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So schön still (eBook)

Die Stärke introvertierter Kinder und Eltern

(Autor)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00994-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

So schön still -  Eva Lohmann
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Wie ein Reh auf einem Rockkonzert ... - so beschreibt Eva Lohmann das Gefühl, sich als leises Kind in dieser Welt zu bewegen. Anhand ihrer eigenen Geschichte erzählt sie, wie anstrengend das manchmal sein kann. Aber auch, wie tiefgründig und nachdenklich, kreativ und sensibel introvertierte Kinder sind. So schön still nimmt Eltern die Sorge, ihre ruhigen Kinder könnten in dieser lauten Welt übersehen werden. Es erklärt, was hinter der Sehnsucht nach Stille steckt und wie man seinem Kind Schutzräume bauen kann. Im Kindergarten, in der Schule und im Familienalltag.  Und wenn stille Menschen selbst Eltern werden? Dann haben auch sie ein Recht auf Ruhe. Lohmann zeigt Wege auf, dieses Recht liebevoll durchzusetzen, ohne dass der Rest der Familie dabei auf der Strecke bleibt. Ein Buch für alle leisen Menschen in dieser lauten Welt.

Eva Lohmann, Jahrgang 1981, lebt in Hamburg und hat eine Tochter. Die gelernte Inneneinrichterin und Werbetexterin arbeitet seit über zehn Jahren als freie Autorin. Sie schreibt Romane, Kinderbücher und Artikel für Familienmagazine. Ihr autobiographisches Debüt «Acht Wochen verrückt» über ihren Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik stand auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Eva Lohmann, Jahrgang 1981, lebt in Hamburg und hat eine Tochter. Die gelernte Inneneinrichterin und Werbetexterin arbeitet seit über zehn Jahren als freie Autorin. Sie schreibt Romane, Kinderbücher und Artikel für Familienmagazine. Ihr autobiographisches Debüt «Acht Wochen verrückt» über ihren Aufenthalt in einer psychosomatischen Klinik stand auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Stillere Kinder in unserer heutigen Gesellschaft


Es war der erste Sommer, in dem die ganze Welt wegen eines Virus Kopf stand. Es war der Sommer, in dem wir merkten, wie unsicher unsere Welt war. Und es war der Sommer, in dem ich den Vertrag zu einem Buch über introvertierte Kinder unterschrieb.

Ich lag mit einer Freundin auf dem Bett, unsere Kinder konnten wir vom Schlafzimmer aus beobachten. Sie sind exakt gleich alt, genauso alt wie unsere Freundschaft. Sie spielten zusammen im Planschbecken, das wir auf dem Balkon aufgestellt hatten. Es waren die heißesten Tage dieses seltsamen Sommers.

Die Freundin und ich hatten uns im Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt, eine große Runde aufgeschlossener Großstadtpaare, die ihr erstes Kind erwarteten. Alle nett, alle freundlich. Aber die Frau neben mir war die einzige, die nicht schon in der Vorstellungsrunde ihre Welt zuckerwattegleich beschrieben hatte. Die auch mal alleine zum Kurs kam, weil sie sich mit dem werdenden Vater gestritten hatte, und das offen erzählte. Ich lächelte still und wissend in mich hinein. Die anderen Mütter fassten sich beklommen an die Herzen über ihren riesigen Bäuchen.

Diese Frau ist meine Freundin geworden, weil sie anders ist, ehrlich und direkt. Aber auch, weil sie zuhören kann und ziemlich genau überlegt, bevor sie etwas sagt. Sie besitzt viele Eigenschaften, die Introvertierte zu schätzen wissen.

Und so lagen wir nun also an diesem Sommertag zusammen auf dem Bett, und ich erzählte von meinem Buchvertrag. Von dem Thema, das ich so viele Jahre mit mir herumgetragen hatte und das ich nun endlich in geordnete Kapitel gießen konnte. Ich erklärte ihr, wie das ungefähr funktionierte mit den Introvertierten. Vor allem erzählte ich von diesem schrecklichen Gefühl, das so viele Introvertierte aus ihrer Kindheit mit ins Erwachsenenalter genommen haben: dass sie so, wie sie sind, nicht richtig, nicht gut genug sind. Dass es sich dann wie eine Erlösung anfühlt, wenn sie begreifen, dass sie nicht falsch sind – und nicht allein.

