Die Inseltierärztin (eBook)
192 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-01129-8 (ISBN)
Stephanie Petersen studierte in Leipzig Veterinärmedizin. Anschließend arbeitete sie in einer Berliner Kleintierklinik und ließ sich 2001 als Tierärztin für Groß- und Kleintiere auf Sylt nieder. Ihre besondere Vorliebe gilt alten Tieren samt ihrer teils schrulligen Eigenheiten. Auch zu ihrem Privatleben gehören neben ihren Söhnen selbstverständlich Tiere: Auf ihrem Hof leben fünf Hunde, von denen sie drei aus Tötungsstationen gerettet hat, 17 Hühner - und Stephanie Petersen betreibt eine Trakehner-Zucht.
Stephanie Petersen studierte in Leipzig Veterinärmedizin. Anschließend arbeitete sie in einer Berliner Kleintierklinik und ließ sich 2001 als Tierärztin für Groß- und Kleintiere auf Sylt nieder. Ihre besondere Vorliebe gilt alten Tieren samt ihrer teils schrulligen Eigenheiten. Auch zu ihrem Privatleben gehören neben ihren Söhnen selbstverständlich Tiere: Auf ihrem Hof leben fünf Hunde, von denen sie drei aus Tötungsstationen gerettet hat, 17 Hühner - und Stephanie Petersen betreibt eine Trakehner-Zucht.
Ich und mein Traum: Tierärztin
«Das kann nicht alles gewesen sein», flüstere ich leise vor mich hin. Ich sitze auf einer Aluminiumkiste an Bord einer Douglas DC-9, mit feuerroten Fingernägeln und noch roteren Lippen, hohen Pumps und Thrombose-Strumpfhosen. Verträumt schaue ich aus dem kleinen, runden Kabinenfenster des Flugzeugs, weit über die rosafarbenen, von der Sonne angestrahlten Wolken hinweg. «Das kann nicht alles gewesen sein», wiederhole ich leise …
Ich bin Stewardess. Eingepellt in eine türkisfarbene Uniform mit gestreiftem Blüschen und ovalem Hütchen. Nach meinem Abitur befand ich mich, wie viele Schulabgänger, zwischen einem Seilgarten der Vernunft und den schwärmerischen Vorstellungen von einem Traumberuf. Ich wollte Tierärztin werden.
Damals gab es noch den Medizinertest, einen Test, der intelligente Personen von nicht so intelligenten «Möchtegern-Ärzten» ratzfatz unterscheidet. Der Kopf rauchte, das Ergebnis ist mir bis heute nicht wirklich bekannt. Ich hängte schließlich meine steife Uniform an den Nagel und stürzte mich in den Traum meiner Träume. Mein Abitur war guter Durchschnitt, aber nicht so gut, dass ich sofort einen Studienplatz für Tiermedizin ergattern konnte. Die einzige Möglichkeit, einen solchen zu bekommen, war – kurz nach der Wende –, nach Leipzig zu gehen. Viele wollten in den Westen, und in Leipzig war die geringe Bewerberzahl für diesen Studiengang im Vergleich zu Hannover, München, Berlin oder Gießen meine große Chance. Mein Bruder hob den Zeigefinger, und seine Worte hallen noch heute in meinen Ohren: «Wenn du unbedingt Tiermedizin studieren möchtest, dann gehst du auch nach Leipzig.» Wer wollte schon nach Leipzig. Ich nicht!
Es kam anders.
Man bat mich zu einem «Auswahlgespräch». Auf den Knien Brötchen schmierend, fuhren meine Eltern mit mir im Schlepptau von Frankfurt aus auf durchlöcherten, holprigen Straßen Ostdeutschlands Richtung Leipzig, direkt auf den Campus der Veterinärmedizinischen Fakultät. Das «Verhör» fand in einem großen Raum mit tiefen Samtplüschsesseln statt. In einem versank ich auch dann sogleich, mein Kinn berührte fast die steif gestärkte, vergilbte Häkeldecke auf dem kleinen, runden Tischchen. Irgendwie hielt ich dem ostdeutschen Fragenkatalog stand und zeigte Flagge.
«Tiermedizin ist ja wohl ein Männerberuf», sprach der grauhaarige Professor in seinem ebenso grauen Kittel und mit einer dicken schwarzen Hornbrille. «Wie kommen Sie denn auf den Gedanken, als Frau in diesem Beruf Fuß fassen zu wollen?»
