Eine Szene im Wandel? (eBook)
513 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-44903-6 (ISBN)
Heidi Süß, Dr. phil., arbeitet als freiberufliche Wissenschaftlerin und Referentin und lebt in Berlin.
Heidi Süß, Dr. phil., arbeitet als freiberufliche Wissenschaftlerin und Referentin und lebt in Berlin.
1.Einleitung
Rapmusik ist das Pop-Phänomen der Stunde und steht Ende 2020 im absoluten Zenit ihres Erfolgs. Online-Plattformen wie Youtube verzeichnen Klicks im dreistelligen Millionenbereich. Mit mehreren Milliarden (!) Streams zählen die rappenden Popstars zu den weltweit erfolgreichsten Künstler_innen bei Streaming-Diensten wie Spotify oder Apple Music. Rapper_innen sind Multimillionär_innen und Werbeträger_innen angesagter Luxusmarken. Sie sitzen in den Jurys beliebter Casting-Shows, fungieren als Spruchgeber_innen für politische Wahlplakate und brillieren als Schauspieler_innen in international ausgezeichneten Serien, während ihre Autobiografien oder Ratgeber schonmal auf Platz 1 der Bestseller-Listen landen.
Dabei ist die Rede hier nicht von US-amerikanischen Superstars wie Jay-Z, Eminem oder Drake. Den US-Mainstream hat Rapmusik schließlich bereits seit gut zwei Jahrzehnten fest im Griff. Was hier skizziert wird, ist die Bedeutung von Rap auf dem deutschsprachigen Musikmarkt, der Einfluss von Rapper_innen innerhalb der deutschen Gesellschaft.
Denn was in den späten 1980er Jahren noch verstreut im sog. Untergrund vor sich hin brodelte, Die Fantastischen Vier Anfang der 1990er erstmals in den Mainstream beförderten; was Gruppen um Fettes Brot, Freundeskreis oder Die Absoluten Beginner ab 1995 weitererzählten und was schließlich zur Jahrtausendwende in den bis heute erfolgreichen, deutschsprachigen Gangsta-Rap mündete, ist gegenwärtig zum wohl angesagtesten Musikgenre Deutschlands avanciert. Deutschsprachige Rapmusik1 steuert zielsicher ihrer fünften Dekade entgegen und ist dabei so omnipräsent, so vielfältig und gleichzeitig so kommerziell erfolgreich wie nie zuvor. Während ›alte Hasen‹ wie Die Fantastischen Vier im Jahr 2014 ihr 25-jähriges Bandbestehen feiern und Gangsta-Rapper wie Bushido aktuell ihr immerhin 13tes Solo-Album veröffentlichen, sprießen tagtäglich neue, rappende Newcomer_innen aus dem digitalen Boden und brechen dabei einen Rekord nach dem anderen. Bonez MC, Gzuz, Olexesh, Ufo361, Bausa oder Capital Bra. Rapper, die vor 2016 wohl nur eingefleischten Rap-Fans ein Begriff waren, zählen heute zu den Shooting-Stars der deutschsprachigen Popmusik, spielen ausverkaufte Konzert-Touren, werden millionenfach geklickt und – wie im Fall von Raf Camora – milliardenfach gestreamt.2
»Rap ist Pop« konstatiert Dietrich (2016: 9) im Jahr 2016 in seiner Bestandsaufnahme des Rap im 21. Jahrhundert. Nichts, was man »aus dem Untergrund ›herausethnographieren‹« müsste (ebd.). Die Omnipräsenz der Musikrichtung ändert jedoch offensichtlich wenig an der gesamtdeutschen und insgesamt recht ambivalenten Rezeptionshaltung gegenüber Rapmusik und ihren Repräsentant_innen. Denn einerseits avancieren einzelne Genre-Vertreter_innen wie Haftbefehl oder Rapperin Haiyti immer wieder mal zu den Lieblingen des deutschen Feuilletons, sind Rapper_innen gern gesehene Stammgäste angesagter Late Night Shows von Circus Halli Galli bis Late Night Berlin und bescheren so manchem Schlagersternchen seinen bis dato erfolgreichsten Hit (vgl. die Kollabo von Vanessa Mai feat. Olexesh ›Wir 2 immer 1‹).3 Andererseits reißen Interviewanfragen à la ›Hat Rap ein Sexismus-Problem?‹ auch nach fast 40 Jahren deutscher HipHop-Geschichte nicht ab und sind es auch heute noch immer wieder die Bushidos, Kollegahs und Farid Bangs und eben nicht die Mark Forsters oder Vanessa Mais der Nation, deren Texte, Videos und Aktionen die deutsche Gesamtgesellschaft in regelmäßigen Abständen mit einem Gefühlsgemisch aus Spott, Ekel, Faszination und allgemeinem Unverständnis zurücklassen.
