Keine halben Sachen (eBook)
336 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491690-3 (ISBN)
Ärztin zu werden und so Menschen zu helfen, war für Dr. med. Carola Holzner bereits ein Kindheitstraum. Die Fachärztin für Anästhesiologie arbeitet als Oberärztin in der Notaufnahme und als Notärztin im Rettungsdienst. Ihre Mission ist es, Medizin auf Augenhöhe zu vermitteln. Deshalb steht Doc Caro zusätzlich zu ihren zahlreichen Social-Media-Aktivitäten mit großem Engagement als Expertin für medizinische Themen vor der Kamera. Carola Holzner lebt mit ihrer Familie in Mülheim an der Ruhr.
- Spiegel Jahres-Bestseller: Sachbuch / Paperback 2022 — Platz 9
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 09/2023) — Platz 15
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 08/2023) — Platz 15
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 07/2023) — Platz 9
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 06/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 05/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 04/2023) — Platz 10
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 03/2023) — Platz 8
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 02/2023) — Platz 7
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 01/2023) — Platz 6
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 52/2022) — Platz 3
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 51/2022) — Platz 3
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Paperback (Nr. 50/2022) — Platz 3
Ärztin zu werden und so Menschen zu helfen, war für Dr. med. Carola Holzner bereits ein Kindheitstraum. Die Fachärztin für Anästhesiologie arbeitet als Oberärztin in der Notaufnahme und als Notärztin im Rettungsdienst. Ihre Mission ist es, Medizin auf Augenhöhe zu vermitteln. Deshalb steht Doc Caro zusätzlich zu ihren zahlreichen Social-Media-Aktivitäten mit großem Engagement als Expertin für medizinische Themen vor der Kamera. Carola Holzner lebt mit ihrer Familie in Mülheim an der Ruhr.
Wie authentisch und cool kann eine Frau eigentlich sein? Doc Caro ist die Antwort.
Die Geschichten, die sie in ihrem Buch erzählt, sind berührend, traurig, aber auch komisch. Menschlich eben.
#MACHTBETROFFEN
ICH WERDE NICHT BLEIBEN
Der Sonntag war verhältnismäßig ruhig. Keine Dramen, alles ziemlich geordnet und keine besonderen Vorkommnisse – sofern es das in der Notaufnahme überhaupt gibt. Brustschmerzen hier, Beinschmerzen da, Brennen beim Wasserlassen. Das Übliche. Um 21.30 Uhr habe ich mich ins Bett verabschiedet, kurz noch in den Tatort reingeschaut und mich dann aber entschieden, dass eine Geschichte ohne Anfang nicht wirklich prickelnd ist und wieder ausgeschaltet. Was nutzt dir der Mörder, wenn du die Tat nicht kennst. Egal.
Jedenfalls habe ich mich gerade in die Krankenhausbettwäsche eingemummelt, und es wird so langsam gemütlich. Wobei ich einmummeln und gemütlich mal kurz beleuchten muss. Das hat jetzt nichts mit heimelig von einer weichen Wolldecke umschlungen mit Kuschelsocken vor dem Kamin liegend zu tun. Krankenhausbettwäsche ist gemangelt und gestärkt. Du kannst sie also hinstellen, ohne dass sie zur Seite kippt. Das Kopfkissen gleicht eher einem Brett, und du musst die Bettdecke zwischen deinen Beinen brechen, um sie in die gewünschte Form zu bringen.
So in etwa. Nichtsdestotrotz habe ich es mir also gerade den Umständen entsprechend eingerichtet und döse langsam warm werdend vor mich hin, als die Schwester anruft. Der RTW würde Bauchschmerzen bringen. Und irgendwas mit Kind. Es sei nicht dramatisch, nur dass ich Bescheid wüsste. Gut. Also nix mit gemütlich gebrochener Bettwäsche und Wärmeerhalt, sondern Neonlicht und klimatisierte Notaufnahme. 19 Grad. Brrr.
Das muss ich hier mal klar und ehrlich sagen: Die Kombination müde und kalt ist wirklich so gar nichts für mich. Und 19 Grad sind für mich ganz nah am Frost.
Ich versuche mir warme Gedanken zu machen, motiviere mich selbst und schlendere den Gang entlang zur Notaufnahme.
Auf den ersten Blick verstehe ich gar nicht, wo das Problem liegt. Eine junge Frau wird mir von den Rettungsdienstkollegen gebracht. Gut, die sehen jetzt auch nicht gerade bestens gelaunt aus. Einer sogar ziemlich zerknittert mit Kissenabdruck im Gesicht. Ah, keine Krankenhausbettwäsche, sondern private auf der Wache, denke ich und werde ein bisschen neidisch.
