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Allein durch den Iran (eBook)

1840 km Vertrauen, Neugier und Offenheit
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
344 Seiten
Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH
978-3-462-32093-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Allein durch den Iran -  Kristina Paltén,  Desirée Wahren Stattin
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Eine Frau joggt alleine durch den Iran und zeigt uns, was möglich ist, wenn wir unsere Angst überwinden. Kristina Paltén ist 31, als sie zum ersten Mal das Laufen für sich entdeckt. Nach einer Lebenskrise steigert sie ihr Trainingspensum und bricht als Ultraläuferin alle Rekorde. Doch auch das reicht ihr irgendwann nicht mehr: Sie will ihre eigenen Vorurteile und Ängste besiegen und alleine durch den Iran laufen. 59 Tage, 1840 Kilometer, einmal quer durch den Iran. Laufend, mit einem Babyjogger fürs Gepäck. Was unglaublich klingt, hat Kristina Paltén tatsächlich getan. Mit genauer Vorbereitung, ortskundigen Helfern im Hintergrund und viel Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Instinkte beginnt sie dieses Abenteuer an einem heißen Augusttag an der türkischen Grenze. Der Anfang ist mehr als holprig, aber sie lernt das Land, das für viele in der westlichen Welt als rückständig und religiös fanatisch gilt, von einer anderen Seite und durch den Blick auf die Bewohner kennen. Kristina Paltén merkt schnell, wie wichtig Gastfreundschaft ist - und so verbringt sie fast keine Nacht in den vorher ausgesuchten Hotels, weil sie immer irgendwo eingeladen wird. Ein Buch, das Hoffnung macht und hilft, Vorurteile abzubauen.

Kristina Paltén wurde 1971 in Nordschweden geboren. Nach fast zwanzig Jahren, in denen sie als Ingenieurin gearbeitet hat, hörte sie auf, um sich ganz dem Laufen widmen zu können, sie hält den Frauenweltrekord im 48-Stunden-Lauf auf dem Laufband sowie den schwedischen Sechs-Tage-Rekord. 2015 lief sie 1840 Kilometer in 59 Tagen.

Kristina Paltén wurde 1971 in Nordschweden geboren. Nach fast zwanzig Jahren, in denen sie als Ingenieurin gearbeitet hat, hörte sie auf, um sich ganz dem Laufen widmen zu können, sie hält den Frauenweltrekord im 48-Stunden-Lauf auf dem Laufband sowie den schwedischen Sechs-Tage-Rekord. 2015 lief sie 1840 Kilometer in 59 Tagen. Desirée Wahren Stattin ist Journalistin, Autorin und Verlegerin aus Stockholm. Bevor sie ihren eigenen Verlag gründete, war sie Redakteurin beim größten schwedischen Frauenmagazin Amelia. Paul Berf, 1963 in Frechen geboren, studierte Skandinavistik und lebt als freier Übersetzer in Köln. Er übersetzt aus dem Schwedischen, Norwegischen und Dänischen ins Deutsche, u.a. Werke von Selma Lagerlöf, Henning Mankell und Kjell Westö. Er ist der Übersetzer des sechsbändigen Romanzyklus Min Kamp von Karl Ove Knausgård, wofür er 2014 mit dem Jane-Scatcherd-Preis ausgezeichnet wurde. Bei Galiani erschienen von ihm die Übersetzungen von Fredrik Sjöbergs Der Rosinenkönig (2011), Die Kunst zu fliehen (2012) und Vom Aufhören (2018).

Prolog


Der Mann in dem weißen Hemd


18. Tag, Ardabil–Astara, 85 km

 

Das Handy klingelt, als ich seit ziemlich genau zehn Stunden unterwegs bin. Die Melodie stimmt mich fröhlich, und ich bremse auf Schritttempo ab und öffne gleichzeitig das kleine Fach an der Rückseite des Wagens. Dort verwahre ich außer dem Telefon ein wasserdichtes Tütchen mit meiner iranischen Kreditkarte und ein paar Visitenkarten, die ich Leuten geben kann, denen ich begegne, Menschen, die mir auf meiner Homepage folgen wollen.

Mein Smartphone ist ein etwas robusteres, wasserdichtes und stoßfestes Modell. Während meiner gut zwei Monate im Iran ist es meine Rettungsleine und manchmal die einzige Chance, mich mit Menschen auszutauschen, die verstehen, was ich sage.

Es ist Mehrdad, der mich inzwischen so gut kennt, wie nur wenige vor ihm es jemals getan haben. Er ruft aus dem nordwestlich von Teheran gelegenen Karadsch an, wo er lebt. Dort sitzt er mit Landkarten und seinem Computer und bildet den Dreh- und Angelpunkt für die etwa fünfzig Personen, die etwas mit meinem Lauf zu tun haben oder mir mit einer Übernachtungsmöglichkeit oder einer Mahlzeit helfen wollen.

»Du solltest lieber nicht im Dunkeln laufen«, sagt er.

