Brot (eBook)
250 Seiten
Insel Verlag
978-3-458-74694-2 (ISBN)
Brot riecht nach Heimkommen, nach Familie und Liebe. Brot stiftet Religionen und Revolutionen - und verursacht Zöliakiepanik und Weizenwampenangst. Brot ist Grundnahrungsmittel - und essbare Sehnsucht. Brot ist eine Metapher. Brot ist universell. Was erzählt Brot über die Menschen, die es essen, und über die Verhältnisse, in denen es gebacken wird? Was findet man, wenn man dem Duft des Brotes folgt?
Walter Mayer macht sich auf die Suche danach, was sich hinter der Universalie Brot verbirgt: Er schreibt über Gluten und gierige Saatgutkonzerne, über liebevoll gehegte Sauerteigkulturen und die wundersame Brotvermehrung im Neuen Testament. Er lässt sich von Sarah Wiener die Grundlagen des handwerklichen Backens erklären, spricht mit dem Ernährungsminister Christian Schmidt und interviewt den Brotmilliardär Heiner Kamps. Er fährt zu Bäckerinnen und Bäckern in die Berge von Albanien, in die Medina von Marrakesch, in die moorige Landschaft um Edinburgh und in die österreichischen Alpen. Und am Ende führt ihn seine Entdeckungsreise in die Küche seiner Mutter, der Bäckerstochter - immer auf der Suche nach dem Duft des Lebens.
Dieses wunderbar illustrierte Geschenkbuch ist eine fein abgewogene Mischung aus Reportage, Kulturgeschichte und Familienmemoir und eine Liebeserklärung an das Brot. Wie das duftet!
»Meine Nase nahm aufs Intensivste einen ganz besonderen Duft wahr. Etwas kümmelig Feines, etwas Roggen-Kräftiges, etwas staubig Warmes und zugleich etwas umfassend Zufriedenstellendes. Ein Geruch setzt sich, wenn er die Nasenzellen schwingen lässt, ja aus mindestens 400 Komponenten zusammen. Carsten hatte frisches Brot gebracht.«
<p>Walter Mayer, geboren 1959 in Salzburg, war nach Stationen bei <em>Tempo</em>, <em>Bunte</em> und <em>Prinz</em> viele Jahre Chefredakteur von <em>BZ</em> und <em>Bild am Sonntag</em>. Er ist gelernter Buchhändler und stammt aus einer Bäckerfamilie. Der Autor lebt in Berlin.</p>
Walter Mayer, geboren 1959 in Salzburg, war nach Stationen bei Tempo, Bunte und Prinz viele Jahre Chefredakteur von BZ und Bild am Sonntag. Er ist gelernter Buchhändler und stammt aus einer Bäckerfamilie. Der Autor lebt in Berlin. Alexandra Klobouk, 1983 in Regensburg geboren, ist Illustratorin und Autorin. Ihre Arbeiten Polymeer und Der Islam für Kinder wurden von der Stiftung Buchkunst als »Schönste Bücher« ausgezeichnet. Zuletzt erschienen Die portugiesische Küche und ihre Meisterschülerarbeit Lissabon im Land am Rand, eine Liebeserklärung an die portugiesische Hauptstadt. Alexandra Klobouk lebt in Berlin.
Es ist das allererste Interview, das ich für dieses Buch führe.
Natürlich habe ich mich vorbereitet. Einen umfassenden Fragenkatalog erstellt. Die Zielperson gegoogelt und mich dabei, wie so oft, in der Internetrecherche verloren. In der WDR-Mediathek habe ich einen Film gefunden, in dem die Frau, die ich treffen werde, im Kaftan über die Märkte von Marrakesch schwebt und die Delikatessen der Garküchen preist. Ich kenne Marrakesch recht gut, inklusive der örtlichen Schmor- und Grillspeisen. Das könnte ein guter Einstieg sein, denke ich.
Ich freue mich auf das Gespräch.
Doch es wird nicht ganz so harmonisch, wie ich es mir erhoffe.
