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Prekäre Arbeit, prekäre Liebe - Christine Wimbauer, Mona Motakef

Prekäre Arbeit, prekäre Liebe

Über Anerkennung und unsichere Lebensverhältnisse
Buch | Softcover
420 Seiten
2020
Campus (Verlag)
978-3-593-51240-2 (ISBN)
CHF 41,90 inkl. MwSt
Erwerbsarbeit und Paarbeziehungen sind wichtige Quellen für Anerkennung. Doch was geschieht, wenn Arbeit prekär wird? Wie wirken sich unsichere Arbeitsverhältnisse und Anerkennungsdefizite auf die Liebe aus, auf Beziehungen und auf die Lebenszusammenhänge der Menschen überhaupt? Welche Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern werden sichtbar?Das Buch zeichnet anhand von Interviews eindrücklich nach, welch destruktives Potenzial prekäre Erwerbsarbeit entfalten kann und was das für die Einzelnen, für Paare und für die Gesellschaft bedeutet. Außerdem entwickeln die Autorinnen Vorschläge, wie sich auf prekäre Beschäftigung, Geschlechterungleichheiten sowie auf Anerkennungsbedürftigkeit und Verletzbarkeit reagieren lässt.Dieses Werk ist lizensiert unter der Creative-Commons-Lizenz 4.0, CC-BY-SA: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Christine Wimbauer, Dr. phil., ist Professorin für Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Mona Motakef, Dr. phil., ist Professorin für Soziologie der Geschlechterverhältnisse an der Technischen Universität Dortmund.

Inhalt
Vorwort 13
1. Einleitung 17
2. Prekäre Erwerbsarbeit – prekäre Lebenszusammenhänge – prekäre Anerkennung 27
2.1 Prekarisierung von Erwerbsarbeit 30
2.1.1 Wandel der Erwerbssphäre 30
2.1.2 Prekäre Beschäftigung im Aktivierungsregime 34
2.1.3 Soziale Folgen und subjektive Bewältigung prekärer Erwerbsarbeit 40
2.2 Geschlechtersoziologische Erweiterungen: Prekarität im Lebenszusammenhang 45
2.2.1 Prekarität im Lebenszusammenhang betrachtet 47
2.2.2 Sorge für andere und Sorge für sich selbst 50
2.2.3 Heteronormativität und Paarnormativität 52
2.2.4 Paarbeziehungen und Männlichkeiten 53
2.3 Theorien der Anerkennung 56
2.3.1 Axel Honneth: Ein Dreistufenmodell intersubjektiver Anerkennung 57
2.3.2 Judith Butler: Von »Precariousness« und ambivalenter Anerkennung 59
2.3.3 Zwischenfazit zur anerkennungstheoretischen Fundierung 61
2.4 Anerkennung im Lebenszusammenhang 62
2.5 Forschungskonzepte und Fragen 66
2.5.1 Prekarität im Lebenszusammenhang – um Anerkennung erweitert 66
2.5.2 Forschungsfragen 70
3. Die empirische Studie 75
3.1 Methodologie 75
3.2 Sampling und Akquise 76
3.3 Die Erhebung: Paar- und Einzelinterviews 78
3.3.1 Interviewdurchführung 78
3.3.2 Zum Erkenntnispotential von Paarinterviews 79
3.4 Auswertung und theoretische Generalisierung 81
3.5 Kurzdarstellung der Befragten 82
4. Erwerbsarbeit und Anerkennungsdefizite in der Erwerbssphäre 91
4.1 Der (Irr-)Glaube an Meritokratie: Von Mühen und Leistungen ohne Lohn 95
4.1.1 »Das find ich so bitter«: Oliver Oswald 97
4.1.2 »Und dann alles, alles für die Katz!?«: Ulrike Urban 101
4.2 Vom Ringen um Respektabilität 105
4.2.1 »Im Prinzip lief es immer irgendwie auf drei Jobs raus«: Die alleinerziehende Petra Podan 105
4.2.2 »Mein Mann geht arbeiten«: Patricia Poturica 110
4.3 »Gute Arbeit« als Ausdruck des Selbst: Veronika Vetter 112
4.4 Erwerbsarbeit zur Sicherung der Existenz und der Unabhängigkeit 116
4.4.1 Arbeiten, um zu (Über-)Leben 117
4.4.2 Unabhängigkeit vom Staat und vom Mann 119
4.5 Weitere soziale Funktionen von Erwerbsarbeit 122
4.6 Exkurs: Prekarisierungsprozesse in der Erwerbsarbeit und einige Ursachen 125
