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Inverted Classroom in der Statistik Lehre -  Andrea Breitenbach

Inverted Classroom in der Statistik Lehre (eBook)

eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
264 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7526-5001-3 (ISBN)
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In den vergangenen Jahrzehnten hat die Heterogenität von Studierenden stark zugenommen. In diesem Kontext werden divergierende Wissensvoraussetzungen häufig thematisiert, aber auch andere Bereiche, wie heterogenen Lebenslagen, spielen für das Studium eine wichtige Rolle. Mit der steigenden Heterogenität erwachsen neue Herausforderungen an die Lehre, dennoch werden nur in geringen Maße neue (digitale) Lehrkonzepte für Lernende in heterogenen Lebenslagen ent-wickelt. So finden sich kaum neue Lehrkonzepte, die den Bedürfnissen von Erwerbstätigen, Pendlern, Personen mit Kindern etc. genügen. Ein digitales Lehrkonzept, das Inverted Classroom, wird seit einigen Jahren von Lehrern und Hochschuldozenten genutzt und überwiegend positiv bewertet. Dieses Konzept wird in der Statistik Lehre eingesetzt und soll zu dessen Verbesserung beitragen. Zugleich wird davon ausgegangen, dass es die Heterogenität von Studierenden besser abfedern kann als traditionelle Lehrkonzepte. Die Statistik ist ein Teilbereich der Mathematik, der in vielen Studiengängen eine wichtige Rolle spielt, aber zu den unpopulären und schwierigen Fachgebieten zählt. Folglich ist es besonders wichtig, ein gutes Lehrkonzept für die Statistik Lehre anzuwenden, das den Besonderheiten der heterogenen Studierenden gerecht wird. Dieses Lehrkonzept wird unter anderem auf seine Vor- und Nachteile analysiert und die Perspektive der Studierenden anhand einer qualitativen Studie untersucht.

Andrea Breitenbach ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der AG Methoden und Statistik am Institut für Soziologie der Universität Marburg. Sie forscht u.a. im Bereich Familiensoziologie, neue (digitale) Lehrmethoden, Umweltsoziologie und empirische Methoden und Statistik.

2.2. Bewertung des Frontalunterrichts


Der Frontalunterricht steht seit langem im Feuer der Kritik zahlreicher Bildungsforscher.10 Welche Strukturen ihn kennzeichnen und was für Vor- bzw. Nachteile er bietet, wird an dieser Stelle diskutiert: Den Frontalunterricht kennzeichnet die Kommunikation des Lehrenden mit allen Lernern gleichzeitig, die keine Kooperation untereinander vorsieht. Nur der Lehrer11 initiiert alle Handlungen und Entscheidungen, wobei die Stoffvermittlung im Vordergrund steht. In der Didaktik gehört diese Form des Unterrichts zu den lehrerzentrierten Methoden und grenzt sich beispielsweise vom schülerzentrierten Unterricht, wie der Gruppenarbeit, ab (Kiper 2001, S. 142; Peterßen 2009, S. 113 f.). Dominierende Medien sind zum Beispiel Overheadprojektor, Tafel oder Lehrbuch. Weiterhin sind zentrale Merkmale die Steuerung, Kontrolle und Bewertung durch den Dozenten, die Kommunikation findet mehrheitlich zwischen ihm und den Lernenden statt. Außerdem überwiegt eine kognitive und sprachliche Gestaltung des Unterrichts, der thematisch strukturiert ist. Aktive Lernerhandlungen und bildliche Darstellungen finden sich selten, ebenso wie eine fest institutionalisierte Kritik am Unterricht in Form von Diskussionen und Feedback. Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit werden mitunter einbezogen, sie dienen jedoch überwiegend der methodischen Abwechslung, ohne eine didaktisch reflektierte Einbettung darzustellen (Gudjons 2011, S. 25;Meyer 2007, S. 182 f.;Meyer und Meyer 1997, S. 34).

