Was passiert, wenn ich tot bin? (eBook)
239 Seiten
C.H.Beck (Verlag)
978-3-406-75718-1 (ISBN)
Jeden Tag erhält Caitlin Doughty Dutzende von Fragen über den Tod, und die besten kommen von Kindern. Sieht man ein weißes Licht, wenn man stirbt? Kann mein Körper noch sprechen, wenn ich tot bin? Was passiert mit einem toten Astronauten im Weltraum? In ihrem unnachahmlich lockeren, immer respektvollen Ton beantwortet die Bestatterin 34 kluge Fragen ihrer jüngsten Fans und bietet so nicht nur Kindern einen Blick hinter den schwarzen Vorhang aus Tabus und Verdruckstheiten. Sie erklärt, was passiert, wenn man stirbt, wie die geliebten Haustiere mit der Leiche ihres Menschen umgehen und was mit unseren gestorbenen Liebsten passiert, wenn man sie aufbahrt, verbrennt, beerdigt oder im Weltraum verliert. Ein hilfreicher Türöffner für alle, die mit Kindern (oder mit sich selbst) ganz unverkrampft über den Tod reden wollen.
Caitlin Doughty studierte mittelalterliche Geschichte, führt in Los Angeles ein eigenes Bestattungsunternehmen und gilt als "Champion der alternativen Bestattungsindustrie" (Independent). Ihre Youtube-Serie "Ask a Mortician" hat Fans auf der ganzen Welt. Mit dem von ihr gegründeten "Order of the Good Death" setzt sie sich dafür ein, die Menschen wieder stärker mit "ihren" Toten zu konfrontieren.
2.
Was passiert mit der Leiche eines Astronauten im Weltraum?
Zwei Worte, viele Probleme: Weltraum. Leiche.
Wie die unendlichen Weiten des Weltraums ist auch das Schicksal einer Astronautenleiche völliges Neuland. Bisher ist noch niemand im Weltraum eines natürlichen Todes gestorben. Achtzehn Astronauten sind ums Leben gekommen, aber sie alle starben durch Raumfahrtunfälle. Die Raumfähre Columbia explodierte bei der Rückkehr zur Erde wegen eines defekten Hitzeschilds: sieben Tote. Die Raumfähre Challenger zerbrach kurz nach dem Start: gleichfalls sieben Tote. In der Sojus 11 öffnete sich ein Frischluftventil in der Rückkehrkapsel zu früh: drei Tote (dies sind die einzigen Todesfälle im Weltraum). Bei der Sojus 1 versagte das Fallschirmsystem der Landekapsel beim Eintritt in die Erdatmosphäre: ein Toter. All dies waren schreckliche Katastrophen, bei denen nur noch Leichenteile auf der Erde geborgen werden konnten. Aber wir wissen nicht, was geschähe, wenn ein Astronaut einen Herzinfarkt bekäme, während eines Weltraumspaziergangs einen Unfall hätte oder auf der Reise zum Mars an gefriergetrockneter Eiscreme ersticken würde. «Ähm, Houston, sollen wir ihn in die Besenkammer stecken oder …?»
Bevor wir darüber sprechen, was man mit einer Leiche im Weltraum anstellt, möchte ich erläutern, was mutmaßlich passiert, wenn der Tod an einem Ort ohne Schwerkraft und Luftdruck eintritt.
Nehmen wir folgende hypothetische Situation: Eine Astronautin, nennen wir sie Dr. Lisa, befindet sich zu einer Routinereparatur außerhalb der Raumstation und werkelt fröhlich an irgendetwas herum. (Werkeln Astronauten eigentlich überhaupt jemals an irgendetwas herum? Alles, was sie tun, dient vermutlich einem ganz speziellen, hochtechnischen Zweck. Aber machen sie auch mal einen Raumspaziergang einfach nur, um sicherzugehen, dass an ihrer guten alten Station alles tipptopp ist?) Plötzlich wird Lisas klobiger weißer Raumanzug von einem winzigen Meteoriten getroffen, der ein beträchtliches Loch hinterlässt.