4.6.1 Verschlechterung der persönlichen Arbeitssituation 128
4.6.2 Gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen 138
4.6.3 Von Geburt, Alter, Krankheit und Tod – Veränderungen im Lebenszusammenhang 142
4.7 Erwerbsarbeit als notwendiges Übel, Heteronomie und Ausbeutung 149
4.7.1 Erwerbsarbeit als existenziell notwendiges Übel 150
4.7.2 Erwerbsarbeit als Zwang und Fremdbestimmung 151
4.7.3 Erwerbsarbeit als Ausbeutung 154
4.8 Von den Pathologien selbst- und sozialdestruktiver Erwerbsarbeit 155
4.8.1 Pathologien der Arbeit I: Wenn Arbeit krank macht 156
4.8.2 Pathologien der Arbeit II: Erwerbsarbeit und Entfremdung 159
4.9 Zwischenfazit: Von Selbstausdruck über Heteronomie zur Destruktivität von Erwerbsarbeit 167
5. Verhältnisse von Anerkennung/sdefiziten: Ein Überblick 169
6. Paarbeziehungen als Anerkennungsressource oder -verhinderung 173
6.1 Paare mit starkem Paarzusammenhalt 174
6.1.1 Die Gesellschaft sieht nicht ihre Leistungen: Lara Laubenthal und Lars Löbner 174
6.1.2 Arbeit als Dienst an der Liebe: Dana und Daniela Daub 179
6.2 Paare mit ambivalentem Paarzusammenhalt 184
6.2.1 Besser als vorher, aber nicht »rosarot«: Birthe Bruhns und Ben Borg 184
6.2.2 Nach innen stabil, nach außen brüchig: Patricia und Pepo Poturica 188
6.3 Paare mit schwachem Paarzusammenhalt 194
6.3.2 Seine »berufliche Nichtanerkennungsresistenz« versus ihre Alleinverantwortung: Clemens Caspar und Caroline Christiansen 194
6.3.2 Ungleiche Arbeitsteilung und Belastungen: Maria und Markus Melchior 198
7. Menschen ohne Paarbeziehungen 205
7.1 Abmilderung beruflicher Nichtanerkennung 205
7.1.1 Das Wohl der Kinder und Anerkennung in Nahbeziehungen: Petra Podan 205
7.1.2 Vererträglichung durch alternative Sinnorientierung: Veronika Vetter 209
7.1.3 Vom autonomen Subjekt, das sich selbstbefreundet: Walter Wenke 213
7.2 Ambivalente Nicht-/Anerkennung: Widersprüchliche Relationierungen 218
7.2.1 Ambivalente Anerkennung in einer symbiotischen Pflegebeziehung: Ulrike Urban 218
7.2.2 Ambivalenzen der subkulturellen Vergemeinschaftung: Rolf Radler 223
7.3 Kumulation von multiplen Anerkennungsdefiziten 227
7.3.1 Keine Anerkennung in Erwerbsarbeit und Paarbeziehung: Oliver Oswald 227
7.3.2 »So viel Pech in einem Leben ist nicht normal«: Sabine Schomann 231
7.3.3 »Unter Menschen, die wie Bäume sind« – Theo Tettler 235
8. Männlichkeit/en zwischen prekärer Erwerbsarbeit und Sorgeorientierung 241
8.1 Festhalten an der Ernährermännlichkeit 242
8.1.1 Zur Fragilität des männlichen Alleinverdienermodells: Pepo (und Patricia) Poturica 243
8.1.2 Männlichkeit und Erwerbsarbeit als Exitoption von Zuhause: Markus Melchior 245
8.2 Prekäre Ernährermännlichkeit ohne Elternschaft – Umdeutungen und Rechtfertigungen 246
8.2.1 Männlicher Ernährer seiner selbst: Anton Alsdorf 247
8.2.2 Kaum Geld, aber ehrlich: Ben Borg 249
8.2.3 Kein Geld, keine Partnerin, große Bitterkeit: Oliver Oswald 251
8.3 Prekäre Ernährermännlichkeit und (verhinderte) Hinwendung zu Sorge 253
8.4 Jenseits von Erwerbsarbeit – jenseits von Männlichkeit? 258
8.4.1 Sorgeorientierung jenseits von Männlichkeit: Theo Tettler 259
8.4.2 Der (nicht-)männliche »Einsiedler«: Walter Wenke 260
8.4.3 Eine alternative »Eigenbrötler«-Männlichkeit: Clemens Caspar 261
9. Sozialstaatliche und gesellschaftliche Nicht-/Anerkennung 265
9.1 Sozialstaatliche Anerkennung und positive Einschätzung des Sozialstaates 266
9.2 Ambivalente Kämpfe um Anerkennung 268
9.2.1 Legitime Ansprüche und ambivalente Erfahrungen 269
