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Schecks kulinarischer Kompass (eBook)

Köstliches und Kurioses aus meiner Küche und aller Welt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
304 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60206-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schecks kulinarischer Kompass -  Denis Scheck
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Ein geistreicher Genießer plaudert aus der Küche: Ob er von seiner Lieblingsknäckebrotsorte schwärmt oder erklärt, wie man die perfekte Bouillabaisse kocht - Denis Scheck lässt einem mit seinen köstlichen Geschichten das Wasser im Munde zusammenlaufen. In seinen kulinarischen Anekdoten erzählt er uns von seiner Leidenschaft für Essen und Trinken, mischt Literarisches und Persönliches, verrät Rezepte und Restauranttipps. Mit Sprachkunst und Witz schimpft er über Glühwein, Quälfleisch und die Scheußlichkeiten industriell hergestellten Fertigfutters oder berichtet von Luxusrestaurants, wo es Damenkarten ohne Preise gibt. Ein Muss für alle Feinschmecker, Waldmeistereisfans und Foodies. Ein Buch, das Appetit aufs Leben macht - nose to tail!

Denis Scheck, geboren 1964 in Stuttgart, lebt heute in Köln. Bereits im Alter von 13 Jahren gründete er eine eigene literarische Agentur. Als literarischer Übersetzer und Herausgeber engagierte er sich für Autoren wie Michael Chabon, William Gaddis und David Foster Wallace, Antje Strubel und Judith Schalansky. Lange arbeitete er als Literaturkritiker im Radio, heute ist er Moderator der Fernsehsendungen 'Lesenswert' im SWR und 'Druckfrisch' in der ARD.

Denis Scheck, geboren 1964 in Stuttgart, lebt heute in Köln. Bereits im Alter von 13 Jahren gründete er eine eigene literarische Agentur. Als literarischer Übersetzer und Herausgeber engagierte er sich für Autoren wie Michael Chabon, William Gaddis und David Foster Wallace, Antje Strubel und Judith Schalansky. Lange arbeitete er als Literaturkritiker im Radio, heute ist er Moderator der Fernsehsendungen "Lesenswert" im SWR und "Druckfrisch" in der ARD. Torben Kuhlmann, geboren 1982, lebt als freiberuflicher Illustrator und Kinderbuchautor in Hamburg.

Die Freundlichkeit Fremder


Wann immer mich jemand um einen Tipp für ein Restaurant bittet, muss ich an meine Begegnung mit Andrea Camilleri in Rom denken. Der durch seine seit Mitte der 90er-Jahre geschriebenen Kriminalromane um den Commissario Salvo Montalbano international berühmt gewordene Camilleri lebte hier seit 1949 und arbeitete schon in jungen Jahren als umtriebiger Drehbuchautor und Regisseur hauptsächlich für die RAI. Er saß über Jahrzehnte wie die Spinne im Netz des italienischen Literaturbetriebs und Filmbusiness und kannte buchstäblich jede und jeden. Ich besuchte Andrea Camilleri 2010 in seiner Privatwohnung in der via Asiago 8, der via televisione, wie sie umgangssprachlich auch genannt wird, denn hier residiert auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk Italiens. Camilleri war zeit seines Lebens – er verstarb 2019 – ein Freund kurzer Wege.

Das Interview am Nachmittag verlief erfreulich und kurzweilig. Etliche von Camilleris Ehefrau Rosetta kredenzte Espressi und Tassen Tee wurden konsumiert, Camilleri rauchte wie ein Schlot und gab witzige Antworten, und natürlich fragte auch ich den extrem facettenreichen, erst spät zu Bestsellerehren gekommenen Autor, warum er seinen berühmten Commissario Montalbano nach dem etwas jüngeren spanischen Schriftsteller Manuel Vázquez Montalbán benannt hatte. Und natürlich gab mir Camilleri dieselbe Antwort, die er seit gut 15 Jahren allen gab: Weil er und sein Commissario Montalbano die Verfressenheit mit seinem katalanischen Kollegen Montalbán und dessen in Barcelona ermittelnden Privatdetektiv Pepe Carvalho teile.

