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Zwischen Globalismus und Demokratie (eBook)

Politische Ökonomie im ausgehenden Neoliberalismus
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
500 Seiten
Suhrkamp Verlag
978-3-518-76626-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zwischen Globalismus und Demokratie - Wolfgang Streeck
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»Wolfgang Streeck ist der Polanyi unserer Zeit.« Perry Anderson

In der Hochphase des Neoliberalismus galt die Globalisierung als unvermeidlich und die umverteilende Demokratie als überholt. Wachsender Wohlstand für alle war das Versprechen, wachsende Unfähigkeit, die kapitalistische Ungleichheitsmaschine zu bändigen, ist das Ergebnis. Taumelnde Volksparteien, schrumpfende Gewerkschaften sowie grassierende Zweifel an der Leistungsfähigkeit demokratischer Institutionen sind die eine Folge dieser Entwicklung. Die andere sind Bewegungen wie die »Gelbwesten« sowie neue Parteien an den Rändern des politischen Spektrums. Längst hat in vielen Ländern ein Tauziehen um die politische Ordnung begonnen, das die Gesellschaften zu zerreißen droht.
Angesichts dieser Situation ist die Zeit reif für eine grundlegende Entscheidung, sagt Wolfgang Streeck in seinem fulminanten neuen Buch. Soll es mit dem Umbau des Staatensystems weitergehen wie gehabt, das heißt in Richtung einer noch stärkeren überstaatlichen Zentralisierung? Oder wäre der Weg in eine moderne, auf friedliche Kooperation ausgerichtete »Kleinstaaterei« die bessere Lösung? Mit dem Ziel einer Neubegründung demokratischer Politik vor Augen fällt sein Votum eindeutig aus: für den zweiten Weg, auch und gerade in Europa. Denn schon die EU, wie wir sie kennen, ist Streeck zufolge nicht demokratisierbar.



<p>Wolfgang Streeck, geboren 1946, war bis 2014 Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Academia Europaea, Korrespondierendes Mitglied der British Academy sowie Honorary Fellow der Society for the Advancement of Socio-Economics. Sein Buch <em>Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus </em>war 2013 für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik nominiert und wurde bislang in 17 Sprachen übersetzt.</p>

Vorwort


Dieses Buch steht, wie vieles, was heute geschrieben wird, in der Tradition Karl Polanyis. Gegenstand jeder politischen Ökonomie in seiner Nachfolge, theoretisch wie praktisch, ist die gesellschaftliche Einbettung der unter dem Liberalismus losgelassenen kapitalistischen Ökonomie – die Sozialisierung der Ökonomie zur Verhinderung der Verwirtschaftung der Gesellschaft. Einbettung heißt Rückgewinnung gesellschaftlicher Kontrolle über den Selbstlauf selbstregulierender Märkte. Aber keine Einbettung ohne Bett. So kommt die Staatsfrage ins Spiel und die Politik kehrt in die politische Ökonomie zurück. Kapitalismustheorie verlangt nach Staatstheorie. Aber wie muss ein Staat aussehen, mit dem die Rückbettung einer kapitalistischen Ökonomie in den Wirkungskreis demokratischer, den oligarchischen Elitismus des Marktes egalitär korrigierender Politik möglich wäre?

Eine Gesellschaft, die eine kapitalistische Wirtschaft einbetten will, benötigt einen regierungsfähigen Staat. Und nicht nur das. Wenn Einbettung Gestaltbarkeit kraft egalitärer Demokratie bedeuten soll – und nichts anderes bedeutet sie jedenfalls bei Polanyi –, dann muss der Staat, in den eingebettet wird, demokratischer Beeinflussung und Willensbildung zugänglich sein. So werden Struktur, Verfassung, Architektur von Staatlichkeit zum Gegenstand einer politischen Theorie des Kapitalismus, und politische Ökonomie muss sich für eine Institutionentheorie öffnen, in der es nicht um »den Staat« im Allgemeinen geht, sondern um historisch real existierende Staaten in historisch real existierenden Staatensystemen, die die Handlungsfähigkeit ihrer Staaten befördern, begrenzen oder zunichtemachen. Deshalb beschäftige ich mich in diesem Buch mit der Struktur von Staatlichkeit und dem Kampf um diese, in Weiterverfolgung und Ausweitung früherer Untersuchungen über die Krisen des Kapitalismus und das Verhältnis von Kapitalismus und Demokratie im 21. Jahrhundert (Streeck 2015b; 2016a).

