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Body Politics (eBook)

Ein Manifest
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
224 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00680-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Body Politics -  Melodie Michelberger
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Frauen sollen dem Schönheitsideal entsprechen, aber nicht zu individuell sein. Wer dem Ideal nicht entspricht, soll sich wenigstens selbst lieben. Der Druck auf Frauen ist so hoch wie nie, und wie seit Jahrhunderten bestimmt der männliche Blick, welche Frauenkörper attraktiv sind. Haben wir verlernt, unsere Körper zu akzeptieren und dankbar für das zu sein, was sie täglich leisten? Melodie Michelberger fragt, wem es nützt, dass sich Millionen Frauen nicht hübsch genug fühlen. Sie weiß, wie Feminismus uns hilft, gegen das traditionelle Schönheitsideal zu rebellieren - denn es ist Zeit für ein diverses Bild von Schönheit und die Akzeptanz verschiedener Körperformen.

Melodie Michelberger, geb. 1976, hat viele Jahre als Redakteurin für Gala und Brigitte und als PR-Expertin für verschiedene Modelabels gearbeitet. Sie engagiert sich auf vielfältige Weise gegen Ungerechtigkeit und für Vielfalt, u.a. auf Instagram (@melodie_michelberger) - mit einem überwältigend positiven Feedback. Sie lebt mit ihrem Sohn in Hamburg. 2021 erschien ihr Buch «Body Politics».

Melodie Michelberger, geb. 1976, hat viele Jahre als Redakteurin für Gala und Brigitte und als PR-Expertin für verschiedene Modelabels gearbeitet. Sie engagiert sich auf vielfältige Weise gegen Ungerechtigkeit und für Vielfalt, u.a. auf Instagram (@melodie_michelberger) – mit einem überwältigend positiven Feedback. Sie lebt mit ihrem Sohn in Hamburg. 2021 erschien ihr Buch «Body Politics».

I Der schönste Rock der Welt


Wir sehen keine Schönheit in allem, was wir sind, weil uns beigebracht wurde, als Erstes alles zu sehen, was wir nicht sind.

Megan Jayne Crabbe

«Mama, den will ich haben! Das ist der schönste Rock auf der ganzen Welt!» – Ich muss ungefähr sieben oder acht Jahre gewesen sein, als ein Rock mein Herz im Sturm eroberte. Er hatte stufige Volants und ein bildhübsches Muster aus winzigen Blümchen in allen Farben des Regenbogens. Er hing da wie eine kunterbunte Wolke, aber zum Anziehen! Noch heute, 35 Jahre später, sehe ich ihn genau vor mir. Ich entdeckte ihn bei meinem Streifzug durch einen dieser weitläufigen Modemärkte, wie sie auf dem Land in den Achtzigern so typisch waren. Während meine Mutter ihre Erledigungen machte, war ich gefühlt ewig durch die Gänge gezogen, vorbei an jeder Menge unscheinbarer, farbloser Kleidungsstücke. Und auf einmal erblickte ich diesen wunderschönen Traum aus mehreren Lagen Stoff. Vorsichtig nahm ich den Kleiderbügel vom Ständer und hielt den bauschigen Rock vor meinen Körper. Es war mein Rock, das wusste ich sofort! Der Stoff raschelte, wie er eben rascheln muss, wenn er richtig gut ist. Mit roten Wangen, den Rock fest an mich gepresst, rannte ich durch den Laden auf der Suche nach meiner Mutter. Ich fand sie in der Änderungsschneiderei: «Mama, Mama, schau mal, dieser wunderschöne Rock! Darf ich den haben, bitte, bitte? Ich MUSS ihn haben!» Meine Mutter musterte zuerst mich, dann den Rock. Streng blickte sie mich an: «Melanie, der trägt doch total auf. Volants kannst du nicht tragen, dein Hintern ist dafür zu dick.» Seufzend drehte sie sich wieder zur Schneiderin. Ihre Worte trafen mich wie ein Blitz. Ich schlich zurück zur Kinderabteilung und hängte den Rock schweren Herzens zurück. Ich war enttäuscht und wütend, aber ich hörte auf meine Mutter und verzichtete. Auf der Fahrt nach Hause kullerten mir die Tränen übers Gesicht, der Rock ging mir nicht aus dem Kopf. Wie schön wäre es, wenn er jetzt bei mir wäre, wenn ich ihn direkt morgen in der Schule anziehen könnte! Wie viel bunter und spaßiger mein Leben dann wäre! Der Kommentar meiner Mutter hallte in meinem Kopf nach: «Das kannst du nicht tragen, dein Hintern ist dafür zu dick.» Mein Hintern sollte also der Grund sein, warum ich den Rock nicht tragen durfte? Mehr noch: gar nicht tragen konnte? Wieso sollte mein Körper nicht zu einem Rock passen, den ICH doch so schön fand? Das ergab in meinem kindlichen Kopf keinen Sinn. Oh, was habe ich diesem Blumenrock nachgetrauert. Auch meiner Patentante und Oma jammerte ich tagelang die Ohren davon voll. Bis sich meine Tante schließlich erbarmte, mit mir in den Modemarkt fuhr und mir diesen Wunsch erfüllte. Die gesamte Fahrt nach Hause presste ich meinen Schatz in der Plastiktüte freudestrahlend an mich. Doch obwohl ich den Rock heiß und innig liebte und ihn viele, viele Male trug, ging ein Gefühl nie weg: dass ich ihn eigentlich gar nicht tragen dürfte.