Warum sich mit Zeilen wie »Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen« oder »Fuck mich ab und ich ficke deine schwangere Frau« (beide auf dem umstrittenen, weil antisemitischen ›0815‹-Song von Kollegah und Farid Bang) derart viel Geld verdienen lässt, das vermag auch diese Arbeit nicht zu beantworten (und wäre wohl eher ein Fall für die Massen- oder Gesellschaftspsychologie?). Die nachfolgenden Seiten verstehen sich stattdessen als Versuch, unterschiedliche disziplinäre Stränge, Perspektiven und Konzepte zusammenzutragen, um das komplexe Phänomen Rap, sowie das (Sprach)Handeln seiner Akteur_innen möglichst multiperspektivisch aufzuschlüsseln und dadurch nachvollziehbarer zu machen. Der wagemutige Streifzug an der Schnittstelle von Sprach- und Literaturwissenschaft, Cultural- und Postcolonial Studies, Soziologie, Philosophie, Migrations-, Geschlechter-, Männlichkeits- und nicht zuletzt HipHop-Forschung gruppiert sich dabei um jene Subjekte, denen gemeinhin die einflussreichsten Sprecherpositionen innerhalb der Szene zugedacht werden: Männer beziehungsweise Männlichkeiten im Rap.4
Bei einem Blick in den gegenwärtigen akademischen Diskurs zum Thema Männlichkeit erweist sich der Fokus auf Rap-Männlichkeiten als nachgerade drängend:
Was ist das für 1 Männlichkeit? titelt eine von der Heinrich-Böll-Stiftung und dem Gunda-Werner-Institut ausgerichtete Tagung im Spätsommer 2017. Anlässlich der Kölner Silvesternacht wurde sich hier aus einer intersektionalen Perspektive mit Männlichkeiten zwischen Selbst- und Fremdbildern beschäftigt. Auch der Arbeitskreis für interdisziplinäre Männer- und Geschlechterforschung (AIM Gender) stellt Männlichkeiten zwischen Kulturen im Juni 2017 ins Zentrum der jährlich stattfindenden Konferenzreihe. Eine Zusammenschau der verschiedenen Impulsreferate, Vorträge und Anschlussdiskussionen bekräftigt dabei nicht nur die Historizität, Pluralität und Widersprüchlichkeit von (hegemonialen) Männlichkeit(en), die Erhart (2016: 14ff.) als zentrale Prämissen deutschsprachiger Männlichkeitsforschung benennt. Ferner wird auch hier deutlich, dass Männlichkeit nicht in Isolation, sondern stets in Wechselwirkung mit anderen machtvollen Kategorien wie etwa Herkunft zu denken ist und dass diese »viel zu selten mitgedachte Intersektionalität« (Horlacher u. a. 2016: 6), gerade im Kontext einer sich zunehmend ausdifferenzierenden und globalisierenden Gesellschaft wohl auch künftig zu den wichtigsten Herausforderungen bei der Erforschung von Männlichkeit gehören wird und muss.
Es sei an dieser Stelle die etwas kühne These aufzustellen erlaubt, dass wohl kaum ein Objektbereich die Desiderata gegenwärtiger Männlichkeitsforschung derart zu bündeln im Stande ist, wie es die gegenwärtige deutschsprachige Rap-Szene zu tun vermag! Denn wer verstehen will, was das für 1 Männlichkeit im Rap ist – um die obige, passenderweise jugend- beziehungsweise hiphop-sprachliche Formulierung wiederaufzunehmen5 – der/die kommt um die in den Men’s Studies allerorts eingeforderte Transdisziplinarität und Intersektionalität schwerlich herum (vgl. zum Beispiel ebd.: 7; Meuser 2016: 230; Huxel 2014: 25ff.; Martschukat/Stieglitz 2008: 164 u.v.m.). HipHop- beziehungsweise Rap-Forschung ist »Transdisziplinarität in Aktion« (Androutsopoulos 2003a: 13). Eine intersektionale Perspektive geradezu das Kennzeichen der internationalen HipHop Studies (vgl. Forman 2012a: 3f.; Seeliger/Dietrich 2017: 14; Dietrich 2018: 7ff.). Wenn das Ghetto ferner zum zentralen »mythische[n] Ort« und der »[S]chwarze männliche HipHopper zur zentrale[n] mythische[n] Gestalt« des HipHop/Rap6 erhoben wird (Klein/Friedrich 2003a: 24), so ist es unabdingbar die Analyse des doing rap masculinity um eine postkoloniale und für den deutschen Kontext insbesondere migrationstheoretische Perspektive zu erweitern. Auch dadurch wird wichtigen Desiderata der (europäischen) Männlichkeitsforschung nachgekommen (vgl. zum Beispiel Horlacher u. a. 2016: 7; Huxel 2014: 25ff.; Tunç 2012a u.v.m.).
Der forschungsleitende Impetus dieses transdisziplinären Streifzugs besteht jedoch weniger in der Verengung etwaiger Forschungslücken, als vielmehr darin, den eingangs skizzierten, rapide verlaufenden Transformationsprozessen im Rap nachzuspüren und diese kritisch auf ihr wechselseitiges Verhältnis mit Konstruktionsmodi von Rap-Männlichkeit zu befragen.
Dem Sozialwissenschaftler und HipHop-Forscher Dietrich (2016: 15) ist zuzustimmen, wenn er konstatiert, dass sich der gegenwärtige Rap unter anderem aufgrund veränderter medialer Zugänge und Angebote phänomenologisch stark von jenem der 1990er Jahre unterscheidet (angesichts der Schnelllebigkeit des popkulturellen Phänomens ließe sich sogar behaupten, dass sich der jetzige Rap bereits gehörig von jenem Rap zu Zeiten Dietrichs‹ Bestandsaufnahme unterscheidet,...
Erscheint lt. Verlag | 19.5.2021 |
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Reihe/Serie | Hildesheimer Geschlechterforschung | Hildesheimer Geschlechterforschung |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Gender Studies |
Schlagworte | Gangsta-Rap • Geschlecht • Geschlechterordnung • Hiphop • Maskulinität • Rap • Sexismus |
ISBN-10 | 3-593-44903-X / 359344903X |
ISBN-13 | 978-3-593-44903-6 / 9783593449036 |
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Größe: 1,6 MB
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