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Rechte Bedrohungsallianzen (eBook)

Signaturen der Bedrohung II
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
325 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-76686-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Rechte Bedrohungsallianzen -  Wilhelm Heitmeyer
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Nach Ereignissen wie dem Mord an Walter Lübcke, dem Anschlag in Halle oder den rassistischen Morden in Hanau im Februar 2020 wird regelmäßig darüber diskutiert, inwiefern es sich um isolierte Einzeltäter handelt oder ob ein Zusammenhang zu bestimmten Parteien und Ideologien besteht. Der renommierte Rechtsextremismusforscher Wilhelm Heitmeyer hat dazu bereits 2012 das Modell eines konzentrischen Eskalationskontinuums präsentiert: ganz außen stehen menschenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung, im Zentrum terroristische Zellen, dazwischen organisierte Akteure, »Vordenker«, systemfeindliche Milieus und Unterstützernetzwerke. Die Gewaltbereitschaft nimmt von außen nach innen zu, die jeweils äußere Schicht liefert ihrer inneren Nachbarin Legitimation.

In dieser hochaktuellen Studie zeigt Wilhelm Heitmeyer zusammen mit Peter Sitzer und Manuela Freiheit u. a. am Beispiel der Ausschreitungen in Chemnitz im August 2018, wie sich innerhalb dieses Kontinuums Allianzen herausbilden und wie diese die offene Gesellschaft immer stärker bedrohen.



<p>Wilhelm Heitmeyer, geboren 1945, war von 1996 bis 2013 Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und arbeitet dort jetzt als Forschungsprofessor. In der edition suhrkamp gab er u. a. die Reihe <em>Deutsche Zustände </em>heraus.</p>

1. Das Konzept


1.1. Problembeschreibung und leitende These: Ausdifferenzierung und Dynamisierung als Erfolgsmodell rechter Bedrohungsallianzen


In den letzten Jahren war im rechten politischen Spektrum eine Ausdifferenzierung von Bewegungen, Parteien und Netzwerken zu beobachten. Zugleich wurden die Kräfte gebündelt. Vor dem Hintergrund globaler und innergesellschaftlicher Probleme führte dies zu einer bislang ungekannten Dynamisierung von Bedrohungen für die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie.

Diese Bedrohungen beginnen oft mit Verschiebungen auf der Einstellungsebene, etwa wenn basale Grundwerte wie die Gleichwertigkeit der Menschen, die in dieser Gesellschaft leben, nicht länger von allen geteilt werden. Solche Verschiebungen können in Angriffen auf die psychische und physische Unversehrtheit der Angehörigen markierter Gruppen resultieren – bis hin zu tödlicher terroristischer Gewalt. Aber auch die Institutionen der Gesellschaft und des Staates stehen im Fadenkreuz und sollen destabilisiert werden.

Die entsprechenden Allianzen umfassen Einzelpersonen ohne organisatorische Anbindung, die Einstellungen aufweisen, die sich unter gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit subsumieren lassen, ein autoritär-nationalradikales Milieu mit entsprechenden Bewegungen und Parteien, systemfeindliche rechtsextremistische und neonazistische Netzwerke sowie klandestine terroristische Zellen und ihre Unterstützer. Wie gefährlich solche Allianzen für die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie sind, lässt sich nur dann wirklich einschätzen, wenn man die Interaktionsprozesse zwischen den Teilgruppen mithilfe eines soziologischen Ansatzes (Kapitel 3) und vor dem Hintergrund des Konzepts des Eskalationskontinuums (Kapitel 4) analysiert. Parzellierte Betrachtungen einzelner Vorgänge, Organisationen oder Ereignisse hingegen führen aus unserer Sicht nicht weiter.

1.2 Definitorische Rahmung


Rechte Bedrohungsallianzen werden in dieser Analyse als Bündnisse zwischen individuellen Akteuren, Gruppen, sozialen Bewegungen und Parteien verstanden, die sich gegen die offene Gesellschaft und die liberale Demokratie richten. Dabei unterscheiden wir zwischen formellen Handlungs- und informellen »Gedanken«-Bündnissen in Form von Einstellungen in der Bevölkerung. Wir werden diese Bedrohungsallianzen in der folgenden Analyse explizit nicht allein im klassischen parteipolitischen Koordinatensystem verorten, da wir glauben, dass sie dafür zu komplex sind und eine zu große programmatische und taktisch-strategische Spannbreite aufweisen. Rechte Bedrohungsallianzen eint das Bestreben, eine autoritäre Entwicklung hin zu einer geschlossenen Gesellschaft und illiberalen Demokratie herbeizuführen. Deshalb werden die rechten Bedrohungsallianzen in dem konzipierten Eskalationskontinuum durch ihre Frontstellung gegen qualitative Verfassungsgrundsätze bestimmt. Zentral ist Artikel 1 Grundgesetz: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.«

Was die konzentrischen Schichten des Eskalationskontinuums anbelangt, lassen diese sich insbesondere durch ihre jeweilige Aggressivität sowie Gewalt- und Vernichtungsbereitschaft unterscheiden. Außerdem können wir Prozesse auf drei Ebenen auseinanderhalten: Auf der individuellen Ebene geht es vor allem um die Ideologie der Ungleichwertigkeit sowie die Schädigung oder Zerstörung der psychischen und physischen Unversehrtheit von Menschen. Auf der Ebene der Institutionen zentral sind die Destabilisierung bisheriger Normalitätsstandards sowie die Veränderung sozialer Normen mit dem Ziel, ein neues, autoritäres Kontrollregime zu errichten. Auf der gesellschaftlichen Ebene wird ein Systemwechsel angestrebt, mit dem national fokussierte deutsche Zustände durchgesetzt werden sollen.

