Das Goethe-Institut (eBook)
320 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11700-4 (ISBN)
Carola Lentz ist seit November 2020 Präsidentin des Goethe-Instituts. Sie ist Ethnologin und Seniorforschungsprofessorin an der Universität Mainz. Nach Feldforschungen in Südamerika forscht sie seit über dreißig Jahren vor allem in Ghana und im benachbarten Burkina Faso.
Carola Lentz ist seit November 2020 Präsidentin des Goethe-Instituts. Sie ist Ethnologin und Seniorforschungsprofessorin an der Universität Mainz. Nach Feldforschungen in Südamerika forscht sie seit über dreißig Jahren vor allem in Ghana und im benachbarten Burkina Faso. Marie-Christin Gabriel, Koautorin, ist Ethnologin und Referentin im Präsidium in der Zentrale des Goethe-Instituts in München.
Einleitung
Der Buchumschlag zeigt Studentinnen in einem Gebäude der Obafemi Awolowo Universität im nigerianischen Ile-Ife, dessen Campus in den 1960er Jahren von Arieh Sharon entworfen wurde, einem der israelischen Architekten der »Weißen Stadt« von Tel Aviv. Sharon hatte am Dessauer Bauhaus bei Walter Gropius und Hannes Meyer studiert, war Anfang der 1930er Jahre nach Israel zurückgekehrt und plante dann an verschiedenen Orten der Welt öffentliche Bauwerke. Mit ihrer offenen Architektur sind die Gebäude in Ile-Ife bestens an das tropische Klima angepasst und laden zu Kommunikation ein. Sharon nahm auch lokale ästhetische Elemente auf und lud Yoruba-Künstler ein, die Betonwände zu bemalen. Die Studierenden und Lehrenden seien stolz auf die Architektur, berichtet der Architekturhistoriker Zvi Efrat, der über den Campus einen Film gedreht hat.[1] »Arieh Sharon wird hier … nicht als Kolonisierer gesehen«, meint auch Bayo Amole, Professor für Architektur an der Universität von Ile-Ife. »Was haben wir hier: ein Israeli, der in Deutschland studiert hat, der in Afrika gearbeitet hat. Das sagt etwas über die Universalität der Welt – aber es erzählt auch etwas über die Universität als einem universellen Ort.«[2]
Foto und Interviews entstanden 2018 im Rahmen des Ausstellungsprojekts »Bauhaus Imaginista«, das das Goethe-Institut in Kooperation mit der Bauhaus Kooperation Berlin Dessau Weimar und dem Berliner Haus der Kulturen der Welt anlässlich des einhundertjährigen Jubiläums des Bauhauses organisierte. Das Projekt umfasste Recherchen, Ausstellungen und Veranstaltungen in elf Ländern auf vier verschiedenen Kontinenten und beleuchtete »die internationale und transkulturelle Vernetzung des Bauhauses in der Welt«.[3] Für die Kuratorin Marion von Osten war das Bauhaus von vornherein kein »deutscher Exportartikel«, sondern ein europäisches und »globales Projekt«; es stehe »symbolisch für Gesellschaften, die sich gegen Nationalismen und gegen Kolonialismus wenden«.[4] Die Ausstellungen zum Bauhaus-Jubiläum haben transnationale Verflechtungen nicht nur erforscht, sondern durch weltweite, miteinander verbundene Einzelprojekte auch selbst erweitert. Das ist typisch für die Kulturarbeit des Goethe-Instituts seit der Jahrtausendwende, die den Austausch zwischen Künstlerinnen, Intellektuellen und zivilgesellschaftlichen Akteuren in der ganzen Welt fördern will.[5] Dabei geht es um kulturelle Koproduktion, um das Sichtbarmachen unterschiedlicher Perspektiven auf globale Themen, um die kritische Reflektion von Kolonialismus und Erinnerungspolitik, um Frauenrechte und die Anerkennung indigener Minderheiten, um die Auseinandersetzung mit illiberalen Regimen und demokratischen Bewegungen und vieles mehr. Darin spiegelt sich die zunehmende Verflechtung Deutschlands mit Europa und der Welt und insbesondere auch mit dem globalen Süden.
Dieses Buch möchte einige historische Stationen auf dem Weg des Goethe-Instituts hin zu diesem Selbstverständnis abschreiten. Fokussierte seine Arbeit anfangs auf die Förderung der deutschen Sprache im Ausland und den Export »deutscher« Kultur, agiert das Goethe-Institut heute, in 98 Ländern mit insgesamt 158 Instituten, nicht nur als weltweiter Anbieter von Sprachkursen, sondern auch als globales Netzwerk lokaler und regionaler kultureller und zivilgesellschaftlicher Initiativen.