»Sie haben ja überhaupt keine Ahnung!«, fährt mich mein Gegenüber an, kaum dass wir eine Viertelstunde gesprochen haben.
Als hätte sie ihr Tonfall selbst überrascht, schiebt sie ein deeskalierendes Lächeln nach. Ihr typisches Grübchen-Lächeln.
Das Sarah-Wiener-Lächeln.
Muss ich sie erklären? Gute Frau. Künstlergene (Vater: der Schriftsteller und Gastronom Oswald Wiener. Die Mutter, bei der sie aufwächst: Lore Heuermann, bildende Künstlerin, alles ein bisserl kompliziert. Eltern geschieden, wenig Geld zu Hause). Sarah schmeißt mit 17 das Internat, kifft, trampt durch Europa. Schlägt sich mit Sozialhilfe und Gelegenheitsjobs durch. Zwei Mal das Abi versaut. Berliner Meisterin im Vollkontakt-Taekwondo. Küchenhilfe im »Exil«, dem legendären Restaurant ihres Vaters. Dort herrscht ein klares Vorne und Hinten. Vorne sitzen David Bowie und Quincy Jones. Hinten putzt Sarah Gemüse oder backt fluffige Kuchen nach österreichischen Rezepten – auf die man sich vorne wiederum stürzt.
Auch die Schauspielerin Tilda Swinton ist begeistert von diesen magischen Mehlspeisen, sie spielt gerade in dem mittlerweile auch von Extremcineasten vergessenen Low-Budget-Filmprojekt The Party – Nature Morte von Cynthia Beatt. Auch Sarah Wiener gehört zum Cast, Nebenrolle als Partymädchen. Lernt, dass Drehen vorrangig aus Däumchendrehen besteht, und dass Filmen hungrig macht. Aus der Erkenntnis wird ein Geschäftsmodell. Wir schreiben die frühen Neunzigerjahre. Sarah Wiener organisiert für 2500 Mark einen tonnenschweren ausgemusterten Küchentank der DDR-Volksarmee, backt und kocht nun für Filmteams und auf Festivals. Bald beschäftigt die alleinerziehende Mutter über 100 Mitarbeiter. Heute ist sie eine Trademark für gutes Essen: TV-Köchin. Gastro-Unternehmerin mit Gewissen. Kochbuch-Autorin. Bio-Bäuerin. Multitalent mit Mundwerk. Sarah Wiener.
Ich wollte Super-Sarah unbedingt kennenlernen und mit ihr über gutes Brot sprechen.
Ich mag ihre energischen Talkshow-Auftritte, in denen sie die Nahrungsmittelindustrie geißelt. Ich mag, wie sie für einen demokratischen Zugang zu gesunden Lebensmitteln streitet. Ich mag auch, dass sie Fleisch mag und ausspricht, dass Fleisch von getöteten Tieren kommt. Und dass es einen Zusammenhang zwischen unserer Lebensqualität und der Lebensqualität (und ja: auch der Sterbequalität) der Tiere, die wir essen, gibt. Ich mag eben offene Worte und offene Augen.
Ich mag vor allem ihren Laden »Wiener Brot« in der Tucholskystraße in Berlin-Mitte.
Draußen: schicker Scheiß, die Galerienmeile, Designerläden, Touristen, Ampelmännchenkitsch, Krempel, Kunst und Currywurst.
Drinnen, hinter dem Schaufenster mit der purpurroten Markise: ein Geruch, den ich wiedererkenne. Ein Gefühl, das ich oft vermisse. Heimweh aus Mehl.
Es locken: drei Sorten Brot. Es sind eindrucksvolle Zwei-Kilo-Laibe. Sehr dunkel. Liegen nicht, sondern stehen im Regal. Vertikal. Wie Bücher in einer Bibliothek.
Die Sarah-Wiener-Klassiker sind:
1. Das Hausbrot, aus Demeter-Roggen mit Anis, Fenchel und Kümmel. Aufgerissene Kruste, mit Mehl angestaubt. Sieht ein bisserl aus wie eine leicht verschneite Hügellandschaft im Alpenvorland.
