Ideal und Ironie der Gesellschaft
Am Vorabend der Reformation, genau vor 500 Jahren, veröffentlichte Thomas Morus ein Buch, das die Sprache um ein neues Wort bereicherte: "Utopia". Berühmt ist der Autor für seine darin entworfene Idealgesellschaft, weniger bekannt jedoch für die satirische Qualität des Werks. In einer Sequenzanalyse entwickelt Oliver Schmidtke eine neue Deutung: Es ist nicht bloß ein utopischer Entwurf einer Idealgesellschaft, sondern eine frühe Soziologie der Aporien des intellektuellen Denkens. Der Protagonist Hythlodaeus verspielt scharfsinnige Einsichten in die sozialen Gründe für gesellschaftliche Missstände am Ende, indem er sich ins Utopische flüchtet.
Dr. Oliver Schmidtke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am SFB 1187 "Medien der Kooperation" an der Universität Siegen.
Inhalt
Vorwort 9
I. Einleitung 11
Warum eine Detailinterpretation der Utopia des Thomas More? 14
Die Utopia als Kunstwerk 17
Zu Interpretationsproblemen bei der Utopia 21
Zwischenresümee 29
II. Detaillierte Sequenzanalyse des Werks 33
Methodische Vorbemerkung zur immanenten Werkanalyse 33
Der Titel 37
Der Brief der Persona Morus an Petrus Aegidius 40
Zwischenresümee 55
Buch I - Der Dialog zwischen Raphael Hythlodaeus, der Persona Morus und Petrus Aegidius 57
Der Zwischentitel 57
Zur Entstehung der Dialogsituation 58
Die Gesandtschaft nach Flandern 58
Die Begegnung mit Raphael Hythlodaeus 60
Bericht von der Schiffsreise des Hythlodaeus 67
Zwischenresümee 73
Der Dialog um die Fürstendienerschaft - Teil I 74
Persönliche Gründe der Ablehnung der Fürstendienerschaft 74
Negotium versus Otium 78
Zwischenresümee 83
Der Exkurs zum Dialog im Haus des Kardinal John Morton 84
Die Diskussion über die Todesstrafe für Diebe 86
Soziale Gründe für den Anstieg der Diebstähle 90
Die Reaktion des Kardinals 95
Das Beispiel der Polyleriten 97
Möglichkeit der Nachahmung in England 101
Der Streit mit dem Mönch 102
Der Dialog um die Fürstendienerschaft - Teil II 106
Hythlodaeus' Kritik der Außenpolitik bei Hofe 108
Das Beispiel der Achorier 110
Hythlodaeus' Kritik der Finanzpolitik bei Hofe 111
Das Beispiel der Makarenser 114
Zwischenresümee 114
Die Reaktion der Persona Morus:
philosophia scholastica und philosophia civilior 115
Zwischenresümee 121
Der Dialog um die Bedeutung des Privatbesitzes 123
Die Argumentation des Hythlodaeus 123
Die Argumentation der Persona Morus 139
Die Reaktion des Hythlodaeus: Verweis auf Utopia 140
Die Reaktion der Persona Morus: Aufforderung zum Reisebericht 145
Zwischenresümee 146
Buch II - Der Bericht von der Insel Utopia 149
Geographie und Siedlungsstruktur 149
Gliederung des politischen Herrschaftssystems 156
Die beruflichen Tätigkeiten der Utopier 163
Exkurs zur Kritik nicht-utopischer Gesellschaften 166
Von der Arbeit befreite Wissenschaftler 170
Sozialordnung, Bevölkerungspolitik und Organisation der Mahlzeiten 174
Der Reiseverkehr 182
Ökonomie und Versorgung 183
Unterricht und Wissenschaft 193
Philosophie und Vernunftreligion 196
Symbolisierung sozialer Ungleichheit, Luxus und Müßiggang 201
Die Lehre von der Lustbefriedigung 204
Fremde und Sklaven 207
Krankenpflege und Euthanasie 209
Ehebruch, Rechtsprechung und Gesetze 210
Politische Bündnisse 220
Kriegswesen 223
Religion 229
Das Schlussplädoyer des Hythlodaeus 246
Der Kommentar der Persona Morus 259
III. Zusammenfassende Gesamtinterpretation 267
Die ästhetische Gestaltung des literarischen Werks 269
Die doppelte Distanzierung und ihre Folgen für die Interpretation 269
Hythlodaeus versus Persona Morus -Die Transformation der Beziehung innerhalb des Werks 274
Eine soziologische Deutung des utopischen Gesellschaftsentwurfs des Hythlodaeus 291
Zum Institut des Privatbesitzes 291
Die Familie in Utopia 295
Das Verhältnis von Individuum und Institutionen in Utopia 298
Der Partikularismus der utopischen Konstruktion 302
Die Idealität Utopias - Kann Utopia als Beispiel für gelungenes Gemeinwesen gelten? 304
Worin besteht die Suggestivität des utopischen Entwurfs? 313
Literatur 323
Quellen 323
Sekundärliteratur 323
Vorwort
Die folgende Studie widmet sich einem gelungenen Kunstwerk, das be-sonders im deutschsprachigen Raum kaum in seiner schillernden Qualität erschlossen ist, der Utopia des Thomas More. Die Wahrnehmung des Werks erfolgt häufig durch die Brille seiner literarischen Nachfolger: Uto-pien, die Idealgesellschaften entwerfen. Der Autor More hat jedoch nicht selbst die entworfene Gesellschaft als Ideal empfohlen, sondern pro-blematisiert den Entwurf und seinen Schöpfer - die fiktionale Figur des Raphael Hythlodaeus - durchweg in ironischer Form. Diese Ironie konter-kariert den Ernst eines feierlichen Ideals. Es ist vor allem diese Ironie, die Mores Utopia auch 500 Jahre nach ihrer Publikation noch aktuell erschei-nen lässt. Hat More doch darin künstlerisch ein allgemeines Problem des Nachdenkens über Gesellschaften gestaltet. Dies ist Anlass genug, einen Versuch zu unternehmen, mit einer hermeneutisch-soziologischen Detailanalyse das Erkenntnispotenzial des frühneuzeitlichen Werks zu er-schließen.
