Die Logik des Anschlags
Nach welcher Logik planen Dschihadisten Anschläge in europäischen Städten? Seit den Anschlägen von Paris und Brüssel ist diese Frage aktueller denn je. Um die Denkweise von Anschlagsplanern zu verstehen, haben die Kriminologen Michael Fischer und Robert Pelzer ein Planspiel durchgeführt, in dem Probanden über mehrere Monate fiktive Anschlagsszenarien entwickelt haben. Auf der Basis realer Fälle, wie der "Sauerland-Gruppe", wurden Tätertypen bestimmt. Die Autoren präsentieren ein Risikomodell und Kernelemente einer Soziologie des Anschlags.
Michael Fischer ist Professor für Kriminologie an der Polizeiakademie Niedersachsen. Robert Pelzer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum Technik und Gesellschaft (ZTG) der TU Berlin.
Inhalt
Vorwort11
Einleitung16
IZiel- und Mittelwahl terroristischer Gruppen
1Zielwahlmodelle und Risikobewertungen31
1.1Drakes konventionelles Zielwahlmodell32
1.2Anschläge auf Zivilisten und Zielwahlen von al-Qaida: Einzelstudien im konventionellen Rahmen38
1.3Das opportunitätslogische Modell von Clarke und Newman47
1.4Fazit57
2Ziel- und Mittelwahl des dschihadistischen Terrorismus in Europa62
2.1Paradigmenstreit über den Charakter des dschihadistischen Terrorismus62
2.2Thematisierung von Zielwahlen im engeren Sinne67
2.3Fazit73
IIBestandsaufnahme dschihadistischer Anschläge in Europa
1Design der quantitativen Untersuchung79
1.1Untersuchungszeitraum und Länderauswahl79
1.2Erfassungskriterien und Datengrundlage80
1.3Erhebungskategorien81
1.4Datenauswertung83
2Methodische Reflektionen86
2.1Repräsentativität des Datensatzes86
2.2Stochastizität der Daten89
2.3Reliabilität der erhobenen Daten90
2.4Validität der erhobenen Daten92
3Taten97
3.1Stichprobenumfang, Fallkategorien und Jahreshäufigkeiten97
3.2Anschlagsziele99
3.3Anschlagsmittel113
3.4Modus Operandi116
3.5Kosten120
3.6Zusammenhänge zwischen Tatmerkmalen120
3.7Trendanalyse: Vergleich mit der Studie von Nesser/Stenersen126
4Täter129
4.1Stichprobenumfang und Erfassungskriterien129
4.2Größe der Tätergruppen130
4.3"Zugehörigkeit" und "Autonomie"131
4.4Weitere soziodemografische Merkmale135
4.5Zusammenhänge zwischen Tätermerkmalen137
5"Konfliktorientierung"142
6Zusammenhänge zwischen Taten, Tätern und "Konfliktorientierung"145
6.1Tätermerkmale und "Konfliktorientierung"145
6.2Tatmerkmale und "Konfliktorientierung"147
6.3Täter- und Tatmerkmale151
7Zusammenfassung zentraler Befunde162
IIIDie Logik des Anschlags: Terrorismus als soziale Kontrolle
1Terrorismus und staatliches Strafen169
1.1Figurationen: Instanzen, Delinquenten, Bezugsgruppen172
1.2Strafzwecke174
1.3Pars-pro-Toto-Sanktionierung und Schuldprinzip179
1.4Antiterrorismus183
2Anschlag und Anschlagsplanung: Sinnebenen der Kontrolle187
?