9.2.2 Abgrenzung von der Figur des »faulen Arbeitslosen« 273
9.3 Vergebliche Kämpfe um Anerkennung und sozialstaatliche Nichtanerkennung 275
9.3.1 Wie ein »Mensch zweiter Klasse«: Rolf Radler 276
9.3.2 Sozialstaatliche Nichtanerkennung von Familie/n 277
9.3.3 Die Missachtung der alleinerziehenden Multijobberin: Petra Podan 279
9.3.4 Die »absolute Demütigung« und das Stigma Hartz IV: Ulrike Urban 281
9.3.5 Sorgeblinder Sozialstaat und Unsichtbarkeit des alleinerziehenden Theo Tettler 282
10. Prekäre Sorge: Fehlende Anerkennung und Unvereinbarkeit mit Erwerbsarbeit 287
10.1 Vereinbarkeitsprobleme in der Sorge für Andere 287
10.1.1 Sorge für Kinder: Sinnstiftung und Hürde für berufliche Anerkennung 288
10.1.2 Sorge-Konflikte und Heteronormativität: Dana und Daniela Daub 290
10.1.3 Sorge für Angehörige: Zwischen Selbstverständlichkeit und Unvereinbarkeit 292
10.2 Zur mangelnden Legitimität von Selbstsorge 295
10.2.1 Ermöglichung von Selbstsorge durch Umdeutung normativer Rahmen 296
10.2.2 Einschränkung von Selbstsorge durch illegitime Nichterwerbstätigkeit 299
10.2.3 Verhinderung von Selbstsorge durch Belastungen und Zeitmangel 299
11. Prekäre Zukünfte 303
11.1 Wünsche, Perspektiven und Forderungen 303
11.1.1 Auf sich selbst und das Nahumfeld bezogene Wünsche 303
11.1.2 Gesellschaftliche Wünsche und kollektive Forderungen 310
11.2 Zukunftsvisionen und Zukunftsängste 314
11.2.1 Selbst- und nahbezogene Szenarien 314
11.2.2 Kollektive Visionen und Dystopien 317
12. Zusammenfassung und Weiterentwicklungen 323
12.1 Ein Blick zurück: Unsere Forschungsfragen 323
12.2 Anerkennungswünsche und Anerkennungsdefizite in der Erwerbssphäre 325
12.3 Verhältnis der Anerkennungssphären 329
12.3.1 Prekäre Erwerbsarbeit, prekäre Paare? 330
12.3.2 Prekär Beschäftigte ohne Paarbeziehung 331
12.3.3 Sinn jenseits von Erwerbsarbeit 333
12.4 Geschlecht und Sorge: Vergeschlechtlichte Ungleichheiten 336
12.4.1 Der Verdeckungszusammenhang von Sorge und Erwerbsarbeit 336
12.4.2 Für-/Sorge und Männlichkeit 339
12.4.3 Zur Wirksamkeit von Hetero- und Paarnormativität 341
12.5 Zu den »Anerkennungsfallen« prekärer Arbeit und Liebe 342
12.6 Eine um Anerkennung erweiterte Heuristik für prekäre Lebenszusammenhänge 344
12.7 Zum ideologischen Potential von Erwerbsarbeit 348
13. Fazit und Ausblick 353
13.1 Perspektivenerweiterungen der Prekarisierungsforschung 353
13.1.1 Jenseits der Erwerbsarbeitszentrierung 353
13.1.2 Anerkennung und Prekarisierung 355
13.1.3 Prekarität im Lebenszusammenhang 357
13.2 Anregungen für die Anerkennungsforschung 358
13.2.1 Anerkennung in Verletzbarkeit fundieren 359
13.2.2 Anerkennung jenseits der Dreieinigkeit 360
13.2.3 Ambivalenzen und Ideologien der Anerkennung 362
13.2.4 Von Selbstanerkennung und transzendierter Anerkennung 365
13.3 Grenzen und offene Forschungsfragen 366
13.4 Was tun? Politiken der Ent_Prekarisierung 372
13.4.1 Politiken der Entprekarisierung 376
13.4.2 Politiken der Prekarisierung 383
13.4.3 »Nichtanerkennungsresistenz« entwickeln und ideologische Anerkennung transzendieren 394
Literatur 397
Erklärung zu bereits vorliegenden Publikationen 419

»Den beiden Berliner Soziologinnen gelingt es, das sozialtheoretische Konzept der 'Anerkennung' als zentrale Kategorie sozialer Ungleichheitsforschung zu plausibilisieren. Darüber hinaus dient ihre empirisch fundierte Analyse allerdings nicht nur einer Illustration der Anerkennungstheorie, sondern ermöglicht es den beiden Forscherinnen ebenso, diese kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln.« Charlotte Nell, Soziopolis, 09.04.2020»Wimbauer/Motakef leisten mit dem vorliegenden Buch einen wichtigen und dringend notwendigen Beitrag zur empirisch fundierten Kritik an der gegenwärtigen Verfasstheit unserer Arbeitsgesellschaft.« Laura Sturzeis, Socialnet, 10.09.2020

