Der fröhliche Rabbi und die verschlungenen Wege zum Glück (eBook)
240 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-46273-7 (ISBN)
Rabbiner David Kraus, geboren 1982 in Jerusalem, wuchs in Regensburg auf und wanderte mit 24 nach Israel aus. Zusätzlich zu seiner Ausbildung und Einsetzung als Rabbiner ist er ausgebildeter Paar- und Familienberater. Rabbi David Kraus lebt mit seiner Familie in Jerusalem.
Rabbiner David Kraus, geboren 1982 in Jerusalem, wuchs in Regensburg auf und wanderte mit 24 nach Israel aus. Zusätzlich zu seiner Ausbildung und Einsetzung als Rabbiner ist er ausgebildeter Paar- und Familienberater. Rabbi David Kraus lebt mit seiner Familie in Jerusalem.
Miriyam
Mensch, Mensch, Mensch! Heute ist der 15. September, und es kommt mir schon wieder so vor, als sei mein Leben gerade auf den Kopf gestellt worden. Dabei steht es jetzt wohl erstmals auf den Füßen.
Ich bin seit drei Tagen in Israel.
Ich habe mich verlobt.
Ich habe in den letzten 72 Stunden fast nicht geschlafen.
Ich werde demnächst nach Israel ziehen und heiraten.
Es geht mir gesundheitlich schlagartig besser.
Meinen Eltern schwirrt der Kopf im Moment ebenso wie mir.
Ich fühle mich Gott so nah wie noch nie.
Puh! Aber der Reihe nach: Den Flug Ende August musste ich canceln – und verlor eine Stange Geld dabei. Mein Vater hatte Bedenken, was meinen Versicherungsschutz anging, und mich gebeten, die Reise unbedingt von meinen Ärzten absegnen zu lassen. Und tatsächlich verboten die mir das Fliegen, denn neben dem orthopädischen Totalschaden hatte ich bei dem Treppensturz auch mehrere innere Blutungen erlitten. Das Risiko, dass sich aufgrund des Drucks in der Flugzeugkabine ein Blutgerinnsel lösen und mich im schlimmsten Fall umbringen würde, schien ihnen immer noch zu hoch. Diese endlose Krankengeschichte machte mich ziemlich verzweifelt, und ich fragte mich, was mein neuer Bekannter, was Gott damit wohl bezweckte. Aber natürlich fügte ich mich ins Schicksal. Was sollte ich auch tun? Das Wort »Patient« kommt schließlich vom lateinischen »patientia« – Geduld.
Aber zum Dank für mein Warten geschah dies: Nach etwa zwei Wochen durchfuhr ein starker Schmerz mein verletztes Knie. So hatte es seit kurz nach dem Angriff nicht mehr wehgetan. Was war das jetzt? Die Ärzte waren sehr besorgt und untersuchten mich auf Herz und Nieren. Aber sie fanden: nichts. Sie hatten keinerlei Erklärung für diese Knieschmerzen. Also flüchteten sie sich in die Vermutung, es handle sich um eine Überbelastung, und verschrieben mir Ruhe. Ruhe?! Davon hatte ich seit fünf Monaten nun wirklich mehr als genug gehabt. Irgendetwas in mir sträubte sich – und zum ersten Mal seit meiner Einlieferung begehrte ich auf. Ich passte den Arzt ab, dem ich am meisten vertraute, und sagte ihm: »Ich glaube, ich brauche keine Ruhe, sondern eine andere Umgebung. Ich möchte gern nach Israel fliegen. Habe ich Ihr Okay?« Der Arzt muss gespürt haben, dass es hier um mein Schicksal ging – und dass mein Wunsch mehr war als nur die Schnapsidee eines entnervten Patienten. Und so bekam ich wirklich sein Okay! Unglaublich. Noch aus dem Untersuchungszimmer rief ich meine Mutter an und bat sie, mir sofort ein Ticket nach Israel zu buchen, bevor die Ärzte es sich vielleicht wieder anders überlegten. Gott sei Dank verlief alles glatt, und so flog ich am 12. September 2005 nach Tel Aviv.
