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Requiem für den amerikanischen Traum (eBook)

Spiegel-Bestseller
Die 10 Prinzipien der Konzentration von Reichtum und Macht

(Autor)

eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
200 Seiten
Verlag Antje Kunstmann
978-3-95614-220-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Requiem für den amerikanischen Traum -  Noam Chomsky
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Noam Chomsky ist der einflussreichste Intellektuelle der Vereinigten Staaten und in seinem neuen Buch befasst er sich erstmals umfassend mit dem großen Thema unserer Zeit: der sozialen Ungleichheit. Anhand von zehn Prinzipien zur Konzentration von Reichtum und Macht und mithilfe zahlreicher historischer Texte der amerikanischen Geschichte erklärt Noam Chomsky, wie der amerikanische Traum - dass jeder es mit harter Arbeit zu etwas bringen kann - in den letzten Jahrzehnten beerdigt und ein System nie da gewesener sozialer Ungleichheit errichtet wurde, von dem letztlich nur einige wenige profitieren. Requiem für den amerikanischen Traum macht die Breite und Tiefe von Noam Chomskys Denken zugänglich wie kein anderes seiner Bücher und verdeutlicht seine politischen Ideen mit einer beispiellosen Direktheit. Die Pflichtlektüre für alle, die noch Hoffnung auf eine gemeinsame, demokratische Gestaltung unserer Zukunft haben.

Noam Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia geboren und gilt als einer der einflussreichsten Intellektuellen der Vereinigten Staaten.

Noam Chomsky wurde am 7. Dezember 1928 in Philadelphia geboren und gilt als einer der einflussreichsten Intellektuellen der Vereinigten Staaten.

ERSTES PRINZIP


DEMOKRATIE EINSCHRÄNKEN


Wie ein roter Faden zieht sich der Gegensatz zwischen der Forderung nach mehr Freiheit und Demokratie von unten und dem Bemühen der Elite um Macht und Herrschaft durch die amerikanische Geschichte. Er prägte bereits die Staatsgründung.

Die Minderheit der Reichen


James Madison, der maßgebliche Autor der amerikanischen Verfassung, war zwar einer der entschiedensten Verfechter der Demokratie in seiner Zeit, meinte aber, das Staatssystem der USA müsse gewährleisten, dass sich die Macht in den Händen der Wohlhabenden befinde – was er auch tatsächlich durchsetzte. Schließlich, so seine Überzeugung, seien die Reichen verantwortungsvoller, denn ihnen läge das öffentliche Interesse und nicht nur ihr eigener Vorteil am Herzen.

Deshalb verlieh die Verfassung dem Senat die größte Macht. Dies ist umso mehr von Bedeutung, als die Mitglieder dieser Kammer bis vor etwa einem Jahrhundert nicht direkt gewählt, sondern von den Parlamenten der Bundesstaaten bestimmt wurden – für eine lange Amtszeit. Außerdem wurden sie aus den Reihen der Wohlhabenden des Landes rekrutiert, aus dem Kreis der Männer, die, wie sich Madison ausdrückte, Sympathien für Besitzende und ihre Rechte hegten. Und beides sollte geschützt werden.

Der Senat hatte also die größte Macht, war jedoch am weitesten von der Bevölkerung entfernt. Das Repräsentantenhaus hatte eine größere Nähe zum Volk, verfügte aber über weitaus weniger Einfluss. Die Exekutive – der Präsident – hatte eher eine verwaltende Funktion, wenngleich auch eine gewisse Verantwortung für die Außenpolitik und andere Angelegenheiten. Ganz anders als heute.

Siehe: Geheime Verhandlungen und Debatten des 1787 in Philadelphia versammelten Verfassungskonvents; S. 24.

Eine zentrale Frage war, in welchem Maß unser Land echte Demokratie zulassen sollte. Madison diskutierte dieses Problem sehr eingehend, weniger in den sogenannten Federalist Papers, einer Serie von Artikeln in Tageszeitungen, in denen Madison, John Jay und Alexander Hamilton für ihr Verfassungskonzept warben, als in den höchst interessanten Debatten der verfassungsgebenden Versammlung. Aus den Protokollen geht hervor, dass Madison es als die wichtigste Aufgabe einer Gesellschaft – jeder vernünftigen Gesellschaft – ansah, »die Minderheit der Reichen gegen die Mehrheit zu schützen«. So seine eigenen Worte. Und er hatte auch Argumente dafür.

