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Geld oder Leben

Wie unser irrationales Verhältnis zum Geld die Gesellschaft spaltet
Buch | Hardcover
256 Seiten
2022 | 2. Auflage
Berlin Verlag
978-3-8270-1456-6 (ISBN)
CHF 30,80 inkl. MwSt
Warum wir über Geld reden müssen
Kaum ein Thema wird hierzulande so emotional diskutiert wie die Frage um Geld und Schulden. Die Deutschen sind Sparweltmeister, viele haben Angst vor Inflation und Verschuldung.

In einer fundierten Analyse deckt Marcel Fratzscher auf, warum wir uns oft täuschen, wenn es ums Geld geht. Er räumt auf mit lang tradierten Mythen, die unseren Umgang mit Geld, häufig unbewusst, prägen. Höchste Zeit, denn unser irrationales Verhältnis zum Geld spaltet die Gesellschaft – wirtschaftlich und sozial. Und es führt zu einer rasant wachsenden Ungleichheit.

Bessere Vorsorge
Der renommierte Ökonom zeigt anschaulich, was die Gesellschaft, was aber auch jeder und jede Einzelne tun kann, um gegenzusteuern und bessere Vorsorge für sich und andere zu treffen. Ein engagiertes Plädoyer wider blinden Sparzwang und für ein gerechteres, friedlicheres Leben aller.

Mehr finanzielle Bildung
„Wir brauchen dringend einen rationaleren Diskurs über Geld und dessen Bedeutung für jeden Einzelnen und für uns als Gesellschaft, und wir brauchen mehr finanzielle Bildung“, sagt Marcel Fratzscher. Unser verqueres Verhältnis zu Geld und Schulden verursacht einen immensen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Schaden, der sich in der Zukunft weiter potenzieren wird. Vermögen sind hierzulande so ungleich verteilt wie in kaum einer anderen westlichen Gesellschaft, viele Menschen können nicht vorsorgen. Gleichzeitig ist noch nie so viel gespart worden wie während der Pandemie – nur eben sehr ungleich.

Auswege aus der Chancenungerechtigkeit
Welche Wege aus diesem Ungleichgewicht führen, das über kurz oder lang politischen Sprengstoff entwickelt, zeigt der Wirtschaftsexperte in diesem erhellenden Buch.

Marcel Fratzscher ist Wissenschaftler, Autor und Kolumnist zu wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Themen. Er ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) - eines der führenden und unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitute und think tanks in Europa - und Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Mitglied des High-level Advisory Board der Vereinten Nationen zu den Nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs), Mitglied im Deutsch-Französischen Rat der Wirtschaftsexperten der Regierungen von Deutschland und Frankreich, Mitherausgeber des Journal of International Economics, Mitglied des Beirats des Bundeswirtschaftsministeriums und Mitglied des Kuratoriums der Hertie School of Governance. Er engagiert sich für Chancengleichheit von benachteiligten Kindern als Mitglied von Gremien der Kreuzberger Kinderstiftung, von Deutschland Rundet Auf und der Welthungerhilfe.Seine inhaltliche Arbeit fokussiert sich auf Themen der Makroökonomie, Ungleichheit und Integration Europas. Er hat seit 2014 drei Bücher in deutscher und englischer Sprache zu diesen Themen veröffentlicht, hat eine zwei-wöchentliche Kolumne auf Zeit Online zu Verteilungsfragen und veröffentlicht regelmäßig Kommentare in deutsch- und englischsprachigen Medien, wie der Financial Times, Wall Street Journal und Project Syndicate. Er ist einer der am besten publizierten deutschsprachigen Ökonomen und hat Auszeichnungen für seine wissenschaftlichen und publizistische Arbeiten erhalten. Er ist Deutscher und Europäer.