Meine Freundin hörte aufmerksam zu, so, wie sie es immer tut, und sagte dann etwas für mich sehr Überraschendes. Sie sagte, dass diese Beschreibungen sie an ein Gefühl erinnerten, das sie ihr ganzes Leben lang schon habe. Nicht, weil sie introvertiert ist. Sondern weil sie Schwarz ist. Dass sie das Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören, sich immer ein bisschen ausgegrenzt zu fühlen, gut kenne. Aber dass sie nie richtig hatte fassen und beschreiben können, was das Problem war. Erst nach der Rassismusdebatte dieses Sommers habe sie gelernt: Dieses Gefühl, nicht gut genug, nicht gleich genug zu sein, anders zu sein, war ihr auf subtile Weise von klein auf gezeigt worden. Sie war niemals offen ausgegrenzt worden, niemand hatte sie beschimpft oder beleidigt. Aber im Kindergarten hatten die Kinder beim Malen von Gesichtern immer nach «Hautfarbe» gefragt – und Beige damit gemeint. Nicht Braun. Das, so erzählte meine Freundin, war ein seltsames Gefühl, für das sie keine Worte gefunden habe. «Normale» Hautfarbe war anscheinend beige. Ihre Haut aber war braun. Sie gehörte offensichtlich nicht zur Norm. Ohne, dass jemand sie offen ausgegrenzt hatte, wurde ihr gezeigt, dass sie anders war.

Ich möchte die Erfahrungen, die stille Kinder machen, nicht mit den rassistischen Erfahrungen gleichsetzen, die zum Beispiel Menschen mit nichtweißer Hautfarbe leider heute immer noch jeden Tag machen. Aber ich möchte zeigen, was es mit kleinen Menschen macht, wenn sie das Gefühl vermittelt bekommen, nicht in diese Gesellschaft zu passen. Wenn sie denken: «Ich bekomme so oft von anderen signalisiert, dass was mit mir nicht stimmt. Also muss es wohl wahr sein.» Es verankert, ganz tief im Innern, ein Gefühl des Selbstzweifels.

Tausend kleine Mückenstiche


Mikroaggressionen sind, wie das Wort schon denken lässt, winzige übergriffige Bemerkungen oder auch Fragen, die gegenüber anderen geäußert werden – manchmal aus Boshaftigkeit heraus, ziemlich oft aus Unwissenheit. Laut Wikipedia kann das Konzept auf marginalisierte Gruppen aller Art angewandt werden, meiner Meinung nach also auch auf Introvertierte. Mikroaggressionen sind gerade deshalb so schrecklich, weil man sie oft nicht richtig benennen kann. Aber man spürt, wie sie einen Stück für Stück zermürben. Die Geschichte mit den Stiften, die im Kindergarten meiner Freundin «Hautfarbe» genannt wurden, ist nur ein Beispiel von vielen. Ich will einige weitere geben, weil diese Mikroaggressionen je nach betroffener Gruppe sehr unterschiedlich aussehen können und manchmal leider ziemlich schwer zu erkennen sind. Eine klassische rassistische Mikroaggression könnte zum Beispiel der folgende Satz eines weißen Menschen zu einem Schwarzen Menschen sein: «Du sprichst aber gut Deutsch.» Das soll sich nach einem Kompliment anhören, ist vielleicht sogar auch so gemeint, impliziert aber eigentlich: «Ich wundere mich, dass du meine Sprache so gut sprichst, denn wenn ich deine Hausfarbe sehe, schließe ich daraus, dass du keine Deutsche sein kannst und eigentlich nicht hierhergehörst.»

Mikroaggressionen müssen aber auch keine ganzen Sätze sein. Es können hochgezogene Augenbrauen oder ein spöttisches Grinsen sein, wenn der Betroffene etwas gesagt hat. Oder ein Ignorieren, wenn er in den Raum kommt. Ein Ins-Wort-Fallen. Alles winzige Verhaltensweisen, die verletzen. Auf ganz subversive, kaum zu benennende Weise.

Abgeschwächte, aber ähnliche Mikroaggressionen erleben auch introvertierte Kinder oft. Zum Beispiel, wenn Erwachsene sie fragen, warum sie denn immer so schüchtern sind. Oder wenn jemand bemerkt: «Alle spielen so schön miteinander, nur du stehst da allein und schaust zu.» Oder wenn die Eltern mit den Augen rollen, weil das stille Kind nach einer Stunde schon wieder nach Hause will, obwohl sich die ganze Familie so auf das Straßenfest gefreut hat.

