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Weißt du, was ich meine? (eBook)

Vom Asylheim in die Charts | Ein inspirierendes Memoir und ein bewegendes Coming of Age von einer der erfolgreichsten Rapperinnen Deutschlands
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
300 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2429-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Weißt du, was ich meine? -  Nura Habib Omer
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Nura ist eine der erfolgreichsten deutschen Rapperinnen, doch über ihren außergewöhnlichen Lebensweg ist wenig bekannt. In ihrem Buch erzählt sie erstmals ihre ganze Geschichte: von der Flucht als dreijähriges Mädchen aus Kuwait nach Deutschland und dem Leben mit der fünfköpfigen Familie im Flüchtlingsheim. Von ihrer muslimischen Erziehung, dem Bruch mit der Mutter und dem Aufwachsen in einem Kinderheim. Von ihrem Engagement für LGBT - und schließlich von ihren ersten Schritten als Sängerin in einem Chor und ihrer steilen Karriere als Rapperin. Nuras Weg ist gekennzeichnet von Rückschlägen, Depressionen und Rassismuserfahrungen. Immer wieder hat sie zu hören bekommen, dass sie etwas nicht darf - schon gar nicht als muslimisches Mädchen. Aber sie hat sich durchgekämpft und ist heute vielen jungen Menschen ein Vorbild.

Nura Habib Omer, geboren 1988 in Kuwait, aufgewachsen in Wuppertal, ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Sängerinnen. Mit 18 zog sie nach Berlin, schloss sich dem Berliner Kneipenchor und den Toten Crackhuren im Kofferraum an, einer Berliner Fun-Punk-Band. Sie war Teil des Hip-Hop-Duos SXTN und macht heute als Solo-Künstlerin Musik.

Nura Habib Omer, geboren 1988 in Kuwait, aufgewachsen in Wuppertal, ist eine der erfolgreichsten deutschsprachigen Sängerinnen. Mit 18 zog sie nach Berlin, schloss sich dem Berliner Kneipenchor und den Toten Crackhuren im Kofferraum an, einer Berliner Fun-Punk-Band. Sie war Teil des Hip-Hop-Duos SXTN und macht heute als Solo-Künstlerin Musik.

Die Flucht nach Deutschland


Als Hannan sechs Jahre alt wurde, kam sie ins schulpflichtige Alter. Also zog Mama auf der Suche nach einem Schulplatz mit ihr durch die ganze Stadt. Zur selben Zeit brach der Zweite Golfkrieg aus. Am 2. August 1990 überfiel der Irak Kuwait. Weil Eritrea sich auf die Seite des Irak stellte, war es für unsere eritreische Mama in Kuwait unmöglich, einen Schulplatz für Hannan zu bekommen. Schlimmer noch: Wir sollten das Land so schnell wie möglich verlassen. Mit vier Kindern, die nach und nach alle eine Schule besuchen sollten, aber praktisch nicht durften, sah Mama für uns keine Perspektive mehr. Das war der Moment, in dem Mama beschloss, mit uns nach Deutschland zu kommen und dieses Mal auch zu bleiben. Für dieses Vorhaben konnte Jidetti natürlich nicht erneut eine Einladung schicken. Also flog Mama mit uns in die Türkei und organisierte von dort über Connections eine Möglichkeit, mit dem Bus illegal nach Deutschland einzureisen.

Um den Flug bezahlen zu können, verkauften wir alles, was wir hatten: Schmuck genauso wie Möbel. Habib beschloss derweil, nachzukommen. Also trat Mama, die zu dem Zeitpunkt gerade einmal vierundzwanzig Jahre alt war, die Reise mit uns vier Kindern an. Ramadan und Hannan erzählen mir oft, dass für sie in dem Moment gar nicht klar war, was eigentlich genau passierte. Mama sagte ihnen nur, dass wir unsere Großeltern in Deutschland besuchen würden. Dass wir dort nicht nur für ein paar Wochen, sondern ein ganzes Leben lang bleiben wollten, verriet sie nicht.

Mit dem Flugzeug ging es in die Türkei, von dort aus fuhren wir mit einem Minibus weiter. Alles, was wir dabeihatten, waren ein paar Koffer mit Klamotten und ein Zettel, auf dem die Adresse von Jidetti und Jedu notiert war. Moderne Kommunikationsmittel gab es damals ja noch nicht. Mama erzählt heute noch davon, wie anstrengend und schrecklich die Fahrt für sie, aber auch für uns war. Eingepfercht in einen kleinen Bus, der auf seiner Fahrt ein fremdes Land nach dem anderen passierte, auf ihrem Schoß und dicht an sie gedrängt ihre vier ängstlichen Kinder.

Nach zwei oder drei Tagen endloser Busfahrt durch halb Europa erreichten wir schließlich Wuppertal. Gleich nach unserer Ankunft fing es dort an zu schneien. Für uns war das ein Schock. Vor ein paar Tagen waren es in Kuwait noch gut fünfzig Grad gewesen. Hier in Deutschland hatten wir plötzlich Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, und aus dem Himmel fielen weiße Flocken auf die Erde, die den Boden bedeckten. So etwas hatten wir noch nie gesehen, geschweige denn berührt.

