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Ein falsches Wort (eBook)

Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht - Ein SPIEGEL-Buch

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022
256 Seiten
Deutsche Verlags-Anstalt
978-3-641-29745-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein falsches Wort - René Pfister
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»Das Beste, was ich bislang zur neuen linken Glaubenskultur gelesen habe« (Jan Fleischhauer): der Bestseller jetzt im Taschenbuch
Eine linke Revolution hat Amerika erfasst: Im Namen von Gerechtigkeit und Antirassismus greift dort eine Ideologie um sich, die neue Intoleranz erzeugt - in liberalen Medien kann ein falsches Wort Karrieren beenden, an den Universitäten herrscht ein Klima der Angst, Unternehmen feuern Mitarbeiter, die sich dem neuen Zeitgeist widersetzen. In seinem Bestseller beschreibt René Pfister, Büroleiter des SPIEGEL in Washington, diese neue politische Religion - und zeigt auf, warum die amerikanische Demokratie nicht nur von rechts unter Druck kommt. Er erklärt, wie Dogmatismus, Freund-Feind-Denken und Mob-Mentalität in Internet die Meinungsfreiheit in den USA schon gefährlich eingeschränkt haben. Eindrücklich warnt er vor diesem Fundamentalismus, dem wir uns widersetzen müssen, um auch in Deutschland die offene Gesellschaft zu verteidigen.

René Pfister, geboren 1974, studierte Politik- und Kommunikationswissenschaften in München und arbeitete nach der Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule für die Nachrichtenagenturen ddp und Reuters. 2004 wechselte er zum SPIEGEL, wo er vor allem über die Unionsparteien und Angela Merkel schrieb. Ab 2015 leitete er das Hauptstadtbüro des SPIEGEL, seit 2019 ist er Büroleiter des SPIEGEL in Washington. 2014 erhielt er gemeinsam mit Kollegen den Henri-Nannen-Preis für eine Recherche über den Lauschangriff auf das Handy von Kanzlerin Merkel. Sein Buch »Ein falsches Wort. Wie eine neue linke Ideologie aus Amerika unsere Meinungsfreiheit bedroht« wurde zum Bestseller.

1 WARUM DIE DEMOKRATIE AUCH VON LINKS BEDROHT WIRD – EIN VORWORT

Das Erste, was mir auffiel, waren die Regenbogenflaggen. Als ich im April 2019 nach Washington flog, um für meine Familie ein Haus zu suchen, empfahl mir die Maklerin den Stadtteil Chevy Chase, einen stillen Vorort mit ordentlichen öffentlichen Schulen für unsere beiden Söhne. Ein Viertel, das mir so hipp wie Friedrich Merz erschien – und doch flatterte an fast jeder dritten Veranda die Fahne der Schwulen- und Lesbenbewegung.

Als ich meine Maklerin danach fragte, sagte sie, die Flaggen seien gehisst worden, nachdem sich der designierte republikanische Vizepräsident Mike Pence im November 2016 entschieden hatte, in die Gegend zu ziehen. Eigentlich steht dem amerikanischen Vizepräsidenten die Residenz auf dem Gelände des Observatoriums der US-Marine zu. Aber für eine Übergangszeit suchte er sich ein Mietshaus in Chevy Chase. Die Regenbogenflaggen, sagte meine Maklerin, seien als Zeichen des stummen Protests gegen den neuen Nachbarn gehisst und später nicht mehr abgenommen worden. Pence, muss man dazu wissen, ist ein Christ, der die Bibel sehr wörtlich interpretiert. Als Kongressabgeordneter für den US-Bundesstaat Indiana hatte er sich darüber beklagt, dass im Schulunterricht nicht die Schöpfungsgeschichte gelehrt wird. Als in Berlin einmal ein Text über Pence auf meinem Schreibtisch landete, schrieb ich »Ajatollah aus Indiana« darüber.

Ich muss gestehen, dass mich die Fahnen mit Chevy Chase versöhnten. Bevor meine Frau und ich beschlossen, für den SPIEGEL als Korrespondenten in die USA zu ziehen, hatten wir über zehn Jahre in einer Stadtwohnung in Berlin gelebt. Ich hatte immer einen Widerwillen gegen Vororte, und die Regenbogenflaggen in Chevy Chase gaben mir das Gefühl, nicht vollends in einer Spießerhölle gelandet zu sein. Drei Tage später unterschrieb ich den Mietvertrag für ein Haus mit einer hübschen Veranda und einem kleinen Garten.