IVAnschlagsplanung: Planspielgestützte Rekonstruktion
1Das Planspielverfahren195
1.1Struktur und Ablauf196
1.2Probanden und Planspielgruppen212
1.3Auswertungsschritte217
2Planspielszenarien221
2.1Ablauf der Planungsprozesse221
2.2Anschlagsszenarien224
2.3Fallskizzen228
3Legitimation, Strategie, Taktik: Dschihadistisches Potpourri, Adaptionen durch die Planspieler und methodische Evaluation260
3.1Replizierbarkeit260
3.2Authentizität und Transferierbarkeit261
3.3Ideologie: Ziele und Legitimation265
3.4Strategien und Taktiken282
3.5Fazit288
4Selektionsmechanismen und Risikoparameter291
4.1Zielwahlen292
4.2Szenariopräferenzen315
4.3Machbarkeitserwägungen323
4.4Fazit331
VIndividuelle Handlungslogiken: Exemplarische Fallrekonstruktionen
Einleitung337
1Theoretisch-methodischer Rahmen339
1.1Anschlagspraxis statt "Terrorismus"339
1.2Deutungsmuster und Bewährung344
1.3Konversion in radikale Deutungsmuster und deren Bewährung353
1.4Politisch motivierte Straftaten als Ausdruck eines Bewährungshandelns358
2.Strukturbestimmung: der dschihadistische Bewährungsgedanke366
2.1Webers Rekonstruktion des Bewährungsgedankens in der protestantischen Ethik366
2.2Grundlagen der Heilssuche radikal monotheistischer islamischer Religiosität371
2.3Die nicht stillstellbare Bewährungsdynamik der Lebenspraxis im salafistischen Islam374
2.4Das Spannungsverhältnis zwischen innerem und äußerem Gehorsam379
2.5Der Bewährungsgedanke im Dschihadkonzept des Salafi-Dschihadismus382
2.6Exkurs zum Bewährungsgedanken in säkularen radikalen Bewegungen390
2.7Hypothesen zu Bewährungsthemen europäischer Dschihadisten393
3Fallrekonstruktionen399
3.1Methodik399
3.2Choudhry (Fall 1)406
3.3Woolwich/Adebolajo (Fall 2)420
3.4Sauerlandgruppe/Gelowicz und Yilmaz (Fall 3, 4)442
3.5Zusammenfassende Typisierung482
4Fazit zur Strukturlogik dschihadistischer Anschlagsgewalt487
VIZusammenfassung und Ausblick
1Die Strukturlogik dschihadistischer Anschlagsplanung493
2Perspektiven der Risikoevaluation502
2.1Risiken dschihadistischer Anschläge502
2.2Risikobewertung und Displacement506
3Terrorismus und Antiterrorismus: Interaktionen der sozialen Kontrolle513
Anhang
Literatur520
Quellen
Medien537
Dschihadistische Quellen540
Akten541
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis542
Tabellen542
Abbildungen543
Anlagen544
Anlage 1: Dschihadistische Anschläge und Anschlagsplanungen544
Anlage 2: Violette Menschen - Geschichte und Situation im Jahr 2030554
Anlage 3: Fragebogen für Planspieler561
Anlage 4: Planspiel Regelbuch563
Anlage 5: Transkriptionsregeln578
"Fischer und Pelzer haben wichtige Innovationen allein schon durch ihren Perspektivwechsel für die Terrorismusforschung vorgenommen. [...] Ihre Analyse ist stringent angelegt und fragt detailliert nach den Bedingungsfaktoren." Armin Pfahl-Traughber, Humanistischer Pressedienst, 13.10.2016
»Fischer und Pelzer haben wichtige Innovationen allein schon durch ihren Perspektivwechsel für die Terrorismusforschung vorgenommen. [...] Ihre Analyse ist stringent angelegt und fragt detailliert nach den Bedingungsfaktoren.« Armin Pfahl-Traughber, Humanistischer Pressedienst, 13.10.2016
Vorwort
Die vorliegende Studie versucht - und darin unterscheidet sie sich von den meisten Arbeiten im Bereich der Terrorismusforschung - die Analyse der Logik des Terrorismus mit einer Analyse der konkreten Anschlagsplanung terroristischer Gruppen, das heißt der Wahl von Anschlagszielen und Angriffsszenarien, zu verbinden. Wie der Terrorismus an sich folgt auch die Planung von Anschlägen im Einzelnen einer Logik der sozialen Kontrolle. Empirisch beruht die Arbeit auf einer internationalen Fallerhebung dschihadistischer Anschläge sowie einem erstmals in dieser Form durchgeführten Planspiel zur Anschlagsplanung. Der dschihadistische Terrorismus in Europa ist dabei zugleich zentraler Gegenstand der Analyse und ein Beispielfall für terroristisches Vorgehen. An diesem Fall untersucht die Studie Selektionsmechanismen und Risikoparameter für terroristische Anschläge, deren Generalisierbarkeit auf andere Formen des Terrorismus und auch auf neu sich entwickelnde Strukturen des Dschihadismus jeweils im Einzelfall zu reflektieren ist. Ohne dass wir dies im hier gegebenen Rahmen detailliert überprüfen konnten, nehmen wir an, dass die identifizierten Selektionsmechanismen (die sich recht unmittelbar aus der Logik des Terrorismus als Form sozialer Kontrolle ergeben) weitgehend universell und über den europäischen Dschihadismus hinaus in verschiedenen Terrorismen vorfindbar sind. Spezifische Risikoparameter sind dagegen stärker von Ideologien, Ressourcen, Kompetenzen und Organisationsformen abhängig und bedürfen einer entsprechenden Anpassung beim Versuch der Anwendung auf unterschiedliche terroristische Gruppierungen. Dies gilt ggf. auch bei sich verändernden Rahmenbedingungen in der dschihadistischen Bewegung selbst.