 

Ich wuchs Anfang der achtziger Jahre in einem kleinen Dorf in Süddeutschland auf, das mir mit seinen Fachwerk-Bauernhöfen, adretten Einfamilienhäusern, Obstbaumwiesen und der freien Sicht auf die Hügel der Schwäbischen Alb immer wie ein Dorf aus dem Bilderbuch vorkam. Obwohl die Gemeinde damals nur knapp tausend Einwohner:innen zählte, gab es eine Postfiliale, ein Lebensmittelgeschäft, verschiedene Sportvereine, eine Freiwillige Feuerwehr, eine Grundschule und einen Kleintierzuchtverein.

Wir lebten in einem einfachen Anbau, der nie so richtig fertig wurde, auf dem Grundstück meiner Großeltern. Im Vergleich zu den schmucken Häusern in der Nachbarschaft war unser Zuhause eher unscheinbar und schlicht, aber ich habe es geliebt. Mein Kinderzimmer lag genau über der Küche meiner Oma, die in meiner Erinnerung immer irgendetwas in einem gusseisernen Topf auf dem alten Kohleofen kochte. Die wilden Felder und Streuobstwiesen am Ende meiner Straße waren der Eingang zu meinem eigenen, unerschöpflichen Abenteuerspielplatz. Ich verbrachte die Zeit nach der Schule vor allem dort draußen, pflückte Wiesenblumen, baute Hütten oder raste mit dem Rad über holprige Feldwege.

 

Kleider ließen mir schon als Grundschülerin das Herz höher schlagen. Aus gesammelten Stoffresten fertigte ich mit großer Hingabe ungewöhnliche Kostüme für meine Barbiepuppen und konnte Stunden damit verbringen, gewagte Kombinationen für mich selbst zusammenzustellen. So idyllisch das Leben in der schwäbischen Provinz war, es fehlte doch an Glanz und Zauber. Am liebsten trug ich weit schwingende Kleider und Röcke in leuchtenden Farben und plakativen Mustern. Ich mochte, wie sich die Stoffe um meine Beine schmiegten, wenn ich mich schnell drehte. Nicht nur einmal schauten mich meine Mitschüler:innen schief an, weil ich mitten im Winter mit einem Sommerkleid (ohne Strumpfhosen) auftauchte oder eine üppige Chiffonschleife auf dem Kopf trug. Es war mir egal, was sie dachten oder ob sie mich wegen meiner ausgefallenen Kombinationen auslachten. Ich hatte Spaß daran, nach Lust und Laune in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Schon in der Grundschule stand ich allein auf und machte mich für die Schule fertig, deswegen sah meine Mutter in der Regel nicht, in welchem Aufzug ich das Haus verließ. Nachmittags schimpfte sie dann natürlich, wenn ich im tiefsten Winter im dünnen Sommerkleidchen zurückkam. Aber nichts konnte mich davon abhalten, die Sachen anzuziehen, die mir in dem Moment Freude bereiteten.