2. Das Dinkel-Roggen-Kernbrot mit Sonnenblumen und Kürbiskernen. Der Bestseller bei den ernährungsbewussten Müttern, die ihre Kinder in die nahegelegene private Metropolitan School (Schulgeld zwischen 175 und 1158 Euro im Monat, je nach Schulstufe und Einkommen der Eltern) bringen oder sich beim Szene-Friseur »Modo«, der sich selbst als »high-concept salon« bezeichnet, für 130 bis 200 Euro die Haare schneiden und färben lassen.
Und 3. das Sonntagsbrot, ein Weizenbrot mit 20-prozentigem Roggenanteil, das dem legendären Brot der Pariser Bäckerei »Poilâne« nahekommt. Ich liebe dieses Brot wegen seiner saftigen, leicht speckig und zugleich rauchig schmeckenden, an Feuer erinnernden, fast will ich sagen: ehrlichen Kruste. Ein Brot wie ein Händedruck. Ein Brot, das nach Abendwind riecht und eigentlich nach einem Bier verlangt.
Eine Regaletage unter den Brotlaiben präsentieren sich die Weißmehlwunder.
Salzstangerl, goldig und resch, wie ich sie aus meiner Kindheit und aus dem Schlaraffenland kenne. Sie bildeten dort den Grenzzaun zwischen darben und schlemmen. Aufmerksam geflochtene Mohnweckerl (es gibt auch Gegenden, da heißen sie Mohnflieserl oder Mohnflesserl). Stolze Kaisersemmeln, die Aristokraten unter den Brötchen. Buchteln, die aus Tschechien nach Österreich und Süddeutschland eingewanderten Germtaschen mit Powidlmarmelade. Sogar Linzer Augen blicken mich mürbeteigkeksig an. Es ist weitgehend das gleiche Sortiment wie in der Bäckerei meines Großvaters in Salzburg damals. Ich komme mir sehr zu Hause vor hier in diesem Laden.
Alle diese Köstlichkeiten werden seit 2008 in einer ehemaligen Filiale der Deutschen Post im krasseren Teil von Berlin-Neukölln gebacken. Der österreichische Meisterbäcker Helmut Gragger hat Sarah Wiener geholfen, dort eine Backstube einzurichten. Der Ofen wird mit Robinienholz aus Brandenburg befeuert.
Die Robinie, das erfahre ich viel später, aber ich denke, diese Info bringe ich mal schnell hier unter, brennt mit wenig Flamme und viel Glut. Das macht sie zu einem guten Backofenbrennholz. Andere Holzofenbäcker schwören auf Buche. Wegen des Aromas. Einhellig gewarnt wird hingegen vor Nadelhölzern. Kiefern etwa. Wegen der ätherischen Öle, die beim Verbrennen Gifte freisetzen. Und wegen des hohen Teergehalts. In Finnland soll es allerdings ein Mehl geben, dem gemahlene Kiefernrinde beigesetzt ist. Das »Pettuleipä« oder Rindenbrot soll antiseptische, antirheumatische, jedenfalls grundsätzlich heilende Wirkung haben.
Dies alles weiß ich natürlich noch nicht, als ich mich zum Interview mit Sarah Wiener aufmache (und vielleicht ist die Kiefernmehlstory auch nur Bäckerlatein).
Nun aber treffe ich endlich die Chefin in dem hellen Office, in dem alle ihre beruflichen Aktivitäten, also die Bäckerei, das Restaurant im Hamburger Bahnhof, die Cateringbetriebe sowie die »Sarah Wiener Stiftung – Für gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen«, koordiniert und geführt werden.
Freundlicher Empfang. Lässiges Ambiente.
Zunächst ist alles peacig. Ich erwähne den TV-Beitrag, und wir sprechen kurz über nordafrikanische Küche und über das Verhältnis von verschleierten zu Minirock tragenden Frauen in den Gassen von Marrakesch. Dann geht’s ans Gebackene.
Was ist Ihre Ur-Erinnerung an Brot, Frau Wiener?, frage ich, und sie erzählt mir von ihrer Kindheit in Wien. Ohne Vater und ohne Geld. Und meistens ohne Fleisch.
