Das Spiel (eBook)
272 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75623-8 (ISBN)
Mit Philipp Lahm stellt ein ebenso überragender wie integrer Sportler seine Sichtweise auf DAS SPIEL vor. Er bietet eine auf reicher eigener Erfahrung beruhende Gesamtdarstellung der zentralen Themen des Fußballs. Athletik, Ballbeherrschung, Ernährung, Spielintelligenz, Schiedsrichterentscheidungen und viele weitere Aspekte bringt er zur Sprache; aber der Weltmeister und Champions-League- Sieger beginnt sein Buch mit der Nachwuchsarbeit, die ihm ganz besonders wichtig ist. So fragt er, wann und wie man Kinder an diesen Sport heranführen sollte, worauf es in Leistungszentren und im Beraterkreis ankommt, welche Persönlichkeitsmerkmale für einen jungen Sportler unverzichtbar sind, wenn er wahre Exzellenz anstrebt, und wie sich schließlich der Übergang zum Profidasein vollzieht. Doch wie sehen dann die Realitäten des Profitums aus, und was erwartet einen Spieler, wenn Verletzung und Auswechselbank seinen Alltag bestimmen? Besonders wichtig für jeden Athleten ist die Trainingsarbeit. Wodurch aber zeichnen sich erfolgreiche Trainer wie etwa Pep Guardiola oder Jürgen Klopp aus, und welche Spielideen wirkten in den letzten Jahrzehnten prägend? Wie verlaufen Machtkämpfe? Ein Höhepunkt auf dem Werdegang einiger Sportler ist schließlich die Berufung in die Nationalmannschaft, der ebenfalls ein Kapitel gewidmet ist; aber auf den Endpunkt der Karriere sollte sich jeder Aktive professionell vorbereiten.
Philipp Lahm hat zahllose nationale und internationale Erfolge gefeiert, war Fußballer des Jahres 2016/17 und galt als einer der Fairsten seines Sports überhaupt. Bis heute hat sich Philipp Lahm seine innere Unabhängigkeit bewahrt und besitzt ein unbestechliches Urteil im Hinblick auf die Entwicklungen im Fußballgeschehen. Diese Stärken machen sein neues Buch zu einem MUSS für jeden, der sich für Fußball interessiert.
3. Auflaufen zur ersten Halbzeit
Die Anfänge
Erinnern Sie sich noch? Ferien – ein paar Kinder aus der Nachbarschaft, Pullover und Anoraks, mit denen die Tore markiert wurden, ein Ball, und los ging’s. Es gab immer einen, der besser war als alle anderen und den man gern in der eigenen Mannschaft hatte; dafür bekamen die anderen einen Mann mehr. Es gab auch immer einen, der ein bisschen dick war und nicht besonders schnell – der ging dann ins Tor. Dann sind wir gerannt, haben uns den ganzen Nachmittag bewegt und sind erst nach Hause gegangen, wenn man uns gerufen hat.
Wir haben an diesen Tagen viel gelernt: Alle durften mitspielen; ein Foul war ein Foul, und wenn der Ball im Aus war, war er im Aus; und irgendwann haben wir sogar begriffen, dass es günstiger war, den Ball abzuspielen, wenn der Mitspieler besser stand, als selbst vergeblich aufs gegnerische Tor zu schießen. Niemandem wäre es eingefallen, sich hängen zu lassen und der anderen Mannschaft den Sieg zu schenken – derjenige hätte ganz schön was zu hören bekommen von den Freunden. So haben wir gelernt, was Regeln sind und dass sie für alle gelten. Wir haben versucht, die Tricks von den Besseren abzugucken und unser eigenes Spiel dadurch besser zu machen, um uns beim nächsten Mal durchzusetzen. Wir haben erlebt, wie sich eine natürliche, auf Talent und Einsatz beruhende Hierarchie herausgebildet hat, und verstanden, wie man sich in einer Gruppe verhält. Darum geht es, wenn Kinder Fußball spielen, und darum geht es, wenn man erwachsen wird. Doch natürlich kam es uns nicht darauf an, was wir nebenbei gelernt haben; entscheidend war für uns, mit den Freunden zusammen zu sein und Spaß beim Spielen zu haben.
