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Revolution für das Leben (eBook)

Philosophie der neuen Protestformen
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491302-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Revolution für das Leben -  Eva von Redecker
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Eine neue Kapitalismuskritik - und eine Liebeserklärung an menschliches Handeln In Zeiten der Krise entzündet sich politisches Engagement. Protestbewegungen wie Black Lives Matter, Fridays for Future und NiUnaMenos kämpfen derzeit weltweit gegen Rassismus, Klimakatastrophe und Gewalt gegen Frauen. So unterschiedlich sie scheinen mögen, verfolgen diese Widerstandskräfte doch ein gemeinsames Ziel: die Rettung von Leben. Im Kern richtet sich ihr Kampf gegen den Kapitalismus, der unsere Lebensgrundlagen zerstört, indem er im Namen von Profit und Eigentum lebendige Natur in toten Stoff verwandelt: Der Kapitalismus verwertet uns und unseren Planeten rücksichtslos. In autoritären Tendenzen und rassistischen Ausschreitungen, in massiven Klimaveränderungen und einer globalen Pandemie zeigt er seine verheerendsten Seiten. In den neuen Protestformen erkennt Eva von Redecker, die als Philosophin zu Fragen der Kritischen Theorie forscht und auf einem Biohof aufgewachsen ist, die Anfänge einer Revolution für das Leben, die die zerstörerische kapitalistische Ordnung stürzen könnte und unseren grundlegenden Tätigkeiten eine neue solidarische Form verspricht: Wir könnten pflegen statt beherrschen, regenerieren statt ausbeuten, teilhaben statt verwerten. Die erste philosophische Analyse des neuen Aktivismus. »Eine der aufregendsten Nachwuchsphilosophinnen des Landes.« Philosophie Magazin

Eva von Redecker, geboren 1982, ist Philosophin und freie Autorin. Von 2009 bis 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität und als Gastwissenschaftlerin an der Cambridge University sowie der New School for Social Research in New York tätig. 2020/2021 hatte sie ein Marie-Sk?odowska-Curie-Stipendiatium an der Universität von Verona inne, wo sie zur Geschichte des Eigentums forschte. Eva von Redecker beschäftigt sich mit Kritischer Theorie, Feminismus und Kapitalismuskritik, schreibt Beiträge für u.a. »Die ZEIT« und ist regelmäßig in Rundfunk- und TV-Interviews zu hören. Seit Herbst 2022 richtet sie am Schauspiel Köln die philosophische Gesprächsreihe »Eva and the Apple« aus. Bei S. FISCHER erschien zuletzt ihr Buch »Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen« (2020) sowie ein Vorwort zur Jubiläumsausgabe der »Dialektik der Aufklärung«. Aufgewachsen auf einem Biohof, lebt sie heute im ländlichen Brandenburg.

Eva von Redecker, geboren 1982, ist Philosophin und freie Autorin. Von 2009 bis 2019 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Humboldt-Universität und als Gastwissenschaftlerin an der Cambridge University sowie der New School for Social Research in New York tätig. 2020/2021 hatte sie ein Marie-Skłodowska-Curie-Stipendiatium an der Universität von Verona inne, wo sie zur Geschichte des Eigentums forschte. Eva von Redecker beschäftigt sich mit Kritischer Theorie, Feminismus und Kapitalismuskritik, schreibt Beiträge für u.a. »Die ZEIT« und ist regelmäßig in Rundfunk- und TV-Interviews zu hören. Seit Herbst 2022 richtet sie am Schauspiel Köln die philosophische Gesprächsreihe »Eva and the Apple« aus. Bei S. FISCHER erschien zuletzt ihr Buch »Revolution für das Leben. Philosophie der neuen Protestformen« (2020) sowie ein Vorwort zur Jubiläumsausgabe der »Dialektik der Aufklärung«. Aufgewachsen auf einem Biohof, lebt sie heute im ländlichen Brandenburg.

ein augenöffnender Blick auf aktuelle Proteste und eine ebensolche Vision einer gerechteren und nicht mehr von Umweltzerstörung bedrohten Welt.

Ein Buch über Protest und Revolution, das von einem solchen mitreißenden Optimismus strotzt, lässt hoffnungsvoll in die Zukunft blicken.

