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Der Fluch der Megaclubs (eBook)

Wie die reichsten Vereine der Welt den Fußball zerstören
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
272 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01035-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Fluch der Megaclubs -  Christian Spiller
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Fußball war lange das Spiel, in dem jeder mal gewinnen konnte. Seine Unvorhersehbarkeit machte ihn zum beliebtesten Sport der Welt. Doch in den vergangenen Jahren hat sich etwas verändert. Das viele Geld, das vor allem auf die Konten der größten Clubs der Welt geflossen ist, hat eine geschlossene Gesellschaft geformt. Megaclubs wie der FC Bayern siegen, weil sie Geld haben - und bekommen noch mehr Geld, weil sie siegen. Aber wie spannend ist Fußball noch, wenn immer dieselben gewinnen? Christian Spiller hat mit Spielern, Managern, Wissenschaftlern und Fans darüber gesprochen, was falsch läuft im System. Und wie das Spiel doch noch gerettet werden könnte.

Christian Spiller, geboren 1982 in Cottbus, studierte in Frankfurt am Main und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Seit 2010 ist er Redakteur bei ZEIT ONLINE, seit 2014 leitet er das Sportressort. 

Christian Spiller, geboren 1982 in Cottbus, studierte in Frankfurt am Main und besuchte die Deutsche Journalistenschule in München. Seit 2010 ist er Redakteur bei ZEIT ONLINE, seit 2014 leitet er das Sportressort. 

Einleitung


Ich bin in einem Fußballstadion groß geworden wie viele in meiner Generation. Mein Vater nahm mich einst mit ins Stadion der Freundschaft, allein schon dieser Name. Ich saß also auf seinem Schoß, staunte über die Spieler und die Fans, die damals noch Schlachtenbummler hießen, über ihre Fahnen und ihre Tröten – und verlor mein Herz an Energie Cottbus, so wie andere Töchter und Söhne ihres an Werder Bremen, den VfB Stuttgart oder, warum auch immer, Dynamo Dresden, verloren. Seitdem war ich fast immer da, ich war heiser nach Siegen und weinte nach Niederlagen. Noch immer habe ich eine Dauerkarte. Ich sitze so nahe am Feld, dass ich den Trainer fluchen hören und den Rasen riechen kann. Ich mag es dort, ich fühle mich zu Hause. Mittlerweile habe ich meine Tochter dabei, auf derselben Tribüne, auf der ich vor knapp 35 Jahren das erste Spiel sah. Ob sie ihr Herz an Energie Cottbus verschenkt, wissen wir beide noch nicht. Der Fußball nämlich hat sich verändert.

Vor 20 Jahren spielte Cottbus nicht in der vierten Liga, sondern in der Bundesliga. Der Verein schlug dort sogar den FC Bayern. Zweimal gleich, weil es so schön war. Die Torschützen kann jeder Cottbuser noch im Schlaf aufsagen: Vilmos Sebök, ein schlafmütziger Ungar, Branko Jelić, ein listiger Serbe. Sie wurden berühmt, weil Fußball lange das Spiel war, in dem jeder mal gewinnen konnte. Ein Spiel des Zufalls. In keiner anderen Sportart hatte die schwächere Mannschaft eine größere Chance zu siegen. Ein Glückstor und selbst ein Amateurverein konnte die beste Mannschaft des Landes schlagen. Auch wegen dieser Unvorhersehbarkeit wurde Fußball zum beliebtesten Sport der Welt. Die bange Frage, wie ein Spiel ausgehen mag, beschäftigte Generationen von Fans. Im Fußball war alles möglich. War.

Weitere Cottbuser Siege gegen die Bayern kamen seither nicht hinzu. Und werden es auch nicht mehr. Das gilt für so ziemlich alle deutschen Fußballteams. Niederlagen des FC Bayern sind zu einer Rarität geworden. Die Münchner sind Teil einer beinahe unschlagbaren europäischen Elite geworden: der Megaclubs. Nicht nur in Deutschland, auch in Frankreich und Italien, in England und Spanien dominieren Jahr für Jahr dieselben Vereine. Diese geschlossene Gesellschaft profitiert von einem sich selbst verstärkenden System: Wer viel Geld hat, hat Erfolg. Wer Erfolg hat, verdient noch mehr Geld. Soziologen haben einen Namen für dieses Phänomen, das auch in anderen Gesellschaftsbereichen beobachtet werden kann. Sie nennen es Matthäus-Effekt. Benannt nicht nach Lothar, sondern dem aus der Bibel. Im Neuen Testament heißt es: «Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.» Der Volksmund mag es etwas prosaischer: Fetten Gänsen wird der Arsch geschmiert. Es regnet immer dorthin, wo es schon nass ist. Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.