»Einer der profiliertesten Ökonomen unseres Landes, dem mit 'Geld oder Leben' ein interessanter Bestseller gelungen ist über unser irrationales Verhältnis zu Geld.« Markus Lanz Markus Lanz 20220315

»Einer der profiliertesten Ökonomen unseres Landes, dem mit ›Geld oder Leben‹ ein interessanter Bestseller gelungen ist über unser irrationales Verhältnis zu Geld.« Markus Lanz

»In einer fundierten Analyse deckt Marcel Fratzscher auf, warum wir uns oft täuschen, wenn es ums Geld geht.« Dolomiten

»Dieser spannend zu lesende Ratgeber bietet nicht nur einen ausführlichen Überblick über das Sparen, er geht auch auf die vor und Nachteile von Schulden und Staatsschulden ein.« Kamikaze Radio

»Das ist ein Buch, das allen zu empfehlen ist, die gerade auch aus einer ökonomischen Laienposition heraus verstehen wollen, was es mit Wirtschaft, was es mit Geld, was es mit Finanzen, mit Sparen, Inflation und so weiter auf sich hat.« „Freitag Podcast“

»Empfohlen zur weiteren Vertiefung.« „Empfohlen zur weiteren Vertiefung.“

Einleitung Als die Menschen in Deutschland 2021 in einer repräsentativen Umfrage gefragt wurden, was sie sich für die Zukunft vornehmen, antworteten sie, dass sie vor allem mehr sparen wollen. Mehr zu sparen – so das Ergebnis der Umfrage –, ist mehr Menschen wichtig, als umweltbewusster zu leben, mehr Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen oder regelmäßig zur gesundheitlichen Vorsorge zu gehen. Dabei haben wir fast nie zuvor so viel gespart wie während der Corona-Pandemie. Es gibt hierzulande kaum ein emotionaleres Thema als Geld und Schulden. Wir unterscheiden uns dabei stark von anderen Nationen. Wir sparen nicht nur mehr, sondern anders, nehmen häufiger Gefahren für unser Geld wahr und lehnen Schulden so vehement ab wie kaum jemand anders auf der Welt. Die Vorstellung, Schulden seien schlecht und moralisch verwerflich und Sparen etwas Gutes, ist zu einer Grundüberzeugung und Teil unserer Identität geworden. Staat und Gesellschaft fördern das Sparen und schützen Vermögen und wollen den Bürgerinnen und Bürgern eine maximale Sicherheit und Schutz ihres Ersparten ermöglichen. Mit viel Sexismus wird gern von den Tugenden der schwäbischen Hausfrau gesprochen, die niemals mehr ausgibt, als sie einnimmt, die Geld auf die hohe Kante legt und jeden Cent zweimal umdreht. Dieses Idealbild steht für einen Menschen, der durch harte Arbeit und Entbehrungen langsam und stetig Erspartes ansammelt und Vermögen aufbaut. Erst wenn dies gelungen ist, wird er oder sie das Geld für ein Eigenheim, für den Konsum oder in die Zukunft investieren. Das Verhältnis von uns Deutschen zum Geld ist geprägt von Angst, Scham und Schuld. Wir haben große Angst vor einer Inflation und fürchten eine Enteignung durch die Geldentwertung. Für viele sind Geld und Moral eng miteinander verbunden, und ein tugendhaftes Leben gilt als eines, das von Bescheidenheit geprägt ist. Vermögen wird nicht nach außen getragen, aber nach dem Tod möglichst reichlich an die eigenen Kinder und Enkel weitergegeben. Wir empfinden es als schamlos, wenn wir unser Geld und den damit verbundenen Erfolg zur Schau stellen. Und Schulden werden nicht selten mit Scheitern verbunden, in der Schuld anderer zu stehen und über die eigenen Verhältnisse zu leben. Ganz anders ist es in vielen anderen Ländern, vor allem der angelsächsischen Welt. Hier wird ein tugendhaftes Leben mit einem offenen, selbstbewussten Umgang mit wirtschaftlichem Erfolg assoziiert. Und der schließt die Rückgabe eines großen Teils des Wohlstands an die Gesellschaft ein. Der Schutz des Ersparten durch den Staat wird hierzulande als Teil eines impliziten Gesellschaftsvertrags verstanden. Viele halten es für ihr Grundrecht und die Pflicht des Staates, dass Sparen honoriert und belohnt wird. Die Tatsache, dass Sparerinnen und Sparer keine Zinsen mehr auf ihrem