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Ich esse, also jage ich (eBook)

Wie ich vom Vegetarier zum Jäger wurde

(Autor)

eBook Download: EPUB
2019 | 1. Auflage
224 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2175-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ich esse, also jage ich -  Fabian Grimm
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»Viele Jahre war ich überzeugter Vegetarier. Nichts essen was Augen hat, die Tiere einfach mal in Ruhe lassen, Fleisch ist Mord - das ganze Programm. Inzwischen habe ich ein Gewehr und einen Jagdhund. Ein Widerspruch ist das für mich nicht: Jedes Leben befindet sich in einer Konkurrenzsituation zu anderem Leben.« Fabian Grimm liebt die Natur und die Stille im Wald, er weiß alles über die Pflanzen und Tiere dort. Er war lange Zeit Vegetarier, nun isst er wieder Fleisch. Eine ganz bewusste Entscheidung. Nur, wenn er das Tier vorher selbst getötet hat, isst er es auch. In seinem Buch plädiert Fabian Grimm für einen achtsamen Konsum von Lebensmitteln und erzählt von seinem neuen Leben. Er geht durch den Wald, sammelt Beeren, Pilze und Pflanzen, jagt Wild, zerlegt es und verarbeitet alles: Fleisch, Knochen und Innereien - Für ihn eine Frage des Respekts.

Fabian Grimm ist studierter Kommunikationsdesigner und lebt mit seiner Frau in Thüringen. Seit seinem 17. Lebensjahr war er Vegetarier - bis zum dem Tag, an dem er sein erstes Tier bei der Jagd erschoss. Seitdem isst er Tiere, die er selbst getötet hat.

Fabian Grimm ist studierter Kommunikationsdesigner und lebt mit seiner Frau in Thüringen. Seit seinem 17. Lebensjahr war er Vegetarier - bis zum dem Tag, an dem er sein erstes Tier bei der Jagd erschoss. Seitdem isst er Tiere, die er selbst getötet hat.

1


Bitterer Vorgeschmack


Die Taube drückt sich in eine Ecke des Balkons, mehr schlecht als recht versteckt sie sich hinter dem Klappstuhl. Wir beobachten sie durch die geöffnete Balkontür. Auch sie scheint uns wahrzunehmen. Weder wir noch das Tier machen auch nur die kleinste Bewegung. Dann schließt sich ganz langsam ihr orangerotes Auge.

In der einen Hand halte ich noch ein halbes Brötchen, in der anderen einen Löffel mit Hummus. Beides lege ich auf meinen Teller, ganz vorsichtig, um jetzt bloß kein Geräusch zu machen. Tracy Chapman nimmt weniger Rücksicht und singt in unveränderter Lautstärke aus den Boxen auf dem Regal.

»Das war eine von den Krähen, oder?«

Im Flug hatte sie die Taube plötzlich bedrängt und mit dem Schnabel nach ihr gehackt. Dann ist die Taube abgestürzt.

Meine Freundin Lydia und ich sitzen bei einem späten Frühstück, das langsam in ein Mittagessen übergeht. Als wir vorhin den Tisch gedeckt haben, war es uns zum ersten Mal nach dem Sommer zu kühl, um draußen zu sitzen. Der sonnige Tag könnte einer der letzten sein, wir werden ihn nutzen: Das Buch mit per S-Bahn erreichbaren Wanderwegen rund um die Stadt liegt aufgeschlagen auf dem Tisch, daneben für jeden von uns zwei Brötchen, die nur darauf warten, als Proviant für eine lange Tour geschmiert zu werden, sobald wir den Kaffee ausgetrunken haben. Raus aus der Stadt, wie so oft in den letzten Wochen. Seit mehr als zwei Jahren wohnen wir in der winzigen Wohnung in Berlin-Mitte, direkt unterm Dach. Eigentlich sind knapp vierzig Quadratmeter fast ein bisschen zu wenig für zwei Menschen, aber solange es warm genug ist, um den großen Balkon zu nutzen, merken wir das kaum. Und wir haben hier oben Ruhe von der Stadt, den Blick auf den Fernsehturm und die bodentiefen Fenster ohne Vorhänge, weil uns außer den Tauben und Krähen sowieso niemand reinschauen kann. Die Vögel brüten auf den Dächern der Nachbarhäuser, hinterlassen überall dicke weiße Tropfen und verstopfen gelegentlich die Regenrinnen. Die Krähen haben sogar schon Essensreste vom Balkontisch geklaut. Ihr Krächzen und Gurren zu jeder Tages- und Nachtzeit nehmen wir mittlerweile genauso wenig wahr wie die Motorengeräusche der Autos, deren Fahrer unten in unserer Seitenstraße verzweifelt nach einem freien Parkplatz suchen. Oder das regelmäßige tiefe Rumpeln, wenn die Tram alle vier Minuten auf der Bernauer Straße vorbeifährt.

