In der Männer-Republik (eBook)
368 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32003-9 (ISBN)
Torsten Körner ist Schriftsteller, Dokumentarfilmer, Journalist und Fernsehkritiker. Er schrieb die hochgelobten SPIEGEL-Beststeller-Biografien über Heinz Rühmann, Franz Beckenbauer und Götz George und war mehrere Jahre lang Juror des Grimme- und des Deutschen Fernsehpreises. Er ist auch als Regisseur tätig, u. a. von »Angela Merkel - Die Unerwartete«, »Drei Tage im September« (nominiert für den Deutschen Fernsehpreis 2018) und »Die Unbeugsamen« (ausgezeichnet mit dem Gilde-Filmpreis als beste Dokumentation). Im Herbst 2024 kam die Fortsetzung »Guten Morgen, ihr Schönen« in die Kinos. Zuletzt erschienen von Torsten Körner bei Kiepenheuer & Witsch »In der Männer-Republik« und »Kanzlerin am Döner-Stand«.
Torsten Körner ist Schriftsteller, Dokumentarfilmer, Journalist und Fernsehkritiker. Er schrieb die hochgelobten SPIEGEL-Beststeller-Biografien über Heinz Rühmann, Franz Beckenbauer und Götz George und war mehrere Jahre lang Juror des Grimme- und des Deutschen Fernsehpreises. Er ist auch als Regisseur tätig, u. a. von »Angela Merkel – Die Unerwartete«, »Drei Tage im September« (nominiert für den Deutschen Fernsehpreis 2018) und »Die Unbeugsamen« (ausgezeichnet mit dem Gilde-Filmpreis als beste Dokumentation). Im Herbst 2024 kam die Fortsetzung »Guten Morgen, ihr Schönen« in die Kinos. Zuletzt erschienen von Torsten Körner bei Kiepenheuer & Witsch »In der Männer-Republik« und »Kanzlerin am Döner-Stand«.
1. Kapitel Die Ausblendung
»Eine Frau ausstrahlender Anmut durch ihre Taten«
Inschrift auf dem Grabstein von Jeanette Wolff
Dem männlichen Politiker fällt es nicht schwer, sich auf männliche Stimmen und Bilder der Vergangenheit zu beziehen; seit der Adenauer-Ära gibt es ein maskulines Kontinuum in der politisch-parlamentarischen Rede und den dazugehörigen Medien. Wie kann das sein? Ist die alte Bonner Männerrepublik nicht längst Geschichte? Ist aus Angela Merkel, die man zu Beginn ihrer Karriere despektierlich »Kohls Mädchen« nannte, etwa nicht die »ewige Kanzlerin« geworden? Haben Frauen nicht längst bewiesen, dass sie politikfähig sind, dass sie die Macht erobern und erhalten können? Hat das Herrenzimmer unter dem tapferen Bundesadler in Bonn sich in Berlin nicht längst in ein bunt gesprenkeltes, Politikerinnen gegenüber sehr aufgeschlossenes Parlament verwandelt? Andrea Nahles stand bis zum 3. Juni 2019 an der Spitze der SPD, die CDU wird von Annegret Kramp-Karrenbauer geführt. Frau an der Macht! Also was?
Schon ein flüchtiger Blick in den Bundestag und die Ministerien reicht aus, um festzustellen, dass Gleichberechtigung und Parität möglich, aber noch lange nicht hergestellt sind – und dass ein Rückschritt jederzeit vorstellbar ist. Der Anteil der Parlamentarierinnen ist erstmals seit 1998 wieder deutlich gesunken, im 19. Bundestag sitzen seit 2017 nur noch 30,7 Prozent Frauen. Die ehemalige Bundesjustizministerin Katarina Barley bemerkte desillusioniert, sie sehe jetzt im Parlament ein »Meer von grauen Anzügen«. Es sind vor allem die Fraktionen der AfD, der CDU und der FDP, die den Frauenanteil senken.