Sparbuch erhalten, wird von vielen als implizite Enteignung und Missbrauch wahrgenommen. Die Empörung über die Nullzinsen, die für die meisten Spareinlagen gelten, ist daher groß. Und gleichzeitig ist die Angst vor einer steigenden Inflation enorm. Populisten in Politik und Medien haben leichtes Spiel, dem Euro, der Europäischen Zentralbank und Europa die Schuld dafür zu geben. Wir Deutschen werden um ein fundamentales Existenzrecht betrogen, so die weitverbreitete Auffassung. Die zentrale These des Buches lautet: Unser Verhältnis zu Geld und Schulden ist geprägt von Widersprüchen und spaltet unsere Gesellschaft. Es führt dazu, dass Vermögen so ungleich verteilt sind wie in kaum einer anderen westlichen Gesellschaft und zunehmend weiter auseinanderklaffen. Viele Menschen haben so viel Angst um ihr Erspartes, dass sie falsche Sparentscheidungen treffen und einen Teil ihres Vermögens verlieren. Hinzu kommt, dass den Bürgern noch immer das Versprechen vermittelt wird, der Sozialstaat würde ausreichend Vorsorge für alle betreiben. Für viele kommt das böse Erwachen erst spät, wenn sie realisieren, dass sie finanziell vom Sozialstaat abhängig sind und ihre finanzielle Autonomie verloren haben. Woher kommt diese Moralvorstellung? Warum sind wir Deutschen so eigen und so anders in Bezug auf Geld und Schulden? Eine der Ursachen liegt in der deutschen Geschichte begründet. Sie ist geprägt von zwei großen Geldentwertungen im 20. Jahrhundert sowie einer Phase der Deflation, die eine wichtige Rolle beim Aufstieg der Nazis gespielt hat. Genauso relevant sind die Folgen des Zweiten Weltkriegs und des Wiederaufbaus, um unser Verhältnis zum Geld zu verstehen. Auch Religion und die Werte des Protestantismus wie auch die politische Fragmentierung des Landes im 18. und 19. Jahrhundert spielen eine Rolle. Vor allem aber gab und gibt es immer wieder eine starke Politisierung des Sparens, wobei private Ersparnisse für politische Ziele mobilisiert und instrumentalisiert wurden und werden. Das deutsche Weltbild in Bezug auf Geld und Sparen ist von Widersprüchen geprägt. Sparen auf dem Sparkonto ist zum Beispiel nur dann möglich, wenn jemand anders gewillt ist, das Ersparte als Kredit aufzunehmen. Sparen und Schulden sind also zwei Seiten derselben Medaille; dass alle sparen, ist logischerweise entsprechend nicht möglich. Sparen ist also nicht immer richtig und moralisch gut, und Schulden sind nicht per se schlecht und verwerflich. Häufig trifft sogar das Gegenteil zu. Es kommt auf die richtige Balance zwischen Sparern und Schuldnern an, beide benötigen einander. Heute zu sparen, bedeutet einen Verzicht und weniger Wohlstand in der Gegenwart. Menschen sind nur dann gewillt, eine solche Entbehrung einzugehen, wenn sie sicher sein können, dieses Ersparte wachsen zu sehen und in der Zukunft nutzen zu können. Daher spielt die Art der Verschuldung der anderen für die Sparerinnen und Sparer eine wichtige Rolle. Denn wenn Privatpersonen, Unternehmen oder der Staat dieses Ersparte umsichtig in die Zukunft investieren, entsteht nicht nur eine gute Rendite für die Sparer, sondern auch gesellschaftlicher Wohlstand mit neuen Arbeitsplätzen, produktiven Jobs und Schutz von Klima und Umwelt. Eine weitere Inkonsistenz ist der weitverbreitete Glaube, Geld solle nicht mit Risiko verbunden sein. Das erklärt zu einem großen Maße, warum wir Deutschen zwar außergewöhnlich viel, aber auch außergewöhnlich schlecht sparen. Viele halten das Sparen in Aktien für ein Spiel in der Lotterie. Sie haben Angst vor Schulden und erwerben deshalb kein Eigenheim oder können es sich schlichtweg nicht leisten. In kaum einem anderen Land der Welt liegt ein so großer Anteil des Ersparten eines erheblichen Teils der Bevölkerung in Form von Spareinlagen auf Bankkonten, die seit Jahren keine Zinsen mehr abwerfen. Während Eigentümer von Immobilien oder