Junge Frau, 23, Bauchschmerzen seit drei Tagen. Sie hält sich den Unterbauch. Nicht so, dass ich jetzt direkt die Schmerzmittel wie einen Colt aus meinem imaginären Holster ziehen würde, aber schon so, dass ich ihr die Schmerzen durchaus abnehme. Sie macht zwar nicht den Eindruck, dass ich blitzschnell alle Register der Notfallmedizin ziehen müsste, aber scheint hier richtig zu sein. In der Notaufnahme.
»Und wer bist du?«, frage ich, denn hinter der Trage versteckt schauen mich zwei große kugelrunde braune Augen an. Den kleinen Mann habe ich beim Reinkommen gar nicht wahrgenommen, er ist praktisch hinter der Krankentrage verschwunden mit seinen knapp 90 Zentimeter. Er klammert sich an die Hand des Rettungsdienstlers. In der anderen hält er einen Stoffteddy.
»Das ist Matteo«, lächelt der Sanitäter mit dem Kissenabdruck. Sein Blick wird dabei ganz weich. Steht ihm, denke ich.
Er streichelt Matteo über den Kopf: »Ist so alt wie meine Tochter, drei Jahre.«
Ich lächle. Dann schaue ich die Frau an. Kinder ziehen irgendwie immer die Aufmerksamkeit auf sich, besonders, wenn sie so süß sind.
»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht übergehen. Frau Kramer, richtig?«
»Ja, und das hier ist mein Sohn«, antwortet sie stolz.
Vor lauter Muttergefühlen habe ich glatt die Uhrzeit vergessen. Mittlerweile ist es schon fast Mitternacht.
Bisschen spät für einen Dreijährigen, in der Notaufnahme rumzuhängen, denke ich. Verdränge den Gedanken dann aber wieder, während ich der Schwester zurufe, ein »Bauchlabor« abzunehmen.
Wir unterscheiden zwischen unterschiedlichen Laborprofilen, je nach Krankengeschichte. Hat jemand Bauchschmerzen, werden andere Parameter kontrolliert, als wenn jemand zum Beispiel mit Herzproblemen kommt.
Chiara Kramer liegt nun also in Untersuchungsraum 4.
»Mama, Hause …«
Während ich am Rechner sitze – Dokumentation ist mittlerweile nicht mehr das halbe, sondern fast das ganze Arztleben –, quengelt Matteo vor sich hin. Verständlich.
»Mama Hause, Teo müde.«
»Keine Sorge, mein Schatz, Mama bekommt jetzt ein Schmerzmittel, dann geht’s wieder ab ins Bett«, antwortet seine Mutter.
Das überhöre ich jetzt mal gekonnt, drehe mich auf dem Stuhl um und lächle sie beide an.
»Matteo, ich muss erst mal kurz mit deiner Mama sprechen, möchtest du eine Spritze zum Spielen?«
Ich werfe Schwester Susanne, die im Türrahmen steht, einen Blick zu, den sie sofort versteht.
Matteo nickt. Susanne ist in solchen Situationen tatsächlich die Beste. Hat selbst vier Kinder und »adoptiert« regelmäßig alles, was in der Notaufnahme so als Begleitung mitkommt. Kinder, Omas, Eltern, Hunde. Das ist quasi Susannes Passion.
»Hier«, sagt sie und hält Matteo die Plastikspritze hin. Zaghaft nimmt er sie aus Susannes Hand und fürs Erste scheint der Knirps die Müdigkeit vergessen zu haben.
»Ich habe auch noch Schoki. Komm mal mit.«
Chiara Kramer schaut ungläubig, als Matteo zielstrebig den Untersuchungsraum verlässt, um Schokolade abzugreifen.
»Normalerweise geht er nicht so einfach mit Fremden mit …«
»Das ist Susanne«, erwidere ich und grinse. »Da gibt’s keinen, der nicht mitgeht.«
Sie lächelt vorsichtig.
»Wo ist das Problem, was sind Ihre Beschwerden, Frau Kramer?«
Ihr Gesicht wird wieder ernst.
»Bauchschmerzen seit drei Tagen. Und Fieber. Ich habe Tabletten gegen Schmerzen und Fieber genommen, irgendwie muss ich ja zur Arbeit, und mich danach versucht ein bisschen zu erholen, aber vorhin ging das Fieber bis 40 hoch, und ich hatte richtige Bauchkrämpfe. Bitte glauben Sie mir, ich hätte Matteo nie aus dem Bett geholt, aber ich habe es nicht mehr ausgehalten.«
Während das Novalgin als Infusion gegen Schmerzen und Fieber einläuft, sind die ersten Laborergebnisse da. Der erste Wert reicht mir schon. 20000 Leukozyten. Also eine Entzündungsreaktion in Kombination mit Unterbauchschmerzen. Das beunruhigt mich jetzt doch etwas, und ich greife zum Telefon und bitte einen Chirurgen herzukommen.