Nicht, dass das Thema bei Polanyi nicht präsent wäre. Polanyi war Ökonom, Historiker, Anthropologe, aber er war gewiss kein marxistischer Systemtheoretiker. Der turbulenten Politik seiner Zeit, der nationalen wie der internationalen, hat er niemals den Versuch angetan, sie in ein abstraktes Schema irgendeines Histo- oder gar Diamats einzuzwängen. Ähnlich wie der späte Friedrich Engels war er sich der wie auch immer »relativen« Autonomie staatlichen Handelns und vor allem der konstitutiven Offenheit historischer Ausgänge elementar bewusst. Es war denn auch ein Aufsatz Polanyis aus dem Jahr 1945, der letztlich den Anstoß zu diesem Buch gegeben hat – ein Aufsatz, in dem die Möglichkeit einer Bändigung, einer Domestizierung und, vielleicht, Überwindung des Kapitalismus vor dem Hintergrund der politischen Weltlage am Ende des Zweiten Weltkriegs diskutiert wird und in dem internationale, zwischenstaatliche Beziehungen als Bedingungskonstellationen für eine den Kapitalismus vergesellschaftende demokratische Politik behandelt werden (Polanyi 1945). Keine antikapitalistische Innenpolitik ohne zu ihr passende, sie ermöglichende Außen- und Weltpolitik, ohne ein ihr günstiges Staatensystem; kein Verständnis der Innenpolitik eines Staates ohne Berücksichtigung seiner Einbettung in ein internationales Staatensystem; kein Verständnis der Außenpolitik innerhalb eines Staatensystems ohne Berücksichtigung der Innenpolitik seiner Mitgliedstaaten. Dieser Zusammenhang ist die Prämisse auch dieses Buchs.

Mein Ansatz, die Problematik einer politisch-ökonomisch einbettungsfähigen Staatlichkeit in einer zeithistorischen, durchaus auch zeitdiagnostischen Perspektive zu behandeln, scheint mir im Übrigen ganz im Sinne Polanyis zu sein. Nach dem in den 1980er Jahren einsetzenden Scheitern der sozialdemokratischen Transformation der »großen« Transformation stellt sich heute das Problem der Wiedergewinnung gesellschaftlicher Kontrolle über eine im Zuge des »frivolen Experiments« des Neoliberalismus ein zweites Mal freigelassene kapitalistische Wirtschaft erneut, und zwar in einer Gegenwart, die ich als von einer doppelten Krise geprägt beschreibe: einer Wirtschaftskrise und einer Staaten- oder Staatlichkeitskrise, die sich auf mannigfache Weise gegenseitig bedingen und sich in einer komplexen Stagnationskrise vereinigen. Während die kapitalistische Ökonomie nun schon jahrzehntelang nur noch unter geldschöpferischer Notbeatmung keuchend weiterläuft, wird das neoliberale Projekt einer Ablösung der Nationalstaaten durch global governance oder gar durch Superstaatlichkeit von einer plebejisch-populistischen Gegenbewegung blockiert, national wie international. Damit steckt das Staatensystem, steckt Staatlichkeit, so die These dieses Buches, zwischen Globalismus und Demokratie, zwischen »oben« und »unten« fest. Bestrebungen zu weiterer neoliberaler Zentralisierung stoßen auf Forderungen nach lokaler Selbstbestimmung, mal von links, mal von rechts, schwer auszusortieren, immer aber »von unten«, wobei der populäre Widerstand gegen den elitären Globalismus sich um eine Verteidigung des Nationalstaats und der in ihm potentiell gegebenen populär-demokratischen Einflusschancen sowie um Zweifel an deren Verlagerbarkeit »nach oben« herum organisiert.