Aktien in den vergangenen zehn Jahren jährliche Renditen von über zehn Prozent erzielen und viel zusätzliches Vermögen aufbauen konnten, ist das Ersparte auf den Sparkonten nicht gewachsen, sondern real nach Inflation sogar geschrumpft. Hinzu kommt die Illusion, dass Menschen durch harte Arbeit ihres eigenen Glückes Schmied sind und selbst Vermögen aufbauen könnten. Das trifft auf immer weniger Menschen in Deutschland zu, denn kaum ein Land hat einen so großen Niedriglohnsektor und so viele Haushalte, die auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Mieten und Lebenshaltungskosten sind in vielen Städten noch stärker angestiegen als die Löhne. Zahlreiche Menschen benötigen ihr komplettes monatliches Einkommen für das tägliche Leben. Wenn Sie heute Menschen mit größeren Vermögen begegnen, dann ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie das Vermögen geerbt, als dass sie es mit eigenen Händen erarbeitet haben. Denn mehr als die Hälfte aller privaten Vermögen heute – dazu gehören finanzielle Ersparnisse, Aktien, Immobilien oder Unternehmensanteile – sind durch Erbschaften oder Schenkungen erzielt worden. Nur ein kleiner Teil der Bürgerinnen und Bürger erbt dabei ein erhebliches Vermögen, sodass Erbschaften und Schenkungen die Ungleichheit vergrößern. Denn in Deutschland ist die soziale Mobilität gering. Und auch Einkommen und Bildung der Kinder hängen deutlich stärker von den Eltern ab als in anderen vergleichbaren Ländern. Kaum ein Land der Welt besteuert Arbeit stärker und Vermögen geringer. Im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder den USA erzielt Deutschland kaum ein Drittel an Steuereinnahmen aus Vermögen. Das Steuersystem eines Landes spiegelt immer auch die grundlegenden Moralvorstellungen der Gesellschaft wider. Was sagt es über unsere Gesellschaft, dass kaum ein Land Arbeit noch stärker besteuert und Vermögen noch privilegierter behandelt? Das Resultat ist, dass in kaum einem anderen Land in Europa eine höhere Ungleichheit von Vermögen und Ersparnissen existiert als in Deutschland. 40 Prozent der Deutschen haben praktisch kein Erspartes und verlassen sich auf die Versprechen des Staates. In fast keinem Industrieland hat ein so großer Teil der Menschen so wenig an Erspartem und ist somit so stark abhängig vom Sozialstaat. Deutschland hat einen starken Sozialstaat, wie dies in kaum einem anderen Land der Welt der Fall ist. Manche Menschen mögen sich in ihrem Spar- und Konsumverhalten auf einen starken Sozialstaat verlassen, aber viele können schlichtweg nicht sparen, um Vermögen aufbauen und Vorsorge betreiben zu können. Und: Geld allein macht nicht glücklich. Gesundheit, eine intakte Umwelt, sozialer Friede und gesellschaftlicher Zusammenhalt, gute und erfüllende Arbeit, Autonomie und Freiheit sowie viele andere Dinge, die ein zufriedenes Leben und eine erfolgreiche Gesellschaft ausmachen, werden nicht durch hohe Ersparnisse und eine Verteufelung von Schulden per se erreicht. Ganz im Gegenteil. Deutschland steht heute an einem Wendepunkt. Zukunftsinvestitionen in den Schutz von Klima und Umwelt, in die wirtschaftliche Transformation und die soziale Erneuerung unserer Gesellschaftsstrukturen sind wichtiger denn je. Sie erfordern, dass sich der Staat mittelfristig bei seinen Bürgerinnen und Bürgern stärker verschuldet, um diese Aufgaben erfüllen und Schulden auch langfristig besser bedienen zu können. Dieses Bewusstsein sollte sich in unserem Gesellschaftsvertrag widerspiegeln. Im gesellschaftlichen Dialog sollte es nicht um die Frage der heutigen Schulden und Schuld gehen, sondern darum, wie das viele Vermögen und der enorme Wohlstand genutzt werden können, um gesellschaftliche Ziele zu erreichen und den legitimen Ansprüchen künftiger Generationen gerecht zu werden. Zukunftsinvestitionen in Klimaschutz, wirtschaftliche Transformation und soziale