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Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren - und wie wir sie zurückholen können (eBook)

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
280 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01137-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Warum wir Familie und Freunde an radikale Ideologien verlieren - und wie wir sie zurückholen können -  Dana Buchzik
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Querdenken-Demos, gewaltbereite Reichsbürger, Verschwörungstheoretiker - immer mehr Menschen driften auf der Suche nach Halt und Orientierung aus der Mitte der Gesellschaft und finden beides in Chat-Gruppen, Internetforen und auf fragwürdigen Webseiten. Und immer häufiger wissen Freunde und Angehörige sich im Umgang mit Betroffenen nicht mehr zu helfen, fehlen Strategien, um miteinander im Kontakt und Gespräch zu bleiben. Wie können wir diesen Entwicklungen begegnen? Dana Buchzik wirft einen Blick auf die Psychologie, die hinter dem Abdriften in Parallelgesellschaften steht. Denn wenn wir verstehen, welche Mechanismen bei Radikalisierungsprozessen greifen, können wir ihnen aktiv entgegenwirken. Sie entwickelt konkrete Handlungsstrategien, wie jeder Einzelne den Kontakt zu Betroffenen aufrechterhalten und konfliktärmer gestalten kann und was darüber hinaus in der Bildungsarbeit, in Politik und Sozialwesen wichtig wird, wenn wir auch in Krisenzeiten als Gesellschaft bestehen wollen.

Dana Buchzik, geboren 1983, ist in einer Sekte aufgewachsen. Als junge Erwachsene stieg sie aus. Nach einigen Jahren als Kulturjournalistin (u.a. für FAZ, Spiegel Online, SZ, Welt und ZEIT) war sie Redaktionsleiterin der «No Hate Speech»-Kampagne, der deutschen Sektion einer europaweiten Kampagne des Europarats gegen Hass im Netz. Dana Buchzik gibt Workshops zum Umgang mit Hass und Verschwörungserzählungen, unter anderem für die Bertelsmann Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung, lehrt an der Freien Universität Berlin zum Thema und berät ehrenamtlich Menschen, die im direkten Umfeld mit Radikalisierung konfrontiert sind. https://danabuchzik.de, Twitter: (@danabuchzik)

Dana Buchzik, geboren 1983, ist in einer Sekte aufgewachsen. Als junge Erwachsene stieg sie aus. Nach einigen Jahren als Kulturjournalistin (u.a. für FAZ, Spiegel Online, SZ, Welt und ZEIT) war sie Redaktionsleiterin der «No Hate Speech»-Kampagne, der deutschen Sektion einer europaweiten Kampagne des Europarats gegen Hass im Netz. Dana Buchzik gibt Workshops zum Umgang mit Hass und Verschwörungserzählungen, unter anderem für die Bertelsmann Stiftung und die Friedrich-Ebert-Stiftung, lehrt an der Freien Universität Berlin zum Thema und berät ehrenamtlich Menschen, die im direkten Umfeld mit Radikalisierung konfrontiert sind. https://danabuchzik.de, Twitter: (@danabuchzik)

Der gesellschaftliche Nährboden für Menschenfeindlichkeit


Die Querdenken-Demonstrationen lösten im Jahr 2020 nicht nur einen kollektiven Schock aus, sondern auch kollektive Erleichterung: So rechts, so rücksichtslos sind wir zum Glück nicht! Aber stimmt das wirklich? Knapp 50 Prozent der Deutschen waren im Jahr 2014, also wenige Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU, der Meinung, Rechtsextremismus würde in den Medien nur hochgekocht und es sei am besten, Rechtsextreme einfach nicht zu beachten.[1] 2016 glaubten 40 Prozent, die deutsche Gesellschaft würde durch den Islam unterwandert; rund die Hälfte äußerte sich abfällig über Asyl suchende Menschen.[2] 2018 zeigten sich fast 36 Prozent überzeugt, dass die Bundesrepublik «durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet» sei.[3] Mehr als ein Drittel der Deutschen war in den Jahren 2018 und 2019 der Meinung, dass nicht alle Menschen die gleichen Rechte haben sollten.[4] Fast 60 Prozent misstrauten der Demokratie. Fast ein Viertel glaubte, dass Politik und Journalismus unter einer Decke stecken würden. Mehr als die Hälfte setzte statt auf Expertenmeinung lieber aufs eigene Bauchgefühl.[5] Dazu passt eine YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2015: 57 Prozent der Deutschen glaubten, dass es einen klaren Zusammenhang zwischen Sternzeichen und Persönlichkeit gebe; 15 Prozent waren sogar davon überzeugt, dass die Sterne Botschaften über ihre ganz persönliche Zukunft bereithielten.[6] Kein Wunder, dass die Esoterikbranche an den Deutschen so gut verdient – ihr jährlicher Umsatz wird auf 20 bis 25 Milliarden Euro geschätzt.[7] Anrufe bei der Wahrsagerhotline oder kosmische Chakrenratgeber zur Beziehungsführung auf dem Nachttisch mögen harmlos erscheinen, können aber eine Einstiegsdroge in eine Welt sein, in der angeblich übernatürliche Weisheiten mehr Gewicht haben als wissenschaftliche Tatsachen. Die in Esoterikkreisen weit verbreitete Ablehnung der «Schulmedizin» kann Menschenleben fordern – und Umfragen zeigen immer nur die Spitze des Eisbergs.