Auf meiner Homepage kann er sehen, dass noch ein weiter Weg vor mir liegt. Allen, die Zugang zu dem passwortgeschützten Kartenbild haben, zeigt ein Spot an, wo ich mich derzeit befinde. Meine Route wird alle zehn Minuten von tropfenförmigen Markierungen angezeigt – wenn das Satellitensignal richtig funktioniert. Im Moment muss ich noch mindestens zwanzig Kilometer bis Astara, meinem Tagesziel, laufen. Dort werde ich mir Staub, Schweiß und Salz vom Leib duschen und mich in ein frisch bezogenes Hotelbett legen dürfen.

Mehrdad weiß, dass es schon dämmert. Es ist der zweiundzwanzigste September, und die Sonne geht gegen sechs Uhr unter. Bis die letzten schrägen Strahlen der Abendsonne über der gebirgigen Landschaft verschwunden sind, dauert es nur noch eine Viertelstunde. Zurück bleibt völlige Dunkelheit. Die Konturen der Straße sind dann kaum noch zu erkennen, und nicht jeder Autofahrer schaltet in der Dämmerung das Licht ein.

»Aber hier gibt es Straßenlaternen«, erkläre ich und sage in dem Augenblick die Wahrheit.

»Aha, dann bist du auf einer Landstraße?«

»Wenn Straßenlaternen die Definition für eine Landstraße sind, bin ich auf einer«, antworte ich.

Mehrdad klingt ein wenig beruhigt. Dann erzählt er mir, dass er mit einer Familie an der Straße in Kontakt steht, bei der ich diese Nacht schlafen könnte, falls ich es doch nicht bis zu dem Hotel in Astara schaffen sollte.

»Wenn es geht, möchte ich eigentlich die ganze Strecke laufen«, sage ich zögernd.

Mehrdad ist besorgt um mich, und ich möchte seine Fürsorglichkeit nicht abweisen. Es ist mir seit jeher schwergefallen zu sagen, was ich meine und will, was Mehrdad begriffen hat. Mittlerweile ruft er die Familien, bei denen ich schlafe, sogar im Voraus an, um ihnen mitzuteilen, dass ich eine Frau bin, die ungern sagt, was sie wirklich will. So erzählt er ihnen zum Beispiel, dass ich zum Frühstück gern ein Spiegelei esse und manchmal einfach möchte, dass man mich in Ruhe lässt.

Obwohl ich es nicht offen ausspreche, versteht er jetzt, dass er mich nicht überreden kann, irgendwo zu übernachten, bevor ich Astara erreicht habe.

»So, so, na ja, wenn du möchtest, bist du ihnen jedenfalls herzlich willkommen. Du bist eine starke Läuferin«, sagt er.

Wir beenden das Gespräch. Ich lege mein Handy in das Fach zurück und erhöhe das Tempo. Atme die laue Abendluft ein und fühle mich trotz der Strecke, die ich an diesem längsten Tag meines Laufs durch den Iran bereits zurückgelegt habe, gut bei Kräften. Die Straße neigt sich sachte abwärts, und es herrscht wenig Verkehr, einzelne Autos rauschen vorbei, und Baby Blue, mein Joggingwagen, wackelt dann manchmal kurz im Fahrtwind. Im Licht der Straßenlaternen erkenne ich die Konturen von Bäumen. Links von mir befindet sich etwas, das ein Bachbett sein könnte, obwohl ich nicht das Geräusch von fließendem Wasser höre, rechts steigt ein bewaldeter Hang auf.

Den Kinderwagen, mit dem ich laufe, haben meine Laufpartnerin Carina und ich auf diesen Namen getauft. Baby Blue ist ein er, ein kleiner, stabiler Junge, ungefähr fünf Jahre alt und immer zuverlässig. Als Carina und ich 2013 von der Türkei nach Schweden gelaufen sind, haben wir uns viele Geschichten über ihn ausgedacht. Bei meinem Lauf durch den Iran ist Carina allerdings nicht dabei. Baby Blue und ich sind allein.

Im Iran geht und läuft man auf der rechten Straßenseite, in Fahrtrichtung, und außerhalb der Städte gibt es keine Bürgersteige. Es kommt häufig zu Unfällen, und die Zahl der Verkehrsopfer ist im weltweiten Vergleich eine der höchsten, aber im Moment fühle ich mich trotzdem sicher. Es ist ein gutes Gefühl, umschlossen von grauer Finsternis allein auf der Straße zu sein. Die Welt besteht nur aus dem, was ich sehe, und das gefällt mir. Der Duft von Dämmerung und warmem Wald trägt mich durch die Landschaft, die nach und nach immer dunkler wird. In meiner Brust breitet sich ein heiteres Gefühl von Freude, ja, fast Glück aus.

Kurz darauf ist es stockfinster. Es ist ungefähr sechs Uhr abends, und ich habe die letzte Straßenlaterne hinter mir gelassen. Jetzt sehe ich nicht mehr, wohin ich meine Füße auf der unebenen Straße setze, und die Autofahrer sehen mich genauso wenig. Ich bleibe stehen und hole die Reflektorweste heraus. Der an Baby Blue angeschlossene Fahrradcomputer zeigt die Distanz an, die ich an diesem Tag bisher gelaufen bin: 55 Kilometer. Um mich herum gibt es nichts als das Zirpen der Heuschrecken und die Silhouette der Landschaft im Licht der Sterne.