Ich richtete mein Krönchen, denn nun war mein Nerv getroffen. «Qualität in der Arbeit und Durchhaltevermögen sind nun ja nicht typisch männliche Merkmale», erwiderte ich. «Und um ein fünfzig Kilogramm schweres Kälbchen auf die Welt zu befördern, bedarf es zwar eines gewissen Maßes an Kraft, aber auch der richtigen Technik sowie eines Quantums an femininem Instinkt, der uns Frauen ja schließlich in die Wiege gelegt worden ist, und den weiblichen Zyklus und Schmerz kann das Wesen Mann ja nicht einmal erahnen.»
So! Irgendwie hatte sich die Hornbrille erbarmt, und als ich eines Mittags im Regen zum Briefkasten ging und darin einen Umschlag mit dem Stempel der Uni Leipzig liegen sah, gab es nur zwei Möglichkeiten, die dieses Kuvert eröffnen konnte.
Drei Wochen später zog ich mit einem anderen Studenten in eine verlassene Gärtnerei in Markkleeberg außerhalb von Leipzig, schaufelte im Keller Kohle, denn draußen herrschten bereits ungnädige Minusgrade, und duschte in einem riesigen leer stehenden Waschhaus mit fünfzehn Duschen – mutterseelenallein im Nirgendwo. Die nassen Haare mit einem Megaturban umwickelt, rannte ich im Dunkeln – ich hatte die Hosen gestrichen voll – zum Haupthaus. Hätten das meine Eltern gewusst … Überall standen Reagenzgläser des ehemaligen Botanik-Instituts herum, als hätten die Bewohner von einer auf die andere Sekunde die Gebäude verlassen … Dem war auch so gewesen. Die Mauer war gefallen, und Tausende hatten die Chance zur Flucht genutzt, voller Angst, die Grenzen könnten rasch wieder schließen.
Morgens hatten wir stets eine wilde Horde Eisblümchen am Fenster, innen, wohlgemerkt! Die Straßen waren mit mörderischem Kopfsteinpflaster gespickt, orange leuchtende Straßenlaternen versprühten ihr theatralisches Schummerlicht, und aus den offenen Dachstühlen ragten einzelne, vermoderte Holzbalken hervor, die wie ein abgenagtes Gerippe in den dämmrigen Nachthimmel ragten. Hier hätte man locker einen Film über den Zweiten Weltkrieg drehen können.
Im Lauf des nächsten Jahres zog ich in ein renoviertes Haus, in dem meine bis heute engsten Freundschaften begannen. Dort, in Leipzig, knüpfte ich auch die ersten zarten Bande mit meiner jetzigen Heimat, der traumhaften Nordseeinsel Sylt: Es war im Jahr 1995, zwei Jahre nach meinem Studienbeginn, die ersten Computer gingen in Serie, und die Aufenthalte in den gelben Telefonzellen wurden immer seltener. Das Handyzeitalter brach an. Ich hatte über das Internet eine Bekanntschaft gemacht, und fast stündlich hörte ich eine kleine Computerstimme säuseln: «Sie haben Post.» So kam es, dass ich mit meinem Hund Hannah zum Blind Date nach Sylt fuhr – das erste Mal auf die Insel. Auf der Fahrt durchs flache Land sah ich überall die schönen schwarzbunten Kühe auf den fetten Weiden grasen, und je weiter wir Richtung Norden fuhren, umso mehr tummelten sich Hunderte von Schäfchen an und auf den Deichen. Der Zug schlängelte sich durch das Wattenmeer, über den Hindenburgdamm bis hinein nach Westerland. Und um so viel Zeit wie möglich auf der Insel und mit meiner neuen Liebe zu verbringen, absolvierte ich meine sogenannten kurativen Pflichtpraktika bei einem lang erprobten Sylter Tierarzt. Das Blind Date hatte Folgen gehabt.
Sooft es möglich war, pendelte ich zwischen meinen sogar im Sommer beheizten Leipziger Hörsälen und dem windigen Strand von Sylt hin und her, meine geliebte Mischlingshündin Hannah stets im Schlepptau. 2001 eröffnete ich todesmutig meine erste tierärztliche Praxis für Groß- und Kleintiere in Tinnum auf Sylt, nicht weit von Westerland entfernt. Zwei Jahre später heiratete ich in eine Sylter Bauernfamilie ein und bekam zwei wunderbare Söhne. Mein Spagat zwischen Pampers, Kaiserschnitten und nächtlichen Notdiensten war teilweise körperlich ziemlich zehrend, und ich war heilfroh über jede Unterstützung seitens meiner Eltern und Schwiegereltern. Meine Jungs wuchsen noch mit Traktoren, dem Meckern der Salzwiesenlämmer und dem Schwein Wilma auf. Sie waren bei deren glitschigen Ferkelgeburt dabei, hatten ihre eigenen Lämmer mit eigenen Ohrmarken und fuhren mit Opa John, meinem damaligen Schwiegervater, täglich auf den Deich zu den Schafen.