Es könnte die neue Bibel intellektuellen Widerstands gegen die Zumutungen des real existierenden Kapitalismus werden – zumindest aber eine ihrer zentralen Schriften

Man sollte sich davor hüten, diese Autorin, die sich traut, mit dem Herzen zu denken, in eine Schublade zu stecken.

das ist der Kern ihres Buches: dass nichts so bleiben kann, wie es ist, wenn man das Leben schützen will.

Kapitalismuskritik nah am Leben - und nah an den Bewegungen, die diesem Leben mehr abgewinnen wollen als Arbeit und Eigentum.

"Revolution für das Leben" schärft den Blick für die vielen "Zwischenräume", in denen sich andere Formen des Handelns einnisten können.

Ein kluges, mutiges Plädoyer für eine radikale Abkehr von der destruktiven Verwertungslogik kapitalistischer Eigentumsverhältnisse [...] hin zu einem solidarischen Miteinander auf diesem Planeten

pointiert und poetisch, erschütternd und ermutigend

Was ›Revolution für das Leben‹ von anderen Büchern mit radikalen Ansprüchen unterscheidet, sind die jargonfreie Direktheit und die konkrete, in jeder Zeile nachvollziehbare Ernsthaftigkeit.

Einleitung


Sorgt doch, daß ihr die Welt verlassend

Nicht nur gut wart, sondern verlaßt

Eine gute Welt!

 

Bertolt Brecht, Die heilige Johanna der Schlachthöfe

In diesem Buch geht es um das Leben. Es geht, zumindest zwischendurch, um das Leben als Tanzen, Erzählen, Ernten, Nachdenken und Handeln. Und es geht um natürliche Zusammenhänge, die unsere Lebensgrundlage bilden: Ozeane, Wolken, Böden, Wälder und Atemluft. Hauptsächlich geht es jedoch um das Leben in einer spezielleren Hinsicht: der Befreiung von kapitalistischer Herrschaft.

Diese Befreiung ist kein hehrer Anspruch, sondern eine dringende Aufgabe. Denn der Kapitalismus zerstört das Leben. Die Befreiung von kapitalistischer Herrschaft ist auch deshalb mehr als ein bloßer Anspruch, weil sie an verschiedenen Stellen bereits stattfindet. Wir erleben eine Revolution für das Leben. Seit knapp zehn Jahren zeigt sich ein neuer Typus von Protest. Dieser Protest ist weder eine Wiederaufnahme der sozialen Revolutionen von vor gut einhundert Jahren noch lediglich eine Fortsetzung der über fünfzig Jahre währenden Bürgerrechtsbewegungen. Die neuen Formen des Widerstands gehen von einer Mobilisierung für akut bedrohte Leben aus und kämpfen für die Aussicht auf geteiltes, gemeinsam gewahrtes und solidarisch organisiertes Leben. Eine Revolution für das Leben findet sich in der antirassistischen Mobilisierung gegen Polizeigewalt, im feministischen Kampf gegen Frauenmorde und in der Klimabewegung, die das Schreckbild eines toten Planeten ins Bewusstsein gehoben hat. Alle diese Bewegungen verstehen sich als antikapitalistisch, aber sie führen ihren Kampf nicht als Aufstand der Arbeiter_innen gegen die Lohnarbeit, sondern als Aufstand der Lebenden gegen die Lebenszerstörung.

Unter den Bedingungen einer globalen Pandemie wird dieser Kampf greifbarer und allgegenwärtiger. Er wird auch verzweifelter. Ganze Sektoren der Lohnarbeit entpuppen sich nämlich unmittelbar als Lebenszerstörung.

 

In Lohnarbeit wird, mit nahezu mechanischen Bewegungen und von Kälte geschwollenen Handgelenken, Fleisch von Schweinehälften geschnitten. Die schweren, steifen Stücke werden mit motorisierten Messern zerteilt und auf Fließbänder geworfen. Sie werden maschinell in Plastik eingeschweißt oder zusammen mit Fett und Eingeweiden zu Wurst und Katzenfutter geschreddert. Gelegentlich gleiten die Klingen bei der Lohnarbeit aus den klammen, glitschigen Fingern, oder sie schnellen von Knorpeln zurück; die Arbeiter_innen schneiden sich. Aber wer zu häufig zum Arzt geht, erhält eine Kündigung. Ein Großteil der Arbeitsverträge läuft über Subunternehmen, die Scheinselbständigkeiten und Probezeiten fingieren. Auch die ersten Covid-19-Infizierten werden angewiesen, die Krankheit zu verschleiern. Als fast ein Viertel der 7000 Beschäftigten erkrankt ist, übernimmt der Landesminister die Darstellung eines Firmensprechers. Die osteuropäischen Mitarbeiter_innen hätten sich vermutlich bei Heimatbesuchen angesteckt. Sicher. Im Inneren der westeuropäischen Wirtschaft ist schließlich alles in bester Ordnung.