»Den beiden Berliner Soziologinnen gelingt es, das sozialtheoretische Konzept der ›Anerkennung‹ als zentrale Kategorie sozialer Ungleichheitsforschung zu plausibilisieren. Darüber hinaus dient ihre empirisch fundierte Analyse allerdings nicht nur einer Illustration der Anerkennungstheorie, sondern ermöglicht es den beiden Forscherinnen ebenso, diese kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln.« Charlotte Nell, Soziopolis, 09.04.2020

»Wimbauer/Motakef leisten mit dem vorliegenden Buch einen wichtigen und dringend notwendigen Beitrag zur empirisch fundierten Kritik an der gegenwärtigen Verfasstheit unserer Arbeitsgesellschaft.« Laura Sturzeis, Socialnet, 10.09.2020

Vorwort Die Idee zu diesem Buch entstand vor einem guten Jahrzehnt am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), wo wir von 2008 bis 2010 Anerkennung und Ungleichheiten in Doppelkarriere-Paaren erforschten. Dabei wurde uns offenbar, wie unabdingbar es ist, den Blick nicht nur auf hoch Qualifizierte, sondern auch auf prekär Beschäftigte zu richten: Wie werden prekäre Beschäftigungsverhältnisse unter Anerkennungsgesichtspunkten erfahren? Wie beeinflussen prekäre Beschäftigungen das Leben und die sozialen Beziehungen der Menschen? Und was bedeuten sie für die Geschlechterverhältnisse? Mit diesen Forschungsfragen im Kopf begann für uns zunächst eine Reise: Den Antrag für das Projekt »Ungleiche Anerkennung? ›Arbeit‹ und ›Liebe‹ im Lebenszusammenhang prekär Beschäftigter« (Wi2142/5–1) schrieben wir am Institut für Soziologie der Universität Duisburg-Essen, und nach einer zweiten Runde erhielten wir glücklich die Bewilligung von der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Zum Projektstart am 1. Mai 2014 waren wir mittlerweile am Institut für Soziologie der Eberhard Karls Universität Tübingen. Ein knappes Jahr später wechselten wir an das Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Laufzeit des Projektes endete dort formal im September 2017, »unser« – vorläufiges – Projektende erreichten wir mit der Fertigstellung des vorliegenden Buches. An welchem Ort auch immer – zum Entstehen dieses Buches haben viele beigetragen. Ihnen allen gilt unser Dank, auch wenn wir nicht alle namentlich erwähnen können. An erster Stelle möchten wir uns bei den Befragten bedanken für die Einblicke, die sie uns in ihr Leben gewährten, für ihr Vertrauen und ihre Zeit. Über Erfahrungen der Nichtanerkennung, über biographische Unsicherheiten und über Liebe zu sprechen und womöglich auch eigenes Leid oder Scheitern zu thematisieren, ist keine Selbstverständlichkeit. Besonderer Dank gilt auch dem Projektteam: Mit hoher Flexibilität hat Ellen Ronnsiek als Doktorandin mit uns die Interviews erhoben und wirkte bei der Auswertung mit. Große Unterstützung bei der Literaturrecherche und Auswertungsarbeit erfuhren wir von den studentischen Mitarbeiter*innen Iliana Klauss, Antonia Platten und Maira Schobert (Tübingen) sowie von Franziska Baum, Lilian Hümmler und Julia Bringmann (Berlin). Studierende unserer Lehrforschungsprojekte in Tübingen und Berlin setzten sich höchst kreativ und engagiert mit unserem Material auseinander. Daraus