Fuchs und ich (eBook)
416 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491437-4 (ISBN)
Catherine Raven widmet sich als Autorin und Wissenschaftlerin der Natur. Sie war Rangerin u.a. in den Nationalparks Glacier, Mount Rainier und Voyagers und promovierte anschließend an der Montana State University in Biologie. Später bezog sie eine kleine Hütte in der wilden, abgeschiedenen Landschaft Montanas und leitete Expeditionen z.B. durch den Yellowstone Nationalpark. Sie hat u.a. im »American Scientist« naturgeschichtliche Essays veröffentlicht und ein Buch über Forstwirtschaft geschrieben. Derzeit unterrichtet Raven an der South University in Savannah, Georgia. Eine frühe Version von »Fuchs und ich« wurde beim Montana Festival of the Book mit dem ersten Platz ausgezeichnet.
Catherine Raven widmet sich als Autorin und Wissenschaftlerin der Natur. Sie war Rangerin u.a. in den Nationalparks Glacier, Mount Rainier und Voyagers und promovierte anschließend an der Montana State University in Biologie. Später bezog sie eine kleine Hütte in der wilden, abgeschiedenen Landschaft Montanas und leitete Expeditionen z.B. durch den Yellowstone Nationalpark. Sie hat u.a. im »American Scientist« naturgeschichtliche Essays veröffentlicht und ein Buch über Forstwirtschaft geschrieben. Derzeit unterrichtet Raven an der South University in Savannah, Georgia. Eine frühe Version von »Fuchs und ich« wurde beim Montana Festival of the Book mit dem ersten Platz ausgezeichnet. Eva Regul, geboren 1974 in Kiel, studierte Literaturwissenschaft in Berlin und lebte anschließend in London. Nach ersten Übersetzungen während des Studiums arbeitete sie mehrere Jahre als Untertitlerin. 2019 kehrte sie in die Welt der Bücher zurück und überträgt seither Literatur aus dem britischen und amerikanischen Englisch ins Deutsche.
Ein schönes Buch, in dem Catherine Raven zeigt, dass der wichtige Respekt vor den individuellen Grenzen von Mensch, Tier und Natur nicht nur Barrieren schaffen.
ein fabelhaftes, berührendes Buch
So berührend und poetisch, dass man sich wünscht, mit ihr in Montana auf den Moment zu warten, wenn nachmittags der kleine Fuchs erscheint.
die ungewöhnliche und anrührende Geschichte einer mit den Mitmenschen fremdelnden Biologin und ihrer Freundschaft zu einem Fuchs
Saint-Ex’ Boa
Zwölf Tage in Folge war der Fuchs nun schon an meinem Cottage aufgetaucht. Kaum berührte die Sonne die Hügelkuppe im Westen, legte er sich zwischen ein paar staubigen Grasbüscheln auf die Erde. Er steckte die Schwanzspitze unters Kinn, kniff die Augen zu und tat, als würde er schlafen. Ich saß auf einem Campingsessel, durch dessen Canvasstoff die harten Halme der Horstgräser piksten, schlug ein Buch auf und tat, als würde ich lesen. Wir waren nur zwei Meter voneinander entfernt, zwischen uns nichts als ein dürres Vergissmeinnicht. Ich weiß nicht, ob uns jemand sah – eine Spitzmaus, eine Wühlmaus, eine Gummiboa –, aber es fühlte sich an, als hätten wir die Welt für uns allein.
Am dreizehnten Tag zog ich mich wärmer als nötig an und setzte mich – gegen halb vier, auf jeden Fall vor vier – nach draußen, schob die wie im Gebet zusammengepressten Hände zwischen die Knie und tappte nervös mit den Füßen auf den Boden. Ich wartete auf den Fuchs und hoffte, dass er nicht kommen würde.
Mein Cottage lag am Ende einer zwei Meilen langen unbefestigten Straße in einem entlegenen Gebirgstal, sechzig Meilen von der nächsten größeren Stadt entfernt. Nicht gerade eine angemessene Wohnlage für eine allein lebende junge Frau. Die Straße war namenlos, deshalb hatte ich auch keine Adresse. Hier im Nirgendwo gab es für mich keine Möglichkeit, einer regulären Arbeit nachzugehen. Ich befand mich viele Meilen außerhalb der Reichweite von Mobilfunkmasten, und wäre ich von einer Klapperschlange gebissen worden oder beim Klettern auf den Felsen hinter dem Cottage unglücklich gestürzt, hätte niemand meine Hilfeschreie gehört. Aber so musste ich mich wenigstens gar nicht erst bemühen zu schreien.