 

Diese Mischung aus Ausbeutung, Brutalität und Diffamierung findet sich nicht in allen Betrieben. Schon im selben Unternehmen arbeitet der besagte Firmensprecher unter gehobenen Bedingungen. Aber selbst wenn es gelänge, derart brutale Arbeitsverhältnisse durch Reformen und Ahndung von Verstößen weiter einzudämmen, charakterisierte ihre viehische Logik doch weiter den Kern der kapitalistischen Funktionsweise. Auch wenn es nicht überall und nicht für alle so aussieht: So leben wir. So stellen wir unsere Nahrungsmittel her, so erwirtschaften wir Reichtum, selbst wenn alle Schlachthöfe geschlossen würden. Die Verbrennung fossiler Ressourcen im Laufe der letzten zweihundert Jahre, die Grundlage also nahezu all unserer Produktion, hat den Planeten in ein sich unaufhaltsam erwärmendes Treibhaus verwandelt. Und dieses Treibhaus ist ein Schlachthof. Jeden Tag sterben 130 Tier- und Pflanzenarten aus. Wenn man die Biomasse aller Wildtiere auf der Erde berechnet – also das Gewicht all ihrer Körper addiert –, dann ist diese Summe in den letzten fünfzig Jahren um 82 Prozent gesunken. Die Reproduktion des Alltags in den reichen Industriestaaten schlachtet schneller als jede Keulanlage beim Wurstfabrikanten. Dabei verderben wir nicht nur unsere Lebensgrundlagen, sondern schneiden uns auch fortwährend ins eigene Fleisch. Aber warum schafft der Kapitalismus – schaffen wir im Kapitalismus – solch viehische Verhältnisse?

 

Der Begriff »Kapital« bezeichnet ein bestimmtes Eigentum. Es lässt sich als Investition verstehen, die den Privatbesitzern der Produktionsmittel erlaubt, Gewinn zu erzielen. Die, denen die Fabriken gehören, kaufen Schweine und Arbeitszeit und verkaufen die Wurst für mehr, als sie dabei ausgegeben haben. Begriffsgeschichtlich bezeichnete »Kapital« zunächst nur den Anteil an Vermögen, den jemand in ein Handelsunternehmen einbrachte. Ab dem 17. Jahrhundert bürgerte sich dann die Verwendung ein, dergemäß der gesamte Grundstock einer Firma als »Kapital« zusammengefasst wird. Kapital ist, womit gewirtschaftet werden kann.

Im Wortstamm verrät sich aber eine noch ältere Bedeutung. »Caput« bedeutet lateinisch zunächst einfach »Kopf«, aber auch »Rind« und »Eigentum«. Denn das nach Köpfen gezählte Vieh war lange Zeit, in agrarischer Wirtschaft und bevor es stabile Währungen gab, die beste Einheit, um Vermögen einzuschätzen. Der Begriff kehrt als »chattel« in der Definition der modernen Sklaverei wieder, einem System weißer Herrschaft, das auf juristisch abgesichertem und ökonomisch übertragbarem Besitz an geraubten schwarzen Menschen basierte. Das Porträt des Kapitalismus, das ich in diesem Buch zeichne, rückt die Eigentumsform – nicht nur die Eigentumsverteilung – in den Vordergrund. Das Kapital kann den Besitz nur mehren, wenn das Besitzen eine besondere Gestalt hat; es erfordert ein destruktives Weltverhältnis. Diese Destruktivität ist im modernen Eigentum, das seine Besitzer_innen zur Willkür berechtigt, angelegt. Sie übersetzt sich in diverse soziale Herrschaftsverhältnisse. Den Kapitalismus als Ordnung der Eigentumsfixierung zu analysieren, heißt somit, die Schädel – das »caput« oder »chattel« – sichtbar zu halten. Wenn wir »Kapital« lesen, sollten wir nicht nur seine Rendite klingeln hören, sondern auch seinen Totenkopfaufdruck entziffern.