Ich freute mich auf die USA, ich kann es nicht anders sagen – ein Land, für das ich immer eine tiefe Sympathie empfand. Meine Eltern hatten nie etwas mit der säuerlichen Amerikaskepsis vieler Deutscher am Hut. Noch heute schwärmen sie von einer Reise nach San Francisco, die sie Mitte der Siebzigerjahre unternommen hatten. Als Kind bin ich mit Colt Seavers und dem »Trio mit vier Fäusten« aufgewachsen, meine erste große Liebe war Melissa aus »Falcon Crest«. Der erste Film, den ich abends im Kino sah, war »Top Gun« mit Tom Cruise, der dafür sorgte, dass die Jungs an meinem Gymnasium braune Pilotenlederjacken mit »Navy«-Aufnähern trugen. Ich mochte die Lakonie Hemingways und die erotischen Selbsterkundungen Philip Roths, und nichts heiterte mich schneller auf als der anarchische Humor von Larry David.

Als wir im Sommer 2019 in Washington ankamen, schickten wir unsere Kinder auf amerikanische Schulen, obwohl sie nur ein paar Brocken Englisch sprachen. Es war eine Entscheidung, die wir nicht bereuten. Die Lehrer nahmen sich der beiden Jungs mit einer Energie an, wie man sie von deutschen Schulen nicht unbedingt gewohnt ist. Ms. Lamers, die Klassenlehrerin meines jüngsten Sohnes, lud sich ein Sprachprogramm auf ihr Handy, um die Wörter zu verstehen, die er noch nicht übersetzen konnte. Mein ältester Sohn besuchte eine Middle School und fand schon nach ein paar Tagen amerikanische Freunde. Nach einem halben Jahr sprachen die beiden so gut Englisch, dass sie mich baten, in ihrer Gegenwart darauf zu verzichten, weil mein deutscher Akzent in ihren Ohren schmerze.

Unsere neuen Nachbarn hießen uns auf rührende Art und Weise willkommen. Judith, eine jüdische Rechtsanwältin in fünfter Generation, lud uns zum Thanksgiving-Dinner ein; weiter oben in unserer Straße zog Kapil mit seiner Frau Madhura ein, ein Kardiologe und eine Biologin, deren Kinder bald auf dem Trampolin in unserem Garten hüpften. Und dann waren da noch Tim und Megan, das Juristenehepaar, in deren Garten wir amerikanisches Craft Beer tranken und die immer wissen wollten, was ich auf meinen Recherchereisen durch Amerika erlebt hatte.

Wenn ich davon erzählte, kam ich mir vor, als berichtete ich aus einem fernen Land. Was ich bei den Wahlkampfveranstaltungen von Trump sah, hatte nichts mit der weltoffenen Freundlichkeit zu tun, die wir in Chevy Chase erlebten: die Meute, die »USA, USA« schrie, sobald Trump die Bühne betrat; die wütenden Männer, die »Lügner« zischten, wenn sie an dem abgesperrten Bereich vorbeizogen, in dem wir Journalisten von Trumps Presseleuten eingepfercht worden waren. Es gehörte zum Standardrepertoire des Präsidenten, in seine Reden einen Seitenhieb auf die Medien einzubauen. Im Ton der Entrüstung erzählte er davon, wie Journalisten das amerikanische Volk belügen würden. »Seht ihr, das senden sie jetzt nicht, das rote Licht an den Kameras ist aus«, sagte der Präsident dann, während die Halle wie mit einer Stimme »CNN sucks« zu brüllen begann – »CNN kotzt uns an«.

Zurück in Chevy Chase erschienen mir die Wut und der Hass, die das Land so furchtbar plagen, wie ein ferner Donnerhall. Wenn ich meinen Nachbarn von Trump und seinen Fans erzählte, waren sie peinlich berührt. In ihren Gesichtern standen Wut und auch eine Spur Scham über den Mann, der nun auch ihr Präsident war. Es war eine merkwürdige Erfahrung: Amerika, dieses so stolze und mächtige Land, das die Welt mit von den Nazis befreit, den ersten Mann auf den Mond geschickt und den Kommunismus in die Knie gezwungen hatte, wurde nun von einer ebenso lächerlichen wie gefährlichen Figur regiert – einem Aufschneider und Hochstapler, dessen Talent darin bestand, sich die dunklen Gefühle einer Nation zunutze zu machen.

Von Chevy Chase zum Weißen Haus sind es nur sechs U-Bahn-Stationen. Aber politisch war Trump Lichtjahre von meiner neuen Heimat entfernt. In den Vorgärten unserer Nachbarn standen Schilder, die an ihrer fortschrittlichen Gesinnung keinen Zweifel ließen: »Biden/Harris«, »Moms demand action«, das Motto der Waffengegnerinnen in den USA. Oder schlicht: »Bernie«. Nach dem Mord an George Floyd prangte plötzlich ein riesiges »I can’t breathe«-Graffiti auf dem Basketball-Platz neben der Grundschule meines Sohnes. Als Donald Trump im Oktober 2019 das Baseball-Stadion der »Washington Nationals« besuchte, wurde er aus tausend Kehlen ausgebuht.