Ein Sieg für die Mannschaft und eine Niederlage für den Spieler
Der Spaß an der Sache! Das war und bleibt für Kinder das Entscheidende – und das wird heute allzu oft übersehen. Wenn man dem Nachwuchs garantiert die Freude am Fußballspielen nehmen will, dann muss man kleine Kinder in Vereine schicken, in denen schon in den frühesten Jugendklassen der Sieg über den Gegner in den Vordergrund gerückt wird. Es ist fatal, wenn schon in den Wettbewerben der F- und E-Jugend bevorzugt die Größeren eines Jahrgangs aufs Feld geschickt werden, um dank dieser Zufälle der körperlichen Entwicklung ein Spiel zu gewinnen. Auf diese Weise kann ein Kind, das am Spielfeldrand bleiben muss, weder sein Selbstwertgefühl stärken noch Selbstvertrauen gewinnen und folglich auch nicht seine Persönlichkeit entwickeln. Aber es ist auch ein Betrug an den «Stärkeren» in dieser Altersklasse, denn sie treffen in der nächsten garantiert auf Gegner, denen sie in der Auseinandersetzung unterliegen werden, weil diese dann körperlich weiter sind. So wird das Eigentliche versäumt: das Miteinander in einer Mannschaft zu fördern und zu versuchen, die Fähigkeiten und Talente eines jeden Kindes zu erspüren, zu stärken und mit denen der anderen in Beziehung zu setzen. Der Einzelne und seine Entwicklung müssen daher im Zentrum stehen und das Maß der Dinge sein, wenn es um die spielerisch-sportliche Ausbildung von Kindern geht.
Die Aufgabe eines Vereins ist folglich im Hinblick auf die jüngsten Junioren in allererster Linie, ihnen zu helfen, sich sozial zu entwickeln – dieser Aspekt darf aber auch später in der Arbeit mit Jugendmannschaften nie vernachlässigt werden. Wer Kindern in einem Verein vermittelt, dass alle willkommen sind und Wertschätzung erfahren – gleichgültig welche Voraussetzungen sie mitbringen und welchem Kulturkreis sie entstammen –, leistet einen unschätzbaren Beitrag zur Persönlichkeitsentwicklung und fördert womöglich nebenbei ein Talent zutage, das unter anderen Bedingungen gar nicht zum Vorschein gekommen wäre. Gerade wer die sportliche Verantwortung für Kinder im Grundschulalter trägt, trägt also in ganz besonderer Weise auch Verantwortung für das Wohl der Kinder in sozialer Hinsicht. Wer stattdessen bereits in dieser Altersgruppe das Ergebnis eines Fußballspiels in den Vordergrund rückt, hat die Frage, weshalb er als Jugendtrainer arbeiten möchte, falsch gestellt. Auf solche Stimmungen sollten Eltern achten, wenn sie ihre Kinder – Jungen und Mädchen – in einen Fußballverein schicken. Sie können daraus erschließen, welche Einstellung zum Leben allgemein und zum Sport im Besonderen ihren Nachwuchs dort erwartet. Ein ordentlicher Dorfverein in der Nachbarschaft kann unter diesen Gesichtspunkten für Kinder, die mit ihren Freunden Fußball spielen wollen, die bessere sportliche Heimat sein als der Club in der nächsten Stadt.
