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Teddy oder wie ich lernte, die Menschen zu verstehen (eBook)

Aus dem Leben eines Polizeihundes
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
300 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-1066-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Teddy oder wie ich lernte, die Menschen zu verstehen -  Cid Jonas Gutenrath
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Nach fast zehn Jahren in der Berliner Notrufzentrale wechselt Cid Jonas Gutenrath zur Hundestaffel der Polizei. Gemeinsam mit Teddy, Polizeihund Nr. 2045, erlebt er eine Reihe bewegender und spannender Geschichten - bei Demonstrationen gegen Abtreibungsgegner, bei der Verfolgung eines Messerstechers, bei der Sicherung eines Fußballspiels, während eines Hubschraubereinsatzes oder in der 'Fighting City', dem Ausbildungsgelände der Polizei. Am Ende hat Teddy aus Cid einen besseren Menschen gemacht. Vom Tenor knallhart bis berührend und in einer ganz eigenen Erzählweise.

Cid Jonas Gutenrath,  geboren 1966, war Heimkind, Türsteher, Marine-Taucher, Bundesgrenzschützer, Streifenpolizist und Zivilfahnder, bevor er ein Jahrzehnt lang Notrufe in der Berliner Einsatzzentrale entgegennahm. Er lebt mit seiner Frau und seinen drei Kindern vor den Toren Berlins.

Cid Jonas Gutenrath, Jahrgang 1966, war Türsteher, Marine-Taucher, Bundesgrenzschützer, Streifenpolizist, Zivilfahnder und hat neun Jahre lang in der Notrufzentrale der Berliner Polizei Anrufe entgegengenommen. Seine Bücher "110 – Ein Bulle hört zu" und "110 – Ein Bulle bleibt dran" standen monatelang ganz oben auf der Spiegel-Bestsellerliste.

Wechselbälger


Wechselbälger. So nannte sie Martin Luther, der »große Reformator«, bei dem wir Hunde übrigens auch nicht besonders gut wegkamen. Gar mit dem Teufel im Bunde wähnte er sie, oder zumindest von ihm im Mutterleib gegen das eigentliche Kind ausgetauscht. Bis in die heutige Zeit werden sie hier oft Mongo, Fehldruck oder Dorftrottel geschimpft. Andere Länder, Frankreich beispielsweise, haben schönere, poetischere Namen für sie. Dort ruft man sie Feenkinder und scheint besser verstanden zu haben, dass anders eben nur anders ist und nicht gleichbedeutend mit schlechter.

Ob ein Autist hochbegabt oder behindert ist, hängt irgendwie stark von der Perspektive ab, findet ihr nicht auch?! Und so könnte man ewig weiterphilosophieren über Glück, Sinn und Qualität eines jeden Lebens. Fest steht, dass alles, was anders ist, auch Angst macht. Weil man es nicht versteht. Gleichzeitig geht von ihm aber auch eine eigenartige Faszination aus.

Uns geht es da übrigens nicht anders. Uns habt ihr die Mär vom bösen Wolf angehängt und versucht uns komplett auszurotten. Zu töten. Wie die Wechselbälger damals einfach zu ertränken. Wen wundert es, dass es über die Zeiten hinweg immer mal wieder Berührungspunkte gab zwischen jenen, die Zugang oder wenigstens Einblick in andere Welten haben. Ihr könnt inzwischen mit Röntgen- und Wärmebildgeräten durch Wände und Mauern hindurchschauen, was ihr euch früher nie hättet träumen lassen. Und doch verhilft euch dieser Fortschritt nicht zu der Erkenntnis, dass es so vieles gibt, was sich euren fünf Sinnen noch entzieht.

Ob Rudyard Kiplings Mowgli, für den es übrigens eine authentische Vorlage gibt, Kaspar Hauser oder Victor von Aveyron, die Reisenden zwischen den Welten habt ihr stets als Trottel abgestempelt, und wir sind ohnehin nur »dumme Hunde«. Aber es gibt sie, die unsichtbaren Spuren, die uns hineinschauen lassen in andere Sphären, die euch verborgen sind. Wenn ihr am Rande davon tangiert seid, nennt ihr es gerne »Wunder« oder gebt ihm Namen wie »Mantrailing« und tut so, als hättet ihr alles erfunden. Dabei wisst ihr nichts. Weniger als nichts. Was ich gar nicht schlimm finde. Nur wie ihr damit umgeht, das kann ich nicht leiden.