In einem Montalbano-Kochbuch, das meine Freunde Martina Meuth und Bernd Neuner-Duttenhofer mit Billigung des Autors für Camilleris deutschen Verlag entwickelten, bekannte Camilleri im Vorwort: »Montalbano und ich verstehen uns aufs Essen, was auch nicht jedem gegeben ist, aber kochen können wir nicht, ganz im Gegensatz zu meinem Freund Manuel Vázquez Montalbán und seinem Detektiv Pepe Carvalho. (…) Ich muss etwas gestehen: Dass Montalbano fast süchtig ist nach fangfrischem Fisch, rührt von einer Kindheitserinnerung, die ich auf ihn zu übertragen versucht habe. Mein Vater fischte in mondlosen Nächten gern mit einer Art Harpune, der traffinera, einem drei Meter langen Wurfspieß mit fünf Widerhaken. (…) Wenn Papà einen großen Fisch entdeckte, schleuderte er seine tödliche Harpune und spießte ihn auf. Er traf immer, millimetergenau berechnete er die aufgrund der Lichtbrechung abweichende Bahn. Vor der Rückkehr in den Hafen frühstückten wir bei Tagesanbruch im Boot. Papà hatte einen Primus (den Vorläufer des Camping-Gaskochers, nur funktionierte der Primus mit Petroleum), Salz, eine Handvoll Mehl, ein Fläschchen Öl und eine Pfanne mitgenommen. Der Ruderer zündete den Kocher an, säuberte den Fisch, bereitete ihn vor und briet ihn. Die Meerbarben oder Seebarsche waren so frisch, dass sie sich aufrollten und man sie kaum braten konnte. Wenn sie gar waren, aßen wir sie mit den Fingern. Darum geht es: um diesen Geschmack, von dem ich weiß, dass ich ihn nie wieder schmecken werde, den ich eifersüchtig in meiner Erinnerung hüte und der als blasses Echo aufscheint, wenn ich zu beschreiben versuche, was Montalbano empfindet. Freilich ernährt sich mein Commissario zwar hauptsächlich, aber nicht allein von Fisch.«

Commissario Montalbano ermittelt in Vigata – einer dürftig verbrämten literarischen Fiktion von Camilleris Heimatstadt, dem unweit von Agrigent auf Sizilien gelegenen Porto Empedocle. Dort wohnt Montalbano in einem Haus direkt am Meer, und dort verzehrt er seine legendären Mahlzeiten, bekocht von seiner Haushälterin Adelina. Selten unter drei Gängen, meist allein und schweigend, hoch konzentriert in absoluter Selbstvergessenheit aufs Essen: Neonati, also Glasfischchen mit Zitrone, Seehecht aus dem Ofen, Calamari alla Griglia, Pasta con le sarde, Spaghetti alle vongole, Coniglio alla Cacciatora, Auberginenröllchen … Camilleri-Lektüre empfiehlt sich nicht für Menschen auf Diät. Als seine Montalbano-Romane international fast so erfolgreich wurden wie Rowlings Harry Potter-Bücher, benannte sich Porto Empedocle in der Hoffnung auf einen Tourismusboom sogar kurzzeitig in Vigata um. Natürlich liebe ich es als Literaturkritiker, wenn Romane so auf die Wirklichkeit einwirken.

Muss ich angesichts dieser Vorgeschichte bekennen, dass mein Interview mit Andrea Camilleri eigentlich ein Vorwand war? Eine Rochade, veranstaltet einzig und allein, um die eine entscheidende Frage zu stellen: Wo, bitte schön, Meister Camilleri, wo kann ich, wo soll ich, wo muss ich in Rom essen gehen? Meine Kameraleute erstarrten beim Zusammenpacken in ihren Bewegungen, als ich die für die weitere Gestaltung des Abends folgenschweren Worte endlich ausgesprochen hatte. Selbst der notorisch unterbezahlte Assistent starrte gebannt auf Camilleris Lippen, um sich nur ja keine Silbe seiner Antwort entgehen zu lassen. Und was sagte Camilleri? »Essen gehen? In Rom? Ausgeschlossen! In dieser Stadt bekommen Sie nichts Vernünftiges zu essen. Hätten Sie mich gefragt, wo Sie in Porto Empedocle, in Agrigent oder in Palermo hingehen müssen – gar kein Problem. Aber hier in Rom? Hier kann man nicht essen gehen!« So was nennt man eine Antiklimax. Mir fehlten die Worte. So ein Scheusal! Da wohnt dieser Mann seit über sechzig Jahren in der Ewigen Stadt und behauptet doch glatt, in all diesen Jahren nie ein gutes Restaurant in Rom kennengelernt zu haben. Verschanzt sich einfach hinter seinem sizilianischen Lokalpatriotismus!

