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Die Alternative oder: Macht endlich Politik! (eBook)

Spiegel-Bestseller
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
240 Seiten
Knaus (Verlag)
978-3-641-21671-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Alternative oder: Macht endlich Politik! -  Christian Ude
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Die richtige Alternative für Deutschland -
Eine Streitschrift von Christian Ude

Zum Höhepunkt des Wahlkampfs meldet sich ein starker, unbestechlicher politischer Praktiker zu Wort und spart nicht mit robuster Kritik an den eigenen Parteigenossen und der Politik in Berlin und Brüssel. Christian Ude, seit über 50 Jahren Kommunalpolitiker, erlebt die Welt nach seinem Ausscheiden aus der Tagespolitik völlig neu. Und mit wachsendem Unverständnis. Weil die schönen Verheißungen des Politikbetriebs immer weniger mit der Realität zu tun haben. Weil Politiker die ökonomische und politische Spaltung der Gesellschaft ignorieren. Und weil Christian Ude die Pflege eigener Befindlichkeit als politisches Programm nicht ausreicht.



Christian Ude wurde am 26. Oktober 1947 in München-Schwabing geboren und trat als Schüler 1966 der SPD bei. Nach dem Abitur war er Redaktionsmitglied der 'Süddeutschen Zeitung' und machte sich als Mieteranwalt bundesweit einen Namen. Von 1993 bis 2014 war er Oberbürgermeister von München, acht Jahre lang auch Präsident des Deutschen Städtetags. Bei der Landtagswahl 2013 trat er als Spitzenkandidat der SPD an. Seit seiner Pensionierung arbeitet er in der Erwachsenenbildung, an der Spitze der Äthiopienhilfe 'Menschen für Menschen', als ehrenamtlicher Berater eines Oppositionsbürgermeisters in Istanbul sowie in zahlreichen sozialen und kulturellen Initiativen.

Kapitel 1

Warum dieses Buch:
Macht die Politik nicht schlecht, sondern besser!

Hätte ich lieber Ruhe geben sollen? Leute, die mich noch nie leiden konnten, halten das sicher für eine gute Idee. Ich nicht. Denn hier geht es nicht darum, dass ein Ruheständler keinen Ausgang aus seinem Politikbetrieb finden kann. Ich will nicht meine 50 Jahre Mitgliedschaft in der SPD als Lustreise durch die Zeitgeschichte verkaufen und schon gar nicht meine 24 Amtsjahre im Münchner Rathaus vergolden. Mir geht es in diesem Buch um die quälende Frage, ob uns nach Jahren der politischen Farblosigkeit der politischen Parteien und der gähnenden Langeweile im Publikum, nach einer nicht enden wollenden Serie geplatzter Versprechungen und gescheiterter Verheißungen, nach unaufhörlichen Profil-, Mitglieder-, Wähler- und Vertrauensverlusten, nach wachsender Politikmüdigkeit und -verdrossenheit, bei zunehmenden Aversionen und Aggressionen die Fähigkeit abhandengekommen ist, uns überhaupt noch seriös zu informieren und Argumente auszutauschen, Analysen anzufertigen und Konzepte zu entwickeln, Alternativen zu erkennen und Richtungsentscheidungen zu treffen, kurz: nicht nur die eigene Befindlichkeit zu pflegen, sondern im Sinne der Aufklärung Politik zu machen und damit Probleme zu lösen und Zukunft zu gestalten.

Noch zum Jahreswechsel 2016/2017 hätte jeder missgelaunte Beobachter des Zeitgeschehens diese Frage bejaht: Ja, diese Fähigkeit haben wir eingebüßt, und die Folge ist fast überall auf der Welt ein Vormarsch der Rechten. In deutschen Landen wurde die SPD abgestraft wie noch nie, teilweise sogar schon hinter der »Alternative für Deutschland« eingereiht. In Polen und Ungarn regieren die Rechten bereits, in Österreich müssen wir uns freuen, dass die beiden einstmals großen Volksparteien mit einem grünen Kandidaten (!) und in höchster Not gerade noch einen aggressiven rechten Präsidenten verhindern konnten. In Frankreich wurden beide (!) einstmals großen Parteien vernichtend geschlagen, während die Rechtsradikale Marine Le Pen auf ein Drittel kam und sich Europas Hoffnungsträger Emmanuel Macron zwar auf überwältigende Sympathien, aber nicht einmal auf eine eigene Partei stützen kann. In Großbritannien wurde der Brexit beschlossen, nachdem die großen Parteien vorher auch kein klares Ja zu Europa zustandegebracht hatten, und in Amerika sind die Auswirkungen der Wahl von Donald Trump auf das politische Klima, auf die politische Kultur, auf den Umgang mit Minderheiten im Inneren und auf den Welthandel, vielleicht sogar auf den Frieden in der Welt, unabsehbar, wahrscheinlich aber äußerst negativ. Das könnte einen schon depressiv stimmen.