Die Neigung zu Rechtsextremismus oder Rechtspopulismus etwa wird in einer direkten Befragung von vielen lieber verschwiegen. Zwei Beispiele: Während sich in Umfragen «nur» sechs Prozent für die rechtsextreme Partei DVU ausgesprochen hatten, stimmten bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt im Jahr 1998 satte 12,9 Prozent der Bevölkerung dafür, und die Abweichungen zwischen AfD-Umfragewerten und tatsächlichen Wahlergebnissen lagen bei Landtags- und Bundestagswahlen der letzten Jahre bei bis zu 50 Prozent.[8] Die Soziologie nennt das «soziale Erwünschtheit» oder auch «Ja-Sager-Effekt»: Die meisten Menschen wissen sehr genau, welche ihrer Meinungen oder Verhaltensweisen nicht mit sozialen Normen vereinbar sind. Wer Konflikte vermeiden will, verschweigt seine Überzeugungen oder lügt. Wenn beispielsweise Antisemitismen in den Befragungen vergangener Jahre seltener geäußert wurden, hatte das nicht unbedingt mit der tatsächlichen Einstellung der Befragten zu tun, sondern im Zweifelsfall nur mit ihrer Angst vor Ausgrenzung.[9]

Die Umfragewerte des Jahres 2020 lassen sich deswegen auch ganz anders deuten: Die Pandemie mit all ihren Begleitumständen hat nicht zu einer «plötzlichen» Massenradikalisierung geführt, sondern die Entstigmatisierung längst vorhandener Einstellungen befördert.

Trotz aller pandemiebedingten Beschränkungen und Lockdowns gab es 2020 mehr Aufmärsche von Neonazis als im Jahr zuvor.[10] Querdenken-Demonstranten nähten sich «Ungeimpft»-Sterne auf die Kleidung, forderten Haft oder gleich den Tod für Regierungsmitglieder und Virologen, erhängten symbolisch eine Schaufensterpuppe, um deren Hals ein Schild mit der Aufschrift «Presse» baumelte, und versuchten, den Reichstag zu stürmen. Auf das RKI wurde ein Brandanschlag verübt. Winterausflügler rodelten gut gelaunt zwischen den Massengräbern auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald. Es wurden 2351 antisemitische Straftaten verübt – mehr als in jedem anderen Jahr seit Beginn der systematischen Erfassung politisch motivierter Kriminalität.[11] Über 40 Prozent der Deutschen glaubten, dass Reparationszahlungen nur einer «Holocaust-Industrie» zugutekämen. 33 Prozent waren überzeugt, dass die Corona-Krise nur «großgeredet» würde, «damit einige wenige davon profitieren können»; knapp 48 Prozent waren sicher, dass die wahren Hintergründe der Corona-Pandemie «nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen» würden.[12] 21 Prozent der 18- bis 34-Jährigen glaubten an einen Zusammenhang zwischen der globalen Pandemie und dem Ausbau des 5G-Netzes; ein Viertel aller Deutschen schrieb Bill Gates mehr Macht in der Bundesrepublik zu als der Regierung.[13] Über 17 Prozent erteilten demokratischer Vielfalt eine Absage: Sie wollten nur noch eine einzige Partei an der Macht.[14]

 