Obwohl es ziemlich holterdiepolter ging, hatte ich mich natürlich bei der Verwandtschaft angekündigt. Und sie freute sich auf mich – ich habe in Israel eine sehr herzliche und gastfreundliche Familie. Am Flughafen Ben Gurion erwarteten mich meine Cousinen Dorit und Liset. Nach der langen Reha im bayerischen Nirgendwo hatte mich das Getümmel so vieler Menschen am Flughafen und im Flugzeug ziemlich gestresst. Ich war deshalb innerlich sehr mit mir selbst beschäftigt, als ich aus dem Terminal gehumpelt kam. Trotzdem spürte ich schon bei der Begrüßung, dass die beiden etwas ausheckten. Ihre Fragen nach meinem Befinden und ihre Kommentare über die Krücken ihres früher so agilen Cousins waren merkwürdig kurz, und die beiden jungen Frauen wirkten irgendwie zerstreut.
Schließlich platzte Dorit heraus: »Hast du heute Abend Lust auf ein Schidduch mit unserer Freundin Miriyam? Ihr versteht euch bestimmt großartig!«
Ich war völlig überrumpelt. Was ein Schidduch ist, wusste ich immerhin: Die Partnervermittlung in der jüdisch-ultraorthodoxen Szene ist eine Art Blind Date. Aber wer war diese Miriyam? Und wieso gleich heute Abend? Ich war erschöpft vom Flug, mir steckten fünf Monate Krankenhaus und Reha in den Knochen, und jetzt wurde ich so überfallen.
Skeptisch, aber schon auch neugierig fragte ich zurück: »Wer ist das?« Ihre Freundin sei ein richtig liebes und tolles Mädchen, das beteuerten die Cousinen so lange, bis ich schließlich zustimmte.
Ich erfuhr, dass Miriyam ebenfalls erst heute am Flughafen angekommen war, sie sei gerade für zwei Wochen bei Verwandten in Belgien gewesen.
Meine Cousinen freuten sich wie Bolle, dass sie mich überredet hatten. Aber dann fing Liset plötzlich an, ganz wirres Zeug zu reden: »Eins musst du bitte beachten: Du darfst sie auf keinen Fall berühren! Nicht mal die Hand darfst du ihr geben!«
Ich dachte kurz, dass diese Miriyam vielleicht einen an der Klatsche habe, aber dann wurde mir erklärt, dass gläubige Juden besonderen Wert auf das Shmirat Negia legen, wie es in der Halacha, dem jüdischen Gesetz, heißt: Mann und Frau dürfen sich vor der Ehe nicht berühren. Ich nahm es hin – was hatte ich schon zu verlieren? Es klang für mich nach einem spannenden Kontrast zu dem, was ich bislang über das Kennenlernen von Frauen wusste.
Natürlich wollte ich wissen, was meine Cousinen ihrer Freundin über mich erzählt hatten, und kam ein wenig ins Schwitzen, als ich es hörte: »Unser Cousin in Deutschland ist ein richtiger Zaddik, ein weiser und gerechter Mann. Er empfindet eine unglaubliche Liebe zu Israel und zur Menschheit, und er hat ein so großes und warmes Herz!« Miriyam sei begeistert gewesen.
Ich hakte nach: »Habt ihr ihr denn auch erzählt, dass dieser weise und gerechte David keine Kippa trägt? Dass er Hebräisch spricht und versteht, es aber weder lesen noch schreiben kann? Dass er bis vor einem halben Jahr fast nur Partys im Kopf hatte? Dass er es mit dem Einhalten der Ge- und Verbote unserer Religion nicht so genau nimmt – schon weil er gar nicht alle kennt?«
Die beiden jungen Frauen sahen sich etwas verlegen an und meinten dann: »Sie soll dich doch erst mal unvoreingenommen kennenlernen. Also: Heute Abend um neunzehn Uhr dreißig trefft ihr euch am Cats Square in Jerusalem. Auf Hebräisch heißt das übrigens Kikar Hachatulot.«
Aus der Nummer kam ich nicht mehr raus. Immerhin war ich neugierig auf die Location, und auf das Blind Date auch. Und so fand ich mich pünktlich auf dem Platz ein und wartete auf ein liebes orthodoxes Mädchen – ohne mir etwas Genaues darunter vorstellen zu können. Und meine Miriyam wartete gleichzeitig auf diesen Zaddik – den weisen Thoraschüler mit Kippa, schwarzer Hose und weißem Hemd.