Doch dann kam schon ein bisschen nach dem Brexit und massiv nach Donald Trumps Triumph plötzlich das Bedürfnis auf, endlich etwas gegen die alarmierende Entwicklung zu tun, nicht nur nörgelnd im Abseits zu stehen. Bei der SPD geschah so Unglaubliches, dass sie es erst gar nicht fassen konnte und dann in Entzücken verfiel: Es gab tatsächlich Leute, die eintreten wollten! Wer hätte das jemals gedacht in den Jahren zuvor? Eintreten! Freiwillig! Obwohl das sogar einen Beitrag kostet! Und trotz der Agenda 2010! Nur weil die Partei versprach, jetzt das soziale Thema zu entdecken, was ihr nach eigener Einschätzung wohl in den letzten 153 Jahren noch nicht wirklich gelungen war! Danach schien der Groll verflogen und der kurze Marsch zum Kanzleramt nicht mehr aufzuhalten. Wir sind gut drauf – das muss reichen! Doch dann sorgten gleich drei Landtagswahlen für herbe Ernüchterung, ja neue Verzweiflung. Sogar für die Depression, alles sei alternativlos.

Die Begeisterungswelle, die mit der Kanzlerkandidatur von Martin Schulz ausgelöst wurde, stellte nur kurze Zeit eine Chance dar: Für die SPD die Chance, wieder Gehör zu finden und nicht von vornherein abgewiesen zu werden, für die Union die Chance, sich am Riemen reißen zu müssen und nicht länger lustlos dahinzudösen, für die kleinen Parteien die Chance, in einem wieder interessant gewordenen politischen Diskurs Themen einbringen und Korrekturen vornehmen zu können, für den Wähler die Chance, doch noch Alternativen geboten zu bekommen und über die Richtung entscheiden zu dürfen. Inzwischen ist die SPD verzagter als zuvor, die Kanzlerin mehr denn je in Versuchung, sich alternativlos zu finden, manche kleine Partei noch mutloser und der Wähler auf der Suche nach Alternativen noch ratloser geworden.

Wie vor einem halben Jahrhundert – und ganz anders

Die Situation heute erinnert mich an die Sechzigerjahre. Auch damals herrschten schon lange Stillstand und Resignation. Da hat 1961 ein von Martin Walser herausgegebener Bestseller für Zündstoff gesorgt: »Die Alternative oder Brauchen wir eine neue Regierung?« Damit traten liberale und linke Intellektuelle gegen die Restauration der Adenauerzeit an, gegen deren Anspruch, »alternativlos« zu sein!

Vier Jahre später – in Zeiten einer sichtlich erschöpften großen Koalition genau wie jetzt – folgte der von Hans Werner Richter herausgegebene Band »Plädoyer für eine neue Regierung oder Keine Alternative«. Ein bemerkenswerter Wandel: erst eine Sehnsucht nach einer Alternative zum Gewohnten, dann sogar schon der Anspruch der Alternative, alternativlos zu sein!

Dieser geistige Aufbruch proklamierte einen politischen Wechsel, der dann auch tatsächlich eintrat – mit gesellschaftlicher Öffnung und Liberalisierung, mit Willy Brandts Vorsatz »mehr Demokratie zu wagen«, mit grundlegenden sozialen Korrekturen, mit einer kühnen neuen Ostpolitik und erstmals auch mit Umweltschutz.