Ich hatte dieses Stück Land drei Jahre zuvor gekauft. Früher hatte ich weiter oben im Tal gewohnt, in einer gemieteten Hütte, die der Besitzer »winterfest« gemacht hatte, was hieß, dass ich mit einem Daunenparka über dem Schlafanzug und Mukluks an den Füßen die Nächte ohne Erfrierungen überstand. Mehr konnte ich mir von dem Geld, das ich als Backcountry-Guide und Teilzeitdozentin von Exkursionsseminaren verdient hatte, nicht leisten. Dann wurde mir eine auf ein Jahr befristete Forschungsstelle an einer Uni angeboten, und man hätte denken sollen, dass ich die Gelegenheit, aus dieser Bude rauszukommen, beim Schopfe gepackt hätte. Nicht nur, weil ich mich beim Betreten der Dusche ducken musste, um nicht an die Eiszapfen zu stoßen, sondern auch, weil eine Postdoc-Stelle für mich als Biologin der nächste logische Schritt gewesen wäre. Aber ich packte den Schopf nicht sofort. Ich ließ die Universität warten, bis ich dieses Stück Land gekauft hatte. Dann erst nahm ich die Stelle an und mietete im Wohnheim der Uni, die hundertdreißig Meilen entfernt war, ein winziges Zimmer. Jedes Wochenende fuhr ich hierhin zurück, durch Schneestürme und über eisglatte Straßen, und schlug an einem kleinen Felsvorsprung mein Zelt auf. Wenn abends der Gaskocher zischte und die Heuschrecken mit einem leisen »Ping« gegen die straff gespannte Zeltwand hüpften, hatte ich das Gefühl, zu meinem Land zu gehören. Ich hatte noch nie das Gefühl gehabt, zu irgendwas zu gehören. Als die Stelle an der Uni auslief, zog ich mit Sack und Pack in mein Zelt und beauftragte ein Bauunternehmen, das Land zu erschließen und das Cottage zu bauen.
Von meinem Platz vor dem Cottage, wo ich auf den Fuchs wartete, hatte ich einen herrlichen freien Blick über mein Tal. Oft konnte man komplette Regenbogen sehen. Die hügeligen Wiesen unterhalb des Cottages waren zwar nie so grün, dass die Kobolde sich am Ende des Regenbogens hätten verstecken können, aber der Blick war ein fairer Ausgleich für ein Leben mit Klapperschlangen. Trotzdem war ich hin- und hergerissen. Selbst ein doppelter Regenbogen konnte nicht ersetzen, was die Stadt zu bieten hatte: die Möglichkeit, Menschen zu begegnen, Kultur zu erleben und einen echten, vernünftigen Job anzunehmen, der mich beschäftigt halten würde, so dass ich keine Zeit mehr hätte, einem Fuchs hinterherzujagen. Für meine Promotion hatte ich einiges auf mich genommen. Ich hatte in leer stehenden Gebäuden gehaust und in der Uni Fußböden gewischt. Im Gegenzug hatte ich lernen dürfen, dass nur wissenschaftliche Fakten zählen und wilde Füchse keine Persönlichkeit haben.
Als Fuchs auf mich zutrottete, erklang eine leise, bezaubernde Melodie wie aus meinem Lieblingsmärchen vom Rattenfänger. Sie wissen schon: Ein bunt gekleideter Fremdling erscheint in der Stadt und lockt die Kinder mit seiner Musik in ein Land voller schneebedeckter Berge und glitzernder Seen. Als der Fuchs sich neben mir zusammenrollte und die Augen zukniff, schlug ich mein Buch auf. Die Musik spielte weiter. Es war gar nicht der Rattenfänger. Es war nur ein Vogel – eine Drossel, die in der Ferne sang.
Seit dem Vormittag hatte der Fuchs im Schatten seines Lieblingsfelsens geschlafen. Jetzt weckten ihn die warmen Strahlen der untergehenden Sonne. Er reckte das Hinterteil in den Himmel und die Nase in den Wind. Seine gestreckten Vorderläufe waren nackt wie eine neugeborene Maus. Das Fell war genau genommen nicht weg, es zeigte nur in die falsche Richtung. Er drehte den Kopf und stellte fest, dass der Wind seine Haare nach hinten wehte, wodurch die Haut an den Läufen freilag und gewärmt wurde.
Über die steinige Erde scharrten die schweren, zögerlichen Schritte eines trächtigen Mäuseweibchens. Als die Maus fast in Reichweite war, knackste ein Windstoß ein paar trockene Grashalme um, und das Geräusch war verschwunden. Wieselpipi! Und sein Tag hatte gerade erst angefangen. Unten auf der Alfalfa-Ebene war es windstill. Im Schatten der Sträucher wuselten die Mäuse dort in Scharen herum, und in den Hecken tummelten sich die Rebhühner. Aber nicht für ihn. Die Ebene gehörte seiner Mutter, und außer ihrem Gefährten und ihren gerade entwöhnten Welpen gestattete sie niemandem den Zutritt. Der Fuchs ließ sich von ihrem Verbot allerdings kaum beeindrucken. Er war jetzt ein Jährling und geschickt genug, um ihre Wachsamkeit zu testen. Deshalb standen Streifzüge ins verbotene Gebiet oft sogar ganz oben auf seiner Agenda.