Kinder haben ein natürliches Interesse an Wettkampfsituationen – beim Mensch ärgere dich nicht ebenso wie auf dem Fußballfeld. Sie bekommen über alle Medien mit, wie wichtig Tore und Erfolg, Sieg und Niederlage im Fußballleistungssport sind. Diese Beobachtungen aus der Erwachsenenwelt übertragen sie in ihre Kinderwelt. So gibt es überhaupt keinen Grund, diese Haltung der Jüngsten auch noch im Verein zu befeuern. Ganz unglücklich ist es, wenn die Eltern selbst solch einen künstlichen Leistungsdruck entfalten. Wie unrealistisch und fehlgeleitet überambitionierte Bemühungen sind, ein Kind zu sportlichen Erfolgen zu treiben, erschließt sich sogleich, wenn man sich bewusst macht, dass in den Vereinen des DFB über sieben Millionen Menschen Mitglieder sind.[1] Mit anderen Worten: Es ist nur ein winziger Prozentbruchteil aller Aktiven, der später einmal halbwegs erfolgreich eine Fußballerkarriere einschlagen kann. Es wird im Fußball immer rigoroser selektiert, je weiter ein Talent in den Jugendklassen vorrückt. Während in dieser Hinsicht für ein Kind also nur eine verschwindend kleine Aussicht besteht, wenn es auf solch ein Ziel hin getrimmt wird, kann es körperlich und in seiner Persönlichkeitsentwicklung großen Nutzen daraus ziehen, wenn es stattdessen in seiner Einzigartigkeit wahrgenommen und gemäß seinen Anlagen im Elternhaus und in einem Verein sportlich angemessen gefördert wird.
Zwar lässt sich nicht leugnen, dass immer noch Männer die klassischen Vorbilder für den fußballerischen Nachwuchs sind, und selbstverständlich gibt es in zahllosen Vereinen genügend Trainer, die mit Einfühlungsvermögen ihrer Verantwortung für das Wohl der ihnen anvertrauten Kinder gerecht werden. Aber es wäre interessant zu sehen, wie sich Kinder und Jugendliche entwickeln, wenn mehr Frauen in Vereinen als Trainerinnen eingesetzt würden. Erste Ansätze zeigen sich in dieser Hinsicht inzwischen erfreulicherweise sogar schon bei den Erwachsenen: So trainiert Imke Wübbenhorst, die mit der U19 Europameisterin wurde, heute die Männer des Regionalligisten (West) Sportfreunde Lotte, und in Frankreichs Zweitligaclub Clermont Foot liegt die sportliche Verantwortung bei Corinne Diacre und damit ebenfalls bei einer Frau.[2]
Die Erfahrung von Sieg und Niederlage gehört zum Alltag eines jeden Menschen – ebenso wie die damit verbundenen Ängste; sie müssen in das Leben eingebaut werden. Aber die entscheidende Frage auf dem Fußballplatz wie im Alltag bleibt für den Einzelnen, ob und wie er mit Erfolg und Misserfolg umzugehen lernt. Was nun die Jugendarbeit betrifft, so könnten Frauen dies mit Sicherheit nicht weniger gut als Männer im Training der Juniorenklassen vermitteln.
Was man lehren kann
Miteinander
Eine bessere Einbindung in eine Gemeinschaft, als sie in einem Fußballverein geleistet werden kann, ist kaum vorstellbar: Kleine, Große, Dicke, Schlanke, Hell- und Dunkelhäutige, Christen, Muslime, Juden, Deutsche, Ausländer – völlig egal! Alle Kinder, die in einer Mannschaft spielen, wollen sich bewegen und verfolgen miteinander ein Ziel, so simpel es sich auch darstellt: Das Runde soll in das Eckige. Wenn sie spielerisch lernen, dass alle willkommen sind, die bereit sind, Regeln zu befolgen, die jeder begreifen kann, und den anderen zu achten, der mit ihnen dieses Spiel spielt, hat der Fußball schon viel bei ihnen bewirkt. Die Gemeinsamkeit im Spiel schafft Lernmomente, die gleichermaßen Körper und Geist zugutekommen – die in jedem Kind Fähigkeiten im Hinblick auf Bewegung, Sprache und das Miteinander mit anderen entwickeln helfen, und zwar unabhängig davon, aus welchen gesellschaftlichen Schichten und aus welchen Ländern sie stammen.
Fußball – als dem letzten echten Volkssport, den auszuüben praktisch jederzeit und überall möglich ist – kommt daher eine besondere Bedeutung zu. Wer mit Altersgenossen ...
Erscheint lt. Verlag | 22.2.2021 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Ball • Champions League-Sieger • EURO 2024 • Fans • FC Bayern München • Fußball • Geschäft • Philpp Lahm • Spiel • Spielsysteme • Sport • Stadion • Titel • Tor |
ISBN-10 | 3-406-75623-9 / 3406756239 |
ISBN-13 | 978-3-406-75623-8 / 9783406756238 |
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