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Die Krise des Absoluten (eBook)

Was die Postmoderne hätte sein können
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
656 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11846-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Krise des Absoluten -  Daniel-Pascal Zorn
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Die Postmoderne gehört zu den umstrittensten Epochen der jüngeren Philosophie. Sie wird für Misstände der Gegenwart verantwortlich gemacht. Aber kennen wir die Postmoderne wirklich? Daniel-Pascal Zorn führt den Leser durch die deutsche, französische und amerikanische Postmoderne. Er entfaltet das Panorama eines verlorenen Denkens, das wir gerade jetzt am nötigsten hätten. Wer heute etwas als fragwürdig auszeichnen will, verweist gerne auf die »Postmoderne». Ihre Vertreter gelten als Feinde der Wahrheit und als Fürsprecher einer zügellosen Beliebigkeit. Doch dieses Bild ist ein Trugbild. Daniel-Pascal Zorns Epos zur Postmoderne nimmt den Leser mit auf eine Höhenwanderung rund um die Gipfel des modernen Denkens. In Frankreich entwerfen Michel Foucault, Jacques Derrida, Gilles Deleuze und Jean-François Lyotard eine Kritik der Moderne als Abwehr des Absoluten. Doch sie sind nicht allein: In Deutschland ringen Theodor W. Adorno und Joachim Ritter mit der bürgerlichen Gesellschaft und in den USA entdecken Richard Rorty und Heinz von Foerster die Vielfalt des Menschen. Ein Panorama der umstrittenen Postmoderne - und zugleich ein kritischer Rückblick auf die Entstehung unserer Gegenwart.

Daniel-Pascal Zorn, geboren 1981, studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. 2015 promovierte er mit einer Komparatistik philosophischer Ansätze, die den Preis der Universität Eichstätt erhielt. Daniel-Pascal Zorn schrieb die Kolumne »Na logisch!« im Philosophie-Magazin »Hohe Luft«. Dort erläutert er anschaulich und allgemeinverständlich, wie sich Sachverhalte, Argumente und deren Geltung zueinander verhalten. Auf seiner eigenen Facebook-Seite kommentiert er aktuelle politische Äußerungen, indem er sie logisch auseinandernimmt. In den letzten Jahren hat er sich zunehmend der praktischen und theoretischen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus und seinen Scheinargumenten gewidmet.

Daniel-Pascal Zorn, geboren 1981, studierte Philosophie, Geschichte und Komparatistik. 2015 promovierte er mit einer Komparatistik philosophischer Ansätze, die den Preis der Universität Eichstätt erhielt. Daniel-Pascal Zorn schrieb die Kolumne »Na logisch!« im Philosophie-Magazin »Hohe Luft«. Dort erläutert er anschaulich und allgemeinverständlich, wie sich Sachverhalte, Argumente und deren Geltung zueinander verhalten. Auf seiner eigenen Facebook-Seite kommentiert er aktuelle politische Äußerungen, indem er sie logisch auseinandernimmt. In den letzten Jahren hat er sich zunehmend der praktischen und theoretischen Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus und seinen Scheinargumenten gewidmet.

Prolog | Moment mal …


Die Postmoderne ist an allem schuld. Darin sind sich gegenwärtige Intellektuelle, Philosophinnen und Denker einig. Sie ist schuld an der Forderung nach absoluter Freiheit ohne Rücksicht auf Verluste, an der unkritischen Haltung gegenüber dem Kapitalismus, am Verfall von Sitte und Anstand und an dem fehlenden Respekt vor der Autorität der Wissenschaften und der Tradition. Die Postmoderne ist der Ausgangspunkt für die Übel unserer Zeit, für die vier apokalyptischen Reiter Konstruktivismus, Relativismus, Moralismus und Identitätspolitik.

