Bis zu Beginn der 1990er Jahre wurden diese innerstaatlichen Kriege zumeist als politisch motivierte Gewaltkonflikte oder Stellvertreterkriege angesehen. Danach setzen sich mit Ende des Kalten Krieges und unter dem Eindruck des Genozids in Ruanda sowie des Bosnienkrieges neue Erklärungsansätze durch, die die flächendeckende Gewalt primär auf Habgiermotive oder traditionelle ethnische Feindschaften zurückführen.
Gegen diese schablonenhaften Deutungsmuster entfaltet Stefan Deißler eine Perspektive, die der vielschichtigen Komplexität des Phänomens Bürgerkrieg näher kommt. Ohne die tragende Rolle der ethnischen, ökonomischen oder politischen sozialen Gruppen zu vernachlässigen, rückt der Autor die kriegführenden Organisationen selbst in den Fokus und unterzieht die Beziehungen zwischen Kombattanten und Zivilisten einer kritischen Betrachtung. Unter Rekurs auf den seit über 50 Jahren währenden Konflikt in Kolumbien und weitere Beispiele weist er nach, dass die selbst ernannten Repräsentanten unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen oftmals mit brutaler Gewalt die Kooperation der "Repräsentierten" erzwingen und dass die Bedürfnisse und Interessen der Zivilbevölkerung während der Dauer derartiger Konflikte weitgehend unberücksichtigt bleiben.
Zugleich wird ersichtlich, welcher fatalen Logik das Kriegsgeschehen in vielen Fällen folgt: Zahlreiche innerstaatliche Kriege werden durch immanente Eigendynamiken angetrieben. Die Kriegsparteien nötigen sich wechselseitig zur Fortsetzung des Konflikts oder schaffen kollektiv einen strukturellen Zwang zur kontinuierlichen Wiederholung der Kriegshandlungen. Diese Dynamik zu durchbrechen, ist eine der großen Herausforderungen für die gegenwärtigen Friedensinitiativen.
Stefan Deißler, Dr. disc. pol., studierte zunächst Maschinenbau an der Universität Karlsruhe, danach Soziologie und Philosophie an der Georg-August-Universität Göttingen. Die vorliegende Arbeit wurde mit dem Friedrich-Christoph-Dahlmann-Preis für die beste Dissertation des Promotionsstudienganges Sozialwissenschaften ausgezeichnet. Stefan Deißler lebt und arbeitet in London.
Einleitung
I Charakteristika des Bürgerkriegs
Kriegerische Gewalt
Staatsbezogenheit und Innerstaatlichkeit
Soziale Spaltung
Wesentliche und unwesentliche Merkmale des Bürgerkriegs
Bürgerkriege versus "innere Kriege"
Bürgerkriege versus "neue Kriege"
II Eigendynamische soziale Prozesse
Charakteristische Merkmale und Genese
Permanenz und Kollaps
Konstellationszwänge als Movens der Eigendynamik
Wie man eigendynamische Qualitäten nachweist
III Zirkuläre Bürgerkriegsdynamiken in der Literatur
Der Bürgerkrieg als "Motor seiner selbst"
Der Guerillakrieg als Teufelskreis von Repression und Rebellion
Das security dilemma als Triebfeder ethnopolitischer Konflikte
Gewaltmärkte mit Selbststabilisierungstendenzen
Plädoyer für einen Perspektivwechsel
IV Eine makrosoziologische Perspektive auf den Bürgerkrieg
Die Elemente bürgerkriegstypischer Konstellationen und Strukturen
Militärische Organisationen
Konfliktive, koerzive und kooperative soziale Beziehungen
Soziale Gruppen und Gemeinschaften
Fragmentierte Gesellschaften und Staaten
Die Unterscheidung von Konstellation und Struktur
Die mechanismische Reproduktion bürgerkriegstypischer Strukturen
Mechanismische Erklärungen uniformen Handelns
Mechanismische Erklärungen organisierten Handelns
Der imperativische Modus der Reproduktion bürgerkriegstypischer Strukturen
Immanuel Kants hypothetischer Imperativ
Mit Andrew Abbott vom hypothetischen zum strukturellen Imperativ
Erklären mit strukturellen Imperativen
V Die Eigendynamik des revolutionären Guerillakriegs
Protagonisten
Guerillaorganisationen
Staatliche Streitkräfte
Milizen und paramilitärische Organisationen
Die rurale Zivilbevölkerung
Die triadische Konstellation des Guerillakriegs
Handlungsmuster
Guerillataktiken (guerrilla warfare)
Aufstandsbekämpfung (counterinsurgency)
Maßnahmen zur Beeinflussung der Bevölkerung
Reaktionen der Zivilbevölkerung
Die Struktur des Guerillakriegs
Die eigendynamische Reproduktion der Struktur
Strukturelle Imperative des Guerillakriegs
Reaktionsmechanismen der ZivilistInnen
Die eigendynamischen Qualitäten des Guerillakriegs
Kriegsverlängernde und kriegsverkürzende Struktureffekte
VI Die Eigendynamik des ethnisierten Sezessionskriegs
Protagonisten
Ethnopolitische Militärorganisationen
Ethnische Gruppen
Die Konstellation des ethnisierten Sezessionskriegs
Handlungsmuster
Konventionelle Kriegführung
Interethnischer Terror
Innerethnische Repression
Reaktionen der Zivilbevölkerung
Die Gesamtstruktur des ethnisierten Sezessionskriegs
Die eigendynamische Reproduktion der Struktur
Die mechanismische Reproduktion der uniformen Handlungsmuster
Die mechanismische Reproduktion des organisierten Gewalthandelns
Kriegsverlängernde und kriegsverkürzende Struktureffekte
VII Eigendynamik und Persistenz des andauernden innerstaatlichen Krieges in Kolumbien
Protagonisten
Die Guerillaorganisation FARC
Die Guerillaorganisation ELN
Die staatlichen Streitkräfte und Sicherheitsorgane
Paramilitärische Organisationen
Kolumbiens Landbevölkerung
Die Gesamtkonstellation
Handlungsmuster
Die Praktiken des Guerillakriegs
Die Praktiken der Bürgerkriegsökonomie
Die hybride Struktur des conflicto armado
Eigendynamische Qualitäten
Die Reproduktion der Akteurskonstellation
VIII Ergebnisse und Impulse
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Literatur
Dank
Zum Autor
Erscheint lt. Verlag | 7.3.2016 |
---|---|
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung |
Wirtschaft | |
Schlagworte | Bürgerkrieg • Eigendynamik • Gesellschaft • Gewalt • Gewaltforschung • Kolumbien • Konflikte • Krieg • Soziale Prozesse • Staat |
ISBN-10 | 3-86854-667-7 / 3868546677 |
ISBN-13 | 978-3-86854-667-5 / 9783868546675 |
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