 

In seinem Werk Black Marxism hat der afroamerikanische Denker Cedric Robinson vorgeschlagen, den Kapitalismus weniger als eine vereinheitlichende Modernisierungsmaschine zu verstehen – wie es zum Beispiel auch die Frankfurter Schule tut –, sondern als ein Spaltungswerkzeug. Der Kapitalismus überzieht die Welt mit Unterscheidungen, die sich mehr und mehr an rassistischen Markern orientieren – man denke an die Finte, den osteuropäischen Arbeiter_innen den Dreck und Infektionsdruck ihrer Arbeit selbst anzuhängen. Robinson selbst erklärt diese Spaltungen als Fortsetzung der feudalistischen Hierarchien, die den europäischen Ursprungskontext des Kapitalismus charakterisierten. Aber der Kapitalismus spaltet auf eine ganz eigene Weise. Er fasst Hierarchien neu und anders, modelliert nach dem Eigentum, das er ebenfalls neu und anders fasst.

 

Das moderne Eigentum stiftet ein Weltverhältnis der Verfügungshoheit und der Verletzungslizenz. Für dieses Weltverhältnis verwende ich den Begriff der »Sachherrschaft«. Wir sehen Sachherrschaft am Werke, wenn die Schlachtereimitarbeiterin die Kreatur zerlegt. Und wir sehen Sachherrschaft am Werke, wenn das Leben der Arbeiterin selbst als entbehrlich behandelt und, während die Vermögenden gut isoliert an den Fleischtöpfen sitzen, der Ansteckungsgefahr ausgeliefert wird.

Aus Weltverhältnissen, aus vielen alltäglichen Praktiken und Vollzügen, werden Selbstverständnisse und Überlegenheitsansprüche. Moderne Identitäten sind im Gefüge von Institutionen entstanden, die Besitztitel an Menschen schufen – an der gesamten Person in der Versklavung, an der gesamten Lebenszeit in Zwangsarbeit, an Sexualität und Sorgetätigkeit in patriarchaler Ehe. Diese sachherrschaftsbasierten Identitäten überleben den Verlust der verfügungsgarantierenden Institutionen. Die vormalig Kontrollberechtigten gebärden sich oft sogar noch bestialischer, nachdem das Glied ihrer Herrschaft amputiert wurde. Sie verfechten ihren leeren Besitzanspruch weiter. Sie sind, was die ältere Frankfurter Schule als »autoritäre Charaktere« bezeichnete, und was ich »Phantombesitzer_innen« nenne. Dem Phantombesitz, den die einst und jetzt Herrschenden haben, entspricht der Phantombesitz, zu dem die Beherrschten verdinglicht werden. Auch nach dem Verbot der Sklaverei werden schwarze Leben als entbehrlich betrachtet, auch nach Abschaffung der patriarchalen Ehe gilt das weibliche Geschlecht als Beute, trotz Arbeitsrecht und Sozialversicherung wird Arbeitsvermögen ausgepresst. All das ist Phantombesitz, und auf all das – sowie auf Rohstoffe, Energie und Schlachtvieh – baut der Kapitalismus.

 

Der Kapitalismus, den Robinson als Spaltungswerkzeug beschreibt, trennt doppelt. Der erste Schnitt, der seine Ordnung bestimmt, ist vom Eigentum gesetzt und verläuft zwischen Sachherrscher_in und als verfügbar ausgestanztem Objekt. Der zweite Schnitt zerteilt das Objekt der Sachherrschaft. Die Verwertungsabsicht zieht eine Trennlinie zwischen Ware und...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2020
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aktivismus • Aktuelle Themen • Allmende • Black lives matter • Care-Arbeit • Commons • Corona • Covid-19 • Dakota access pipeline • Dialektik der Aufklärung • Ende Gelände • Extinction Rebellion • Feminismus • Frankfurter Schule • Frauenstreik • Fridays For Future • Gegenwarts-Analyse • Gesellschaftskritik • Greta Thunberg • Kapitalismus • Kapitalismuskritik • Kate Tempest • Klimawandel • Krisendiagnose • Kritische Theorie • Marxismus • #metoo • metoo • NiUnaMenos • NiUnasMenos • Pandemie • Philosophie • Protest • Protestbewegung • Rebellion • Revolution • Sozialphilosophie • Systemkritik • Themen der Zeit • Umweltschutz • Utopie
ISBN-10 3-10-491302-1 / 3104913021
ISBN-13 978-3-10-491302-5 / 9783104913025
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