»Die Friedenstaube hat Dünnschiss«, hieß es, und damit war ich raus aus der Nummer. Allerdings nicht ganz. Weil ich nämlich schon zweimal meine Box »verunreinigt« hatte, war ich mit draußen. Sozusagen als Zaungast, was schön ist, denn so kann ich euch berichten …

Einbruch und Alarmanlagen sind ein Hauptteil unseres Geschäfts, und wir trainieren unermüdlich, den Bösewicht zu finden, wo er nichts zu suchen hat. Mit sehr großem Erfolg. Klingt unbescheiden, ich weiß, aber unsere Erfolgsquoten sprechen für sich. Ein polizeiinternes Sprichwort sagt: Ein Diensthund ist mehr wert als eine ganze Hundertschaft! Denn wir würden selbst Spiderman finden, der unter der Hallendecke klebt.

Wichtig ist dabei die taktische Auswahl des vierbeinigen Kollegen, der den Job erledigen soll. In Anbetracht des zu durchsuchenden Objektes. Haben wir mit Publikumsverkehr oder gar Kindern zu rechnen? Nach diesen Kriterien wird ausgewählt, denn kompetent sind wir durch die Bank alle. Einzig unsere sozialen Fähigkeiten, oder sagen wir Vorlieben, sind stark verschieden. Was ich deshalb auf alle Fälle richtigstellen muss, um meiner Verantwortung gerecht zu werden, ist Folgendes: Niemand, wirklich niemand sollte sich ohne Einladung oder Schutz der Götter einem Polizeihund nähern! Ich könnte jetzt hier seitenweise Ausnahmen auflisten, will ich aber nicht. Denn das ist die Faustregel. Wer also hundertprozentig sichergehen will, dass er mit heiler Hose wieder nach Hause kommt, sollte erst einmal Abstand halten und artig fragen.

Prinzipiell gilt bei Einbruch: Wer nach gesetzlich vorgeschriebener dreimaliger Aufforderung nicht aufgibt und einfach rauskommt oder stattdessen sogar angreift, den holt der Wolf. Und eine Pistolenkugel lässt sich schließlich auch nicht zurückrufen.

Was bei uns allerdings doch anders ist. Wenn wir denn wollen, ist selbstverständlich ein wesentlich differenzierteres Vorgehen möglich. Die Netteren fahren eine andere Taktik und haben dafür nicht selten schon einen hohen Preis bezahlt. Bambule ist Hardliner. Bambule macht kurzen Prozess. Wenn der Typ, nach dem wir suchen, nicht zur Besinnung kommt, wird er durch den Fleischwolf gedreht. Und der Fleischwolf heißt Bambule.

Ein gewalttätiger Einbrecher hat sich in einem Kellergewölbe versteckt, nachdem er in flagranti vom Hausmeister eines unter Denkmalschutz stehenden Mehrfamilienhauses in einer Wohnung überrascht wurde. Trotz klaffender Wunde an seiner Stirn würde der Hausmeister uns gern begleiten und entschuldigt sich. Für seine Nervosität und dafür, dass in der ehemalig hochherrschaftlichen Charlottenburger Großbürgerresidenz der Keller eher einer Tropfsteinhöhle gleicht als einem Keller.

Das Licht geht auch nicht, es ist dunkel wie im Bärenarsch, und richtig wohl fühlt sich nur Bambi. So wird Bambule von Kröte, seinem Zweibeiner, genannt, wenn die zwei kuscheln, was sie meist heimlich machen. In Sechserformation betreten wir das Gewölbe. Vorneweg, noch an der Leine, Bambule, ganz hinten Jonas und ich. Als Anhängsel bemüht, nach hinten abzusichern. Wir trainieren auch das bis zum Erbrechen. Mein Junge nennt es polizeiuntypisch und angelehnt an seine militärische Vergangenheit auch gerne »Häuserkampf«.

Als die Tür sich hinter uns knarrend wieder schließt, halten wir alle für ein paar Sekunden völlig lautlos inne. Wir schließen kurz die Augen, damit sie sich an die Dunkelheit gewöhnen, und versuchen uns für einen Moment auf Geräusche zu konzentrieren, die nicht hierhergehören. Aber bis auf die Tropfen, die von der Decke in die Pfützen fallen, ist erst mal Stille.