In Chevy Chase konnte man leicht den Eindruck bekommen, als existiere Trump gar nicht. Am Eingang der Grundschule meines Sohnes hing ein Porträt Barack Obamas, der jeden Morgen so freundlich lächelnd die Schüler begrüßte, als sei er noch immer im Amt. Als wir im Dezember 2019 eine Party in unserer Nachbarschaft besuchten, war es das große Tuschelthema, dass unter den 40 Gästen auch ein republikanischer Lobbyist war. »He’s a Trump voter«, flüsterte mir ein Bekannter mit dem leicht erregten Unterton eines Forschers zu, der eine seltene Spezies entdeckt hat.

Der Riss, der durch das Land ging, schien das idyllische Chevy Chase nicht erreicht zu haben. Das jedenfalls war über Monate mein Eindruck. Wenn jemand die Schuld daran trug, dass die USA immer unversöhnlicher wurden, dann der Wüterich im Weißen Haus, der täglich per Tweet seinen Zorn mit der Nation teilte: der Mexikaner als Vergewaltiger und Kriminelle beschimpfte und der Millionen Dollar aus dem Verteidigungshaushalt abzweigte, um eine Mauer an der Südgrenze der USA zu bauen. Würde das ganze Land die Toleranz und Menschenfreundlichkeit von Chevy Chase aufbringen, das war mein Eindruck, dann würde Trump bald verschwinden wie ein böser Alptraum.

Dieses Bild wurde zum ersten Mal getrübt, als ich im Frühjahr 2020 mit einem Freund auf einer Bank saß und wir unseren Söhnen beim Fußballtraining zuschauten. Mein Freund ist Österreicher mit amerikanischem Pass, und er berichtete mir von seinem Sohn, der in der Schule zurechtgewiesen worden war, weil er gesagt hatte, er finde nichts dabei, wenn sich Weiße Dreadlocks wachsen lassen. Dreadlocks sind in den USA seit einigen Jahren Gegenstand eines erbittert geführten Kulturkampfes, weil sie – so das Argument – einen Teil der afroamerikanischen Kultur bildeten und es deshalb eine »kulturelle Aneignung« sei, wenn sie von Weißen getragen werden. Inzwischen vergeht in den USA keine Woche, in der nicht der Vorwurf der »cultural appropriation« erhoben wird. Die Debatte treibt bisweilen kuriose Blüten. Im Jahr 2015 veröffentlichte das Gourmetmagazin »Bon Appétit« einen Artikel mit der Überschrift »So gelingen Ihnen wirklich gute Hamantaschen«. (Hamantaschen sind ein Süßgebäck aus der jüdischen Küche.)

Das Rezept stand jahrelang auf der Website des Magazins, ohne dass jemand daran Anstoß genommen hätte – bis sich eine New Yorker Foodbloggerin auf Twitter darüber beklagte, dass die Autorin des Rezepts keine Jüdin sei. Es dauerte nicht lange, bis »Bon Appétit« eine zerknirschte Entschuldigung veröffentlichte. »Die Originalversion dieses Artikels war in einer Sprache abgefasst, die unsensibel gegenüber der traditionellen jüdischen Küche war und die nicht den Standards unserer Marke entsprach«, schrieb die Redaktion unter den Text und kündigte an, sich in einem »Archive Repair Project« auf die Suche nach ähnlichen Sünden in anderen Rezepten zu machen.1

Die Idee der »kulturellen Aneignung« war schon immer eine abschüssige Bahn. Denkt man das Konzept konsequent zu Ende, stellen sich schnell komplizierte Fragen: Darf ein chinesischer...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 2022 • Bestseller • Bestseller Bücher Neuerscheinungen 2022 • bestsellerliste spiegel aktuell • Der Spiegel • Diversität • Dogma • eBooks • Gender-Debatte • Greenwashing • Identitätspolitik • Inklusivität • Intersektionalität • Kulturelle Aneignung • Meinungsfreiheit • Neuerscheinung • New York Times • Political Correctness • Politischer Fundamentalismus • Racial Awareness • Stern • Winnetou • Woke Capitalismus • Woke Revolution
ISBN-10 3-641-29745-1 / 3641297451
ISBN-13 978-3-641-29745-9 / 9783641297459
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