Die sieben grundlegenden didaktischen Funktionen sind nach Gudjons (2011, S. 51– 132):

  • Informieren und Darbieten
  • Stoff erarbeiten
  • Lernmethoden vermitteln
  • Entdecken und Problemlösen
  • Ergebnisse sichern, Üben und Wiederholen
  • Lehr-/Lernprozesse gemeinsam planen, koordinieren und auswerten
  • Klassengemeinschaft fördern

Wie bereits erwähnt, wird der Frontalunterricht von zahlreichen Wissenschaftlern kritisiert. Eine Zusammenfassung der wesentlichsten Nachteile liefern Gudjons und Meyer (2006, S. 14 ff.; 2011, S. 27 ff.; 2007, S. 182–192), die hier knapp dargestellt werden: Ein wichtiger Gesichtspunkt, der oftmals übersehen wird betrifft den Lerninput und Lernoutput, denn es bestehet kein kausaler Zusammenhang zwischen Lehren und Lernen. Nicht alles, was der Lehrer vermittelt, wird vom Lerner in gleicher Weise aufgenommen und verarbeitet. Lerner sind unterschiedlich motiviert, lernen und verstehen unterschiedlich. Beim Frontalunterricht werden außerdem soziale Fähigkeiten und die Selbstorganisation des Lernens vernachlässigt, während die Autorität des Lehrers in den Vordergrund und ein demokratischer Unterricht in den Hintergrund rücken. Ebenso wird der Individualität der Lerner und deren individuellen Lerntempi nicht Rechnung getragen, obwohl es vermutlich verschiedene Lerntypen gibt. Lerner lernen bei dieser Sozialform nur rezeptiv und passiv, wenngleich die Anforderungen der Wissensgesellschaft auf kognitive Fähigkeiten, denn nach Gudjons (2011, S. 32) unterliegt ihm „(wie der Instruktionspsychologie) kein Bildungsverständnis, das auf Autonomie, Selbstbestimmung, Mündigkeit, die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Identitätsgewinnung gerichtet ist, sondern auf die messbare Veränderung von Wissenszuständen“ (Aschersleben 2002, S. 40 ff.; Gudjons 2011, S. 32). Meyer (2007, S. 184) kritisiert zudem, dass diese Sozialform „zum obrigkeitsstaatlichen Denken und Fühlen“ erziehe. Ein wesentlich schwerwiegendes Argument gegen den Frontalunterricht liefern Widulle und Tietze et al. (1997, S. 75; 2009, S. 110), die konstatieren, dass im Frontalunterricht nur Faktenwissen zu erlernen sei. Ähnlich argumentieren Weidlich und Spannagel (2014, S. 239), „dass die Vorlesung in der klassischen Präsenzveranstaltung im Wesentlichen der Informationsvermittlung dient“. Den Studierenden kommt dabei die Aufgabe zu, die Informationen aufzunehmen, zu behalten und zu verstehen, was im Wesentlichen den Lernzielen „Remember“ und „Understand“12 zugeordnet werden kann.

Zwar ist der Frontalunterricht die immer noch verbeiteste Sozialform, aber nicht die Interessen und Fähigkeiten der Lerner, sondern ökonomische Abwägungen seitens der Lehrer führen zu dieser Dominanz, denn sie ist die kostengünstigste Variante. Viele Lerner können gleichzeitig unterrichtet werden, und Aufgaben für eine Klasse vorzubereiten ist weniger zeitraubend als Aufgaben für verschiedene Gruppen oder Lerntypen (Aschersleben 2002, S. 37; Götz et al. 2005, S. 345; Gudjons 2006, S. 11; Meyer 2007, S. 188). Ebenso wird bei dieser Sozialform sowohl das Macht- und Kontrollbedürfnis des Lehrers als auch die „narzisstische Bedürftigkeit der Lehrkräfte“ gestärkt (Gudjons 2011, S. 34). Letzteres Argument sei der Tatsache geschuldet, dass Frontalunterricht vor allem den Lehrern Spaß bereitet. Ebenso drängt der Frontalunterricht die Lerner dazu, sich ruhig zu verhalten und nicht nur ihren Kommunikationsbedürfnissen nachzugehen. Auch spielen weitere Aspekte, wie institutionelle Zwänge, beispielsweise der Zwang, den im Curriculum festgelegten Stoff durchzunehmen, eine wichtige Rolle. (Aschersleben 2002, S. 40 ff.; Gudjons 2006, S. 14 ff.; Meyer 2007, S. 182–194).