Die ersten Wochen verbrachten wir bei Jidetti und Jedu, die mit Mamas Brüdern in einer kleinen Dreizimmerwohnung im vierten Stock eines Plattenbaus in Wuppertal-Vohwinkel lebten. Aber dort blieben wir nur so lange, bis uns ein Platz in einem Asylheim in Oberhausen zugeteilt wurde. Also zogen wir im tiefsten Winter von der einen fremden Stadt in die nächste. Der Schnee lag fast einen halben Meter hoch. Selbst bei strahlendem Sonnenschein hätte Mama es nicht geschafft, mit uns vieren und dem ganzen Gepäck alleine nach Oberhausen umzuziehen. Also stapften wir mit der Hilfe von Jidetti und auch Salih mit Sack und Pack und diversen Kinderwagen durch den Schnee bis zum Bahnhof, nahmen den Zug nach Oberhausen und kämpften uns auch dort wieder durch den Schnee – nur um am Ende vor einem heruntergekommenen Haus mit eingeschlagenen Scheiben zu stehen, in dem wir zum Glück nicht lange blieben, weil es bereits wenig später in ein Asylheim nach Düsseldorf ging.

Nach zig Reisen durch halb Nordrhein-Westfalen kamen wir Ende 1991 wieder zurück nach Wuppertal, was gut war: Schließlich waren wir so wieder deutlich näher bei Jidetti, Jedu und unseren anderen Verwandten. Das Asylheim, das uns dort zugeteilt wurde, befand sich in Sudberg, einem von sieben Wohnquartieren im Stadtbezirk Cronenberg. Wobei Stadtbezirk eigentlich übertrieben ist. Sudberg befindet sich im südlichsten Teil von Wuppertal, ja, eigentlich schon gar nicht mehr in Wuppertal, sondern wirklich am sogenannten Arsch der Welt.

Vom Hauptbahnhof fuhr man mit dem Bus eine gute Stunde bis zur allerletzten Haltestelle. Und von der Endstation ging es noch mal gute zwanzig Minuten zu Fuß durch den Wald, bis man schließlich das Asylheim erreichte. Neben dem Heim befand sich eine Pferdekoppel, dahinter gab es nur Felder und Wiesen. Hier lebten Mama, Hannan, Ramadan, Moe und ich – und diese ganzen anderen Menschen aus aller Herren Länder, die neu in Deutschland waren. Alle froh, nicht mehr dort zu sein, wo sie herkamen, aber trotzdem noch nicht richtig angekommen. Alle zusammen an den äußersten Stadtrand von Wuppertal verfrachtet.

Auch dort blieben wir zum Glück nicht allzu lange. Anfang 1992 zogen wir ein paar Hundert Meter weiter nach Hintersudberg, wo uns die Stadt Wuppertal eine Zweizimmerwohnung zur Verfügung stellte. Allerdings nicht für uns alleine. In einem der beiden Zimmer, die jeweils höchstens zwölf Quadratmeter groß waren, lebten meine Mutter und wir vier Kinder, in dem Raum nebenan eine andere alleinerziehende Mutter aus Eritrea mit ihren drei Kindern. Die Küche und das Badezimmer mussten wir uns teilen.

Nach dieser endlosen Tour von Asylheim zu Asylheim durch halb Nordrhein-Westfalen beschlossen meine Großeltern, dass es so nicht weitergehen konnte. Damit die Odyssee ein Ende hatte, holten sie uns kurzerhand wieder zu sich nach Wuppertal-Dasnöckel. War die Wohnung vorher für Jidetti, Jedu, Salih und Musa schon nicht gerade groß gewesen, wurde es mit uns fünf neuen Mitbewohnern noch enger – doch immer noch besser, als weiter von einem Asylheim zum nächsten zu ziehen.

An Privatsphäre war in unserer neu gegründeten Wohngemeinschaft nicht zu denken. Aber die wollten wir auch gar nicht haben. Als Kind ist einem so was doch total egal. Im Gegenteil: Für mich gab es nichts Cooleres, als mit meiner Familie auf engstem Raum zu wohnen. Ich checkte gar nicht, dass wir arm waren. Ich erinnere mich vielmehr daran, dass die Wohnung total gemütlich eingerichtet war: Überall lagen Teppiche auf dem Boden, auf denen wir nicht nur gut sitzen und liegen konnten, sondern die uns auch schützten, wenn wir beim Rumlaufen oder Toben hinfielen. Die Wohnung war genau wie damals in Kuwait-City sehr orientalisch eingerichtet. An den Wänden hingen ein Gebetsbuch und Teller mit Suren.

