Jagen, sammeln, sesshaft werden (eBook)
400 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60282-2 (ISBN)
Charles Foster ist ausgebildeter Tierarzt und Anwalt, unterrichtet Ethik und Rechtsmedizin in Oxford. Er ist Fellow der Royal Geographical Society sowie der Linnean Society, ist auf Skiern zum Nordpol vorgestoßen und hat am Marathon de Sable teilgenommen. Charles Foster hat Bücher zu diversen Reise- und Wissenschaftsthemen publiziert. Auf Deutsch erschien von ihm bereits »Der Geschmack von Laub und Erde« (»Being a Beast«), das von den Medien gefeiert wurde und mehrere Wochen auf der Bestsellerliste stand.
Charles Foster ist ausgebildeter Tierarzt und Anwalt, unterrichtet Ethik und Rechtsmedizin in Oxford. Er ist Fellow der Royal Geographical Society sowie der Linnean Society, ist auf Skiern zum Nordpol vorgestoßen und hat am Marathon de Sable teilgenommen. Charles Foster hat Bücher zu diversen Reise- und Wissenschaftsthemen publiziert. Auf Deutsch erschien von ihm bereits »Der Geschmack von Laub und Erde« (»Being a Beast«), das von den Medien gefeiert wurde und mehrere Wochen auf der Bestsellerliste stand.
Vorbemerkung des Autors
Nur wenige von uns haben eine Vorstellung davon, was für Geschöpfe wir sind.
Aber wenn wir nicht wissen, was wir sind, wie können wir dann wissen, wie wir handeln sollen? Wie können wir wissen, was uns wirklich glücklich macht, was uns weiterbringt? Dieses Buch ist mein Versuch herauszufinden, was Menschen sind. Das ist mir ein dringendes Anliegen, denn egal, was meine Kinder behaupten – ich bin ein Mensch.
Und wenn ich wüsste, woher ich komme, so meine Überlegung, könnte ich vielleicht etwas klarer erkennen, wer ich bin.
Ich kann nicht in der ganzen Menschheitsgeschichte zu Hause sein. Es gelingt mir nicht einmal in meiner eigenen Zeit. Also habe ich versucht, in drei bedeutsamen Epochen heimisch und mit den Gefühlen, den Orten und den Gedanken vertraut zu werden, die für sie charakteristisch waren. Es war ein ausgedehntes Experiment, sowohl gedanklich als auch in der Praxis, und es fand in Wäldern, auf dem Wasser, in Moorlandschaften, Schulen und Schlachthöfen, in Flechtwerkhütten und Krankenhäusern, auf Flüssen, Friedhöfen und Bauernhöfen, in Höhlen, Küchen, Krähenkörpern und Museen, an Stränden, in Laboratorien, mittelalterlichen Speisesälen und baskischen Kneipen, bei Fuchsjagden, in Tempeln, in verlassenen Städten des Nahen Ostens und bei Schamanen-Karawanen statt.
Die erste dieser Zeiten ist das frühe Jungpaläolithikum, also die jüngere Altsteinzeit (vor etwa 35 000 – 40 000 Jahren), als das »moderne Verhalten«, auch »kulturelle Modernität« genannt, entstand. Der Begriff ist allerdings problematisch. Wie wir noch sehen werden, unterscheidet sich das Verhalten der heutigen Menschen (auch wenn sie nicht denken oder empfinden) grundlegend von dem der Jäger und Sammler im frühen Jungpaläolithikum. Was »modernes Verhalten« ausmacht und wo es sich entwickelte, ist heftig umstritten, für meine Zwecke ist diese Debatte jedoch unerheblich[2].
Jäger und Sammler waren Nomaden – und die wenigen, die überlebt haben, sind es teils noch heute –, aufs Innigste, in ehrfürchtiger und oft ekstatischer Weise mit dem Land und vielen Geschöpfen verbunden. Sie lebten lang und relativ verschont von Krankheiten, auch gibt es kaum Hinweise auf zwischenmenschliche Gewalt. Für die meisten war Sesshaftigkeit keine Alternative, aber selbst wenn sie diese Option gehabt hätten, wäre sie nicht sonderlich attraktiv gewesen. Warum soll man sein Leben lang an trockenem Zwieback nagen, wenn man sich an einem riesigen, saftigen und überaus abwechslungsreichen Büfett bedienen kann?