Ich komme aus einer armen Familie. Zum Essen gab es entweder Grießbrei oder Brot. Brot war bezahlbar. Brot war billig. Brot war verfügbar. Brot hat uns satt gemacht.
Vor allem aber: Brot hat immer geschmeckt. Wenn mich meine Mutter mit ein paar Schilling losgeschickt hat, um Brot zu kaufen, fing ich immer schon auf dem Heimweg an, mir etwas von der warmen Kruste abzubrechen. Es war einfach zu verführerisch. Diese Kruste abbrechen und reinbeißen gehört zu meinen schönsten Erinnerungen.
Brot ist klassenloser Luxus.
Ich frage nach ihrem Lieblingsbrot, damals und heute.
Ein dunkles Roggenbrot mit Butter und Schnittlauch. Oder mit Tomaten und Schafskäse.
Oder mit Radieschen. Es gibt nichts Herrlicheres.
Ich will von Sarah Wiener nun wissen, welche Broterinnerungen sie mit bestimmten Ereignissen in ihrer Biografie verbindet.
Ob Brot die Seele sättigt, wenn das Leben ein harter Kanten ist. Wenn Gewissheiten zerbröseln. Wenn dir jemand die Butter vom Glück nehmen will.
Um ehrlich zu sein, denke ich dabei natürlich auch an Sarah Wieners Trennung von Peter Lohmeyer, dem Schauspieler mit dem Cowboy-Appeal, über die die Yellow Press gerade ausführlichst berichtet.
Vielleicht sind das im Moment die verkehrten Fragen.
Das Wasser in den Gläsern vor uns schweigt.
»Unser ganzes Glück hängt vom Brot ab«, beginnt Sarah Wiener nun einen grundsätzlichen Vortrag über Globalisierung, die Saatgutindustrie, Bauern, Böden, Mehl und Verantwortung.
Die Wurzel der Fehlentwicklung ist unser landwirtschaftliches System.
Saatgut ist ein Kulturgut. Wir müssen es verteidigen.
90 Prozent der industriell und konventionell bewirtschafteten Böden liegen im Koma oder sind halbtot. Dort gibt es keine Insekten mehr, kein Unkraut, alles weggespritzt.
Wir züchten Getreidemonster.
Unser Getreide wird mit Turbodünger behandelt, um mehr Ertrag abzuwerfen. Die Ähren werden immer größer. Sie tragen mehr Körner als früher. Dadurch werden sie auch schwerer. Schauen Sie sich bloß mal ein konventionelles...
Erscheint lt. Verlag | 11.9.2017 |
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Illustrationen | Alexandra Klobouk |
Verlagsort | Berlin |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Wirtschaft | |
Schlagworte | 50plus • Albanien • Autobiografisch • Backbuch • Backen • Bäcker • Bäckerhandwerk • Backstube • Best Ager • bewusste Ernährung • Brot backen • Clean Eating • Deutsche Brotkultur • Edinburg / Edinburgh • Ernährung • Ernährungsminister • Familiengeschichte • Familienmemoir • Generation Gold • Geschenkbuch • Geschenke für Frauen • Geschenk für Frauen • Gesunde Ernährung • Gluten • Golden Ager • Handwerk • Heimat • Heiner Kamps • hygge • illustriertes Buch • Kulturgeschichte • Kulturreportage • Lutz Geißler • Marokko • Memoir • Österreich • Rentner • Rentnerdasein • Reportage • Rezeptbuch • Rezepte • Roswitha Huber • Ruhestand • Saatgutkonzerne • Salzburg (Land) • Sarah Wiener • Schottland • selbst backen • Senioren • Slow Food • unnützes Wissen • ursprüngliches Brot • von Hand backen • Weihnachtsgeschenk • Weihnachtsgeschenke • Weizenwampe • Wildbakers • Zöliakie |
ISBN-10 | 3-458-74694-3 / 3458746943 |
ISBN-13 | 978-3-458-74694-2 / 9783458746942 |
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Größe: 13,7 MB
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