sind beeindruckende Abschlussarbeiten entstanden, etwa von Franziska Baum (2018) und Julia Bringmann (2016). Antonia Platten, Maira Schobert und weitere Tübinger Studierende legten eine herausragende Projektarbeit vor (Aculai/Gräff/Platten et al. 2015), für die sie Paarinterviews durchführten, die auch in diesem Buch Verwendung finden (siehe Kapitel 3.3.1). Für spannende Diskussionen, kritische Nachfragen und hilfreiche Anmerkungen bedanken wir uns beim »Team Gender«, also bei allen Teilnehmer*innen des Colloquiums des Lehrbereichs Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt-Universität zu Berlin. An einzelnen Kapiteln übten ausgewählte Expert*innen konstruktive Kritik. Dafür bedanken wir uns bei Franziska Baum, Julia Bringmann, Lilian Hümmler, Leoni Linek, Nora Lege, Karin Lohr, Doreen Kruppa, Loui Schlecht, Lena Schürmann, Franziska von Stetten sowie Sarah Speck, Riccarda Höft und Brigitte Rudolph. Franziska von Stetten, Loui Schlecht und ganz besonders Renate Zeiske unterstützten uns zudem mit großer Sorgfalt beim mehrmaligen Lektorat. Wir danken weiter der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Aufgrund der expliziten Familienfreundlichkeit der DFG konnte das Projekt nach einer Elternzeitnahme kostenneutral verlängert werden. Wir bedanken uns zudem für die gesamte Projektförderung, die unbürokratische Beratung bei organisatorischen Fragen etwa bezüglich Projektumzügen und für den Publikationskostenzuschuss. Bedanken möchten wir uns auch für die großzügige finanzielle Unterstützung durch einen Publikationsfonds der Humboldt-Universität zu Berlin, der uns eine Publikation im Open-Access ermöglichte. Sie wäre ohne die äußerst engagierte Unterstützung von Kristy Schank und besonders von Christian Winterhalter nicht zustande gekommen. Bei Isabell Trommer vom Campus-Verlag bedanken wir uns für die freundliche, zuverlässige und kompetente Betreuung der Veröffentlichung. Auch den endgültigen Buchtitel verdanken wir ihr. Dank gebührt schließlich Oscar Knorn u. a. für verschiedentliche Vermittlungen sowie ihm, Jörn Mammen, Kian und Enno für ihr kritisches Hinterfragen und Dasein. Wie also deutlich geworden sein dürfte, ist dieses Buch nicht »in Einsamkeit und Freiheit« monadischer Schreibarbeit entstanden. Conditio sine qua non waren aber vor allem unsere gemeinsamen Diskussionen der vergangenen Jahre. Bei allem gemeinsamen Denken möchten und müssen wir allerdings auch anmerken, dass Christine Wimbauer Kapitel 4, 7 und 13 und Mona Motakef Kapitel 6, 8 und 10 alleine verfasst haben, während Kapitel 2 überwiegend von Mona Motakef und Kapitel 12 überwiegend von Christine Wimbauer aufgeschrieben wurden – wenngleich wir alles gemeinsam ausgewertet, gedacht und diskutiert haben. Kapitel 6, 8 und 10 sind auch Bestandteile von Mona Motakefs geplanter kumulierter Habilitation an der Humboldt-Universität zu Berlin. Wir weisen darauf hin, dass wir theoretische Überlegungen und ausgewählte empirische Befunde bereits an anderer Stelle veröffentlichten. Es sei ihnen ein Anliegen, dass die Welt da draußen erfährt, sieht und versteht, mit welchen Missständen und Kämpfen sie in ihrem Alltag konfrontiert sind. Diese und ähnliche Worte fielen häufig in den Vorgesprächen, die wir mit unseren Interviewpartner*innen führten. Auch wenn es nicht in unserer Macht liegt, dieses Anliegen umfänglich zu realisieren, so hoffen wir doch, dass wir mit diesem Buch (zumal als Open Access breit zugänglich) einen Beitrag dazu leisten, die Kämpfe um Anerkennung prekär Beschäftigter und von Menschen in prekären Lebenslagen sichtbar zu machen. Berlin und Bremen, im November 2019 1. Einleitung »Das hat ganz viele Gründe, dass ich in den letzten Jahren […] ein gewisses Nomadenleben geführt habe.