»Das Haus von Rocky Tocky hat vieles schon erlebt, kein Wunder, dass es zittert, kein Wunder, dass es bebt …«, singt Kröte ganz leise, und Ali kickt ihm leicht mit dem Knie in den Hintern. Dann brüllt Kröte dreimal hintereinander so laut, wie er kann: »POLIZEI, KOMMEN SIE HERAUS, ODER ICH SCHICKE DEN DIENSTHUND

Noch ehe die letzte Aufforderung ohne Antwort verhallt ist, klinkt er sein Bambi aus und sagt leise: »Pass auf dich auf, Bruder«, und dann gibt er ihm das Kommando. Dieses Kommando ist bei fast jedem Zweierteam verschieden, manchmal kurios, manchmal ganz simpel. Ich darf nicht verraten, wie Krötes und Bambis lautet, aber Leute, ihr hättet euren Spaß daran!

Dann schießt Bambule los wie ein lautloser Blitz und verschwindet in der Dunkelheit. Die Männer setzen sich in einer Mischung aus Gänse- und Ameisenmarsch in Bewegung, so wie ihr es vielleicht aus dem Fernsehen oder aus dem Kino kennt. Wir dürfen keine Laserpointer als Zielvorrichtung benutzen, weil unser Land mehr Angst davor hat, dass unsere Jungs immer treffen, als davor, hin und wieder einen Polizisten zu verlieren. Oder weil die Dinger zu viel kosten. So marschieren sie lautlos, leicht geduckt, wie eine große schwarze Spinne mit Waffe und Lampe im Anschlag, und sichern nacheinander Verschlag um Verschlag.

Die Fäuste der Männer liegen über Kreuz. Die Linke mit der kleinen Taschenlampe darin ist unten und dient als Stativ für die Waffe in der anderen Faust, die so dem fokussierten Lichtkegel als feste Einheit folgt. Laserpointer für Arme. Der Einbrecher hat den Hausmeister mit einem Messer am Kopf verletzt. Also ist der Typ potentiell lebensgefährlich und damit auch selbst in Lebensgefahr. Man kann nicht Räuber und Gendarm spielen, wenn es ums Sterben geht, auch wenn die weltfremden Theoretiker an verantwortlichen Stellen das wohl gern so hätten. Ein seitlicher Messerstich aus der Dunkelheit, vielleicht auch ein Wurf aus der Distanz, wohlplatziert am Hals, zwischen Weste und Gürtel oder an einer Schlagader, und das war’s.

Aber wir haben ja Bambule. Solange ein vierbeiniger Kollege vorne ist, sind wir vor Überraschungen sicher. Daran glauben wir fest. Darauf verlassen wir uns. Und wer vorne ist, kann sich darauf verlassen, dass wir so schnell wie möglich bei ihm sind, wenn er uns braucht. Es ist immer noch gespenstisch leise. Bis auf das Plätschern der Tropfen und einen eisernen kaputten Kellerfensterverschlag vor einer zerbrochenen Scheibe, den der Wind in seinen rostigen Scharnieren leicht hin und her bewegt.

Wir sind bei so etwas immer auf eine Ratte oder Katze gefasst, aber hier gibt es nichts, was lebt. Zwei Drittel des Gewölbes sind gesichert, und Bambule kreuzt in der Dunkelheit immer mal wieder den Lichtkegel der Taschenlampen. Wie ein dunkler Schatten huscht er blitzschnell durchs Bild, fast wie der Teufel selbst, und ich bin heilfroh, dass ich auf der richtigen Seite mitspiele.

Als wir nicht mehr weit entfernt sind vom vorletzten großen Mauerdurchbruch auf der rechten Seite, hören wir plötzlich ein merkwürdiges rhythmisches Geräusch, das wir nicht einordnen können. Zeitgleich lässt Bambule ein Knurren hören, das, verstärkt durch den Widerhall des Gewölbes, auch einem Löwen zur Ehre gereicht hätte. Ich stimme von hinten in unser Lied mit ein, damit wer immer jetzt vor Bambi steht begreift, dass er unmöglich gewinnen kann.

Dann geht alles blitzschnell!

Ohne die Formation zu ändern, schließen wir im Laufschritt auf, und aus dem Raum dringt für Sekunden ein Geräusch, als wäre Fütterung in einer Wolfsgrube. Als wir, uns gegenseitig sichernd, um die Ecke biegen und die Zweibeiner vorsichtig den Raum ausleuchten, bietet sich uns im Lichtkegel der Taschenlampen ein sonderbares Bild. Vorne links in dem...

Erscheint lt. Verlag 8.4.2015
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sachbuch/Ratgeber Natur / Technik Tiere / Tierhaltung
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Berlin • Hunde • Hundeerziehung • Kriminalität • Polizeihund • True Crime
ISBN-10 3-8437-1066-X / 384371066X
ISBN-13 978-3-8437-1066-4 / 9783843710664
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