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Bismarck (eBook)

Größe - Grenzen - Leistungen
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
330 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-10771-5 (ISBN)

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Bismarck -  Hans-Christof Kraus
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Kein anderer Staatsmann des 19. Jahrhunderts hat seine Epoche so tiefgreifend geprägt wie Bismarck. Prägnant und facettenreich porträtiert Hans-Christof Kraus nicht nur den Politiker, sondern auch den Menschen mit all seinen Lichtund Schattenseiten. Otto von Bismarck (1815-1898) zählt bis heute zu den faszinierendsten und zugleich umstrittensten Gestalten der deutschen und europäischen Geschichte: Doch wer war dieser Mann eigentlich? Was hat er erreicht, worin liegt seine Größe? Aber auch: Was hat er falsch gemacht, und was bleibt am Ende von ihm und von der Zeit, der er seinen Stempel aufgedrückt hat? Souverän und ausgewogen urteilend geht Hans-Christof Kraus diesen und anderen Fragen nach. Kenntnisreich und spannend schildert er das Leben und die politische Karriere einer fast gescheiterten Existenz, die schließlich das Deutsche Reich gründete. Ausführlich zeigt der Autor aber auch die Kehrseite der politischen Größe Bismarcks, und gibt jenen politischen Gegenspielern ihre Stimme wieder, die durch Bismarcks selbst forcierten Nachruhm in der Geschichtsschreibung lange unterschätzt wurden.

Hans-Christof Kraus, geboren 1958, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Göttingen. Seit 2007 ist er Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in der deutschen und englischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, der Geschichte der Politik, der Verfassungsgeschichte, der politischen Ideengeschichte sowie in der Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte.

Hans-Christof Kraus, geboren 1958, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Göttingen. Seit 2007 ist er Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Passau. Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen in der deutschen und englischen Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts, der Geschichte der Politik, der Verfassungsgeschichte, der politischen Ideengeschichte sowie in der Bildungs- und Wissenschaftsgeschichte.

II.
GRÖSSE


Rationales und Irrationales


Bei dem Versuch, eine Antwort auf die schwierige Frage nach »historischer Größe« zu finden, sollte man sich auch heute noch an den im Kern wohl unüberholten Reflexionen orientieren, die Jacob Burckhardt, der große Schweizer Historiker, hierzu in seinen Weltgeschichtlichen Betrachtungen angestellt hat.1 Für Burckhardt gehörte zur historischen Größe an erster Stelle die »Einzigartigkeit, Unersetzlichkeit« des großen Individuums. Er schreibt: »Der große Mann ist ein solcher, ohne welchen die Welt uns unvollständig schiene, weil bestimmte große Leistungen nur durch ihn innerhalb seiner Zeit und Umgebung möglich waren und sonst undenkbar sind; er ist wesentlich verflochten in den großen Hauptstrom der Ursachen und Wirkungen.«2 Geht man davon aus, dass – was heute gelegentlich bestritten wird – Ursachen und Wirkungen im historischen Geschehen dingfest zu machen sind, dann wird man Bismarcks Wirkmächtigkeit tatsächlich als »groß« bezeichnen können; das belegen bereits die von ihm bewirkten politischen Veränderungen am Bundestag in den 1850er-Jahren, das zeigen der Verlauf und Ausgang des Verfassungskonflikts, der Frankfurter Fürstentag und vieles andere mehr. Nicht nur dass Bismarck seine Vorstellungen durchsetzte, sondern auch wie er es tat, belegt seine Größe, wie immer man auch seine Handlungen einschätzen mag.

An anderer Stelle bemerkt Burckhardt mit einer berühmten, häufig zitierten Formulierung: »Die Geschichte liebt es bisweilen, sich auf einmal in einem Menschen zu verdichten, welchem hierauf die Welt gehorcht.«3 Das ist natürlich stark zugespitzt formuliert, denn »die Welt« hat niemals einem einzigen Menschen »gehorcht«; man kann, im Gegenteil, sagen, dass gerade den scheinbar oder auch wirklich großen historischen Persönlichkeiten zu allen Zeiten heftiger Widerstand entgegengetreten ist und dass sich ihre Größe nicht zuletzt darin zeigt, eben diese Widerstände gebrochen zu haben (und sei es auch nur für einen bestimmten Zeitraum, wie etwa Cäsar oder Napoleon Bonaparte). Den Zeitgenossen Bismarcks und auch vielen Nachgeborenen erscheint es tatsächlich so, als ob wenigstens die deutsche Geschichte in den Jahren 1864 bis 1871 und seitdem auch die Geschichte Europas bis 1890 sich im Wesentlichen in seiner Person »verdichtet« hätten.