Die Geschichte des Instituts seit seiner Gründung 1951 – wie auch seine Vorgeschichte unter der Deutschen Akademie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus – ist ein Spiegel der jüngeren Geschichte Deutschlands und seiner Außenpolitik, der Entwicklungen in Europa und der Umbrüche in der Welt. Zugleich legt das Goethe-Institut nicht nur Zeugnis ab von Deutschlands sich wandelnden Selbstverständnissen, vielmehr hat es auch durch seine Arbeit und weltweiten Kontakte aktiv daran mitgewirkt. Dass die westdeutsche Regierung die Auswärtige Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg in die Hände von sogenannten Mittlerorganisationen legte – unabhängigen, meist als Verein verfassten Organisationen –, spiegelt den Wunsch der jungen Bundesrepublik, eine Zäsur zur nationalsozialistischen staatlichen Vereinnahmung der Kulturpolitik zu markieren. Dass das Goethe-Institut einige Jahre nach seiner Gründung vom Auswärtigen Amt finanziell gefördert wurde und sein Netzwerk rasch expandierte, war der Teilung Deutschlands und dem Kalten Krieg geschuldet; die junge Demokratie wollte und sollte sich vom Nationalsozialismus abgrenzen, durch Kulturexport Freunde in aller Welt gewinnen und zugleich ihre Überlegenheit gegenüber dem Sozialismus demonstrieren. Das galt auch für viele andere in dieser Zeit gegründete westdeutsche Kultureinrichtungen, wie etwa die Berliner Festspiele oder die Documenta, und ebenso für das wiedergegründete Institut für Auslandsbeziehungen und den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Im Zuge der gesellschaftskritischen Bewegungen in Westdeutschland Ende der 1960er Jahre wollte das Goethe-Institut ein anderes Deutschlandbild vermitteln, was nicht von allen politischen Akteuren gutgeheißen wurde; die damit verbundenen Konflikte wiederum führten zu Neuerungen in der Auswärtigen Kulturpolitik. Das Ende des Kalten Kriegs, die deutsche Wiedervereinigung und die Entstehung einer multipolaren Welt sind prägende jüngere Entwicklungen, die sich im Goethe-Institut in der Hinwendung zu multilateraler Zusammenarbeit und in der neuen Rolle als globaler Netzwerker niederschlagen. Sich mit der Geschichte des Goethe-Instituts zu beschäftigen, heißt also auch: einen besonderen Blick, aus einer kulturpolitischen Perspektive, auf die Geschichte der Bundesrepublik im Kontext globaler Transformationen zu werfen.
Ich selbst entwickelte Interesse für das Thema im Zuge meiner Vorbereitung auf mein neues Amt als Präsidentin des Goethe-Instituts – eine Zeit, die sich mit Blick auf die ethnologische Ritualtheorie als »liminale Phase« beschreiben lässt, als Schwellenzustand, den Menschen beim Übergang von einer zu einer anderen sozialen Ordnung oder einem neuen Lebensabschnitt durchlaufen. Durch meine Pensionierung im Herbst 2019 schied ich aus dem aktiven Dienst an der Mainzer Universität aus (auch wenn ich ihr als Seniorforschungsprofessorin verbunden bleibe) und war ein gutes Jahr lang noch nicht in die Pflichten des neuen Amts eingebunden. Ethnologen wie Arnold van Gennep und Victor Turner haben eine solche liminale Phase als eine Zeit der Mehrdeutigkeit charakterisiert, als Phase des »betwixt and between« mit, so jedenfalls Turner, besonderer Freiheit.[6] Für mich bot die Übergangszeit Raum für die forscherische Neugier, die sich nicht zuletzt am anstehenden Jubiläum des Goethe-Instituts entzündete, auf das ich als Ethnologin, die intensiv zu afrikanischen Unabhängigkeitsjubiläen geforscht hat, bald aufmerksam wurde.
Schafft es nicht einen unlösbaren Rollenkonflikt, dass ich als Autorin dieses Buches seit November 2020 Präsidentin des Goethe-Instituts bin? Denn meine Koautorin Marie-Christin Gabriel und ich wollen mit diesem Buch keine Festschrift vorlegen, die die Errungenschaften des Instituts unkritisch bejubelt, sondern uns auch Spannungen, Brüchen, uneingelösten Versprechen und offenen Zukunftsfragen zuwenden. Kann eine Präsidentin die hierfür notwendige Distanz herstellen? Was mir diese Herausforderung erleichtert hat, ist neben der erwähnten Verortung in der »liminalen Phase« auch eine generationelle Distanz. Ich bin die erste in der Nachkriegszeit geborene Präsidentin und die erste, die jünger ist als das Institut selbst. Die Zeitläufte, in denen 1932 ein »erstes« Goethe-Institut in der Deutschen Akademie eingerichtet und dann 1951 das heutige Goethe-Institut (wieder) gegründet wurde, sind mir vermutlich noch fremder als meinen Vorgängern. Außerdem konnte ich mit einer Koautorin zusammenarbeiten, deren generationelle Distanz zum Institut noch größer ist als meine. Marie-Christin Gabriel, 1986 geboren, und ich haben also zwei biografisch unterschiedlich geprägte Perspektiven in das Buchprojekt eingebracht. Auch meine Koautorin ist Ethnologin, und ihre Erfahrungen mit Organisationsanalyse, biografischen Methoden, der Auswertung von Zeitzeugenberichten und kritischem Quellenstudium kamen den Recherchen für dieses Buch zugute. Als neue, jüngere Mitarbeiterin des Goethe-Instituts konnte...
Erscheint lt. Verlag | 17.11.2021 |
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Co-Autor | Marie-Christin Gabriel |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Afrika • Außenpolitik • Bildung • Germanistik • Globalisierung • Goethe • Herder-Institute • Hilma Hoffmann • Hilmar Hoffmann • Jutta Limbach • Klaus-Dieter Lehmann • Klaus von Bismarck • Kulturinstitute • Kulturpolitik • lentz • Literatur • Netzwerk • Projekte • Sprache |
ISBN-10 | 3-608-11700-8 / 3608117008 |
ISBN-13 | 978-3-608-11700-4 / 9783608117004 |
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Größe: 3,6 MB
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