Doch ich war David Kraus. Und stand in meiner ausgewaschenen Diesel-Jeans und einem rosa Ralph-Lauren-Shirt am Cats Square herum. Ohne Kippa, dafür mit zwei Ohrringen. Nichts tat sich. Nun wusste ich ja, dass das mit der Pünktlichkeit in Israel lockerer gehandhabt wird als in Deutschland. Aber nach einer halben Stunde rief ich dann doch mal bei Liset an:
»Wo bleibt diese Miriyam denn? Also ich war pünktlich und stehe hier jetzt schon eine halbe Stunde rum.«
»Aber Miriyam ist doch schon seit einer Dreiviertelstunde da!«
»Oh, Mist! Und wo versteckt sie sich?« Ich war etwas frustriert, aber auch motiviert.
»Such sie einfach!«
Eine ganz clevere Idee … Und so schaute ich mich erneut gründlich um, fasste diesmal auch die Mädchen näher ins Auge, die ich bisher ausgeblendet hatte. Und plötzlich entdeckte ich eine junge Frau, die mit einem etwas frustrierten, aber doch auch motivierten Gesichtsausdruck in ihr Telefon sprach und sich dabei suchend umsah. Mit Liset am Ohr humpelte ich auf sie zu und fragte sie: »Sprichst du gerade mit Dorit?« Miriyam sah mich völlig überrascht an und sagte: »Ja.« Ich sprach in mein Handy: »Super, Liset, hab sie gefunden«, legte auf und stellte mich ihr vor: »Hey, ich bin David. Ich finde es wundervoll, dich kennenzulernen!«
Aber Miriyam sah nicht aus, als fände sie irgendetwas wundervoll. Sie war schockiert, und zwar nicht von meiner Krücke. Ihr Gesicht verriet überdeutlich, was sie gerade dachte: Was macht dieser ungläubige Junge hier in meiner Nähe? Und sie ergriff ohne zu zögern die Flucht. Der peinlichste Moment aller Zeiten für mich! Ich hatte das Gefühl, dass die ganze Welt mich ansah – mich, das Monster, das junge Frauen erschreckte.
Die Leute um uns herum sollten nicht merken, dass ich gerade den Korb meines Lebens bekommen hatte, deshalb humpelte ich so dezent wie möglich hinter ihr her: »Sorry, aber du kannst doch jetzt nicht einfach abhauen! Schließlich kommt alles von oben. Das weiß sogar ich!«
Ich dachte, das müsse sie als gläubige Jüdin doch überzeugen, aber sie meinte schlagfertig: »Stimmt, alles kommt von oben, aber es gibt auch ein Unten …«
Ich blieb dran: »Wie, unten? Willst du mir erzählen, dass ich der Teufel bin? Ich will doch nur einen Kaffee mit dir trinken, der so süß ist wie du.«
Spätestens jetzt hätte sie doch weich werden müssen, aber weit gefehlt: »Natürlich bist du nicht der Teufel! Aber im Leben stehen wir ständig vor Prüfungen – und du bist gerade meine! Es tut mir leid, nimm’s nicht persönlich, aber hier gibt es gerade ein riesiges Missverständnis.« Und sie begann immer schneller zu gehen.
Ihr weiter zu folgen wäre erstens zu auffällig und zweitens wegen der Krücke unmöglich gewesen. Aber in diesem Moment sprangen uns wie aus dem Nichts meine Cousinen Liset und Dorit entgegen. Mir klappte die Kinnlade runter. Ich fühlte mich...
Erscheint lt. Verlag | 2.11.2021 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Anleitung zum Glücklichsein • antisemitisch • antisemitischer Übergriff • Antisemitismus • aus Bayern • aus Israel • aus Jerusalem • Autobiographie • Autobiographie Rabbi • Autobiographisch • Bayern • bewältigen • Bewältigung • David Kraus • der fröhliche Rabbi • der glückliche Rabbi • Eddie Jaku • Erinnerungen • Familientherapeut • fröhlich • Glück • Glück finden • Glücklich • glücklich werden • Heilung • Inspirierend • Jerusalem • judenfeindlich • Judenfeindlichkeit • Judentum • Judentum Buch • Jüdisch • junger Rabbi • Knaur • Lebensgeschichte • Lebenshilfe • Lebensklugheit • Lebensweisheiten • Oliver Domzalski • Orthodox • Orthodoxes Judentum • Party • persönlich • Rabbi • Rabbi Buch • Rabbiner • Ratgeber • Regensburg • Resilienz • Schicksalsschlag • Therapeut • Thora • Unorthodox • Wahre GEschichte |
ISBN-10 | 3-426-46273-7 / 3426462737 |
ISBN-13 | 978-3-426-46273-7 / 9783426462737 |
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