Es sollte uns bewusst sein, dass all diese Reaktionen menschlich sind, wir haben alle Gefühle, die wir nicht ständig kontrollieren können. Aber wir sollten uns auch bewusst machen, was wir stillen Kindern antun, wenn wir ihnen die ganze Zeit den Eindruck vermitteln, sie seien auf eine gewisse Art «falsch». Es fühlt sich nicht an wie ein Bienenstich, der einmal beim Stechen wehtut und dessen Schmerz dann langsam nachlässt und verschwindet. Sondern wie ein permanentes leichtes Piesacken Hunderter Mücken, jeden Tag ein paar Stiche, bis irgendwann alles anfängt zu jucken und man am liebsten aus der Haut fahren will.

Die großartige Susan Cain hat es in ihrem Buch Still so beschrieben: «Sind Sie introvertiert, wissen Sie auch, dass die Voreingenommenheit gegen alles Stille einen tiefen Schmerz hervorrufen kann. Als Kind haben Sie vielleicht zufällig mitangehört, wie Ihre Eltern sich für Ihre Schüchternheit entschuldigt haben … Oder vielleicht wurden Sie in der Schule aufgefordert, aus ihrem Schneckenhaus herauszukommen – eine boshafte Formulierung, die nicht gelten lässt, dass gewisse Menschen so wie auch bestimmte Tiere von Natur aus immer einen Schutz mit sich herumtragen.»[7]

Wie die Welt lauter wurde


Susan Cain erläutert in ihrem Buch außerdem, woher diese gesellschaftliche Abneigung gegen in sich gekehrte Menschen kommt. Sie erklärt den Run auf alles Extrovertierte mit den Anfängen der Industrialisierung. In dem Moment, in dem Menschen begannen, in große Städte zu ziehen, verließen sie ihr gewohntes Umfeld und jahrzehntelang gewachsene familiäre Strukturen. Weil die Industrialisierung unendlich viele neue Produkte und Dienstleistungen hervorbrachte, wurden die Menschen nun zu Verkäufern und Vertretern. Um beruflich, aber auch privat Erfolg zu haben, wurde es plötzlich wichtig, nicht in der anonymen Masse unterzugehen, sondern wahrgenommen zu werden. Dieser Zwang zur Vermarktung der eigenen Persönlichkeit prägte das Leben der Menschen spätestens um 1920 herum tief. Im Arbeitsleben musste man auf einmal auf eine ganz neue Art überzeugen – und durfte nicht überhört werden. Das Stück Tod eines Handlungsreisenden von Arthur Miller, dem in der Schule viele Menschen meiner Generation begegneten, beschreibt den damals erstmals aufgetauchten Druck der Arbeitswelt eindringlich. An einer Stelle sagt Dustin Hoffman in der Rolle des alternden, todunglücklichen Handlungsreisenden in dem gleichnamigen Film zu seinem Sohn: «Tritt gleich mit einem Lacher auf, sei nicht so bedrückt, reiß ein paar gute Witze, um die Stimmung anzuheizen. Es kommt nicht darauf an, was du sagst, sondern wie du es sagst. Nur Persönlichkeit zählt im Geschäft.» Am Ende des Films begeht er bekanntermaßen Selbstmord.

 

Auch die Art und Weise, wie sich Beziehungen anbahnten, veränderten sich. Sie wurden nicht mehr nur aus pragmatischen Gründen geschlossen, d.h. wegen der Mitgift bzw. aus politischen Erwägungen oder weil man eben im gleichen Dorf wohnte. Es war wichtig, etwas darzustellen, etwas erreicht zu haben, unterhaltsam zu sein. Besonders für das andere Geschlecht. Erwartungen an Kinder und die damit verbundenen Erziehungsmethoden änderten sich. Früher war das ideale Kind brav und wohlerzogen, gehorsam, gut in der Schule und ansonsten unauffällig. Man wünschte sich, dass aus den Kindern «etwas werden» würde, dass sie es einmal besser haben, gesellschaftlich den Aufstieg schaffen würden. Und damals bedeutete das eben, viel zu lernen, sich gut zu benehmen, sich anzupassen, um...

Erscheint lt. Verlag 15.2.2022
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Familie / Erziehung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Abgrenzung • Achtsamkeit • Burnout • Coaching • Eltern-Kind-Beziehung • Elternsein • Empathie • Erziehung entspannt • extrovertiert • fordernde Kinder • Hochsensibel • Hochsensibilität • Hochsensible Kinder • Introvertiert • Muttersein • Reizarm • Reizüberflutung • Resilienz • Resilienz, Selbstwirksamheit, Selbstvertrauen, Burnout, Coaching, Sinn des Lebens • schwierige Kinder • Selbstakzeptanz • Selbstfürsorge • Selbstvertrauen • Selbstwirksamheit • Sinn des Lebens
ISBN-10 3-644-00994-5 / 3644009945
ISBN-13 978-3-644-00994-3 / 9783644009943
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