Die mächtigste Politikerin des Landes mag eine Frau sein, aber dort, wo sich in den Ministerien die Macht ballt, bei den beamteten Staatssekretären, sitzen fast nur Männer. Sie, die in der Hierarchie gleich nach der Ministerin oder dem Minister rangieren, sind die eigentlichen Herren im Haus, sie setzen Themen, sie dirigieren die Verwaltung, sie vertreten die Minister, sie sind die gar nicht so heimlichen Chefs der Republik. Eine Untersuchung von »Zeit online« im Herbst 2018 hat ein erstaunliches Ergebnis zutage gefördert: »In der Geschichte der Bundesrepublik sind bislang 692 beamtete Staatssekretäre ernannt worden. Die männliche Bezeichnung ist angebracht, denn in 668 Fällen wurde ein Mann für dieses Amt ausgewählt. Nur 24 Mal nominierten die zuständigen Minister und Ministerinnen eine Frau. Zieht man Frauen ab, die mehrfach ernannt wurden, dann gab es seit 1949 insgesamt nur 19 beamtete Staatssekretärinnen. In derselben Zeit wurden 24 Männer Staatssekretäre, die den Vornamen Hans trugen, und 18, die Karl hießen. Es gab also in 69 Jahren Bundesrepublik mehr Männer namens Hans in dieser wichtigen Funktion als Frauen.«
Zu dieser bedrückenden Einsicht passt das nicht minder bedrückende Bild, das Bundesinnenminister Horst Seehofer augenscheinlich stolz am 27. März 2018 unter der Überschrift »Führungsmannschaft des BMI komplett« in die Welt hinausschickte: Da stehen neben dem Chef Seehofer vier Herren links und vier Herren rechts im uniformen Machtmannschick: zwickende Anzüge, Ernsthaftigkeit signalisierende Krawatten, zupackende Tatmenschengesichter mit zupackendem Lächeln. Frau empörte sich, und selbst Mann konnte es kaum glauben, dass ein derartig gestriges Bild, eine derartig frauenverleugnende Botschaft noch möglich ist: Sorry, Mädels, ihr müsst draußen bleiben!
Ein mittelschwerer Shitstorm war die Folge, aber faktisch änderte sich nichts.
Dass auf diesem Bild die Patina der Adenauer-Ära liegt, dass es ebenso gut zum Patriarchen Kohl und zum schneidigen Kanzler Helmut Schmidt gepasst hätte, liegt auf der Hand. Tatsächlich hört die Bonner Republik nicht auf, sich in die Gegenwart einzuschreiben und die Politik zu organisieren und zu beeinflussen. Wenn es stimmt, dass man gezwungen ist, die Vergangenheit zu wiederholen, solange man sie nicht kennt, dass man also ihr Gefangener bleibt, solange man keinen Ausweg aus ihr findet, dann müssen wir die allzu selbstgewissen Bilder der Bonner Männerrepublik hinterfragen und ihren fortwirkenden Allmachtsanspruch bestreiten.
Aber sind das nicht bloß kosmetische Korrekturen und nachträgliche Retuschen an alten Bildern? Ich möchte im Folgenden zeigen, dass es um sehr viel mehr geht: Es geht darum, zu verstehen, warum es bis heute vielen Männern und Frauen so schwer fällt, die Leistungen von Politikerinnen anzuerkennen, warum es angehenden Politikerinnen mitunter an weiblichen Vorbildern fehlt und warum es immer noch zu wenige Frauen an den Schaltstellen der Macht gibt. Wenn sich Frauen immer noch weniger für Politik interessieren als Männer, dann ist das kein naturwüchsiges Phänomen, kein angeborenes Desinteresse, sondern das Ergebnis männlicher Diskurse, Erzähler und Narrative, die Frauen als Politikerinnen ausblenden, an den Rand schieben, ihre Leistungen ignorieren, unter den Tisch fallen lassen oder kein Sensorium haben für spezifische weibliche Techniken und Tugenden der politischen Auseinandersetzung. Mitunter scheint es fast so, als hätten die Herren Adenauer, Brandt, Schmidt und Kohl nicht nur dickleibige Autobiografien geschrieben, sondern auch wirkmächtige Algorithmen, die uns das Gestern und Heute aus ihrem Blickwinkel betrachten lassen und uns vorschreiben, wie wir das Zoon politikon seit den Tagen des Philosophen Aristoteles bis heute zu definieren haben: als Mann.
Betrachten wir ein paar Beispiele, um zu verstehen, wie die rückwirkende und dadurch zugleich fortwirkende Ausblendung der Frau als Politikerin funktioniert. Dass nicht nur Horst Seehofer etwas davon versteht, sich auf Twitter zu blamieren, zeigte Robert Habeck. In einem Video zur Thüringer Landtagswahl 2019 erklärte er vollmundig: »Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird, ein ökologisches Land.« Obwohl die Thüringer Grünen seit fast fünf Jahren an der Landesregierung beteiligt waren.