Er dachte dabei natürlich an England, seiner Ansicht nach die fortschrittlichste und in politischer Hinsicht modernste Gesellschaft seiner Zeit. Aber man nehme einmal an, argumentierte er, in England könne jeder frei wählen. Die Armen, die die Mehrheit bildeten, würden sich zusammenschließen und sich organisieren, um den Reichen ihren Besitz zu nehmen. Sie würden beschließen, was man heute eine »Landreform« nennt, mit anderen Worten, die großen Ländereien, die weitläufigen landwirtschaftlichen Güter auflösen und sie unter den Menschen verteilen, also sich das Land zurückholen, von dem sie erst kurz zuvor durch die Einhegung vertrieben worden seien. Die Armen würden so abstimmen, dass an sie zurückfiele, was einmal die Allmende war.

Das aber, so Madison, wäre offensichtlich ungerecht und somit nicht zu befürworten. Also müsse die Verfassung die Demokratie – die »Tyrannei der Mehrheit«, wie es gelegentlich hieß – verhindern, um zu gewährleisten, dass das Eigentum der Reichen unangetastet bleibe.

Das ist die Grundstruktur des Systems: Es ist darauf ausgelegt, die Gefahr der Demokratie abzuwenden. Natürlich kann man zu Madisons Verteidigung sagen, dass er Präkapitalist war. Er ging davon aus, dass die Reichen der Nation eine Art römischer Adel waren, wie man ihn sich damals vorstellte – aufgeklärte Aristokraten, gütige Menschen, die sich dem Wohl aller widmeten und dafür arbeiteten. Das war eine ziemlich verbreitete Sichtweise, was schon daran ablesbar ist, dass sich Madisons Verfassungssystem tatsächlich durchsetzte.

Und ich muss auch sagen, dass Madison schon in den 1790er-Jahren bitter enttäuscht war über die Abwege, auf die das von ihm selbst geschaffene System geraten war. Börsenhändler und andere Spekulanten hatten die Regie übernommen und es zugunsten eigener Interessen zerstört.

Aristokraten und Demokraten


Es gab jedoch noch eine andere Vorstellung von Demokratie, die Jefferson, ihr führender Theoretiker, anhand der Unterscheidung zwischen »Aristokraten« und »Demokraten« ziemlich eloquent darlegte.

Siehe: Thomas Jefferson in einem Brief an William Short am 8. Januar 1825; S. 25.

Die Grundidee der Aristokratie als Staatsform sei, dass die Macht in Händen einer eigenen Klasse besonders herausragender und privilegierter Personen liegen sollte, die vernünftige Entscheidungen treffen. Die Demokraten hingegen glaubten, die Macht solle beim Volk liegen. Schließlich sei es der sicherste Träger der Macht und des vernünftigen Handelns, und ob uns seine Beschlüsse gefielen oder nicht, sollten wir dieses Modell unterstützen. Jefferson unterstützte also das demokratische Modell und nicht das aristokratische, das Madison propagiert hatte, bevor er sah, wohin sich das System entwickelte. Dieser Riss durchzieht die amerikanische Geschichte bis heute.

Weniger Ungleichheit


Siehe: Aristoteles, Politik, Buch III, Kapitel 8, Buch IV, Kapitel 4; S. 26.

Interessant dabei ist, dass diese Debatte eine lange Tradition hat und bis auf das erste Werk über politische Demokratie im klassischen Griechenland zurückgeht, die Politik von Aristoteles, die erste umfassende Untersuchung verschiedener politischer Systeme. Aristoteles kommt darin zu dem Schluss, dass die Demokratie die beste Regierungsform sei. Doch dann weist er genau auf das Problem hin, das auch Madison bemerkte. Aristoteles betrachtete nicht ein Land, sondern den Stadtstaat Athen, und man darf nicht vergessen, dass sich seine Demokratie auf freie Männer beschränkte. Doch das war auch bei Madison so – seine Überlegungen galten freien Männern, nicht Frauen, und natürlich erst recht nicht Sklaven.