Im Gegensatz zu dem, was man dir in Science-Fiction-Filmen oder -Büchern erzählt, werden Lisas Augen nicht aus den Höhlen treten, und sie wird auch nicht in einer Wolke aus Blut und Eis explodieren. So etwas Dramatisches wird nicht passieren. Aber nachdem ihr Raumanzug beschädigt ist, muss Lisa rasch handeln, denn sie wird innerhalb von neun bis elf Sekunden das Bewusstsein verlieren. Ein merkwürdig präzises, beängstigend kurzes Zeitfenster. Sagen wir einfach mal zehn Sekunden. Sie hat zehn Sekunden, um wieder in eine Umgebung mit Luftdruck zu gelangen. Doch die plötzliche Dekompression wird wahrscheinlich zu einem Schock führen. Unsere arme Ausflüglerin wird so schnell sterben, dass sie gar nicht mehr mitbekommt, was passiert.
Lisas Tod wird letztendlich durch den fehlenden Luftdruck im Weltraum verursacht. Der menschliche Körper ist an die schützende Erdatmosphäre gewöhnt, die uns wie eine planetengroße, beruhigende Gewichtsdecke umhüllt. Sobald dieser Druck schwindet, dehnt sich die Luft in Lisas Körper aus, und die Körperflüssigkeiten verwandeln sich in Gase. Das Wasser in ihren Muskeln verdampft, und dieser Dampf sammelt sich unter der Hautoberfläche an und lässt einige Körperteile Lisas auf das Doppelte der normalen Größe anschwellen. Sie wird ähnlich grotesk aussehen wie das Mädchen, das in Charlie und die Schokoladenfabrik in eine riesige Blaubeere verwandelt wird. Aber das wird in puncto Überleben noch nicht einmal Lisas Hauptsorge sein. Aufgrund des Druckverlusts bildet der Stickstoff in ihrem Blut Gasblasen, was enorm schmerzhaft ist, wie bei einem Tiefseetaucher, der zu schnell nach oben kommt. Wenn Lisa also nach neun bis elf Sekunden das Bewusstsein verliert, wird es eine Gnade sein. Sie wird immer weiter anschwellend durch den Weltraum schweben, ohne noch etwas mitzubekommen.
Ist die Grenzmarke von eineinhalb Minuten überschritten, sinken Lisas Herzfrequenz und Blutdruck, bis ihr Blut zu sieden beginnt. Die Lunge zerreißt aufgrund des Unterschieds zwischen Innen- und Außendruck und beginnt stark zu bluten. Ohne sofortige Hilfe wird Lisa ersticken – und schon haben wir eine Weltraumleiche. Vergiss nicht, das sind alles nur Vermutungen. Das Wenige, was wir wissen, stammt aus Versuchen, die in Höhenkammern an bedauernswerten Menschen und noch bedauernswerteren Tieren durchgeführt wurden.
Die Crew holt Lisa schließlich in die Raumstation zurück, aber es ist bereits zu spät. Ruhe in Frieden, Dr. Lisa. Und was soll nun mit ihrer Leiche geschehen?
Raumfahrtbehörden wie die NASA haben sich bereits über das Unausweichliche Gedanken gemacht, auch wenn sie öffentlich nicht darüber reden. (Warum haltet ihr von der NASA euer Protokoll bezüglich Weltraumleichen eigentlich geheim?) Und so stelle ich dir die Frage: Sollte Lisas Leiche zur Erde zurückgebracht werden oder nicht? Je nach Antwort gibt es unterschiedliche Szenarien.
Ja, Lisas Leiche sollte zurück zur Erde gebracht werden.
Verwesung kann durch niedrige Temperatur verlangsamt werden. Sollte also Lisa zur Erde zurückkehren (und will die Crew vermeiden, dass während der Reise Körperflüssigkeiten aus einer sich zersetzenden Leiche in das Wohnmodul des Raumschiffs gelangen), muss sie so kühl wie möglich aufbewahrt werden. Auf der ISS lagern die Astronauten Müll und Speisereste im kältesten Teil der Station. Dies bremst die Fäulnisbakterien, wodurch Lebensmittel weniger schnell verrotten und unangenehme Gerüche vermieden werden. Deshalb würde man Lisa wohl ebenfalls dorthin bringen, bis eine Raumfähre sie zur Erde mitnimmt. Eine in Erfüllung ihrer Pflicht verstorbene Raumfahrtheldin zusammen mit dem Müll zu lagern ist zwar schlecht fürs Image, aber in einer Raumstation gibt es wenig Platz, und da der Müllbereich bereits über ein Kühlsystem verfügt, ist es logistisch sinnvoll, Lisa dort zwischenzulagern.