« Veronika Vetter »Meine wirtschaftliche Misere fing erst an, als ich mit dem Studium fertig war. Da kam so diese Hartz IV Abhängigkeit, da gab’s die Arbeitslosigkeit, da gab’s jetzt auch wirklich […] so ’ne absolut prekäre Situation auch schon seit ’nem längeren Zeitraum.« Ulrike Urban »Man sieht, wie man langsam abstirbt.« Theo Tettler »Was prekär geworden ist, ist eher die Beziehungssituation.« Walter Wenke In den letzten Jahrzehnten hat sich die Arbeitswelt massiv verändert. Mit den Hartz-Reformen seit 2002 nahm ein sozialpolitischer Paradigmenwechsel Einzug, bei dem unsichere Beschäftigungsverhältnisse ausgeweitet und die Arbeitsmarktpolitik an den Leitmaximen der Eigenverantwortung und Aktivierung ausgerichtet wurden (Lessenich 2008). Ob in Teilzeit beschäftigt, im Minijob, in Leiharbeit, als Soloselbständige oder im Ein-Euro-Job mit Arbeitslosengeld II-Bezug – viele Menschen können von ihrer Erwerbsarbeit nicht oder nur kaum leben. Von dem Beschäftigungsboom, den die deutsche Wirtschaft regelmäßig verkündet, bekommen sie wenig mit. Von 1991 bis 2015 hat sich der Anteil sogenannter atypischer Beschäftigung an der Gesamtbeschäftigung fast verdoppelt. Heute sind etwa 38 Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse atypisch (Seifert 2017). Wenn man nicht nur vom Beschäftigungsverhältnis ausgeht, sondern auch von der Haushaltslage, leben in Deutschland etwa 12 Prozent der Erwerbsbevölkerung in einer verfestigten prekären Lage (Allmendinger/Jahn/Promberger et al. 2018). Für den Ungleichheitssoziologen Robert Castel (2000) hat sich in der französischen Arbeitsgesellschaft eine Zone der Prekarität und Verwundbarkeit etabliert, in der sich Phasen der prekären Beschäftigung und Arbeitslosigkeit abwechseln. Die Ausweitung unsicherer Beschäftigungsverhältnisse stellt für ihn die Soziale Frage der Gegenwart dar. Die (anonymisierten) Zitate zu Beginn dieses Kapitels stammen von Menschen, die sich in dieser Zone der Prekarität und Verwundbarkeit befinden, wenn man Castels Zonenmodell auf die deutsche Arbeitsgesellschaft überträgt. Veronika Vetter bringt mit ihrem »Nomadenleben« eine diskontinuierliche Berufsbiographie zum Ausdruck, womit sich gleichermaßen Freiheiten wie Einschränkungen eines nicht-sesshaften Lebens andeuten. Walter Wenke markiert seine »Beziehungssituation« als prekär, Ulrike Urban benennt ihre »wirtschaftliche Misere« und Abhängigkeit von Sozialleistungen und Theo Tettler spricht seine angesichts belastender Arbeitsbedingungen desolat gewordene gesundheitliche Situation an. Mit dem vorliegenden Buch möchten wir einen Beitrag für die seit der Jahrtausendwende entstandene Prekarisierungsforschung (Castel/Dörre 2009; Völker/Amacker 2015) leisten. Dieser besteht erstens darin, dass wir nicht nur die Erwerbssphäre fokussieren, sondern Prekarität im gesamten Lebenszusammenhang verorten. Wir bezweifeln nicht, dass Erwerbsarbeit sehr wichtig ist. Wir gehen aber davon aus, dass man die Prekarität von beispielsweise Veronika Vetter oder Theo Tettler erst versteht, wenn man neben Erwerbsarbeit etwa auch berücksichtigt, wie sie ihre soziale Einbindung wahrnehmen und wie es ihnen gesundheitlich geht. Unser Beitrag besteht zweitens darin, eine genuin