Es war unüblich, mehr als eine Feuersteinklinge und einen Beutel aus dem Hodensack eines Rentiers zu haben. Wenn man so viel über die Vergänglichkeit der Dinge wusste wie jene Menschen, waren Besitzansprüche lächerlich: Die Welt ist kein Ort, den man besitzen kann, und sie fanden damals (anders als wir), dass sich Menschen nicht im Widerspruch zur Beschaffenheit der Welt verhalten sollten.
Es war eine Zeit der Muße. Man kann nicht Tag und Nacht jagen oder sammeln. Daher, denke ich, war es eine Zeit der Besinnung, der Geschichten und der Versuche, sich Dinge zu erklären. Die älteste von Menschen geschaffene Kunst auf den Höhlenwänden in Südeuropa zählt zum Besten, was es je gab. Sie ist die anspielungsreichste und zugleich die am wenigsten konkrete.
Auf den Einwand, das sei die romantische Verklärung des edlen Wilden, entgegne ich vorerst nur, dass »romantisch« in meinen Augen kein Schimpfwort ist. Ganz im Gegenteil. Romantiker berücksichtigen bei ihrer Konstruktion der Welt einfach mehr Daten als ihre Gegenspieler.
Die zweite Periode ist das Neolithikum, die Jungsteinzeit, von der man allgemein annimmt, dass sie etwa vor 10 000 – 12 000 Jahren begonnen hat und bis zum Beginn der Bronzezeit – vor circa 5300 Jahren – dauerte. Die Chronologie ist strittig, und die Übergänge zwischen den einzelnen Phasen variieren je nach Region erheblich; und natürlich sind die verschiedenen Epochen nicht klar voneinander getrennt.[3]
Einige Jäger und Sammler lebten eine gewisse Zeit des Jahres sesshaft und zogen ansonsten weiter umher. Zweifellos begannen sie, lange bevor sie systematisch Ackerbau betrieben, das Land zu bewirtschaften – vielleicht indem sie Bäume pflanzten, deren Früchte sie gern aßen. Aber schließlich wurde die Aufspaltung sehr konkret. Die Nomaden hörten auf herumzuziehen. Ihre geografische Welt wurde kleiner. Sie mussten nicht mehr so ungeheuer viele Arten kennen und sich ihnen gegenüber entsprechend verhalten. Es reichte – und irgendwann musste es reichen –, wenn sie gerade mal die Kuh (einen gezähmten und abgestumpften Auerochsen[4]) auf der Wiese hinter der Hütte und eine spezielle Art von Gras mit großen Samen kannten. Und dann dauerte es nicht lang – nur ein paar Tausend Jahre –, bis alles, einschließlich der Menschen, gezähmt und abgestumpft war. Auch das Verhältnis zur Natur hatte sich gewandelt, es war nicht mehr von allumfassender Ehrfurcht und Abhängigkeit geprägt, stattdessen kontrollierte man ein paar Quadratmeter und ein paar Arten.