Das erste Pandemiejahr hat gezeigt, wie schnell Teile der bürgerlichen Mittelschicht dazu bereit sind, die Demokratie für gescheitert zu erklären und die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens mit Füßen zu treten. Es war nicht der Einsatz für bessere Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen, der bundesweit Zehntausende auf die Straße trieb. Es war nicht die Forderung nach einer Preisregulierung für FFP2-Masken und Desinfektionsmittel oder gar nach einer Erhöhung der Renten oder von Hartz IV. Nein, es ging darum, sich im Alltag nicht einschränken zu lassen. Hier demonstrierten Bürgerinnen und Bürger, die sich vermutlich zum ersten Mal in ihrem Leben von der Politik nicht mitgedacht fühlten. Kein Wunder: Wer als gesunder, gut situierter Mensch in einer Gesellschaft lebt, in der die Rechte marginalisierter Gruppen auf Teilhabe und Unversehrtheit nach wie vor nur eine untergeordnete Rolle spielen, der wird in einer Krise wie einer globalen Pandemie natürlich nicht verstehen, warum er plötzlich Rücksicht auf andere nehmen soll und warum sich die knapp 30,6 Millionen starke Risikogruppe nicht einfach wegsperren kann, damit er in seinem persönlichen Alltag bloß keine Abstriche machen muss. Die Politik schien den empörten Bürgern Recht zu geben: Armin Laschet und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) etwa forderten immer wieder Verständnis für Querdenker und Corona-Relativierer und suchten den Dialog mit jenen, die bewusst das Leben anderer Bürgerinnen und Bürger aufs Spiel setzten. FDP-Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki sprach Querdenken-Demonstranten öffentlich sein Verständnis aus; Thomas Kemmerich, damals noch Vorsitzender der Thüringer FDP-Fraktion, trat sogar als Redner bei einer Corona-Demo auf. Als sich CSU-Chef Markus Söder in Bezug auf gewaltbereite Querdenker äußerte, warnte er allen Ernstes vor der Gefahr einer «Corona-RAF».

Aber nicht nur die Politik tat sich schwer, den hohen Anteil rechtspopulistischer und rechtsextremistischer Akteure bei Querdenker-Demonstrationen einzugestehen. Bei der Relativierung der Gewalttaten von Corona-Leugnern kam die Hufeisentheorie wie gerufen, die linke und rechte Gewalt einander direkt gegenüberstellt und in Deutschland von den Extremismusforschern Eckhard Jesse und Uwe Backes bekannt gemacht wurde.[15] Die beiden werden von der Politik – und auch von manchen Medien – seit Jahren herangezogen, wenn es Extremismus zu erklären gilt, und das, obwohl sie schon mehrfach grandios falsch lagen: Bis zur Selbstenttarnung der rechtsextremen Terrorgruppe «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) etwa predigten sie unermüdlich, in Deutschland gebe es keine gefestigten rechtsterroristischen Strukturen.[16] Nach der Enttarnung wiederum behaupteten sie, Menschen «mit rechtsextremen Einstellungen» seien «in ihrer großen Mehrheit» gar nicht gewalttätig; ein Großteil der als rechts eingeordneten Gewalttaten würde von Jugendlichen begangen, deren politische Orientierung meist «dünn» und «ungefestigt» sei. Rechte Gewalt entsteht oft also gar nicht aus einer gefestigten rechten Haltung, sondern wird «nur» von Jugendlichen verübt, die rechtsextremistisches Gedankengut einfach gerade spannend finden? Wie beruhigend!

Eckhard Jesse vertrat zudem die Ansicht, Rechtsextremismus und Antisemitismus seien in Deutschland «mehr Phantom als Realität» und jüdische Organisationen bräuchten «Antisemitismus in einer gewissen Größenordnung, um für ihre Anliegen Gehör zu finden».[17] Solche Einschätzungen gelten offenbar als Expertise, um als Sachverständiger gebucht zu werden, zum Beispiel im (gescheiterten) NPD-Verbotsverfahren. Jesse präsentierte die NPD damals als längst isolierte und geächtete Vereinigung: «Wir müssen das Problem einfach niedriger hängen», so der Extremismusforscher, «wir haben andere Probleme der Gesellschaft.»[18] Nach den gewalttätigen Ausschreitungen in Chemnitz 2018, bei denen Rechtsradikale unter anderem Menschen mit Migrationshintergrund, Polizisten, Journalisten und ein jüdisches Restaurant angegriffen hatten, war es Eckhard Jesse wichtig, in einem ausführlichen Artikel an linke Gewalt zu...

Erscheint lt. Verlag 25.1.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Corona-Gegner • Debattenbuch • Fake News • Gegenwartsdiagnose • Ideologie • Impf-Gegner • Kommunikation • Politisches Sachbuch • Psychologie • Qanon • Radikalisierung • Rat und Hilfe • Sekten • TM • Transzendentale Meditation • Verschwörungstheorien
ISBN-10 3-644-01137-0 / 3644011370
ISBN-13 978-3-644-01137-3 / 9783644011373
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