Für die Postmoderne ist die reale Welt nur eine Konstruktion, ein Effekt von Machtansprüchen und anonymen Strukturen, der keinen Zugriff auf eine gemeinsame Wirklichkeit mehr erlaubt: Konstruktivismus. Hier gibt es keine Wahrheit mehr, nur noch relative Meinungen, die versuchen, sich gegen andere Meinungen durchzusetzen: Relativismus. Weil dabei keine verbindlichen Maßstäbe mehr akzeptiert, Fakten und Tatsachen durch fiktive Vorstellungen und gedankliche Konstrukte ersetzt werden, gelingt die Durchsetzung von Meinungen nur noch mit moralischer Erpressung: Moralismus. Die Postmoderne leitet die Menschen dazu an, sich gegenseitig alles Mögliche und Unmögliche zu unterstellen, um den eigenen Willen durchzusetzen. Sie zersetzt die Gesellschaft, indem sie Minderheiten gegen die Mehrheit aufhetzt und ihnen einredet, wegen irgendwelcher Merkmale, die sie als Minderheit identifizieren, automatisch im Recht zu sein: Identitätspolitik. Die Postmoderne ist verantwortlich für politischen Aktivismus im Gewand der Theorie. Sie brachte die »Critical Race Theory«, für die alle Weißen Rassisten sind, und den »Dekonstruktivismus«, der jede Aussage in eine unendliche Anzahl von gleichwertigen Interpretationen auflöst. Auch Verschwörungstheorien und Fake News, political correctness und cancel culture, also die weit verbreitete Tendenz, unliebsame Meinungen zu unterdrücken, haben wir der Postmoderne zu verdanken.

Dass sich die Postmoderne dabei hinter solchen Wortungetümen wie »Dekonstruktivismus« versteckt, ist kein Zufall. Denn so kann sie sich einen wissenschaftlichen Anstrich geben, um die eigenen politischen Ziele durchzusetzen. Ihre Theorien klingen hochkompliziert und durchdacht. Aber wenn man sie sich genauer ansieht, fällt das Kartenhaus in sich zusammen. Dann zeigt sich, dass es sich nur um eine hochnäsige Form des Dadaismus handelt, eine bloße Simulation von wissenschaftlicher Gelehrsamkeit. Scharlatanerie, Taschenspielerei, eine Ideologie intellektueller Nepper, Schlepper und Bauernfänger, der immer wieder junge Leute auf den Leim gehen und ihr nach der Pfeife tanzen wie die Kinder von Hameln dem teuflischen Rattenfänger. Das ist kein Zufall, denn die Postmoderne ist ein großangelegtes Täuschungsmanöver der Marxisten, die nach ihrem politischen Scheitern nun die Kultur ins Visier nehmen und versuchen, die Welt …

… doch einen Moment. Das geht ein bisschen schnell, oder? Sie haben dieses Buch gerade erst angefangen zu lesen – und schon werden Sie mit abschließenden Urteilen darüber konfrontiert, was diese »Postmoderne«, um die es hier geht, alles angerichtet haben soll. Sogar die Marxisten haben die Finger im Spiel! Wenn Sie vorher gar nicht wussten, dass Sie sich für die Postmoderne interessieren, können Sie sich nun sogar über sie empören. Stundenlang. Und wenn Sie schon wussten, was die Postmoderne ist, dann haben Sie gerade entweder beifällig genickt, weil sie es ebenso sehen, oder Sie haben sich stirnrunzelnd über diese Beschreibung der Postmoderne gewundert. Solche Beschreibungen der Postmoderne sind blind. Auf dem Weg zu ihrer Darstellung sind sie über den Stein der Kritik gestolpert und meckernd liegengeblieben. Was die Postmoderne ist, bleibt verdeckt unter dem, was sie angeblich alles angerichtet haben soll. Fangen wir also nochmal von vorne an – diesmal etwas neutraler.

Die Postmoderne, das ist eine Epoche der Philosophiegeschichte. Oder: Die Postmoderne, das ist eine Schule von ein paar französischen Philosophen, die in den 1960er Jahren den theoretischen Aufstand geprobt haben. Oder auch: Die Postmoderne, das ist das Lebensgefühl einer Generation, die sich mit der modernen Welt so gut arrangieren kann wie es diese Welt gerne hätte. Schließlich, für die Leser des modernen Romans: Die Postmoderne, das ist die Gebrochenheit der Moderne als Ausdruck der Theorie. Das sagt Ihnen alles nichts? Das liegt daran, dass solche Beschreibungen leer sind. Wer die Postmoderne nicht kennt, dem sagen sie nicht viel. Wer etwas über sie weiß, dem sagen solche Sätze nichts Neues. Sie lassen sich beliebig mit Erzählung, Begriff, Epoche, Lebensgefühl und Theorie füllen.

Was die Postmoderne war, lässt sich aus verschiedenen Gründen nicht einfach sagen. Einer dieser Gründe ist, dass vieles von dem, was eingangs über die Postmoderne gesagt wurde, oft erst sehr viel später auf sie abgebildet wurde. Um zu erfahren, was die Postmoderne war, muss man – paradoxerweise – vergessen, was man über die Postmoderne zu wissen glaubt. Erst recht muss man es vergessen, wenn man erfahren will, was die Postmoderne hätte sein können. Fangen wir also ein drittes Mal von vorne an: Was ist die Postmoderne?