Paris Saint-Germain und Manchester City, der FC Bayern und Real Madrid, Chelsea und Liverpool: Auf der einen Seite sind die Megaclubs ein Segen. Der Fußball, den sie spielen, packt jeden. Wenn diese Vereine in der Champions League aufeinandertreffen, kann sich kaum jemand ihrer Wirkung entziehen. Das ist nur logisch. Je mehr der besten Fußballer des Planeten bei nur wenigen Vereinen spielen, desto spektakulärer die Partien. Neymar, Kylian Mbappé und Lionel Messi gegen Mo Salah, Sadio Mané und Virgil van Dijk, Robert Lewandowski und Manuel Neuer gegen Cristiano Ronaldo und Paul Pogba – mittlerweile treten Weltauswahlen gegeneinander an.

Für die meisten aber sind die Megaclubs ein Fluch. Denn das ist das Paradox des modernen Fußballs: Obwohl das Spiel an sich nie attraktiver war, lässt es viele kalt.

In Deutschland wird der FC Bayern zum zehnten Mal in Folge Deutscher Meister. Die Münchner haben die Bundesliga zu einer einseitigen, öden und vorhersehbaren Angelegenheit gemacht. Nun haben große Clubs schon immer häufig gewonnen. Aber nicht so häufig wie jetzt. Der FC Bayern holte früher nie mehr als drei Meisterschaften in Folge, vor einigen Jahrzehnten galten zehn Titel hintereinander als unerreichbar. Doch die Megaclubs schießen immer mehr Tore, holen immer mehr Punkte, stellen Rekord um Rekord auf. In ganz Europa wurden in den vergangenen Jahren Triples, Doubles und Meisterschaften mit 100 Punkten oder mehr gefeiert. Es gab Spielzeiten, in denen manche Mannschaften kein einziges Spiel verloren. In vielen Ländern hat sich das Phänomen der Dauermeister etabliert, ein echter Wettbewerb an der Tabellenspitze findet nicht statt. Die Gegenseite der Entwicklung: die schlechtesten Clubs der Ligen verlieren immer häufiger und deutlicher. Die Spiele werden vorhersehbarer. Es wird nicht nur immer unwahrscheinlicher, dass ein Kleiner einen Großen schlägt. Auch hohe Siege oder – je nach Perspektive – hohe Niederlagen werden normal. 7:0 gegen Bochum, 5:0 gegen die Hertha, 8:0 gegen Schalke, 5:0 gegen Frankfurt, 6:0 gegen Mönchengladbach, 6:0 gegen Hoffenheim, 5:0 gegen Düsseldorf – das sind nur einige Ergebnisse der Bayern aus den vergangenen drei Jahren.

In diesem Buch beschreibe ich, wie es zu dieser Fehlentwicklung kommen konnte. Wie die vielen Milliarden von Euro, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Fußball gespült wurden, den Sport verändert haben. Wie die Globalisierung des Fußballs die Megaclubs schuf. Wie die TV-Sender, die Investoren, die von der Uefa erfundene Champions League und nicht zuletzt die Fans in aller Welt eine enorme Ungleichheit geschaffen haben, die die Unvorhersehbarkeit des Sports zerstört. In dem Buch versuche ich zu erklären, wie die Superreichen dabei sind, den Zufall abzuschaffen.

