Im Leben war ich Eure Plage (eBook)
416 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11848-3 (ISBN)
Lyndal Roper, geboren 1956 in Melbourne, hat u.a. in Tübingen studiert, lehrt heute Geschichte am Regius-Lehrstuhl an der Universität Oxford und forscht zu Themen der Frühen Neuzeit. Hierzu zählen Hexenverfolgung und Körperlichkeit und Psyche, die Reformationsgeschichte und vor allem Martin Luther. Mehrere ihrer Publikationen wie ihre Luther-Biographie und »Ödipus und der Teufel« sind auf Deutsch erschienen.
Lyndal Roper, geboren 1956 in Melbourne, hat u.a. in Tübingen studiert, lehrt heute Geschichte am Regius-Lehrstuhl an der Universität Oxford und forscht zu Themen der Frühen Neuzeit. Hierzu zählen Hexenverfolgung und Körperlichkeit und Psyche, die Reformationsgeschichte und vor allem Martin Luther. Mehrere ihrer Publikationen wie ihre Luther-Biographie und »Ödipus und der Teufel« sind auf Deutsch erschienen.
1. Kapitel
Cranachs Luther
Die Zusammenarbeit zwischen Luther und dem Künstler Lucas Cranach dem Älteren trug vielleicht mehr zum Erfolg der Reformation bei als irgendetwas sonst, wenn wir von Luthers Schriften einmal absehen. Cranach wohnte gleich bei Luther um die Ecke, und seine Werkstatt produzierte eine Reihe von Bildnissen des Reformators, gestaltete aber auch Bücher, illustrierte die deutsche Bibel und entwarf den Stil neuer Kirchen. Cranach war der Hofmaler von Friedrich dem Weisen, Luthers Landesherrn. Er schuf höchst originelle, eindrucksvolle Werke, wie seine sinnlichen Szenen des »Jungbrunnens«, seine Darstellungen von Adam oder von Eva und seine verführerischen Akte. Im Vergleich dazu sind die Porträts von Luther aus dieser Werkstatt künstlerisch dürftig. Und dennoch sind sie möglicherweise die erfolgreichsten Werke aus ihrer gesamten Bilderfertigung, weil sie Luther wiedererkennbar machten – eine Wirkung, die bis in unsere Zeit anhält: Es ist Cranachs Luther, der den Umschlag von nahezu jeder Biografie des Reformators ziert, die heute verkauft wird, und es ist sein Luther, der einem sogar auf der Glasur von Marzipan-Souvenirs in Wittenberg ins Auge sticht. Luthers Gesicht wurde darüber hinaus zu einem wichtigen Zeitpunkt in der Geschichte der Porträtkunst berühmt, als die Porträtierung unter den reichen Bürgerschichten des 16. Jahrhunderts in den deutschen Ländern gerade in Mode kam, die Künstler ihr Repertoire über die religiöse Ikonographie hinaus vergrößerten und anfingen, Bildnisse von Individuen für einen weltlichen Markt zu produzieren. Vermutlich war Luther der erste, dessen Gesicht allgemein bekannt wurde, obwohl er nicht zur Riege der Herrscher gehörte.[1]
Cranach war ein ganzes Jahrzehnt älter als Luther. Er wurde 1504 Hofmaler bei Friedrich dem Weisen, dem sächsischen Kurfürsten, und siedelte sich in Wittenberg an. Das war sieben Jahre bevor Luther auf Dauer nach Wittenberg zog. Cranach verließ die Stadt erst nach Luthers Tod und starb 1553 in Weimar. Danach wurde die Werkstatt von seinem Sohn, Lucas Cranach dem Jüngeren, übernommen. Luther und der Künstler sind offenbar bald feste Freunde geworden; Luther ging gern beim Lagerhaus des Malers im Stadtkern vorbei, um zu schauen, was es Neues von der Leipziger Messe gab, denn Cranach war nicht bloß Maler, sondern auch der reichste Mann in Wittenberg, der ein Verkaufsmonopol auf erlesene Weine und Arzneimittel besaß.[2] Zwischen dem älteren und dem jüngeren Mann bestanden enge Bindungen: Cranachs Familienleben stand Luther vor Augen, als er noch Augustinermönch war, und die beiden Männer dienten wechselseitig als Taufpaten ihrer Kinder. Als Luther nach dem Reichstag zu Worms auf dem Rückweg überfallen und auf die Wartburg entführt wurde, um unterzutauchen, war es Cranach, dem er schrieb und erklärte, er befinde sich in Sicherheit.[3] Luther war als Geächteter und später während des Bauernkriegs wegen seiner Parteinahme für die Obrigkeit gefährdet und überdies durch seine angeschlagene Gesundheit häufig an Wittenberg gebunden und nicht in der Lage, außerhalb von Sachsen zu reisen. Cranach war deshalb der einzige Künstler, der zu dem Mann wirklich Zugang hatte. Durch die Tischreden, eine Zusammenstellung von Notizen, die Luthers Studenten von Tischgesprächen im Haus des Reformators gemacht hatten, erhalten wir einen kleinen Einblick in die Geselligkeit der beiden Freunde in fortgeschrittenem Alter: Sie necken Cranachs Sohn bei dessen Hochzeit, weil er in seine Frau vernarrt ist, und teilen im sommerlichen Garten einen Apfel, wobei sie derbe Witze über die Endstation der geschluckten Apfelkerne machen.[4] Als Cranachs talentierter älterer Sohn Hans in Italien starb, versuchte Luther zu verhindern, dass der untröstliche Cranach und seine Frau in Melancholie verfielen, eine Gemütsverfassung, unter der Luther selber litt.[5]
Cranach nimmt im Pantheon der deutschen Künstler eine ambivalente Position ein. Als einer, der im Schatten seines brillanten Zeitgenossen Dürer steht, sind seine S-förmigen, jugendlichen Akte heute mal gefragt, dann wieder nicht. Es gibt regelmäßig Versuche, ihn als kühnen und wagemutigen Künstler wiederzuentdecken, was eine leichtere Aufgabe ist, wenn man seine fesselnden Darstellungen vom »Martyrium der heiligen Katharina« oder die erstaunliche Darstellung der »Heiligen Sippe« zugrunde legt, die Friedrich den Weisen und seinen Bruder Kurfürst Johann in die Heilige Familie einbindet.[6] Schwieriger wird es dann, wenn man in den schablonenhaften Porträts von Luther, die Cranachs Werkstatt in Massen herstellte und die im Jubiläumsjahr 2017 überall auf der Welt so ehrfurchtsvoll aus den Depots der Galerien geholt wurden, ein großes künstlerisches Verdienst sehen will.