Erneuerung sind Teil einer solchen Generationengerechtigkeit. Seit zwanzig Jahren arbeite und forsche ich zu Geld, Geldpolitik und Finanzpolitik. Über zehn Jahre habe ich für die Europäische Zentralbank (EZB) gearbeitet und war während dieser Tätigkeit viel in der Welt unterwegs, um die Positionen Europas zu vertreten und zu erklären. Immer wieder bin ich dabei mit großer Verwunderung auf das ungewöhnliche Verhältnis von uns Deutschen zu Geld und Schulden angesprochen worden. Immer wieder war die Frage, warum wir Deutschen denn so anders sind. Und immer wieder war meine Reaktion als Mensch und Bürger, unser Verhalten zu erklären und sogar zu verteidigen – obwohl es keiner Rechtfertigung von Werten und Identität bedarf. Als Experte und Wissenschaftler habe ich mich mit dieser Erklärung schwergetan, zu komplex und stark schienen die Widersprüche. Dieses Buch ist ein Versuch, unser Verhältnis zu Geld und Schulden, zu Zinsen und Inflation und deren Rolle in unserer Gesellschaft zu verstehen. Der Ursprung von Werten und Identitäten mag schwer zu erklären sein. Die Konsequenzen dagegen sind offensichtlich, und sie sind ein ernsthaftes Problem für unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft. Die gute Botschaft ist: Es gibt längst Lösungen für die Ängste und Sorgen, die die Menschen bewegen, sie sind nur nicht bekannt genug. Ein wichtiges Anliegen dieses Buches ist, das zu ändern. Es soll helfen, uns bewusst zu machen, was wirklich wichtig ist im Leben, und besser Vorsorge zu betreiben. Dafür sind eine bessere finanzielle Bildung und eine Umgestaltung der Sozialsysteme und des Arbeitsmarktes unabdingbar. Dies gibt uns mehr Autonomie, Freiheit und Eigenverantwortung. Das Steuersystem muss sich grundlegend wandeln, um bestehende Asymmetrien und Nachteile vor allem für die Schwächsten zu beheben. Nur dadurch kann eine Verteilung von Geld und Vermögen ermöglicht werden, die von der Gesellschaft als gerecht und fair empfunden wird. Wir als Gesellschaft benötigen einen rationalen Diskurs über Geld und dessen Bedeutung für jeden Einzelnen und für uns als Gesellschaft. Wir müssen aufräumen mit den falschen Mythen und moralischen Fehlurteilen über den Umgang mit Geld in der Wirtschaft und in der Gesellschaft. Denn Geld an sich hat keinen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder moralischen Wert, sondern nur die Dinge, die durch den klugen Einsatz von Geld möglich gemacht werden. 1. Die Moral vom guten Sparen Wir Deutschen gefallen uns in der Rolle des Sparweltmeisters. Stolz betrachten wir uns als Land, in dem die Menschen gern und viel sparen. Wir legen Geld auf die Seite, um bescheidenen oder großen Wohlstand anzuhäufen, uns gegen Notfälle abzusichern oder fürs Alter vorzusorgen. Sparsamkeit gilt als Tugend, die Kinder schon von klein auf lernen sollen. Das Bild solch moralisch vorbildlichen Verhaltens gipfelt – gern mit sexistischen Anklängen – im Ideal der viel zitierten schwäbischen Hausfrau. Sie dreht jeden Euro zweimal um. Sie hasst Verschwendung und überflüssige Ausgaben, sichert ihr Geld doppelt und dreifach gegen Risiken ab. Anschaffungen oder Investitionen tätigt sie nur nach gründlicher Abwägung und – wenn ausreichend Geld vorhanden ist. Denn Kontoguthaben sind gut, und Schulden sind schlecht. Im internationalen Vergleich blicken wir deshalb misstrauisch und mit erhobenen Augenbrauen auf anders funktionierende Nachbarländer im Süden, die wir angesichts ihrer Staatsschulden als spendierfreudig, zügellos oder maßlos betrachten. Haushaltsdisziplin ist uns ein hohes Gut und ein Zeichen von Weisheit. Dabei handeln wir nicht unbedingt egoistisch, sondern meinen häufig, unser Verzicht sei verantwortungsbewusst oder gar selbstlos. Wir wollen den Kindern keine Schulden hinterlassen, sondern etwas ansparen, damit sie es „einmal besser“, zumindest aber „einen guten