Selbst die Scheidung meisterten wir alle in Güte und mit großem Herzen zugunsten der Jungs. Denn eines war uns allen klar: Eine Trennung prägt und sollte niemals auf dem Rücken der Kinder ausgetragen werden. Mit Vernunft und klarem Verstand, ohne Egoismus und Eigensinn haben wir es geschafft, tolle Kinder heranwachsen zu sehen, die noch Anstand und Respekt, Würde und ein gutes Auge für die Natur und seine Tiere auf diesem Planeten haben, denn sie gehören zu der Generation, für die Begriffe wie «Weltklima», «Massentierhaltung» und «Tiertransporte», «Glyphosat» und «Pandemien» mehr als nur lapidare Worte sind.
Heute sind meine Jungs vierzehn und achtzehn Jahre alt, und ich bin froh, dass sie auf einem recht unbeschwerten Fleckchen Erde heranwachsen dürfen. Sie wissen, dass nach der Ebbe die Flut kommt und dass Gehacktes im Kühlregal mal ein Lebewesen war, das noch Wiesen und Weite spüren durfte. Und ihnen ist bewusst, wie wichtig die Natur ist und dass Kälber bei ihren Müttern bleiben sollten. Sie lernen aber auch, was es heißt, am frühen Sonntagmorgen Rinder umzutreiben, bei Nieselregen die Schafe einzufangen und beim Scheren mal ordentlich zuzupacken. Sie können Roggen von Weizen unterscheiden und kennen die Tricks, um Touristenfahrzeuge bei Glatteis mit dem Traktor aus dem Graben zu ziehen.
Mein großes Glück habe ich abermals gefunden und lebe heute zusammen mit meinem Partner auf einem von ihm entworfenen wunderschönen Gestüt, nah am Wattenmeer. Wir züchten Trakehner, eine Pferderasse. Und jedes Jahr erfreuen wir uns an deren Fohlen, welche uns immer wieder mit ihrer Unerschrockenheit und ihrer fröhlich-unbekümmerten Art zeigen, wie herrlich einfach die Welt doch sein kann.
Nun, fast achtundzwanzig Jahre später, sitze ich an Bord einer Boeing 747, meine Fingernägel sind kurz und praktisch, meine Lippen tragen nur den Hauch von Lipgloss, und ich beobachte die routinierte Versorgung der Passagiere und die knallroten Münder der Stewardessen. Ich lehne mich zurück und genieße meinen Flug nach Südafrika, in meinen wohlverdienten Urlaub. Zwanzig Jahre betreibe ich nun eine eigene Praxis und habe Tausenden von Fellnasen geholfen und sie begleitet. Ich bin froh, damals den Mut und das Durchhaltevermögen besessen zu haben, umzusatteln. Es ist meine Berufung, Tieren zu helfen. Ich sorge dafür, dass diese kleinen Wesen wieder gesund, dass sie fachmännisch behandelt, gespritzt, operiert und geheilt werden und zu ihren Besitzern zurückgehen können. Das ist meine Pflicht, das ist meine Leidenschaft, das ist es, was mich wirklich glücklich macht.
Ich nehme euch Leser und Leserinnen jetzt mit auf eine kleine Reise nach Sylt, wo ich zu Hause bin, eine Insel in der Nordsee, wo die Deiche und der Horizont endlos ineinander verschmelzen, die Robben sich auf den Sandbänken aalen, Schweinswale ihre...
Erscheint lt. Verlag | 15.2.2022 |
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Zusatzinfo | Zahlr. 4-farb. Fotos |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Braderup • Hund • Insel • Katze • Kleintiere • Pferd • Pferdezucht • Retter mit Herz • Sehnsuchtsort • Strand • Strandlektüre • Sylt • Tierärzte ARD • Tierärzte Fernsehen • Tierärztin • Tierrettung • Trakehner • Veterinärin • Wenningstedt |
ISBN-10 | 3-644-01129-X / 364401129X |
ISBN-13 | 978-3-644-01129-8 / 9783644011298 |
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Größe: 9,3 MB
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