Nun aber zog es ihn nicht ins Territorium seiner Mutter, sondern zum Haus mit dem leuchtend blauen Dach. Es lag am Hang oberhalb des Baus seiner Mutter und unterhalb seines eigenen. An die Nord- und Südseite drängten sich Wüstenbeifuß und Wacholder, und das Dach schien direkt auf dem Boden zu liegen. Es hatte eigentlich sogar Ähnlichkeit mit seinem eigenen Bau. Beide Behausungen schmiegten sich in dieselbe Bergflanke, den Strahlen der auf- und untergehenden Sonne ergeben. Beide blickten auf die Windungen des glitzernden Flusses und duckten sich vor dem kalten Nordwind.
Auf der Suche nach einem günstigen Weg zum Haus spähte er über den Abhang. Die Rinne war zwar laut, aber er war jetzt nicht in geheimer Mission unterwegs, und alles in allem war es die unkomplizierteste Strecke. Um dorthin zu gelangen, musste er über einen zugigen Grat. Der Wind schob eine gigantische Wolke auf den Rundhügel zu. Der Fuchs quetschte sich zwischen ein paar kinnhohen Kaktusblättern hindurch und hielt kurz die Luft an, damit die Dornen ihn nicht in die Brust piksten. Fairer Preis für eine gute Wolkenshow. Die Wolke prallte auf den Hügel und zerbarst. Genau nach Plan!
In der Rinne rasselten dicke Büschel mehrjähriger Gräser, die Halme bogen sich unter der Last der reifen Ähren. Die Grassamen, lang und dünn wie Fischgräten, blieben in seinem Fell hängen und stachen ihn in die Haut. Er machte an einem kleinen Rosenstrauch halt, um sich das Fell an den Dornen auszustreichen. Erleichtert trabte er den Hang hinunter und neigte sich dabei nach rechts und links wie ein mäusejagender Habicht im Gleitflug.
Kakteen, Windstöße, Grätensamen: Die Wohngegend war nicht optimal. Auf der Alfalfa-Ebene dösten die Faulpelzfüchse wahrscheinlich mit offenen Mäulern auf ihrer grünen Wiese und warteten nur darauf, dass irgendwelche Mäuse, die planlos über das kurze, weiche Gras irrten, sich blindlings in ihre spitzen Eckzähne stürzten. Das war eine optimale Wohngegend. Na ja, optimal für Füchse, die keine weiteren Ambitionen hegten, als Herrscher über ein Jagdgebiet voller geistesschwacher Mäuse zu sein.
Ich stopfte meine Therm-a-rest-Luftmatratze in eine Canvashülle, um sie als Campingsessel zu benutzen. Auf dieser Matratze hatte ich Hunderte von Nächten in der Wildnis verbracht, und wie ein Rennpferd, das sich am Ende seiner Karriere an den Reitsattel gewöhnen soll, bockte sie bei jedem Domestizierungsversuch. Egal, wo ich sie hinwarf, sie landete immer an einer ungünstigen Stelle. Fuchs trottete in den Schatten des Cottages und rollte sich flach wie ein Teppich auf dem Boden zusammen, nur zwei Meter von mir entfernt, zwischen uns nichts als dieses eine Vergissmeinnicht. Regungslos wartete er auf seinem bequemen Platz, während ich unsicher und schwankend auf dem weichen, wabbeligen Sessel herumzappelte. »Der kleine Prinz«, sagte ich und schlug ein Taschenbuch mit beschichtetem Einband auf, »von Antoine de Saint-Exupéry.«
Mein Leben hatte lange Zeit wie ein Stinktierschwanz ausgesehen: ein einziges Fragezeichen. Jetzt hatte ich mich entschieden, von hier wegzugehen, und die Frage war nicht mehr, was ich als Nächstes tun würde, sondern warum ich es nicht tat. Die Antwort, muss ich gestehen, hatte mit dem Fuchs zu tun.
Nach monatelangem Hin und Her hatten wir – der Fuchs und ich – inzwischen einen Status quo erreicht, mit dem wir uns beide...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2021 |
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Übersetzer | Eva Regul |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Anthropomorphismus • Antoine Saint-Exupéry • Autobiographie • Biologie • Der kleine Prinz • Einsamkeit • Empathie • Frankenstein • Freundschaft • Isolation • Memoir • Moby Dick • Montana • Nationalpark • Natur • Nature writing • Naturkunde • Selbstfindung • Wildnis |
ISBN-10 | 3-10-491437-0 / 3104914370 |
ISBN-13 | 978-3-10-491437-4 / 9783104914374 |
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