Ja, Lisas Leiche sollte zurückkehren, aber nicht sofort.
Was wäre, wenn Lisa auf einer langen Reise zum Mars an einem Herzinfarkt sterben würde? Im Jahr 2005 arbeitete die NASA zusammen mit der kleinen schwedischen Firma Promessa am Prototyp eines Systems für die Behandlung und Lagerung von Weltraumleichen. Der Prototyp trug den Namen «Body Back». («I’m bringing body back, returning corpses but they’re not intact.»)[1]
Falls also Lisas Crew ein Body-Back-System an Bord hätte, würde es folgendermaßen funktionieren: Ihre Leiche wird in einen luftdichten Sack aus GoreTex gesteckt und in die Luftschleuse des Raumschiffs verfrachtet. Dort wird Lisas Leiche tiefgefroren, denn es herrscht dieselbe Temperatur wie im Weltraum (minus 270 Grad Celsius). Nach ungefähr einer Stunde holt ein Roboterarm den Sack zurück in die Raumfähre und schüttelt ihn eine Viertelstunde lang durch, wodurch die gefrorene Lisa in viele kleine Teile zerfällt. Diesen wird das Wasser entzogen, und zurück bleiben etwas über zwanzig Kilo getrocknetes Lisa-Granulat im Body Back. Theoretisch könnte man Lisa in dieser Form jahrelang aufbewahren, bis man den Sack zur Erde zurückbringt und ihrer Familie übergibt. Nicht viel anders als eine sehr schwere Urne mit der Asche eines Verstorbenen.
Nein, Lisa sollte im Weltraum bleiben.
Wer sagt denn, dass Lisas Leiche überhaupt zur Erde zurückkehren muss? Schon jetzt zahlen manche Leute 12.000 Dollar und mehr, damit winzige, symbolische Mengen ihrer Asche oder ihrer DNA in den Orbit oder zum Mond oder in die unendlichen Weiten des Alls geschossen werden. Was glaubst du, wie aufgeregt Weltraum-Nerds wären, wenn sie die Chance hätten, als Leiche durchs All zu schweben!
Schließlich war auch eine Seebestattung schon immer eine respektable Art, Seeleute und Forscher auf ihre letzte Reise zu schicken, indem man sie den Wellen übergab. Wir praktizieren das heute noch, obwohl es inzwischen an Bord Kühlmöglichkeiten und Konservierungsmethoden gibt. Auch wenn wir heutzutage fähig sind, Gefriertrocknungsanlagen zu entwickeln und Roboterarme zu bauen, die Weltraumleichen zertrümmern, könnten wir doch die einfachere Option wählen und Lisas Leiche in einen Leichensack stecken, sie am Sonnensegel vorbeimanövrieren und ins All entschweben lassen.
Der Weltraum erscheint uns unendlich weit und grenzenlos. Wir stellen uns gern vor, dass Lisa für immer und ewig durch den luftleeren Raum gleitet (wie George Clooney in dem Weltraumfilm, den ich einmal während einer Flugreise gesehen habe), aber höchstwahrscheinlich würde sie derselben Umlaufbahn folgen wie die Raumfähre. Und dadurch würde sie auf perverse Weise zu...
Erscheint lt. Verlag | 27.8.2020 |
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Reihe/Serie | Beck Paperback | Beck Paperback |
Illustrationen | Dianné Ruz |
Übersetzer | Rita Seuß, Heide Horn |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Bestatterin • Bestattung • Fragen • Kinder • Leiche • Ratgeber • Sachbuch • Sterben • Tabu • Tod |
ISBN-10 | 3-406-75718-9 / 3406757189 |
ISBN-13 | 978-3-406-75718-1 / 9783406757181 |
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Größe: 5,2 MB
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