Start ins Leben“ haben. Wer spart, soll aber auch belohnt werden. Hohe Zinsen halten wir deshalb nicht nur für gut und richtig, sondern – wenn man der öffentlichen Debatte folgt – für ein Bürgerrecht; Niedrigzinsen empfinden wir als Enteignung. So weit die Theorie des Selbstbilds. Aber – stimmt das auch? Sind wir Deutschen wirklich so? Sparen wir mehr und klüger als andere? Und sind wir und unsere Kinder tatsächlich so gut für die Zukunft abgesichert? Die Fakten zeigen ein anderes Bild. Aber erst einmal zu den Definitionen von Geld und Vermögen. Der Begriff Geld umfasst sowohl Bargeld (Münzen und Scheine) als auch Zentralbankgeld und Giralgeld im Bankensystem. Es erfüllt drei Grundfunktionen: als Recheneinheit, um den gängigen Wert von Gütern und Dienstleistungen vergleichbar und messbar zu machen; die Funktion der Wertaufbewahrung, sodass der Wert der Geldeinheiten über die Zeit stabil bleibt; und schließlich die Funktion als Tauschmittel, was eine hohe Akzeptanz und Vertrauen in eine Einheit als Geld voraussetzt. Der Begriff des privaten Vermögens ist deutlich breiter und enthält sowohl Geld als auch andere Werte wie Immobilien, Finanzvermögen (Aktien und Anleihen), Lebensversicherungen, Betriebsvermögen und langfristige Konsumgüter wie Autos. Der Begriff „Vermögen“ beinhaltet, dass ein Wert relativ leicht in Geld umgewandelt werden kann. Es erfüllt daher die Funktion der Liquidität (auch wenn diese sehr unterschiedlich über Vermögenswerte verteilt ist). Das bedeutet beispielsweise, dass sogenannte Kryptowährungen nicht wirklich Geld sind, auch wenn sie die Eigenschaften von Vermögen erfüllen mögen. Wieso spielt Sparen eine so große und identitätsstiftende Rolle in unserer Gesellschaft? Warum reicht es uns nicht, hart zu arbeiten und die Früchte dieser Arbeit hier und heute zu genießen oder zu investieren? Warum wollen wir sie für eine ungewisse Zukunft „aufsparen“? Und wieso werden Schulden und Schuldner so kritisch gesehen? Warum ist unser Sparverhalten im internationalen Vergleich so ungewöhnlich? Was wir glauben – Die Wahrnehmungslücke Eine Frage an Sie als Leserin oder Leser: Was schätzen Sie, wie ist das private Vermögen in Deutschland verteilt? Wie hoch ist der Anteil des gesamten privaten Nettovermögens, den die 40 Prozent der Menschen mit den geringsten Vermögen haben? Ist es nahe 40 Prozent? Dann wäre das Vermögen nahezu gleich verteilt. Oder ist es geringer, und um wie viel genau? Nettovermögen bedeutet, dass von den Vermögen die Verbindlichkeiten abgezogen werden. Dies können Konsumentenkredite für das Auto sein oder die Hypothek für die Wohnung oder das Haus. Dieses Nettovermögen ist für viele Menschen wichtig, nicht nur, um einen Kredit von der Bank für dringend benötigte Ausgaben erhalten zu können, sondern auch für die Vorsorge im Alter. Umfragen zufolge schätzen wir Deutschen im Durchschnitt, dass die 40 Prozent mit den geringsten Vermögen knapp zehn Prozent des gesamten privaten Nettovermögens in unserem Land halten. Die Wahrheit ist jedoch ganz anders: Die unteren 40 Prozent haben lediglich ein Prozent des gesamten privaten Nettovermögens. Mehr als zehn Prozent der Deutschen sind sogar netto verschuldet, haben mehr Verbindlichkeiten als Vermögenswerte. Pfandleihen haben Hochkonjunktur, da Menschen ihr Handy oder das Erbstück der Oma in dringend benötigtes Geld eintauschen in der Hoffnung, es in den kommenden Monaten irgendwie wieder auslösen zu können. Oft entpuppt sich die erhoffte Überbrückung jedoch als dauerhafter Verkauf – nicht immer zu den besten Konditionen. Auch Privatinsolvenzen und Zwangspfändungen sind immer häufiger an der Tagesordnung. Und dann gibt es viele, die zwar nicht mit Schulden kämpfen, aber mit ihrem Geld gerade so über die Runden kommen. Es reicht gerade, um die Ausgaben zu bestreiten, es bleibt aber nichts übrig, was zur Seite gelegt