Doch auch wenn die Neolithiker in ihrer Überheblichkeit meinten, die Kontrolle zu haben, war die Wirklichkeit eine andere. Denn zunehmend gerieten die Menschen unter Kontrolle. Sie mussten in ihren Siedlungen bleiben, weil sie ja die Ernte einbringen mussten. Sesshaftigkeit ging mit Politik, Hierarchien und menschengemachten Gesetzen einher. Die Lebenserwartung verkürzte sich. Seuchen grassierten. Durch das anstrengende Mahlen und Heben verformten sich ihre Knochen. Die Sklavenhalter von Schweinen und Schnitter des Getreides wurden selbst versklavt und dahingemäht. Der Kreislauf der Jahreszeiten, der sie einst angetrieben hatte, hielt sie nun auf ihrer Scholle fest, und das Gesetz von Angebot und Nachfrage machte sie nicht reich, sondern tyrannisierte sie. Muße gab es keine mehr. Am Ende holt die Hybris jeden ein: Fragen Sie nur irgendeinen Griechen. Die großen Erzählungen des Jungpaläolithikums wurden kodifiziert und in das von Priestern kontrollierte Korsett der Geschichten von Stonehenge gezwängt. Doch Kodifizierung und Einengung ersticken den Geist. Die Gedanken wurden ebenso eingezäunt wie die Schafe. Wir sehen diese Beschränktheit in der Kunst, die im Neolithikum unbeholfener und weniger nuanciert und plastisch ist als zuvor im Jungpaläolithikum. Im Neolithikum fingen wir an, langweilig und armselig zu werden.
Die letzte Epoche, in der wir uns trotz eines gewissen beherzten Widerstands immer noch befinden, wird ironischerweise als Aufklärung bezeichnet. In der Aufklärung wurde die im Neolithikum begonnene Revolution fortgeführt und systematisiert, das im Neolithikum zwischen Mensch und Natur eingeleitete Scheidungsverfahren abgeschlossen. Die Schriften von Descartes waren der Scheidungsbeschluss, Rechtskraft erlangte das Scheidungsurteil durch die Unterschrift von Kant. Die Folge war eine systematische Entseelung des Universums. Bis dahin war alles (und ja, sogar in den abrahamitischen monotheistischen Religionen) in gewisser Weise beseelt gewesen. Aristoteles hatte auf dieser Sicht bestanden, die orthodoxe Kirche hatte sie keinen Moment infrage gestellt, Thomas von Aquin hatte sie für die Katholiken kanonisiert, die Kabbalisten hatten sie katalogisiert und die Sufis getanzt.
Doch die Aufklärung sprach der nicht-menschlichen Welt jegliche Seele ab. Nun war das Universum eine Maschine, die nicht von einem Körpern innewohnenden Wesenskern, sondern von Naturgesetzen regiert wurde. Und Gesetze sind so viel uninteressanter als Wesenskerne.
Aber da der Beginn der Aufklärung eine Revolution in den christlichen Köpfen auslöste, durften die Menschen ihre Seele noch eine Weile behalten. Jedoch nicht lange: Schon bald waren auch wir nur noch Räderwerke in einer Maschine. Die Parole »Stürmt die Maschinen« zeigt ein sehr genaues Verständnis von dem, was seit dem 17. Jahrhundert passiert ist.[5]
Darwin hätte die Katastrophe vielleicht ein bisschen abmildern können. Er hat uns daran erinnert, dass wir Teil der Natur sind – die zentrale Erkenntnis des Jungpaläolithikums. Richtig gehandhabt hätte das eine entsprechende Demut erzeugen können. Doch dieser Teil von Darwins Botschaft wurde weitgehend in einen zynischen und gefährlichen Reduktionismus umgedeutet. Man verstand ihn (fälschlicherweise) so, als seien die Menschen nichts als »Rädchen im Getriebe«: als existiere nichts außer...
Erscheint lt. Verlag | 1.9.2022 |
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Übersetzer | Gerlinde Schermer-Rauwolf, Robert A. Weiß |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Being a Human. Adventures in 40,000 Years of Consciousness |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Anfänge • Anfänge der Menschheit • Anthropologie • Aufklärung • Bestsellerautor • Bewusstsein • Buch Selbstversuch • Buch über Tiere • England • Evolution • Feuer machen • Geschichte • Kulturgeschichte • Menschheit • Menschheitsgeschichte • Menschwerdung • Naturbeobachtung • Naturbeschreibung • Naturerfahrung • Naturerlebnis • Nature writing • Philosophie • Sachbuch • Selbstversuch • Soziologie • Steinzeit • Tiere essen • Wildnis |
ISBN-10 | 3-492-60282-7 / 3492602827 |
ISBN-13 | 978-3-492-60282-2 / 9783492602822 |
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