 

Ich nutzte natürlich jede Gelegenheit, um mit meiner Mutter oder Tante in den nächstgelegenen größeren Ort zu fahren, in dem es ein paar Geschäfte gab. Wenn es mal wieder Zeit war, zum Einkaufen zu fahren – damals nannte man es nicht «Shopping» –, spürte ich eine kribbelnde Aufregung. Direkt an der Zufahrt zur Bundesstraße stand einer dieser gesichtslosen, Siebziger-Jahre-Flachbauten mit endlosen Fensterfronten und riesigem Parkplatz davor. Das war der große Modemarkt, auf den ich mich am meisten freute. Hinter den automatischen Glastüren lagen endlose Reihen von Kleiderständern voll mit Bekleidung für Jung und Alt und jeden Anlass, den man sich vorstellen konnte. In der Kinderabteilung gab es ein großzügiges Bällebad, das ich aber meistens ignorierte. Es machte viel mehr Spaß, auf der Suche nach den aufregenden Teilen durch die Gänge zu ziehen: Kleider mit phantasievollen Mustern, Hosenröcke mit weitem Bein, pastellfarbene Blusen mit Puffärmeln, funkelnde Abendkleider und Westen aus Samt. Weder die billige Auslegeware noch der von draußen hereinwehende Pommesgeruch, die engen Kabinen oder die unfreundlichen Mitarbeiter:innen konnten mir die Freude an diesem Besuch nehmen. Ich hätte stundenlang stöbern können und wollte am liebsten alles anprobieren. Nicht so meine Mutter; sie hatte selten Zeit oder Muße, dort länger als unbedingt notwendig zu bleiben. Für sie war es eine von vielen Erledigungen auf einer nicht enden wollenden Liste.

 

Der Moment, in dem meine Mutter meine Begeisterung für diesen knallbunten Rock mit ihrem unachtsamen Kommentar erstickte, ist so klar in meiner Erinnerung, weil er ein Vorher und ein Nachher markiert. Mir wurde schlagartig bewusst gemacht, dass es Kleidungsstücke gibt, die mir aufgrund meiner Figur nicht erlaubt waren. Ich hatte gelernt, dass mein Körper und bauschige Volants nicht zusammenpassen und dass es egal war, wie schön ich etwas fand. Mit dieser Lektion begann sich eine große Unsicherheit meinem Körper gegenüber einzuschleichen. Bis dahin war er kein Hindernis gewesen, ich konnte mit ihm alles machen: über Blumenwiesen rennen, Gummitwist spielen und durch Bäche waten. Aber auf einmal hatte ich keinen funktionierenden Körper mehr, sondern ein Problem. Mehr noch: Ich fühlte mich für meinen großen Hintern verantwortlich. Wer, wenn nicht ich selber sollte schuld daran sein, dass er nicht zu Volants passte – und daran, dass er so viel Raum einnahm in einer Welt, die keinen Platz für große Hintern und rundliche Körper hatte. Ich ahnte nicht, dass wir in einer Kultur leben, die es als Verpflichtung ansieht, dicke Körper zu kaschieren, aber ich begriff, dass mein Körper etwas ist, auf das ich keine Aufmerksamkeit lenken sollte. Sicher hatte ich vorher Kommentare gehört, auch hatte ich mich dicker als andere Mädchen gefühlt. Aber weil mir Kleidung so viel bedeutete und mir so viel Freude bereitete, traf es mich umso mehr, dass mir dieser Spaß aufgrund meiner Figur verwehrt werden sollte.

Meine Mutter hatte es wohl nicht absichtlich getan, vielleicht wollte sie mich vor negativen Kommentaren schützen. In den kommenden Jahren nistete sich das Schuldgefühl jedoch in meinem Kopf ein.

 

Dieses Erlebnis mit dem Rock ist mir so präsent, dass ich es oft in Interviews erzähle, um zu erklären, wann ich das erste Mal wusste, dass mein Körper falsch ist. Und mir war schnell klar, dass es die einleitende Geschichte in diesem Buch sein soll. Ich war überzeugt, dass ich aufgrund meiner Körperform Außenseiterin war, weil ich schon immer ein dickes Kind und Mädchen war.

 

Als ich an diesem Buch arbeitete – in meinem Kopf das Gefühl, dass es eigentlich fertig ist, weil ich doch wusste, was ich schreiben wollte –, geriet ich ins Stocken. Oft wusste ich nicht recht weiter und fragte mich, wie relevant das, was ich da aufschrieb, war. Meine Erinnerungen passten nicht zusammen, ergaben kein mir schlüssiges Bild. Woran lag das? Also setzte ich mich hin und schrieb erst mal eine...

Erscheint lt. Verlag 26.1.2021
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Body Positivity • body shaming • Feminismus • Frauen • Gewicht • Körper • Körperbewusstsein • Körperformen • Körpergefühl • Körpergewicht • Psychologie • Schönheitsideale • Selbstliebe
ISBN-10 3-644-00680-6 / 3644006806
ISBN-13 978-3-644-00680-5 / 9783644006805
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