werden kann. Den Lebensunterhalt zu bestreiten, verschlingt jeden Euro. Eine Wahrnehmungslücke beschreibt die Kluft zwischen dem, was ist, und dem, was wir glauben, wie es ist. Diese Wahrnehmungslücke ist in Bezug auf Vermögen besonders groß. Die allermeisten von uns realisieren nicht, dass fast 40 Prozent der Deutschen praktisch keine Vermögen haben, und noch weniger, was das bedeutet. Wir überschätzen aber nicht nur die finanzielle Lage der Menschen am unteren Ende der Vermögensskala. Wir haben auch Schwierigkeiten, unsere eigene Position richtig einzuordnen: 83 Prozent der Deutschen glauben, sie gehören zur ärmeren Hälfte der Bevölkerung, also zu der Hälfte, die weniger Vermögen hat als die andere Hälfte. Nur 17 Prozent nehmen korrekt wahr, dass sie zur reicheren Hälfte gehören. Vielleicht wollen es einige auch nicht realisieren, denn Reichtum wird generell in unserer Gesellschaft mit einem gehörigen Stück Skepsis gesehen. Nicht nur der CDU-Politiker Friedrich Merz, sondern viele mit sehr hohen Einkommen würden sich selbst gerne als Teil der Mittelschicht sehen. Aber was wir wohl alle gemeinsam haben: Wir realisieren nicht, wie wenig Erspartes viele Menschen haben. Was wir wollen – Die Gerechtigkeitslücke Hinzu kommt eine Gerechtigkeitslücke: Die Menschen wünschen sich und sehen es als gerecht an, dass die ärmsten 40 Prozent der Bevölkerung ein Viertel, also 25 Prozent aller Nettovermögen besitzen sollten. Sie schätzen zehn Prozent und wünschen sich 25 Prozent. Damit ist die geschätzte Wahrnehmungslücke 2,5-mal größer als die gewünschte. Diese reale Gerechtigkeitslücke ist jedoch 25-mal so groß wie die gewünschte: Ein Viertel aller Vermögen sollten bei den ärmeren 40 Prozent der Bevölkerung liegen. In der Realität hat dieser große Bevölkerungsteil jedoch nur knapp ein Prozent. Was empfinden wir Deutschen in Bezug auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen als gerecht? Viele Diskussionen zu dieser Frage sind von Anfang an zum Scheitern verurteilt, weil die Diskutanten ein vollkommen unterschiedliches Verständnis von diesem Konzept haben. Den einen geht es um die Gleichheit von Einkommen und Vermögen (Gleichheitsprinzip); den anderen darum, dass die unterschiedlichen Ansprüche einzelner Gruppen und Individuen befriedigt werden (Anspruchsprinzip). Wiederum andere verbinden Gerechtigkeit mit der Frage, ob Menschen für ihre gesellschaftliche Leistung belohnt werden (Leistungsprinzip) oder ob Menschen ihre Grundbedürfnisse decken können (Bedarfsprinzip). Oftmals wird die Frage der „Spaltung der Gesellschaft“ auch an einer Diskussion über diese Fragen festgemacht. Die positive Botschaft ist: Laut einer Studie meiner DIW-Berlin-Kolleginnen und -Kollegen sind wir uns über Parteigrenzen, Alter und Status hinweg ungewöhnlich einig, worum es uns bei Gerechtigkeit geht: um Leistung und um Bedürfnisse. Eine gerechte Gesellschaft ist für den Großteil der Deutschen also eine, in der Leistung honoriert wird und gleichzeitig alle Menschen ihre Grundbedürfnisse befriedigen können. Dagegen spielen Gleichheit und Ansprüche eine deutlich untergeordnete Rolle. Und dennoch zeigen Umfragen – unter anderem des Statistischen Bundesamtes – immer wieder: Die Mehrheit in unserem Land empfindet die Gesellschaft als ungerecht oder sehr ungerecht. Manche behaupten, solche Umfragen seien falsch oder die Menschen seien verwöhnt, da es Deutschland wirtschaftlich so gut geht wie selten in den vergangenen vierzig Jahren. Und schließlich sagt die Mehrheit der Deutschen, es gehe ihnen selbst wirtschaftlich gut. Beides, dass Deutschland derzeit wirtschaftlich gut dasteht und dass viele die eigene Lage positiv beurteilen, ist richtig. Es ist jedoch auch kein Widerspruch, dass es einem persönlich gut geht, man aber gleichzeitig die Gesellschaft als ungerecht empfindet. Es zeigt vielmehr, dass vielen Deutschen