Zur Zeit unserer empirischen Erhebungen (2010-2013) war "al-Qaida" das Verdichtungssymbol für den europäischen Dschihadismus, während aktuell zunehmend der sogenannte "Islamische Staat" diese Rolle einnimmt. Al-Qaida fungiert nicht nur als Organisation, sondern vor allem als ideologischer Anker für auch solche Täter, die sich - bei geringer oder völlig fehlender organisationeller Verbindung - auf den Deutungsrahmen des globalen Dschihadismus berufen. Vor diesem Hintergrund nimmt unsere Studie nicht professionalisierte, länger bestehende und im Untergrund aktive dschihadistische Gruppierungen in den Blick (die es in Europa weder gab noch bislang gibt), sondern kleine Tätergruppen mit relativ geringen Ressourcen, geringer organisationeller Anbindung und fehlender oder geringer terroristischer Erfahrung und Ausbildung, die im Wesentlichen einen (einzigen) Anschlagsversuch unternehmen und in der Zielwahl gegebenenfalls Anregungen oder groben Vorgaben folgen, diese aber letztlich selbst vornehmen.
An dieser Täterstruktur hat sich auch mit dem Erstarken des Islami-schen Staates (IS) bislang wenig geändert. Seit dieser größere Gebiete im Osten Syriens und Nordwesten Iraks erobert und 2014 ein Kalifat ausgerufen hat, sind in Europa vermehrt Anschläge und Anschlagsplanungen mit Bezügen zu bzw. unter Berufung auf den IS zu verzeichnen. Hegghammer und Nesser (2015) zählen für den Zeitraum von Januar 2011 bis Juni 2015 insgesamt 69 dschihadistische Anschlagsplanungen (inklusive 19 ausgeführte Anschläge) in Europa, Nordamerika und Australien, von denen 30 einen IS-Bezug aufweisen. In der Schlussphase dieser Erhebung (Juli 2014 bis Juni 2015) steigt der Anteil von Anschlagsplanungen mit IS-Bezug auf 26 von 33 (wobei die Unterscheidung zwischen IS- und al-Qaida-bezogenen Anschlägen nicht immer klar zu treffen ist). Die Anschlagsplanungen mit IS-Bezug wurden überwiegend von Tätern bzw. Tätergruppierungen unternommen, die Sympathie für den IS äußern oder erkennen lassen, ohne in persönlichem Kontakt zu irgendeiner Verbindungsperson in der IS-Organisation zu stehen. Andere Täter haben entfernte Kontakte, ohne jedoch Anweisungen bekommen zu haben. In vier Fällen waren Täter beteiligt, die ein Training auf IS-Gebiet, nicht aber A
Erscheinungsdatum | 02.09.2016 |
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Zusatzinfo | 18 Abbildungen |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 142 x 215 mm |
Gewicht | 725 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Allgemeine Soziologie |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Spezielle Soziologien | |
Schlagworte | Anschläge • Gewalt • Islamistischer Terrorismus • Jschihadismus • Kriminalsoziologie • Planspiel • Politische Soziologie • Polizeiforschung • Prävention • Risiko • Soziologie • Terroranschlag • Terrorismus • Zielwahlen |
ISBN-10 | 3-593-50640-8 / 3593506408 |
ISBN-13 | 978-3-593-50640-1 / 9783593506401 |
Zustand | Neuware |
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