Warum aber ist das so? Hängt es vielleicht nicht nur mit einer besonderen Gunst der Zeit, sondern auch mit bestimmten Fähigkeiten einer solchen »großen« historischen Persönlichkeit zusammen? Burckhardt war in der Tat dieser Ansicht: »Das große Individuum übersieht und durchdringt jedes Verhältnis, im Detail wie im Ganzen, nach Ursachen und Wirkungen. Das ist eine ganz unvermeidliche Funktion seines Kopfes. … Völlig klar schaut es zwei Hauptsachen: es sieht zunächst überall die wirkliche Lage der Dinge und der möglichen Machtmittel und läßt sich durch keinen bloßen Schein blenden und durch keinen Lärm des Augenblicks betäuben. Von allem Anfang an weiß es, welches die Grundlagen seiner künftigen Macht sein können. Gegenüber Parlamenten, Senaten, Versammlungen, Presse, öffentlicher Meinung weiß es jederzeit, wieweit sie wirkliche Mächte oder bloß Scheinmächte sind, die es dann einfach benützt.«4

Darin klingt an, dass ein bedeutender Mensch, dem das Attribut historischer »Größe« zukommt, vor allem über eines verfügen muss: Illusionslosigkeit, Sachlichkeit, Nüchternheit, Realitätssinn. Er darf sich niemals durch den äußeren Schein blenden lassen, sondern er benutzt ihn, um im gegebenen Fall die anderen zu blenden, die sich durch den Lärm des Augenblicks betäuben lassen. Den Zustand des Geblendet-Werdens und des Betäubt-Seins vermeiden zu können ist im politischen Betrieb vergangener wie heutiger Tage ein recht schwieriges Geschäft. Der Überblick über komplexe Verhältnisse, das politische Agieren im zeitlichen Nebeneinander verschiedenster politischer Schauplätze und Bereiche stellen eine Kunst dar, die nur wenige Politiker beherrschen. Diejenigen, die es können, wird man wohl groß nennen dürfen – und Bismarck gehörte zu ihnen.

Gelegentlich zeigt sich das geschichtlich bedeutende Individuum erst im Verlauf einer historischen Krise, und auch dies hat Burckhardt treffend beschrieben, wenn er anmerkt: »In den Krisen kulminiert in den großen Individuen zusammen das Bestehende und das Neue (die Revolution).«5 Hiermit ist fraglos ein besonderes Merkmal der Persönlichkeit und des politischen Werkes auch von Bismarck angesprochen, denn er war tatsächlich bestrebt, das Alte und das Neue zusammenzuführen, das heißt, zum einen die traditionellen politischen und sozialen Führungsschichten Preußens und Deutschlands mit dem aufsteigenden Bürgertum zusammenzubringen und sie, wenn schon nicht im eigentlichen Sinne miteinander zu versöhnen, wenigstens zu einer politischen Zweckgemeinschaft zum Wohle des Ganzen zusammenzuschließen. Und zum anderen ging seine Absicht dahin, nach dem von ihm schon früh vorausgesehenen und postulierten Ende des seit 1815 bestehenden Deutschen Bundes zu einer neuen Verfassungsstruktur des Norddeutschen Bundes, später des Reiches zu gelangen. Diese sollte einerseits über das Kaisertum und den Bundesrat den Einfluss der deutschen Fürsten sichern, andererseits aber auch den gerade aufsteigenden politischen und sozialen Mächten ihren Anteil an der politischen Macht im neuen Staat geben, und zwar durch den nach allgemeinem, gleichem und geheimem Wahlrecht gewählten Reichstag. Keineswegs zu Unrecht ist Bismarck deshalb von Henry Kissinger und Lothar Gall als »weißer Revolutionär« bezeichnet worden.6

Kann man aber das Phänomen der historischen Größe ausschließlich auf der rationalen Ebene fassen, oder kommt nicht doch etwas Weiteres, vielleicht sogar etwas Irrationales hinzu? Burckhardt war jedenfalls dieser Ansicht, wenn er feststellte: »Die wirkliche Größe ist ein Mysterium. Das Prädikat wird weit mehr nach einem dunklen Gefühle als nach eigentlichen Urteilen aus Akten erteilt oder versagt; auch sind es gar nicht die Leute vom Fach allein, die es erteilen, sondern ein tatsächliches Übereinkommen vieler.«7 Das hiermit angesprochene Phänomen des »Charismas« großer Persönlichkeiten, der von ihnen auf die große Masse ausgeübten persönlichen Faszination, ist auch ein Problem, das sich beim Nachdenken über die historische Rolle Bismarcks stellt.