Ein Gegner, auf den sich alle einigen können


Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre, in den Ruinen der alten und im Geist der neuen Welt, entsteht in Paris, Frankfurt, New York, Münster und Chicago eine Denkbewegung, die wenige Jahrzehnte später die akademische Welt diesseits und jenseits des Atlantiks auf den Kopf stellen wird. Die Protagonisten dieser Denkbewegung teilen den Erfahrungsraum, dessen Koordinaten durch die beiden Weltkriege bestimmt werden. Sie sind Mitläufer und Exilanten, Söhne von Kriegsgefangenen und Brüder von Widerstandskämpfern. Menschen, deren Kindheit in einer Welt stattfindet, die kurz darauf so vollständig und unwiederbringlich pulverisiert wird, dass die Erinnerung an sie alles ist, was bleibt. Manche von ihnen haben das Glück, den Krieg nur aus Zeitungen zu kennen. Andere müssen fliehen, um ihr Leben zu retten. Nicht alle schaffen es.

Die Denkbewegung, die sie miteinander verbindet, hatte im Laufe der Jahrzehnte viele Namen. Jeder dieser Namen trifft einen Aspekt, keiner trifft je das Ganze. Die meisten von ihnen sind abfällig gemeint: »Kulturmarxismus« zum Beispiel. »Konstruktivismus«, »Relativismus«, »Skeptizismus« oder »Nihilismus«, als eine sich steigernde Verurteilung von Irrationalismen, die man abzuwehren hat. Unverkennbar ist die Herkunft dieser Begriffe: es sind philosophische Kampfvokabeln, mit denen man seine theoretischen Gegner etikettiert, um sie loszuwerden. Sie alle lassen sich mit einem Begriff zusammenfassen, der so unklar wie polarisierend ist und der vielleicht gerade deswegen so polarisiert, weil er so unklar ist: die »Postmoderne«.

Die Offenheit, die sich in dieser Bezeichnung ausspricht, hat zu viel Verwirrung geführt. Die lateinische Vorsilbe »post-« bedeutet ja zumeist »nach« oder »hinter« – und so hat man »Postmoderne« oft beschreibend, im Sinn einer historischen Epoche verstanden: »Postmoderne« wäre dann »nach der Moderne« oder auch »hinter der Moderne«, im Sinne von »auf die Moderne folgend«. Ebenso kann man das »nach« als Ausdruck für die Aufeinanderfolge philosophischer oder auch künstlerischer Epochen verstehen, nicht als Beschreibung, sondern vielmehr als Forderung: nach der Philosophie, nach der modernen Literatur, nach der Kunst, die ihr Ablaufdatum überschritten hat, muss es eine postmoderne neue geben, die sich von ihr abhebt.

Verbindet man diese beiden Interpretationen miteinander, das beschriebene Zeitalter und die geforderte Nachfolge, dann erhält man die Formel, die bis heute die Gemüter erregt. Wenn die »Moderne« das Zeitalter der Aufklärung, des Liberalismus, der Vernunft ist, dann ist die »Postmoderne« das Zeitalter, das all diese Werte verabschiedet. Wenn die »Moderne« das Zeitalter der Rationalität und der Wissenschaft ist, dann bedeutet »Postmoderne« eine Abkehr von der Wahrheit und eine Rückkehr in einen vormodernen Irrationalismus, einen Flirt mit dem längst Überwundenen. »Postmoderne« wäre dann im Sinn verdreht, gleichbedeutend mit »Vormoderne«, zumindest aber mit den dunklen Seiten der »Moderne«. Ist diese »Moderne« das Zeitalter von Effizienz und der Rationalisierung von Prozessen, dann steht »Postmoderne« für Überflüssiges und Überschüssiges, für etwas, was man auch weglassen...

Erscheint lt. Verlag 19.3.2022
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 68er-Bewegung • Adorno • Algerienkrieg • Deleuze • Derida • Habermas • Heidegger • Kapitalismus • Konstruktivismus • Kybernetik • Lacan • Lyotard • Marx • Michel Foucault • Neoliberalismus • Philosophie des 20. Jahrhunderts • Philosophiegeschichte • Postmoderne • Pragmatismus • Rorty • Studentenrevolte • Universitätsreform • Vietnamkrieg
ISBN-10 3-608-11846-2 / 3608118462
ISBN-13 978-3-608-11846-9 / 9783608118469
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