Frank Schröder und Dr. Daniel Gaus seien für die Durchsicht des Manuskripts und die hilfreichen Korrekturen gedankt.
Frankfurt am Main im Juli 2016
I. Einleitung
Am Vorabend der Reformation - 1516 - lässt der englische Lordkanzler Thomas More (1478-1535) eine Schrift drucken, die die Sprachen später weltweit um ein neues Wort (dt. "Utopie" bzw. "utopisch") bereichern wird. Die Schrift trägt den Titel: "Vom besten Zustand des Gemeinwesens und der Insel Utopia. Ein wahrhaft goldenes Buch, nicht weniger heilsam als unterhaltend, vom klaren und redegewandten Mann: Thomas Morus - Bürger und Vicecomes der berühmten Stadt London." 1535 wird More für seine Weigerung dem Papsttum abzuschwören und seinem König Heinrich VIII gegenüber den Suprematseid zu leisten, hingerichtet und dafür im 20. Jahrhundert von der katholischen Kirche heiliggesprochen.
Berühmt geworden ist diese "epochemachende Schrift" für den darin enthaltenen utopischen Gesellschaftsentwurf, mit dem der Autor More als Begründer einer neuen literarischen Gattung in die Geschichte eingegangen ist, da in den kommenden Jahrhunderten zahlreiche weitere Schriftsteller das Darstellungsmuster des Berichts von einer idealen Gesellschaft nach dem Vorbild der Utopia abwandeln. Die in der Utopia vorgeführte umfassende Thematisierung ganzer Gesellschaften barg offensichtlich eine solche Suggestivität, dass die Darstellungsform von vielen späteren Schriftstellern übernommen wurde.
Das Werk bietet jedoch weit mehr als die Darstellung einer Utopie. In seinem Werk lässt der Autor seinen fiktiven Protagonisten Raphael Hythlodaeus zunächst in einem ersten Buch mit den realen Figuren Thomas Morus und Petrus Aegidius darüber debattieren, ob es sinnvoll sei, einem Fürsten als Berater zu dienen und welche Missstände in England und Europa bestehen, um ihm schließlich erst in einem zweiten Buch einen fiktiven Reisebericht von der Insel Utopia in den Mund zu legen. Die nova insula Utopia wird von Hythlodaeus als ein ideales Gemeinwesen geschildert, in dem die Institution des Privatbesitzes abgeschafft sei.
Einige der von Hythlodaeus dargelegten Analysen können bis heute Gültigkeit beanspruchen und lassen ihn als einen frühen Soziologen er-scheinen, der gesellschaftliche Strukturprobleme scharfsinnig rekonstruiert. So findet sich eine Rekonstruktion der Abhängigkeit der Diebstahlkriminalität von Motivlagen, die aufgrund der Deklassierung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen entstehen, oder Hythlodaeus arbeitet ein eklatantes Missverhältnis der Einkommen für Tätigkeiten, die zur Aufrechterhaltung eines Gemeinwesens unabdingbar sind, und wenig entlohnt werden, zu solchen, die weniger nützlich erscheinen und beklagt, dass einige "ein vornehmes und glänzendes Leben in Muße oder überflüssiger Beschäftigung führ[en], während sich Tagelöhner, Fuhrleute, Handwerker und Bauern mit ihrer so schweren und unablässigen Arbeit [...] o
Erscheinungsdatum | 02.09.2016 |
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Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 141 x 215 mm |
Gewicht | 424 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Allgemeines / Lexika |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Allgemeines / Lexika | |
Schlagworte | Gesellschaftsentwurf • Gesellschaft (Soziologie) • Idealgesellschaft • Morus, Thomas • Politische Soziologie • Soziologie des Intellektuellen • Thomas Morus • Utopie • Utopisches Denken |
ISBN-10 | 3-593-50649-1 / 3593506491 |
ISBN-13 | 978-3-593-50649-4 / 9783593506494 |
Zustand | Neuware |
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