anerkennungstheoretische Perspektive auf Prekarität zu entwickeln. Wir interessieren uns dafür, wofür Menschen in der Zone der Prekarität und Verwundbarkeit Anerkennung suchen und (nicht) finden und welche Erfahrungen der Anerkennung, der Nichtanerkennung, Abwertung und Missachtung sie machen. Drittens entfalten wir eine geschlechtersoziologische Perspektive auf Anerkennung und Prekarität im Lebenszusammenhang. Bevor wir begründen, warum diese drei Perspektiven wichtig sind, erläutern wir knapp, was wir unter Prekarisierung und Prekarität verstehen. Mit Prekarisierung und Prekarität werden in den Sozialwissenschaften unsichere Arbeits- und Lebenslagen beschrieben. Historisch und global betrachtet, stellen diese alles andere als ein neues Phänomen dar, womit Prekarität zum Normallfall und nicht zur Ausnahme wird (Butler 2010; Neilson/Rossiter 2008; Tsing 2017). Prekarisierung kann als Prozess des Brüchigwerdens beschrieben werden (Dörre/Castel 2009): Brüchig werden können einstige Sicherheiten, etwa wenn Sozialleistungen eingeschränkt und Beschäftigungsverhältnisse unsicher werden. Aber auch Normen und Normalitäten können brüchig werden, etwa wenn Männer wegen ihrer Arbeitslosigkeit nicht mehr die Ernährer ihrer Familie sind (Motakef 2015; Motakef/Teschlade/Wimbauer 2018a). Der Prekaritätsbegriff wird unterschiedlich verwendet. Wie wir in Kapitel 2 ausführen, werden damit in der Arbeits- und Industriesoziologie häufig Verunsicherungen in der Erwerbssphäre, also die Ausweitung prekärer Beschäftigungsverhältnisse, beschrieben. Demgegenüber werden in anthropologischen und philosophischen Ansätzen maximal weite Konzepte von Prekarität vorgelegt. Für Judith Butler (2010) sind wir alle prekär, da wir in unserem Überleben als körperlich-leibliche Wesen immer schon auf andere verwiesen sind. Vor diesem Hintergrund spricht sie von Prekärsein. Politische Regulierungen schützen wiederum bestimmte Gruppen und andere nicht, was für sie in dem Begriff der Prekarität zum Ausdruck kommt. Ähnlich argumentiert Anna Lowenhaupt Tsing (2017), wenn auch mit anderem Akzent: Angesicht der menschengemachten Umweltzerstörung ist Prekarität keine Ausnahme für bestimmte Gruppen, sondern die Bedingung, unter der wir gegenwärtig auf dieser Welt leben. Wir teilen diese Vorstellung eines grundlegenden menschlichen Prekärseins, auch wenn bisweilen kritisiert wird, dass diese Annahme ein »Problem der Grenzziehung« (Marchart 2013: 13) evoziere und Prekarität womöglich Gefahr laufe, zu einem catch-all Begriff zu werden. Wir fassen Prekarität weit, aber nicht als catch-all-Begriff: Zentral scheint uns die Mehrdimensionalität prekärer Arbeits- und Lebensverhältnisse, die wir mit dem Konzept Prekarität im Lebenszusammenhang erforschen (Klenner/Menke/Pfahl 2012; Amacker 2014; Motakef/Wimbauer 2019a). Die Mehrdimensionalität prekärer Lebensverhältnisse deutete sich bereits in den vorgestellten Interviewzitaten an, in denen sich Bezüge zu Einkommen, Nahbeziehungen und Gesundheit finden. Die Perspektive auf Prekarität im Lebenszusammenhang ist in der Geschlechtersoziologie entstanden. Autor*innen wie Christina Klenner et al. (2012) forderten, die Prekarisierungsforschung sollte nicht hinter Erkenntnisse der frühen feministischen Arbeitsforschung zurückfallen und Arbeit nicht auf Erwerbsarbeit begrenzen, sondern auch Hausarbeit und Sorgetätigkeiten (Care) einbeziehen. Mit Prekarität im Lebenszusammenhang werden neben den Dimensionen Erwerbsarbeit, Einkommen und Sorge auch