Siehe: Aristoteles, Politik, Buch VI, Kapitel 5; S. 27.

Aristoteles stellte dasselbe fest wie Madison viel später. Wenn Athen eine Demokratie für freie Männer wäre, würden sich die Armen zusammenschließen und den Reichen ihren Besitz nehmen. Doch die beiden fanden entgegengesetzte Lösungen für dasselbe Dilemma. Madison kam zu dem Schluss, man müsse die Demokratie einschränken – mit anderen Worten, das System so gestalten, dass die Macht in den Händen der Reichen liege, und die Bevölkerung auf vielerlei Weise spalten, damit sie sich nicht zusammenschließen könne, um den Reichen die Macht zu entreißen. Aristoteles sah die Lösung im Gegenteil: Er schlug eine Staatsform vor, die wir heute als »Wohlfahrtsstaat« bezeichnen würden. Man müsse, so meinte er, die Ungleichheit vermindern – durch öffentliche Speisungen und andere dem Stadtstaat angemessene Maßnahmen. Kurz, ein Problem, zwei Lösungen: die Ungleichheit vermindern oder die Demokratie einschränken. Und diese beiden gegensätzlichen Bestrebungen konstituieren unser Land.

Ungleichheit hat viele Konsequenzen. Sie ist nicht nur an sich ungerecht, sondern hat ausgesprochen negative Auswirkungen auf die Gesellschaft insgesamt, selbst auf Dinge wie die Gesundheit. Es gibt fundierte Studien – etwa von Richard Wilkinson –, die zeigen, dass es um die Gesundheit einer Gesellschaft umso schlechter bestellt ist, je mehr sie von Ungleichheit geprägt ist, egal ob diese Gesellschaft arm oder reich ist. Denn die Ungleichheit an sich hat bereits zerstörerische, schädliche Auswirkungen auf die sozialen Beziehungen, das Bewusstsein, das Leben der Menschen und zieht weitere negative Folgen nach sich. All das sollte aber überwunden werden. Aristoteles hatte recht – um das Paradox der Demokratie zu überwinden, muss die Ungleichheit vermindert und nicht die Demokratie eingeschränkt werden.

Die Sünden der amerikanischen Gesellschaft


In den ersten Jahren ihres Bestehens blickten die Vereinigten Staaten in eine endlose Zukunft steigenden Wohlstands, zunehmender Freiheit, zahlloser neuer Errungenschaften und wachsender Macht – sofern man die Opfer dieser Entwicklung ausblendete. Die USA waren eine koloniale Siedlergesellschaft – die brutalste Form des Imperialismus. Man muss schon darüber hinwegsehen, dass man deshalb reicher wurde und ein immer freieres Leben führte, weil die indigene Bevölkerung dezimiert wurde – die erste schwere »Ursünde« der amerikanischen Gesellschaft; und weil ein anderer Teil der Bevölkerung aus herbeigeschafften Sklaven bestand – die zweite schwere Sünde. Wir leben bis heute mit den Folgen beider. Man muss schon die schändliche Ausbeutung der Arbeitskräfte ignorieren, die Eroberung anderer Länder und vieles mehr. Nur wenn man diese »unbedeutenden« Details außer Acht lässt, kann man sagen, dass wir unseren Idealen einigermaßen gerecht werden. Eine der wichtigsten Fragen...

Erscheint lt. Verlag 30.8.2017
Übersetzer Gabriele Gockel, Thomas Wollermann
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte American dream • Amerika • Amerikanischer Traum • Donald Trump • Gesellschaft • Gesellschaftskritik • Ideologie • Macht • Noam Chomsky • Philosophie • Politik • Reichtum • Requiem for the American Dream • Requiem für den amerikanischen Traum • Soziale Ungleichheit • System • Systemkritik • USA • Vereinigte Staaten
ISBN-10 3-95614-220-9 / 3956142209
ISBN-13 978-3-95614-220-8 / 9783956142208
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