Ich sehe einzelne Lichtpunkte, die vor mir die Gebirgskette hinaufklettern, ansonsten ist es vollkommen schwarz. Meine Augen gewöhnen sich relativ gut an die Dunkelheit, aber ich merke, dass es mir schwerfällt einzuschätzen, ob diese Lichter nun mehrere Kilometer oder nur ein paar Hundert Meter entfernt sind. Wenn mir ein Auto entgegenkommt, sehe ich weg, um nicht geblendet zu werden, weil das mein Sehvermögen im Dunkeln beeinflussen würde.

Nach einer halben Stunde in der Finsternis erahne ich rechts oberhalb der Straße etwas, das ein Haus sein könnte. Als ich näher komme, erkenne ich, dass es ein Restaurant ist. Licht strömt aus den vielen Fenstern, was gemütlich und einladend aussieht. Vor dem Restaurant parken mehrere Autos, und vom Parkplatz führt ein kleiner Kiesweg zur Hauptstraße hinunter, auf der ich laufe. Im Lichtschein des Hauses sehe ich, dass an der Abzweigung drei Männer stehen und sich unterhalten.

Ich ändere meinen Kurs ein wenig, damit ich um sie herumlaufen kann. Ich bin daran gewöhnt, angehalten zu werden, und rede eigentlich gern mit allen, die mehr über mich und mein Abenteuer erfahren wollen, aber an diesem Abend will ich einfach nur weiterlaufen. Es ist dunkel, in meinen Knien und Oberschenkeln spüre ich langsam, aber sicher schmerzhaft die fünfunddreißig Kilometer lang abwärts führende Strecke, außerdem liegt noch ein längerer Weg vor mir, bis ich mein Tagesziel erreicht habe. Im Grunde habe ich keine Zeit anzuhalten.

Als ich mich den Männern nähere, sprechen sie mich an. Wie üblich bleibe ich stehen, und wir versuchen, einander zu verstehen. Sie sprechen kein Englisch, und ich beherrsche nur wenige Vokabeln Persisch. Es entwickelt sich ein hölzerner und plumper Dialog, in dem einzelne Wörter die ganze Kommunikation bestreiten sollen. Es ist nicht möglich, etwas näher zu erläutern oder Aussagen in nuancierende Phrasen einzubetten.

Einer der Männer trägt ein weißes Hemd und versucht, mir Tee anzubieten.

»Chai?«

Ich antworte möglichst höflich, wie ich es gelernt habe. »Na merci.« Nein, danke.

Der Mann lässt nicht locker.

»Chai?!«

Er erhebt die Stimme und sieht mich auffordernd an. Seine Augen sind groß, weit aufgerissen. Ist er high?

Obwohl streng verboten, sind Drogen im Iran ziemlich weit verbreitet und ihr Besitz wird mit langen Gefängnisstrafen, manchmal sogar mit der Todesstrafe geahndet. Seine Freunde wirken allerdings nüchtern, und ich merke, dass sein Verhalten ihnen peinlich ist. Er wiederholt seinen Wunsch, Tee mit mir zu trinken, und ich sage erneut »na merci«.

Daraufhin geht er rasch um Baby Blue herum, packt den Griff und hält ihn fest, als würde er sich weigern, ihn wieder loszulassen. Was soll das, was hat er vor?

»Davande Astara«, sage ich und versuche zu lächeln. Ich will nach Astara laufen.

»Machina Astara! Chai!«

Der Mann, der offensichtlich Drogen genommen hat, möchte also Tee mit mir trinken und mich anschließend nach Astara fahren. Sein Ton ist aggressiv, und er wiederholt immer wieder seine Worte. Ich soll mich zu einem Mann ins Auto setzen, der unter Drogen steht? Nie im Leben. Er baut womöglich einen Unfall oder fährt mich ganz woanders hin. Wie soll ich dann herausfinden, wo ich gelandet bin? Ich kann in diesem Land ja nicht einmal die Straßenschilder lesen!

Er ruft laut, und ich antworte mit einem entschiedenen »na«. Lange genug habe ich ihn freundlich behandelt, jetzt will ich weiterkommen. In mir steigt Wut auf. Ich kann hier nicht länger wichtige Laufzeit vergeuden. Da er offenbar nicht vorhat, freiwillig loszulassen, versuche ich, seine Finger aufzubiegen, aber sein Griff ist fest. Nach einer gefühlten Ewigkeit von »na merci« und Versuchen, ihn zum Loslassen zu bewegen,...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2020
Übersetzer Paul Berf
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Aussteiger • CouchSurfing • Islam • Laufen • Marathon • Reise-Abenteuer • Reisebericht • Running Through Fear • Ultralauf-Rekord • Vorurteile
ISBN-10 3-462-32093-9 / 3462320939
ISBN-13 978-3-462-32093-0 / 9783462320930
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