Gesundheit, soziale Teilhabe und Wohnen berücksichtigt. Mit diesen Konzepten zeigten Klenner et al. (2012) und Amacker (2014), wie multiple Belastungen im Lebenszusammenhang von Frauen kumulieren können, die Familienernährerinnen sind, da sie häufig weiterhin die Hauptverantwortung für Kinder und Hausarbeit in ihren Familien tragen. In diesem Buch möchten wir aber noch einen Schritt weiter gehen und das Konzept um die Kategorie der Anerkennung erweitern. Warum also Anerkennung? Die Auseinandersetzung mit Anerkennung steht in einer langen philosophischen Tradition. Nach einer zentralen anerkennungstheoretischen Annahme sind Menschen keine monadischen und rational entscheidenden Individuen, sondern werden erst durch intersubjektive Anerkennung konstituiert. Von Anerkennung auszugehen heißt für uns, eine relationale Perspektive einzunehmen, die nicht Einzelne, sondern Individuen-in-Beziehungen (Wimbauer 2003, 2012; Wimbauer/Motakef 2017a,b), also Subjekte in ihren vielfältigen Bezügen, ins Zentrum stellt. In der Prekarisierungsforschung hat Anerkennung aber bisher kaum Beachtung gefunden. Eine Ausnahme stellen die erwähnten Überlegungen von Butler dar, die für uns eine wichtige Referenz sind. Aber auch viele empirische Studien finden in ihren Ergebnissen eine hohe Bedeutung von Anerkennung, wenn auch eher zufällig und noch nicht systematisch. Das vorliegende Buch ist von Axel Honneths (1992, 2003a, 2011) Anerkennungstheorie inspiriert. Mit Liebe, Recht und Leistung unterscheidet er drei Formen intersubjektiver Anerkennung und betont, dass in modernen Gesellschaften Anerkennung für Leistung in der Erwerbssphäre eine Zentralstellung erhält. Für Honneth führen erst alle drei Anerkennungsformen gemeinsam dazu, dass Subjekte »zu einer positiven Einstellung gegenüber sich selbst gelangen können« (Honneth 1992: 271). Honneth beschäftigt sich zwar nicht explizit und empirisch mit prekärer Beschäftigung und Prekarität. Wenn man aber von seinen Überlegungen ausgeht, liegt die Frage nahe, ob eine prekäre Beschäftigung mit Anerkennungsdefiziten einhergeht und falls ja, welche Wechselverhältnisse sich mit anderen Anerkennungssphären zeigen: Falls aus einer prekären Beschäftigung Anerkennungsdefizite resultieren, können diese zum Beispiel durch Anerkennung in einer romantischen Paarbeziehung in den Hintergrund treten und sozusagen durch Liebe abgeschwächt werden? Können Anerkennungsdefizite aus der Erwerbssphäre weiter verstärkt werden, wenn auch in der Liebessphäre keine Anerkennung gezollt wird, etwa weil in der Paarbeziehung Anerkennung verhindert wird oder weil es keine*n Partner*in gibt? Können Freundschaften oder alternative Sinnquellen Anerkennungsdefizite in der Erwerbssphäre abmildern? Oder kumulieren verschiedene Anerkennungsdefizite? Hierbei unterscheiden wir Menschen, die in einer Liebes- bzw. Paarbeziehung leben und Menschen ohne Paarbeziehung.

Erscheinungsdatum
Verlagsort Frankfurt
Sprache deutsch
Maße 141 x 214 mm
Gewicht 528 g
Themenwelt Sozialwissenschaften Soziologie Mikrosoziologie
Sozialwissenschaften Soziologie Spezielle Soziologien
Schlagworte Arbeitsteilung • Arbeitswelt • Care • Carearbeit • Corona-Krise • Erwerbsarbeit • Geschlecht • Liebe • open access • Paarbeziehung • Pflege • Prekarität • Sorge • Sorgearbeit • Soziale Ungleichheit • Ungleichheit der Geschlechter
ISBN-10 3-593-51240-8 / 3593512408
ISBN-13 978-3-593-51240-2 / 9783593512402
Zustand Neuware
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