Auch in der Welt der Tiere gibt es solche, die auf Kooperation eingestellt sind, etwa Wölfe und Kolkraben, ein echtes Dream-Team der Natur, und solche, die eher auf Konfrontation setzen wie Rhinozerosse, Flusspferde oder Stechmücken. Andrea Camilleri erwies sich im Nachgespräch zu unserem Interview als das, wofür die kölsche Mundart das schöne Idiom geprägt hat: »Wat ’ne fiese Möpp!« Das tut seiner literarischen Bedeutung keinerlei Abbruch. Man muss kein guter Mensch sein, um gute Bücher zu schreiben. Und Andrea Camilleri schrieb sehr gute Bücher. Aber um den Witz zu reißen, dass man in Rom nirgendwo essen gehen könne – einen Witz, den er im Lauf seines Lebens garantiert schon tausendmal gemacht hatte –, ließ er die blöden Deutschen gnadenlos auflaufen. Kein schöner Zug.

Ich denke deshalb so oft an diese Begegnung, weil es in Wirklichkeit in der Literatur und in der Kulinarik genau anders zugeht. »I have always depended on the kindness of strangers«, lässt Tennessee Williams Blanche Dubois in Endstation Sehnsucht sagen. Im Stück transportiert dieser Satz die fatale Einsicht, dass Blanche nicht einmal gemerkt hat, wie oft sie im Lauf ihres Lebens ausgenutzt wurde, wie man sie nicht nur sexuell immer wieder missbraucht und ausgebeutet hat. In meiner Wirklichkeit, und keineswegs nur in meiner kulinarischen Wirklichkeit, möchte ich aber betonen, wie viel Gutes mir überall auf der Welt begegnet ist, wenn ich blöd gefragt habe. Ich lebe bis heute tatsächlich zu einem nicht geringen Teil von der Freundlichkeit Fremder.

San Francisco ist dafür ein gutes Beispiel. Kölner Freunde, die TV-Moderatorin Christine Westermann, die lange in San Francisco gewohnt hatte, und der Gastrokritiker Helmut Gote, gaben mir den Tipp, bei meinem nächsten Besuch in der Stadt unbedingt das Swan Oyster Depot auf der Polk Street zu besuchen. Die sehr lange Schlange vor dem Eingang war ein Beleg für die Popularität des Restaurants. Ich stellte mich nachmittags um drei zu den etwa vierzig Wartenden, kurz darauf kam ein Angestellter aus dem Lokal und drückte mir ein Schild in die Hand, auf dem stand, dass nach mir Schluss sei. Ich musste fast eine Dreiviertelstunde warten und war froh, dass ich so gut wie nie ohne Buch aus dem Haus gehe. Schließlich bekam ich einen Platz an der Bar mit ihrem Marmortresen – und war binnen Minuten schlicht im Himmel. Viele Einheimische halten das Swan Oyster Depot für das beste Seafood-Restaurant der Stadt; ich halte es für eines der besten Seafood-Restaurants des Planeten. Der Laden hat unglaublichen Stil, und sein gelassenes, extrem gut gelauntes Personal atmet aus jeder Pore enormes Fachwissen, was den Umgang mit Fisch und Meeresfrüchten angeht. Gegründet 1912 von vier dänischen Brüdern, die ihre Fische und Meeresfrüchte noch mit Pferdewagen in der Stadt ausfuhren, übernahm Anfang der 70er-Jahre Sal Sancimino mit drei Vettern das Ladengeschäft auf der Polk Street 1517, heute betreiben es seine Kinder. ...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2022
Illustrationen Torben Kuhlmann
Zusatzinfo Illustriert von Torben Kuhlmann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Anekdoten • Druckfrisch • Essen und Trinken • Esskultur • Feinschmecker • Gastronomie • gastrosexuell • Genuss • Geschenkbuch • Geschenkidee • Gourmet • gut essen • Kochen • Kochkunst • Kulinarik • Kulturgeschichte • Literatur • Literaturkritiker • Rezepte • Sternekoch • Sternerestaurant • Weihnachtsgeschenk
ISBN-10 3-492-60206-1 / 3492602061
ISBN-13 978-3-492-60206-8 / 9783492602068
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