Wollte man Cranach – dem seine Zeitgenossen den Beinamen der »sehr schnelle Maler« gaben – als einen Künstler in der großen Tradition der westeuropäischen Kunst sehen, wäre das im Grunde genommen eine falsche Vorstellung.[7] Er war vor allem ein Bildproduzent, ein Mann, der die explosionsartige Verbreitung des Drucks als neues Medium erlebte, der selbst eine Zeitlang eine Druckerpresse besaß und von diesen neuen Möglichkeiten der Vervielfältigung von Bildern fasziniert war.[8] Dürer lebte im geschäftigen Nürnberg, das eine Fülle von Künstlern und Werkstätten beherbergte und wo reiche Städter ansässig waren, die einen florierenden weltlichen Kunstmarkt ermöglichten. Im winzigen Wittenberg hingegen, das zu seinen Lebzeiten lange einer Baustelle glich, war Cranach der einzige wichtigere Künstler in der Gegend und musste jede Holztafel und alle Pigmente selbst importieren.[9] Seine Werkstatt war riesig und ihr Produktionsausstoß enorm; seine Bilder sind schematisierte Montagen unterschiedlicher, wiederverwendbarer Elemente, die von einer Gruppe angestellter Hilfskräfte zusammengesetzt werden konnten.[10] Bestellte man einen Cranach, wusste man, was man bekommen würde. Der »Cranach-Look« mit seinem geflügelten Schlangensignet war nach einiger Zeit unverkennbar, so dass Cranachs zweiter Sohn, Lucas Cranach der Jüngere, an der Erfolgsformel für eine weitere Generation kaum etwas änderte.[11]
Die Luther-Porträts von Cranach sind künstlerisch nicht gerade umwerfend, aber sie haben einige hundert Jahre überdauert und viel dazu beigetragen, den Stil der lutherischen Frömmigkeit selbst zu prägen. Cranach zielte nicht auf eine visuelle Einzigartigkeit, sondern auf eine unmittelbare Lesbarkeit ab. Der gewaltige Korpus an Luther-Bildnissen, den diese Werkstatt produzierte, lässt sich ohne weiteres in sechs oder sieben Kategorien einteilen, die Luthers Lebenslauf folgen. Da ist zunächst der Mönch Luther, ein Bild, das um 1524 seinen Zweck erfüllt hatte; Luther auf der Wartburg; Luther als verheirateter Mann; das Standard-Porträt; der Ganzfiguren-Luther; und der tote Luther. Jedes dieser Bilder wurde durch die Werkstatt Cranachs berühmt. Schließlich gibt es noch einen Bildtypus, der erst nach Luthers Tod produziert wurde und den ich »Luther und Co.« nennen werde.
Was die Werkstatt wirklich leistete, wird deutlich, wenn wir uns die überaus unterschiedlich ausgefallenen frühen Bildnisse von Luther anschauen, die entstanden sind, bevor sich Cranach der Sache annahm.[12] Das allererste Bild von 1519 wurde nicht in Wittenberg, sondern in Leipzig durch die Werkstatt von Wolfgang Stöckel angefertigt. Es zeigt einen jungen, eher unsicher blickenden Mönch, der unter einer riesigen Kutte zwergenhaft wirkt, während das Gesicht von seinem mächtigen Doktorhut überschattet wird. Dass es Luther ist, wissen wir, weil sein Name ungeschickt als kreisförmige Umschrift eingetragen und die Lutherrose beigefügt ist, das Symbol, das Luther für sich als Merkzeichen übernommen hatte.[13] Dieses Bild tauchte in der Zeit nach der Leipziger Debatte von 1519 auf, dem Ereignis, das Luther in humanistischen Kreisen berühmt machte. Es zeigt ihn mit einer erhobenen Hand, in der Pose eines Disputanten. Er hat keine Bücher neben sich, die Schreibweise seines Namens...
Erscheint lt. Verlag | 21.5.2022 |
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Übersetzer | Karin Wördemann |
Zusatzinfo | Mit zahlreichen Abbildungen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Neuzeit (bis 1918) |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Albrecht Dürer • Antijudaismus • Antisemitismus • Bauernkriege • Bibel • Bibelübersetzungen • Eisenach • Eisleben • Geschichte des Protestantismus • Kaiser Karl V. • Katholische Kirche • Kitsch • Lucas Cranach der Jüngere • Martin Luther • Melanchton • Papst • Papsttum • Reformation • Theologie • Wartburg • Wittenberg • Worms |
ISBN-10 | 3-608-11848-9 / 3608118489 |
ISBN-13 | 978-3-608-11848-3 / 9783608118483 |
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