Wie ist diese – an sich durchaus nicht unbedenkliche – Faszination zu erklären? Auch zur Beantwortung dieser Frage gibt Jacob Burckhardt einen wichtigen Hinweis, wenn er in seiner Analyse der historischen Größe darauf hinweist, dass dem großen Individuum zuerst und vor allem der »wirkliche Wille« zu eigen sein muss, sich einer »Lage zu bemächtigen«, ja sogar eine geradezu »abnorme Willenskraft, welche magischen Zwang um sich verbreitet und alle Elemente der Macht und Herrschaft an sich zieht und unterwirft«; und hierzu gehört ebenfalls, so Burckhardt weiter, »die Ahnung der Denkenden, daß das große Individuum da sei, um Dinge zu vollbringen, die nur ihm möglich und dabei notwendig seien«.8 Die ungewöhnliche Willenskraft, über die Bismarck verfügte, wird auch sein ärgster Gegner nicht leugnen können. Zur Willenskraft kam ergänzend die Durchsetzungsfähigkeit dieser Persönlichkeit, die damit über die geistige und nicht zuletzt auch seelische Stärke verfügte, die eigenen Entscheidungen notfalls auch gegen härteste Widerstände erzwingen zu können. Das lässt sich zuerst und vor allem an den Ereignissen der 1860er-Jahre zeigen, an Bismarcks Lösung der preußischen Staats- und Verfassungskrise, den drei Einigungskriegen und an der wesentlich von ihm, von seinem Willen und seinen Vorstellungen geprägten Neuordnung Deutschlands nach dem Ende des Deutschen Bundes.

Konflikt


Als Bismarck am 22. September 1862 von König Wilhelm I. in Schloss Babelsberg zur wohl wichtigsten Audienz seines Lebens empfangen wurde, war der politische Aufstieg an die Spitze – wenigstens auf den ersten Blick – geschafft: Die lange angestrebte und zuletzt, wie der Briefwechsel mit Roon zeigt, fast von Tag zu Tag erwartete Berufung zum Regierungschef und damit zum Leiter der preußischen Politik stand unmittelbar bevor. Die vor ihm liegende Aufgabe schien freilich kaum zu bewältigen: Trotz mehrmaliger Parlamentsauflösungen und Neuwahlen war es den Volksvertretern auf der einen, dem Monarchen auf der anderen Seite letztlich nicht gelungen, zu einer Einigung im Heeres- und Verfassungskonflikt zu gelangen. Es blieben nur zwei Möglichkeiten: entweder so lange zu warten, bis eine der beiden Seiten zum Nachgeben bereit war, oder aber den Konflikt unter Inanspruchnahme des Rechts des Stärkeren durchzufechten. Und genau hierzu war Bismarck entschlossen.

In Babelsberg stellte der König nun, wie man Bismarcks berühmter Schilderung der Audienz in den Gedanken und Erinnerungen entnehmen kann, die alles entscheidende Frage: Ob er bereit sei, »als Minister für die Militär-Reorganisation einzutreten, … auch gegen die Majorität des Landtags und deren Beschlüsse«. Nachdem Bismarck dies bejaht hatte, erklärte Wilhelm: »Dann ist es meine Pflicht, mit Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen, und ich abdicire nicht.«9 Man wird Bismarck glauben können, dass er zu allem entschlossen war, wenn er nach seiner Erinnerung dem Monarchen anschließend erklärte, »daß es sich für ihn nicht um Conservativ oder Liberal in dieser oder jener Schattirung, sondern um Königliches Regiment oder...

Erscheint lt. Verlag 17.2.2015
Zusatzinfo mit Tafelteil
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Biografien / Erfahrungsberichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte 19. Jahrhundert • Bismarck • Deutsche Geschichte • Europäische Geschichte • Neuere Geschichte • Otto von Bismarck • Verfassungsgeschichte
ISBN-10 3-608-10771-1 / 3608107711
ISBN-13 978-3-608-10771-5 / 9783608107715
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