Bei diesem Thema treten einige weitere Paradoxien auf: Der FC Bayern zum Beispiel hat sich seine Vormachtstellung in Deutschland selbst erarbeitet, er hat niemanden bestohlen. Aber er hat dennoch eine Mitschuld an der Entwicklung. Er profitiert nicht nur von Strukturen, die jene begünstigen, die erfolgreich sind. Er hat sie sogar mitgeschaffen und schützt sie vehement. Die Münchner verteidigen ihren Vorsprung, der so groß ist, dass sie Fehler leichter verkraften als die Konkurrenz. Mittlerweile brauchen sie gar nicht mehr so viel richtig machen, sondern nur nicht mehr allzu viel falsch. Und wenn sie auf Nummer sicher gehen wollen, verpflichten sie vor der neuen Saison den Abwehrchef, Spielmacher, Trainer und Trainerassistenten des Vizemeisters. Die Bundesliga von heute erinnert an eine Serie von Autorennen, in denen einer im Ferrari unterwegs ist, andere im BMW und sehr viele im Golf. Als Belohnung für jedes gewonnene Rennen bekommt der Ferrari beim nächsten eine Runde Vorsprung. Und wenn sich jemand über die Eintönigkeit beschwert, ruft der Ferrarifahrer den anderen zu, sie sollen gefälligst mal Gas geben.

Dabei ist einer der Grundgedanken des sportlichen Wettkampfs, dass sich ebenbürtige Gegner messen. Dass jedes Team zumindest die Gelegenheit hat, zu gewinnen. Dass am Ende auch jene vorne sein können, die sich am meisten anstrengen und das Beste aus ihren Möglichkeiten machen. Nicht nur die mit dem dicksten Bankkonto. In seinem Kern lebt der Sport von dem Versprechen, jeder könnte es mit seiner eigenen Leistung bis ganz nach oben schaffen. Wenn das im Sport nicht gilt, wo dann?

Oft werden dem Fußball mit allzu viel rhetorischer Gewalt gesellschaftliche Analogien übergestülpt, was weder dem Fußball hilft noch der Gesellschaft. In diesem Fall aber sind die Parallelen unübersehbar: Ein paar wenige Superreiche werden immer reicher, die Mittelschicht schrumpft, für die vielen Armen interessiert sich niemand – vielleicht ist dieses Phänomen der Moderne sogar nirgendwo so extrem ausgeprägt wie im Fußball. Das führt zu einer Entsolidarisierung. Jeder denkt an sich. In dem Buch wird es auch darum gehen, wie die fußballerische Mittelschicht sich aus Furcht vor dem Abstieg eher nach unten abzusichern versucht, anstatt sich zusammenzutun und sich ihren Anteil von denen zu holen, die ihre Erfolge auf Kosten der anderen erworben haben.

Über die moralischen Argumente, die mit dem Geld kamen, wurde schon viel geschrieben. Über die Gier und die Maßlosigkeit, über unverschämte Spielergehälter und das Sportswashing, das Regime wie Saudi-Arabien und Katar mit ihren Investitionen betreiben. Doch die Entwicklung hat noch eine weitere Ebene: Es wäre doch schön, wenn sich im Fußball die Regeln des Marktes schwächer zeigen würden, anstatt sich zu potenzieren. In einer kapitalistisch organisierten Welt kann der Fußball sich den Gesetzen der Marktwirtschaft nicht entziehen. Aber muss er sie auf die Spitze treiben?

Eine Faszination des Sports bestand schließlich auch darin, in seinen besten Momenten ein Refugium zu bieten, ein Ort zu sein, an dem man sich den Zumutungen und Ungerechtigkeiten der Welt dort draußen entziehen konnte. Damals, als Werder Bremen und Eintracht Frankfurt noch Deutscher Meister wurden. Also Steaua Bukarest, der IFK Göteborg, Ipswich Town oder Roter Stern Belgrad den Europapokal gewannen.

Fußball ist eben mehr ist als das, was auf dem Rasen passiert. Fußball ist Kultur, Identität, Heimat. Als Energie Cottbus einst in die Bundesliga aufstieg, meinte ich in den fassungslosen Stadiongesichtern um mich herum Stolz zu erkennen. Stolz auf die kleine Mannschaft aus der kleinen Stadt, die nun bei den Großen mitspielen durfte. Die Mannschaft siegte nicht nur für sich, sondern auch für uns, die aus einer Gegend kamen, die viele Sorgen hatte. Sorgen, die der Fußball kurz vergessen...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bayern München • Borussia Dortmund • Bundesliga • BVB • BVB 09 • Champions League • Fußball • Fußballclubs • Fußball EM • Fußballvereine • Fußball WM • Katar • Kommerzialisierung • Manchester City • Premier League • PSG • RB Leipzig • Sport • Super League • Verein
ISBN-10 3-644-01035-8 / 3644010358
ISBN-13 978-3-644-01035-2 / 9783644010352
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