Die Ausstattung war eher spartanisch. Die wenigen Möbel, die es gab, waren vom Sozialamt gestellt worden und stammten aus Haushaltsauflösungen. Manches wurde uns von der eritreischen Community zur Verfügung gestellt, die immer sehr darum bemüht war, Neuankömmlinge in Deutschland mit dem Notwendigsten zu versorgen. Möbel, Haushaltsgegenstände und Klamotten bekam man geschenkt oder tauschte sie. Vieles war schon benutzt und nicht das Neuste vom Neusten. Aber es reichte uns. Neben Betten, Tischen, Sofas und Sesseln standen im Wohnzimmer eine riesengroße Schrankwand, ein massiver Wohnzimmertisch und ein Plattenregal – inklusive Plattenspieler und richtig vielen Schallplatten.

Damit genug Platz für uns alle war, arrangierten wir die Wohnung ein bisschen um. Zwei der drei Zimmer wurden zu Schlafzimmern gemacht. In einem schliefen Jidetti und Jedu, in dem anderen der Rest der Familie. Damit alle Platz hatten, legten wir den Raum komplett mit Matratzen aus. Er diente uns als Schlaf-, tagsüber auch als Spielzimmer, in dem wir herumtobten und Saltos machten, weil wir uns dank des gepolsterten Bodens dabei nicht wehtun konnten.

Außerdem erinnere ich mich daran, dass es trotz der vielen Leute, die in der Wohnung lebten und aßen, immer extrem ordentlich und sauber war. Jidetti und Mama achteten penibel darauf, dass jeder Ordnung hielt und seinen Dreck sofort wegputzte. Das war auch in den Asylheimen schon unsere Regel gewesen. Mama hielt die Räume immer sauber. So hält sie es bis heute.

Jidettis und Jedus Wohnung befand sich in Dasnöckel im Wohnquartier Höhe, das wiederum zum Stadtteil Vohwinkel gehört. Die Gegend bestand aus unzähligen Plattenbauten: ein grauer Betonklotz neben dem anderen, sechs Stockwerke, auf jeder Etage vier Wohnungen, in denen Familien aus aller Welt wohnten. Dasnöckel war richtig Multikulti: Um uns herum wohnten Pakistanis, Polen, Afghanen, Russen, Marokkaner, Kenianer – alles bunt durchmischt. Das Schöne war, dass es keine Gruppierungen gab, wie man sie heute häufig erlebt, in denen jede Nationalität nur unter sich ist und ihr eigenes Süppchen kocht. Selbst die wenigen Deutschen, die es in Dasnöckel gab, waren Teil der Community. Alle hingen miteinander rum, niemand wurde ausgeschlossen. Keiner konnte richtig Deutsch, aber man konnte sich trotzdem verständigen. Viele hatten keinen Job, oder ihnen fehlte die notwendige Arbeitserlaubnis. Wenn doch jemand Geld verdiente, dann schwarz. Die Frauen mit Putzen, die Männer als Monteure auf dem Bau. So oder so: Keiner war wohlhabend, niemand hatte viel, aber man half sich gegenseitig, wo man konnte, und somit ging es allen gut. Es mag ein wenig blöd klingen, aber es waren wirklich alle gleich – weil alle gleich arm waren.

Da die Community so zusammenhielt, konnten wir uns draußen frei bewegen. Es war klar, dass man aufeinander aufpasste. Genauso, wie es für uns ein ungeschriebenes Gesetz war, sich um seine Geschwister zu kümmern, wenn man alt...

Erscheint lt. Verlag 3.8.2020
Co-Autor Jan Wehn
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Kunst / Musik / Theater Musik
Geisteswissenschaften Psychologie Angst / Depression / Zwang
Geisteswissenschaften Psychologie Persönlichkeitsstörungen
Geisteswissenschaften Religion / Theologie Islam
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Sozialwissenschaften Soziologie
Wirtschaft
Schlagworte 90er Jahre • Allo Leute • Berlin • Black lives matter • BlackLivesMatter • Bücher von Hip Hoppern • Bücher von Rappern • Chaya • demo gegen rechts • Demonstration gegen Rassismus • Depression • depressionen bekämpfen • Deutschrap • Emanzipation • Empowerment • Erfolg • Eritrea • Feminismus • Flucht • Flüchtlinge • Geflüchtete • George Floyd • Geschenk • Habibi • Hanau • Hiphop • Islam • Juju • Könnt ihr uns hören • Kuwait • Leben am Limit • LGBT • Memoir • Mobbing • Motivation • Motivierende Biografien • Motivierende Bücher • Musikbücher • Musikerin werden • Musik gegen rechts • muslimische Erziehung • neue Sachbücher • Nura Buch • Nura Instagram • Party Berlin • Partylife Berlin • Polizeigewalt • Pop • Popstar • Popstar werden • Rap • Rap Buch • Rapper • Rapperin • Rassismus • Saudi-Arabien • Sxtn • Teenager • Trettmann • Verliebt in einen Gangster • Von Part zu Party • Was hilft bei Depression? • Was ich meine • Was mache ich • Was mache ich, wenn ich traurig bin? • wenn ich traurig bin? • Wuppertal
ISBN-10 3-8437-2429-6 / 3843724296
ISBN-13 978-3-8437-2429-6 / 9783843724296
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