Heute – über ein halbes Jahrhundert später – ist vieles ganz ähnlich wie damals, nicht nur die große Koalition, sondern auch die Ohnmachtsgefühle außerhalb des Parlaments, die in ein großes Aufbegehren münden. Aber vieles ist auch ganz anders: Die Bevölkerung ist gespaltener als das Parlament, vor allem in der zentralen Flüchtlingsfrage. Verdrossenheit gilt immer öfter nicht nur dem Regierungslager, sondern dem politischen Betrieb insgesamt einschließlich der Medien, der Kirchen und der Gewerkschaften, und die demokratische Linke, die damals zum Aufbruch blies und Morgenluft schnupperte, erlebt fast weltweit einen Horror nach dem anderen und muss sich ernsthaft fragen lassen, welchen Anteil sie selber am Vormarsch der Rechten hat. Und das ausgerechnet, weil sie, die sich stets als Entdeckerin und Erfinderin der sozialen Frage präsentieren wollte, diese uralte Frage lange Jahre aus den Augen verloren hat, in strukturschwachen Gebieten Deutschlands ebenso wie in den Bezirken Frankreichs, in denen der Anteil der Sozialhilfeempfänger genauso herausragt wie der Anteil der Wähler des Front National. Das gilt auch für die von Margaret Thatcher und Tony Blair gleichermaßen vernachlässigten ehemaligen Industrieregionen des Vereinigten Königreichs und die deindustrialisierten in den Vereinigten Staaten. Dies alles ist nicht dadurch aufgearbeitet, dass jetzt das Arbeitslosengeld I in bestimmten Fällen länger ausbezahlt werden soll.

Symbolpolitik ist gerade nicht das Gebot der Stunde, auch wenn es schon sehr reizvoll erscheint, komplexe Probleme beängstigenden Ausmaßes nicht wirklich anzupacken, sondern stattdessen einfach »ein Zeichen zu setzen«, ein »richtiges Signal zu geben«, ein »symbolkräftiges Bild zu schaffen«.

Die Erschütterung des linken Lagers reicht tiefer: Bei einigen Themen war man unter den verschärften Bedingungen des globalen Wettbewerbs glücklicherweise auf der Höhe der Zeit und hat Sozialsysteme und Unternehmen konkurrenzfähig gemacht. Aber allzu oft ist man ohne eigenen Kompass den wirtschaftsradikalen Kräften einfach hinterhergelaufen, mit Steuergeschenken und Schlupflöchern für internationale Konzerne, mit Senkung des Spitzensteuersatzes und explodierenden Managergehältern, denen in den Aufsichtsräten und ihren Präsidialausschüssen ja stets auch die Gewerkschaftsvertreter zugestimmt haben (und es immer noch tun)!

Immer mehr Teile der Bevölkerung haben das fatale Gefühl, die Politik wolle, auch wenn sie täglich von Partizipation spricht und immer mehr Workshops für die Gestaltung von Bushaltestellen anbietet, in den wirklich wesentlichen Fragen der Politik lieber Bevormundung praktizieren. Schließlich meine größte Sorge: Könnte es nicht sein, dass ausgerechnet die Progressiven, die eigentlich Freiheit und Gleichheit immer weiter vorantreiben wollen, im Zeichen multikultureller Aufgeschlossenheit erschreckende »Rollen rückwärts« (siehe Kapitel 9) vollziehen: im Umgang mit religiös begründeten Machtansprüchen, mit dem Import von Frauenfeindlichkeit, Homophobie und Antisemitismus, überraschenderweise auch im Umgang mit aufsteigendem Nationalismus, wenn er nur aus dem Ausland kommt, im schlimmsten Fall auch mit Gewaltverherrlichung und Gewaltbereitschaft, wenn sie nur angeblich hehren Zielen in fernen Befreiungskämpfen dient? Bunt sein – und weniger Demokratie wagen? Das hätte mit dem geistigen Aufbruch vor gut einem halben Jahrhundert in der Tat nur wenig zu tun.

Jetzt rächt es sich, dass etliche Jahre lang der politische Diskurs sträflich vernachlässigt worden ist, weil die großen Parteien im Kampf um einen Platz in der Mitte sich selbst entkernt haben, sich in der zentralen Flüchtlingsfrage in moralische Überlegenheit oder Symbolpolitik geflüchtet haben, die Diskussion neuer Herausforderungen (von der Bankenrettung über Griechenland und die Türkei bis zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr) im Parlament ebenso verweigert haben wie an der eigenen Basis, vor der großen Politik davongelaufen sind und lieber »kleine Fluchten« angetreten haben, ins Klein-Klein örtlicher Interessensvertretung oder in die Vergangenheit, in der sich...

Erscheint lt. Verlag 3.7.2017
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Bundestagswahl 2017 • eBooks • Münchner OB • Wahlkampf
ISBN-10 3-641-21671-0 / 3641216710
ISBN-13 978-3-641-21671-9 / 9783641216719
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