Als ich mich ihr danach zuwende, reagiert sie unmittelbar und versucht abzuwiegeln.
»Es wird schon besser mit dem Mittel, das hilft. Können Sie mir ein Rezept schreiben? Matteo muss ins Bett.«
Es ist nicht das erste Mal und überhaupt nicht ungewöhnlich, dass mir Patienten schnell wieder von der Liege hüpfen wollen, sobald das erlösende Schmerzmittel durch ihre Blutbahn rauscht. Deshalb reagiere ich noch ziemlich cool.
»Äh, Moment mal. So schnell geht’s nicht. Ich habe den Kollegen aus der Chirurgie angerufen.«
Der Unterbauch ist druckschmerzhaft, sie ist eine junge Frau, hat Fieber, einen typischen Loslass-Schmerz und eine Entzündungsreaktion. Das schreit ja quasi nach einer Blinddarmentzündung.
»Ich verstehe, dass Sie schnell wieder nach Hause wollen, aber ich muss erst mal die Möglichkeit haben, die Ursache herauszufinden. Lediglich die Symptome ohne Ursache zu bekämpfen, hilft mir und vor allem Ihnen in dieser Situation überhaupt nicht.«
»Aber Matteo …« Frau Kramer schaut sich suchend nach ihm um. Doch der hat sich mittlerweile in die Herzen der Notaufnahme gemampft und sitzt glücklich und zufrieden umringt von Pflegepersonal zwischen Kinderschokolade und Gummibärchen vorne am Tresen der Notaufnahme. Aber mir ist natürlich klar, dass Frau Kramer ihren Sohn lieber im Bett sehen würde.
»Wir können gerne telefonieren, sicher kann ihn doch jemand abholen? Oma, Opa, Papa, Nachbarin, Freundin?«
Sie antwortet nicht.
»Können Sie mir jetzt bitte ein Rezept ausstellen?«
Hat sie mich überhört? Okay, dann schauen wir erst mal. Der Kollege aus der Chirurgie schlappt missmutig über den Gang. »Wo muss ich rein?«, höre ich ihn rufen und kommentiere mit einem freundlichen »U4«. Fällt mir gerade tatsächlich ziemlich schwer.
»Was hast du?«, fragt er mich, ohne die Patientin auch nur eines Blickes zu würdigen.
»Ich gar nichts«, ich rolle mit den Augen, »aber Frau Kramer. Die hat Bauchschmerzen.«
»Mach mal Labor auf.«
Das geht auch freundlicher, denke ich. Eine nette Begrüßung und ganze Sätze wären ein Anfang. Frau Kramer guckt auch schon ziemlich verstört. Während er auf den Rechner starrt, wo ich freundlicherweise für ihn schon mal die ersten Laborwerte geöffnet habe, drückt er fest auf ihren Bauch.
»Au!«, schreit sie und schreckt genauso hoch wie ich, denn weder sie noch ich haben diese gekonnte Rückwärtsaktion kommen sehen.
Sympathischer Eindruck, denke ich. Er schaut auf die Laborwerte und redet kein Wort mit der Patientin, um ihr dann noch mal ohne Vorankündigung rücklings (man könnte es auch hinterrücks nennen) auf den Bauch zu fassen.
Das sind die Momente, in denen ich mich wirklich schäme. Für meinen Kollegen. Wo ich am liebsten aufstehen, ihn schütteln möchte und fragen will, was genau mit ihm nicht in Ordnung ist. Patienten sind verdammt nochmal keine Sache. Sie fühlen sich oft schlecht, klein und hilflos. Diese Gefühle sollten wir spätestens dann nachvollziehen können, wenn wir selber mal Patient oder Patientin waren.
Menschen, denen es gut geht, haben wir hier nämlich eher selten. Und deswegen finde ich derartiges Verhalten einfach nur zum Kotzen. Ich entscheide mich, nichts zu sagen, um jetzt keinen Eklat...
Erscheint lt. Verlag | 26.10.2022 |
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Zusatzinfo | ca. 11 farbige Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 112 • Arztserien • Atemnot • Bergdoktor • Boostern • Buchgeschenk für Frauen • Corona • Diabetes • Doc Caro • Einsatz im Herz • Geburt • Herzinfarkt • Herzmassage • Hilfe • Hubschrauber • Impfen • Karl Lauterbach • Krankenhaus • Leben retten • Lebensgeschichten • Medizin für alle • Notärztin • Notaufnahme • Notfall • Orientierung • Patienten • Pflegenotstand • Philosophie des Alltags • Ruhrpott • spannend • Starke Frauen • Sterben • Strake Frauen • Tattoo • Werte • Wiederbelebung |
ISBN-10 | 3-10-491690-X / 310491690X |
ISBN-13 | 978-3-10-491690-3 / 9783104916903 |
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