (Friedmann et al., 1980).
Auch Alan Beck und Aaron Katcher postulierten schon 1983, dass Tiere die körperliche und psychische Gesundheit fördern, soziale Unterstützung bieten und auch therapeutisch wirken können (Beck & Katcher, 1983). In der zweiten Auflage ihres Buches „Between pets and people: The importance of animal companionship“ im Jahr 1996 belegten sie mit zahlreichen Forschungsarbeiten, dass Tiere für uns nicht nur Begleiter im Alltag sein, sondern dass sie auch bei der therapeutischen Arbeit mit Menschen einen wertvollen Beitrag leisten können (Beck & Katcher, 1996).
In Deutschland waren Prof. Bergler und die Forschungsgruppe „Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung“ der Universität Köln wesentlich an der wissenschaftlichen Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung beteiligt. Die bisherigen theoretischen wie empirischen Forschungsergebnisse wurden seit 1986 in Monographien, Zeitschriftenartikeln und Kongressbeiträgen publiziert. So erschien zum Beispiel 1986 das Buch „Mensch und Hund“ (Bergler, 1986). Die frühen Forschungen zur Mensch-Tier-Beziehung sind auch mit dem Psychologen Professor Erhard Olbrich verbunden. Er erkannte früh, dass die Mensch-Tier-Beziehung eine Vielzahl sozialer, psychischer und somatischer Effekte hat.
Abb. 3: Mit einem tierischen Begleiter kommt man schnell mit Passanten ins Gespräch.
Eine wissenschaftliche Weiterentwicklung dieser ersten Forschungsarbeiten zu tiergestützter Therapie blieb in der Folge im deutschsprachigen Raum jedoch aus. Es kam zu keiner systematischen evidenzbasierten Praxis der tiergestützten Therapie. Die meisten Praktiker traten kaum an die Öffentlichkeit und systematische Forschung, die wissenschaftlichen Standards genügt, entstand in keinem nennenswerten Umfang.
Erste Organisationen entstehen
Ende der 1970er Jahre gründeten Mediziner, Psychologen, Gerontologen, Psychotherapeuten und Verhaltensforscher aus den USA und England eine Organisation, die „Human Animal Companion Bond“, welche sich die Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung zur Aufgabe gemacht hatte. Aus diesen Anfängen entstand im Laufe der Jahrzehnte eine große Anzahl von Institutionen, die sich mit der Mensch-Tier-Beziehung befassen:
1977 entstand in Portland/Oregon die Stiftung „Delta Socitey“, die mit ihrem sogenannten „Pet Partner Programm“ die „Pet facilitated Therapy“ flächendeckend in den USA verbreitete. Nach über 35 Jahren änderte die Delta Society 2012 ihren Namen in „Pet Partners“, um direkt im Namen der Organisation ihre Ziele deutlich zu machen. Wichtigstes dieser Ziele ist die Verbesserung der Gesundheit von Menschen durch die positive Interaktion mit Therapie-, Service- und Haustieren (englisch: therapy, service and companion animals).
1990 wurde die internationale Dachorganisation „International Association of Human-Animal Interaction Organizations“ (IAHAIO) gegründet. Als Folge des internationalen Zusammenschlusses aller Institutionen, die sich mit dem Thema der Mensch-Tier-Beziehung beschäftigen, ist die IAHAIO in Organisationen weltweit untergliedert, z. B. in Großbritannien (z. B. „Society für Companion Animal Studies“), in Deutschland (z. B. „Forschungskreis Heimtiere in der Gesellschaft“, Hamburg), in Japan (z. B. „Society for the Study of Human Animal Relations“).
Der von der „Delta Society“ ausgelöste Boom, vor allem Hunde in Therapien und im Rahmen von Besuchsdiensten, in den USA einzusetzen, führte auch im deutschsprachigen Raum zur Gründung unterschiedlichster Organisationen. Angelehnt an die Vorgaben und das Vorgehen der „Delta Society“ gründeten sich kleine Gruppen von Interessierten.
In Österreich organisierte 1985 die Biologin Gerda Wittmann erste Initiativen zur tiergestützten Therapie. Gerda Wittmann hatte während ihres Aufenthaltes in Australien die Gelegenheit gehabt, die tiergestützte Therapie kennenzulernen. Nach ihrer Rückkehr setzte sie es sich zum Ziel, diese auch in Österreich einzuführen. Wittmann und einigen freiwilligen Helferinnen, die von ihrer Idee überzeugt waren, gelang es, ein Tierbesuchsprogramm im Gartenareal des ehemaligen Geriatriezentrums am Wienerwald einzuführen. 1991 wurde dann der Verein „Tiere als Therapie“ gegründet.
Eine ähnliche Entwicklung war in der Schweiz zu beobachten. Ursula Sissener reiste oft zur Weiterbildung in die USA. Sie lernte dort durch die „Delta Society“ die Arbeit von Therapiehunden kennen. Sie führte das Konzept dann 1992 in der Schweiz ein – als Präsidentin des Vereins „Therapiehunde Schweiz“. 1993 bestand dann die erste Pioniergruppe einen Eignungstest nach den Kriterien der „Delta Society“.
In Deutschland wurde 1987 der Verein „Tiere helfen Menschen e. V.“ gegründet. Initiatorin war die Tierärztin Brigitte von Rechenberg. Sie hatte die Idee aus den Vereinigten Staaten von Amerika mitgebracht. Nachfolgend entstanden in Deutschland vielfältige Organisationen, Vereine und Initiativen, die sich mit tiergestützter Therapie im weitesten Sinne beschäftigten. Während die Initiativen zunächst...
Erscheint lt. Verlag | 16.5.2022 |
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Reihe/Serie | mensch & tier |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Pädagogik ► Sonder-, Heil- und Förderpädagogik |
Schlagworte | Erwachsene • Hund • hundegestützt • Jugendliche • Kinder • Mensch • Praxis • Therapeut • Therapie • tiergestützt |
ISBN-10 | 3-497-61603-6 / 3497616036 |
ISBN-13 | 978-3-497-61603-9 / 9783497616039 |
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