Vielleicht waren die Geräusche eben lauter oder besonders schrill oder drängend gewesen, ohne dass ich mich bewusst daran erinnern könnte. Jedenfalls müssen sie auf irgendeine Weise unsere Aufmerksamkeit geweckt haben, sonst hätten wir sicher nicht auf die Vögel geachtet, den kurzen Kampf in der Luft nicht beobachtet und die Taube wohl erst bemerkt, als sie mit einem schrecklichen Klatschen unmittelbar vor uns auf den Balkon stürzte.

Lydia ist schon aufgestanden und steht zögernd an der Balkontür. Ich folge ihr. Einige fluffige weiße Daunen kleben auf dem Holzboden. Die Spitze eines Flügels ragt ein Stück unter der Sitzfläche des zusammengeklappten Stuhls hervor. Kniend sehen wir uns die reglose Taube aus der Nähe an. Auf der Brust klafft ein Riss in dem tiefroten Fleisch, er fällt sofort ins Auge. Dort hat der kräftige Schnabel sie getroffen. Das graue Gefieder des Vogels glänzt und schimmert aus der Nähe in Blau- und Grüntönen wie poliertes Metall. Obwohl die Vögel jeden Tag um uns sind, habe ich noch nie eine Taube so genau betrachtet und bin überrascht, wie schön sie ist – von wegen »Ratten der Lüfte«. Am Bauch benetzt Blut ihre Federn. Warum die Krähe sie wohl angegriffen hat? Normalerweise leben beide Arten hier friedlich nebeneinander, einen Kampf habe ich noch nie beobachtet.

Plötzlich teilen sich die Lider und geben das rote Auge wieder frei. Die Taube lebt noch, trotz der Verletzung.

Instinktiv zucken wir beide zurück. Auch der Vogel erschrickt. Langsam zieht er die schuppigen roten Beine an den Körper. Harte Krallen kratzen ungelenk über das Holz, die Flügel schlagen einige Male, der Kopf verdreht sich. Dann wieder Ruhe. Schräg von unten starrt das rote Auge uns an. Wir versuchen uns so leise und unbemerkt wie möglich in die Wohnung zurückzuziehen, aber der Taube entgehen unsere Bewegungen nicht. Sie flattert noch einmal, bis die Federn der Flügel sich nach einigen Schlägen gegen die Wand und den Stuhl biegen.

Hilflos sehen wir zu, wie die Taube zurück gegen die Mauer kippt und wieder zusammensackt. Der kleine Körper liegt auf dem Rücken, die Flügel sind in einem grotesken Winkel ausgebreitet, und die Brust ist in den Himmel gereckt. Unter dem Hals beginnt die Wunde, sie zieht sich bis zum Brustbein. Wie tief sie ist! Einer der Flügel zeigt jetzt einen deutlichen Knick. Ist er beim Sturz gebrochen, oder war das auch die Krähe? Die Federn sind zerzaust. Der Vogel muss furchtbare Schmerzen haben. Der Anblick ist unerträglich. Erneut schlägt die Taube kraftlos mit den Flügeln.

Unwillkürlich flüstern wir nur noch. Was sollen wir jetzt mit der Taube machen? Ich wüsste nicht, wen wir um Hilfe bitten könnten. Wer kennt sich mit Tauben aus? Kann man eine Taube zum Tierarzt bringen? Wo gibt es überhaupt in Berlin einen Tierarzt – und wie schafft man einen panischen Vogel dorthin?

Die Taube überfordert uns. Im Netz sehe ich nach, was wir tun können, während Lydia die Taube im Blick behält. Es gibt tatsächlich eine Tierklinik, die auch Wildtiere behandelt und die am Wochenende geöffnet hat – allerdings ist sie in Zehlendorf, ganz am anderen Ende der Stadt. Auf der Website wird empfohlen, verletzte Vögel »in einem blickdichten Behälter, wie z. B. einem Schuhkarton« zu transportieren. Die Taube ist aber nicht an Menschen gewöhnt, schon unsere bloße Anwesenheit versetzt sie in Panik. Sie in eine Schachtel zu setzen – würde das alles nicht nur noch schlimmer machen? Und: Könnte ein Tierarzt mehr tun, als sie einzuschläfern? Die Wunde ist wirklich tief, dazu der gebrochene Flügel. Ich kann mir das nicht vorstellen. Bis nach Zehlendorf brauchen wir mit der Bahn mindestens eine Stunde und müssen mehrfach umsteigen. Ob sie das überhaupt überleben würde? Menschen, Lärm, Durchsagen, Bewegung, das alles eingesperrt in einer Schachtel – aber was sollen wir sonst tun?