Solidarität wichtig ist. Sie wollen in einer Gesellschaft leben, in der es nicht nur ihnen selbst, sondern allen einigermaßen gut geht und in der Leistung honoriert wird. Um in der Gerechtigkeitsdebatte voranzukommen, müssen wir uns also den Fragen widmen, was Leistung ist und wer die viel beschworenen Leistungsträger unserer Gesellschaft sind. Sind es die Besserverdiener, deren hohe Einkommen in den vergangenen zwanzig Jahren noch mal deutlich nach oben geklettert sind – die daher einen hohen und steigenden Anteil aller Steuern zahlen? Oder sind es der Altenpfleger und die Kita-Erzieherin, die trotz eines vergleichsweise geringen Einkommens und erheblicher körperlicher und psychischer Belastung wichtige, unverzichtbare und verantwortungsvolle Aufgaben für unsere Gesellschaft übernehmen? In Deutschland arbeiten heute 20 Prozent aller Beschäftigten im Niedriglohnbereich. Dieser Anteil ist fast doppelt so groß wie in Frankreich oder Skandinavien. Und weiterhin erhalten Frauen in Deutschland 21 Prozent weniger Lohn für ihre Arbeit als Männer. Auch diese Lohnlücke ist hierzulande deutlich größer als in den meisten anderen europäischen Ländern. Heißt das folglich, dass der Anteil der „Minderleister“ in Deutschland doppelt so hoch ist wie in anderen Ländern? Oder dass Frauen in Deutschland eben deutlich weniger leisten als in anderen Ländern? Oder ist es so, dass ihre Leistung nicht angemessen honoriert wird? Besonders oft trifft auf Frauen, wer der Frage nachgeht, welche Menschen in Deutschland Schwierigkeiten haben, die Grundbedürfnisse ihres Lebens zu decken – also einem Armutsrisiko ausgesetzt sind. Sehr oft sind es Frauen mit Kindern. Mehr als jede und jeder vierte Alleinerziehende, meist Mütter, ist von Armut bedroht – deutlich mehr als in mit Deutschland vergleichbaren Ländern. Tendenz steigend. Darüber hinaus sind es vor allem alleinstehende Frauen, denen Altersarmut droht. Das Armutsrisiko ist in den letzten 15 Jahren des Wirtschaftsbooms angestiegen. Im Jahr 2018 lebte in Deutschland fast jeder Sechste unterhalb der Armutsrisikoschwelle, die für einen Ein-Personen-Haushalt bei 1040 Euro lag. Dabei geht es den Menschen meist nicht um Neid, also darum, den finanziell erfolgreichen Menschen ihr gutes Einkommen nicht zu gönnen; sondern es geht um die Wahrnehmung vieler Menschen mit geringen Einkommen, Vermögen und Chancen – dass ihre persönliche Leistung nicht ausreichend honoriert und respektiert wird. Am Anfang der Corona-Pandemie fiel auf einmal der Begriff „Leistungsträger der Gesellschaft“ nicht im Zusammenhang mit Managern, Unternehmern, Politikern oder anderen Großverdienern. Plötzlich waren Krankenpflegerinnen gemeint, Supermarktkassierer, Erzieherinnen, für die abends auf dem Balkon geklatscht wurde. Diese Welle der Anerkennung ebbte jedoch schneller wieder ab als die Corona-Krise selbst. Konkret verbessert hat sich für die meisten der Beklatschten nichts – weder in Bezug auf ihre Bezahlung noch auf die Arbeitsbedingungen oder die Wertschätzung.

Erscheinungsdatum
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Maße 138 x 220 mm
Gewicht 486 g
Einbandart gebunden
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Beruf / Finanzen / Recht / Wirtschaft Geld / Bank / Börse
Sozialwissenschaften
Schlagworte Aktien • Aktienfonds • Aktienmarkt • Anlage • DAX • Deflation • DIW • Erspartes • ETF • Eurobonds • Finanzen • Finanzkrise • Geld • Geldentwertung • Geldmarkt • Geldneurose • Hartz IV • Hyper-Inflation • Inflation • Kapital • Kapitalflucht • Kapitalmarkt • Kleinanleger • kryptowährungen • Minus-Zinsen • Schulden • Sparbuch • Sparen • Sparer • Sparweltmeister • Staatsanleihen • Vermögen • Vorsorge • Wirtschaft • Wirtschaftspolitik • Zinsen
ISBN-10 3-8270-1456-5 / 3827014565
ISBN-13 978-3-8270-1456-6 / 9783827014566
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