Neben dieser Vielzahl von Nachteilen lassen sich aber auch Argumente für den Frontalunterricht finden. Einige der genannten Nachteile sind auch in mancher Hinsicht von Vorteil: Das betrifft beispielsweise ökonomische Vorteile und Disziplinierung. Frontalunterricht ist insbesondere zeitökonomisch sinnvoll, wenn es darum geht, Inhalte nicht zu vertiefen oder diese nur im Kontext von anderen Lehrinhalten eine Rolle spielen. Seine

Effektivität und Planbarkeit machen ihn bei Lehrern sehr beliebt, denn andere Formen des Unterrichts können in weiten Teilen nicht vorausgeplant werden und kosten weit mehr Vorbereitungszeit. Aus diesem Grund ist diese Sozialform für die Erklärung von Sachverhalten, Vorgängen oder Lerntechniken gut geeignet (Aschersleben 2002, S. 40; Gudjons 2011, S. 47). Nuhn (2000, S. 19) beschreibt den Frontalunterricht als „Klammer, die unterrichtliche Lernprozesse zusammenhält“, er sei ebenso zum Organisieren des Lehren- und Lernens wie für die Darstellung von Sinn-, Sach- und Problemzusammenhängen notwendig und verschaffe allen Lernenden den gleichen Informationsstand. Nachdem viele Reformpädagogen die Lehrmethode Frontalunterricht als unnötig erachteten, ist diese nach Aschersleben (2002, S.wieder „modern“, denn effektiver Unterricht benötige Disziplin. „Chaotischer“ Unterricht ist eine Contradictio in adjecto, ein Widerspruch in sich“ (Aschersleben 2002, S. 42). Dem setzt Meyer (2007, S. 189) entgegen, der Frontalunterricht diszipliniere nur oberflächlich, die erwünschte Selbstdisziplin könne er nicht herstellen.

Weitere Vorteile sind beispielsweise unmittelbare und direkte Rückmeldungen, denn anders als bei der Einzel- oder Gruppenarbeit kann der Lehrer direkt nachfragen und Fragen oder Probleme gemeinsam mit allen Lernern klären. Dem Aufbau einer gemeinsamen Gesprächskultur ist er auch dienlich, denn neben der Interaktion mit den Lernern ist es auch notwendig, die Kommunikation zu regeln: „zuhören, ausreden lassen, aufeinander Bezug nehmen, sachlich bleiben, argumentieren lernen“ dienen als notwendige Eckpfeiler der gemeinsamen Kommunikation (Gudjons 2011, S. 49). Während andere Sozialformen sehr zeitintensiv und anstrengend sind, bietet der Frontalunterricht eine Entlastung nach diesen Phasen eigenständigen Arbeitens, indem nun Lehrende den Unterricht steuern. Durch eine Vielzahl unterschiedlicher Lerntechniken, die neben dieser Lehrmethode stattfinden, kann der Frontalunterricht abwechslungsreich gestalten werden, das geht vom Wiederholen und Üben bis hin zum Rollenspiel (Aschersleben 2002, S. 42 ff.; Gudjons 2011, S. 47 ff.; Kiper 2001, S. 142; Meyer 2007, S. 183–192; Peterßen 2001, S. 113). Zahlreiche Vorteile des Frontalunterrichts wurden bereits genannt und vor allem die ökonomischen Vorteile für Lehrer sind ersichtlich. Kohler (2000, S. 9) erläutert des Weiteren verschiedene Einsatzmöglichkeiten des Frontalunterrichts:

  • Brainstorming
  • Erzählen einer Begebenheit
  • einen schwierigen Sachverhalt erklären
  • Gesprächsführung
  • Arbeitsaufträge oder Hausaufgaben stellen
  • etwas mit Hilfe eines Modells veranschaulichen
  • eine neue Technik vorführen
  • etwas im Experiment demonstrieren

Aus der Gesamtheit der genannten Argumente und Anregungen wird ersichtlich, dass der Frontalunterricht zwar vielfach kritisiert wird, dennoch vielfältige Anwendungsmöglichkeiten erlaubt. Wichtig erscheint es, die Stärken zu nutzen und ihn auf unterschiedliche Art und Weise in den Unterricht zu implementieren. Bekannte Pädagogen wie Meyer oder Gudjons betonen die neue Funktionsbestimmung des Frontalunterrichts. Während Gudjons vom traditionellen und integrierten Frontalunterricht spricht, bezeichnet Meyer diese Formen als eigenständigen und integrierten Frontalunterricht. Der eigenständige Frontalunterricht eignet sich nach Meyer (Meyer 2007, S. 183–225) für bestimmte Lerninhalte...

Erscheint lt. Verlag 7.9.2020
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
ISBN-10 3-7526-5001-X / 375265001X
ISBN-13 978-3-7526-5001-3 / 9783752650013
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