Bedrohungsallianzen werden hier ausdrücklich nicht im Sinne vertraglicher Zusammenschlüsse oder sonstiger formaler Vereinbarungen verstanden. Was uns vielmehr interessiert, sind ideologische Bezugnahmen und Legitimationsbrücken zwischen den einzelnen Bestandteilen dieser Allianzen. Im Extremfall reichen ihre Ziele bis hin zum Umsturz mithilfe terroristischer Zellen und zur Errichtung eines Gesellschaftssystems nach nationalsozialistischem Vorbild.

Darüber hinaus sind weitere Definitionsmarkierungen notwendig. Sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Wissenschaft kursieren so unterschiedliche Bezeichnungen wie »Rechtsradikalismus«, »Neonazismus« oder »Neofaschismus«, die nicht einfach andere Wörter für dasselbe Phänomen darstellen, sondern »als Begriffe auf unterschiedliche, teils gegensätzliche Wahrnehmungen und soziale wie politische Kontexte verweisen« (Salzborn 2015, S. 14; siehe auch Fenske 2013; FIPU 2014). Zugleich wird der Rechtsextremismus-Begriff im medialen und politischen Diskurs inflationär verwendet (vgl. Pfahl-Traughber 1995, S. 25). Komplettiert wird die Begriffsverwirrung dadurch, dass es selbst unter jenen Wissenschaftlern, die den Terminus verwenden, keine allgemein anerkannte Definition gibt und angesichts der verschiedenen gesellschaftspolitischen Standpunkte und methodischen Ansätze wohl kaum jemals geben wird (vgl. u. ‌a. Mudde 1995; Heitmeyer 2002b; Backes [Hg.] 2003; Grumke 2013).

Wir stützen uns im Folgenden auf die Definition die eine Ideologie der Ungleichwertigkeit in Verbindung mit Gewaltakzeptanz als Kern der entsprechenden Phänomene identifiziert (Heitmeyer 1987). In der Langzeituntersuchung von Heitmeyer et al. (1992, S. 13f.) wurde diese Auffassung weiter ausdifferenziert.

Die Ideologie der Ungleichwertigkeit basiert auf nationalistischer bzw. völkischer Selbstübersteigerung, rassistischen Kategorien, soziobiologischen Behauptungen natürlicher Hierarchien, auf einer sozialdarwinistischen Betonung des Rechts des Stärkeren, totalitären Abwertungen von »Anderssein« sowie einer Betonung von Homogenität. Diese Ideologie der Ungleichwertigkeit ist der kleinste gemeinsame Nenner, der alle Schichten des Eskalationskontinuums eint und der alle individuellen, gruppenbezogenen und nationalen Vergleiche durchzieht. Sie dient als Interpretationsfolie gesellschaftlicher Realität und als Legitimationsfundus für personen- wie gruppenbezogene Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt.

An dieser Stelle kommt das zweite Element der Definition ins Spiel, die Gewaltakzeptanz. Ihre wesentlichen Varianten sind die Überzeugung, Gewalt gehöre unabänderlich zum sozialen Dasein, die Billigung fremdausgeübter privater bzw. repressiver staatlicher Gewalt, eigene Gewaltbereitschaft sowie schließlich tatsächliche Gewalttätigkeit. Gewalt gilt als normales und legitimes Mittel der Austragung von Konflikten sowie zur Durchsetzung der Ideologie der Ungleichwertigkeit. Damit einhergehen eine Geringschätzung rationaler Diskurse, die Überzeugung, das Leben sei ein alltäglicher Kampf zur Sicherung des »Deutsch-Seins«, eine Ablehnung demokratischer Formen der Regelung sozialer und politischer Konflikte, der Wunsch nach autoritärem Durchregieren sowie ein gewisser Militarismus bzw. ein Faible für militärische Umgangsformen.

Ausgehend von diesen terminologischen und konzeptionellen Vorbemerkungen wird das Argument nach einer empirischen Bestandsaufnahme zum Ausmaß rechtsextremistischer Straf- und Gewalttaten (Kapitel 2) in neun Kapiteln entwickelt:

  • In Kapitel 3 skizzieren wir einen soziologischen Forschungsansatz, bei dem in gesellschaftsanalytischer Hinsicht das Zusammenwirken ökonomischer Prozesse (etwa der Aufstieg des globalen Finanzkapitalismus), soziale Desintegrationsprozesse und politische Folgen einer Demokratieentleerung im Mittelpunkt stehen. Zudem stellen wir unser Konzept für die Analyse von Interaktionsprozessen zwischen politischen und sozialen Akteursgruppen vor, das uns dabei helfen soll, den Ursachenmustern weiter nachzugehen.

  • Die Analyse rechter Bedrohungsbilanzen...

Erscheint lt. Verlag 12.10.2020
Co-Autor Manuela Freiheit, Peter Sitzer
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte AfD • Arbeiter-Klasse • Armut • Bestseller • Bestseller bücher • Bestsellerliste • Björn Höcke • buch bestseller • edition suhrkamp 2748 • ES 2748 • ES2748 • Flüchtlinge • Göttinger Friedenspreis 2012 • Hanau • Klassismus • Prekariat • Prekarität • Proletariat • Rechtsextremismus • Rechtsradikalismus • Sachbuch-Bestenliste • Sachbuch-Bestseller-Liste • Terror • Ungleichheit
ISBN-10 3-518-76686-4 / 3518766864
ISBN-13 978-3-518-76686-6 / 9783518766866
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