Langsam komme ich zur Ruhe. Ich ertappe mich, wie ich mir unbewusst mehr Zeit lasse als nötig. Es gelingt mir, mich selbst einigermaßen zu überzeugen: Das Beste, was wir tun können, ist, die Taube in Frieden sterben zu lassen, so gefühllos das auch klingen mag. Sobald wir uns nähern, leidet sie, hat Todesangst. Lange kann es nicht mehr dauern. Den Kaffee austrinken oder duschen oder Zähne putzen oder kurz durch den Park gehen und erst später wieder nach dem Tier sehen. An etwas anderes denken.

Ist es feige und bequem, die Taube auf diese Art sterben zu lassen, oder wirklich die sinnvollste Lösung? Die Alternative wäre, ihr tatsächlich die Reise quer durch die Stadt zuzumuten. Sollen wir sie in ihren letzten Minuten so quälen, wenn sie dort ohnehin eingeschläfert werden muss?

Ich stehe auf und bewege mich vorsichtig in das Zimmer hinein, sodass ich die Taube auf dem Balkon im Blick habe. Immer noch liegt sie auf dem Rücken.

»Sie hat sich nicht bewegt, aber sie atmet, wenn man ganz genau hinsieht«, flüstert Lydia.

Das arme Tier. Eine dritte Möglichkeit, außer zu warten oder nach Zehlendorf zu fahren, gibt es. Als ich diesen Ausweg behutsam anspreche, ist sofort klar, dass Lydia den gleichen Gedanken hatte: Wir könnten das Leiden des Vogels auch selbst beenden.

An sich hätte eine halbtote Taube in ganz Berlin wohl kaum einen passenderen Frühstückstisch zum Abstürzen finden können. Noch gestern Abend haben wir auf unserem Balkon gesessen und darüber gesprochen, wie es sich anfühlen mag, wenn man einem Tier das Leben nimmt. Freut man sich, weil man sich das ja vorgenommen hat? Oder fühlt man sich schuldig? Tote Tiere sollen in einigen Monaten in unserem Leben eine wichtige Rolle spielen – Lydia und ich wollen einen Kurs zur Vorbereitung auf die Jägerprüfung besuchen. Die Entscheidung hatte eine Weile reifen müssen, ganz sicher bin ich mir dennoch nicht. Nicht in diesem Augenblick. Bislang ist nichts unterschrieben, und naheliegend ist das auch nicht: Auf unserem Frühstückstisch findet sich außer einem hart gekochten Ei und einem Eckchen Käse aus dem Bioladen nichts Tierisches, seit Jahren sind wir Vegetarier.

Trotzdem liegen neben dem Sofa mehrere Lehrbücher zur Vorbereitung für den Jagdschein, erst einmal nur so, zum Durchblättern. In einem dieser Bände steht eine Erklärung, was ein Jäger zu tun hat, falls sein Hund ihm eine noch lebende Ente bringt. Nüchtern und in knappen Worten wird der Ablauf beschrieben. Um ihn zu betäuben, schlägt man dem Vogel mit einem Knüppel gegen den Hinterkopf, danach ist er bewusstlos. Anschließend greift man um den Hals, drückt den breiten Schnabel mit dem Finger gegen die Brust und sticht mit einem schmalen Messer in den gestreckten Nacken. Das Rückgrat...

Erscheint lt. Verlag 27.9.2019
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Natur / Ökologie
Sachbuch/Ratgeber Sport
Geisteswissenschaften Philosophie Ethik
Naturwissenschaften Biologie
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Förster • Jagd • Nachhaltiger Konsum • Nachhaltigkeit • Natur • Ökologisch • Pflanzen • richtig essen • Stadt versus Land • Thüringen • Tiere • Tiere essen • Umwelt • Vegetarier • Vegetarisch • Wald
ISBN-10 3-8437-2175-0 / 3843721750
ISBN-13 978-3-8437-2175-2 / 9783843721752
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