Die politischen Gegner mokierten sich weidlich über so viel grüne Selbstherrlichkeit. Nahezu zeitgleich wurde der Bundesvorsitzende der Grünen Opfer eines Hackerangriffs, private Daten wurden öffentlich. Das Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« hob Habeck daraufhin aufs Titelbild und widmete ihm eine Geschichte. Unter der Überschrift »Problemzone« sollte eigentlich erörtert werden, dass der Chef der Grünen den Start in das Superwahljahr 2019 »verstolpert« habe, doch tatsächlich liest sich das Porträt dann ganz anders. Da heißt es: »Robert Habeck hat seine Partei zu neuen Umfragehöhen geführt«, oder auch: »Der Chef der Grünen hat vieles richtig gemacht in den vergangenen Monaten, sonst stünde die Partei in den Umfragen nicht so blendend da.« Dass auch Annalena Baerbock als gleichberechtigte Bundesvorsitzende der Grünen etwas richtig gemacht haben könnte oder persönliche Anteile am Höhenflug der Grünen zeichnen dürfte, kommt in dem Artikel so gut wie nicht vor. Stattdessen bleibt der Text, der doch eigentlich die Fehler des Politikers thematisieren wollte, durchgängig eine Eloge: »Mit Habeck stoßen die Grünen in neue Sphären vor […].«
Habeck – ob er selbst will oder nicht – monopolisiert den Erfolg, er ist der Kopf, sie wird zum ornamentalen Beiwerk geschrieben.
Diese Fokussierung auf den Mann korrespondiert in dem »Spiegel«-Artikel mit einem retrospektiven Verdrängungsmechanismus. So heißt es im Hinblick auf die Anfänge der Grünen und ihren jetzt unvermuteten Höhenflug: »Wer jedenfalls hätte gedacht, dass die Partei, die im Jahr 1983 mit 5,6 Prozent und ein paar Zauselbärten in den Bundestag einzog, eines Tages den Atomausstieg durchsetzen würde, die doppelte Staatsbürgerschaft und das Dosenpfand?« Sicher, ein Wort wie »Zauselbärte« geht leicht von der Hand, und man sieht die langbärtigen Norwegerpulliträger direkt vor sich, aber gerade deshalb verdeckt und unterschlägt die Formulierung das Entscheidende: Die Grünen zogen damals mit 28 Abgeordneten in den Bundestag ein, es waren zehn Frauen und 18 Männer. Unter den Frauen waren eine charismatische Weltbürgerin wie Petra Kelly, eine hartnäckige und vitale Parlamentarierin wie Marie-Luise Beck, eine faszinierende Rednerin wie Waltraud Schoppe, eine authentische Anwältin des außerparlamentarischen Lebens wie Christa Nickels und eine strategische Virtuosin wie Antje Vollmer. Sie alle – man könnte weitere Namen nennen – verschwinden hinter den zu belächelnden Zauselbärten. Kein Wort darüber, dass niemals zuvor eine Fraktion mit derart hohem Frauenanteil in den Bundestag eingezogen war, kein Wort über das »Feminat«, den Fraktionsvorstand der Grünen von 1984, der ausschließlich von Frauen gebildet wurde und tatsächlich ein Meilenstein für die Frauen aller Parteien bedeutete. So werden die Frauen im Rückblick verdrängt, und diese Ausblendung erleichtert es auf der Gegenwartsebene, den Mann als Star zu etablieren: Robert Habeck, der smarte Höhenflug höchstpersönlich.
Blicken wir auf ein weiteres Beispiel, das uns vor Augen führt, wie die Frau aus dem politischen Feld verschwindet, wenn Männer Bilanz ziehen, resümieren und die Spitzen der Politik bestimmen. Der Göttinger Politikwissenschaftler Franz Walter ist einer der angesehensten Parteienforscher seiner Zunft. Im Jahr 2009 veröffentlichte er im Suhrkamp Verlag eine Studie unter dem Titel »Charismatiker und Effizienzen. Porträts...
Erscheint lt. Verlag | 13.2.2020 |
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Zusatzinfo | zahlr. s/w-Abb. |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | 1.Frau Bundestag • Bonner Republik • Bundeskanzlerin Angela Merkel • Bundestagswahl 2021 • die Unbeugsamen • Feminismus • frauenanteil bundestag • Geschichte BRD • Gleichberechtigung • Hildegard Hamm-Brücher • Kinofilm • Louise Schroeder • Metoo-Debatte • Ministerinnen • Petra Kelly • Politikerinnen • Rita Süssmuth • Starke Frauen • Wahlen 2021 |
ISBN-10 | 3-462-32003-3 / 3462320033 |
ISBN-13 | 978-3-462-32003-9 / 9783462320039 |
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Größe: 19,7 MB
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