Meine in diesem Buch ausgearbeitete Intuition ist, dass eine Überführung von Staatlichkeit in global governance, eine »Überwindung« des Nationalstaats zugunsten internationaler Organisationen oder globalisierter oder regionalisierter Superstaatlichkeit auf die Errichtung einer demokratischem Einfluss entzogenen Techno- oder Merkatokratie – Experten- oder Marktherrschaft –, oder beider zugleich, hinauslaufen und eine Rückgewinnung demokratischen Einflusses auf die kapitalistische Ökonomie auf lange Zeit unmöglich machen würde. Deshalb, so mein Argument, darf dem neoliberalen Sirenengesang von einer alle Menschen zu Brüdern machenden Verlagerung von Politik und Demokratie auf ein zukünftiges, erst noch aufzubauendes weltweites Regierungssystem kein Gehör geschenkt werden. Dies nicht nur, weil das Ziel sozialontologisch unrealisierbar ist, sondern auch, weil schon kleine Schritte in Richtung auf eine weitere Entnationalisierung von Politik und Demokratie, legitimiert durch die Perspektive einer nationenbefreiten Welt- oder Kontinentalregierung, nichts anderes sein können als Schritte in Richtung auf eine Entdemokratisierung von Politik und politischer Ökonomie.

Der Kampf gegen den neoliberalen Zentralismus findet unter erschwerten Bedingungen statt. Wie schon in der Zwischenkriegszeit berühren sich »rechte« autoritäre mit »linken« egalitären Gegenbewegungen, wenn es um die Verteidigung des Nationalstaats als Ort des Schutzes gegen die gesellschaftszerlegende Volatilität von Märkten und relativen Preisen geht; dieses Problem hat schon Polanyi gekannt. In der Gegenwart der zweiten, erweiterten und überarbeiteten Auflage des Kampfes gegen den Marktliberalismus kommt erschwerend hinzu, dass die neoliberalen Globalisierer Verbündete in der grün-linken postindustriellen Mitte der Gesellschaft gewonnen haben, die sich vor dem selbstregulierenden Weltmarkt weniger fürchten als vor dem regulierenden Nationalstaat, der ihnen als nach außen tendenziell aggressiv und nach innen tendenziell diktatorisch erscheint. Die dem zugrunde liegende, sich als kosmopolitisch missverstehende Weltsicht, die sie mit den Globalisten teilen, schwächt die Verteidiger egalitär-redistributiver Politik, deren klassische Artikulationskanäle überdies gegenwärtig durch Identitätspolitik und Kulturrevolutionen aller Art verstopft sind.

Wer eine wissenschaftliche Abhandlung schreibt, tut gut daran, sich früh zu überlegen, von wem er oder sie erwartet, dass sie nach Lektüre ihre An- und Weltsichten revidieren werden. In meinem Fall sind das diejenigen, die glauben, dass eine globale, sich weltweit erstreckende kapitalistische Wirtschaft auch global regiert werden kann, weil sie global regiert werden muss. Dagegen möchte ich zeigen, dass die Welt, wenn sie überhaupt regiert werden soll, nur unterteilt regiert werden kann. Je globaler ein Zusammenhang ist, desto komplexer, Staatlichkeit überfordernder, am Ende unregierbarer, wenn man so will: staatsfreier, demokratischen Prozessen entzogener und deshalb undemokratischer ist er. Kosmopolit sein im Sinne von global governance kann deshalb nur, wer darauf vertraut, dass ein sich selbst überlassener Freilauf einer globalisierten...

Erscheint lt. Verlag 18.7.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • Brexit • buch bestseller • Donald Trump • EU Europäische Union • Europäische Union • Finanzkrise • Lehman Brothers • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste
ISBN-10 3-518-76626-0 / 3518766260
ISBN-13 978-3-518-76626-2 / 9783518766262
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