Europäische Welten in der Krise
Mit der Fortdauer der Wirtschafts- und Finanzkrise sind die nationalen Arbeits-und Sozialsysteme der EU-Mitgliedstaaten einem verschärften Reformdruck ausgesetzt. In dem Band wird untersucht, wie sich dieser Druck in einzelnen Wohlfahrtsstaaten darstellt und wie Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Regierungen auf ihn reagiert haben. Es wird sichtbar, dass sich die verfolgten Strategien beträchtlich unterscheiden: Sie bewegen sich im Spannungsfeld von Konfliktorientierung und Krisenkorporatismus und sind stark durch die Organisationsmuster der nationalen Kapitalismusmodelle geprägt.
Hans-Jürgen Bieling und Daniel Buhr sind Professoren am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen.
Inhalt
Vorwort7
I. Einleitung
Europäische Welten in der Krise: Nationale arbeits- und sozialpolitische Transformationspfade11
Hans-Jürgen Bieling und Daniel Buhr
II. Fallstudien
Deutschland: Mit Kontinuität durch die Krise31
Lisa Haug und Volquart Stoy
Frankreich: Vom "Neoliberalisierungstanz" zum Neoliberalisierungsmarsch?57
Julia Lux
Großbritannien: Arbeits- und sozialpolitische Reformen im Schatten der Banken83
Pauline Bader
Schweden: Die Krise der Anderen?111
Corinna Hillebrand-Brem
Italien: Arbeitspolitischer Dualismus und kriseninduzierte Konflikte137
Milan Babi?
Spanien: "Sie wollen mit allem Schluss machen"165
Tobias Haas und Nikolai Huke
Portugal: Auf dem Weg in die Austeritätsgesellschaft?191
Malte Lühmann
Irland: Alles beim Alten?217
Jannis Kompsopoulos
Griechenland: Umbau oder Abriss des Wohlfahrtsstaates?243Jannis Chasoglou
Slowenien: Krisenkorporatismus im zweiten Anlauf273
Carmen Thamm
Tschechien: Verzögerte und moderate Krisen- und Reformprozesse301
Stewart Gold
III. Auswertung und AusblickAuswertung: Welten der Krise in vergleichender Perspektive327
Hans-Jürgen Bieling und Daniel Buhr
Autorinnen und Autoren353
Europäische Welten in der Krise: Nationale arbeits- und sozialpolitische Transformationspfade
Hans-Jürgen Bieling und Daniel Buhr
1 Gegenstand und Problemaufriss
Noch vor einiger Zeit war es geläufig, vom europäischen Gesellschafts-modell zu sprechen. Dies erfolgte zumeist mit Verweis auf eine Reihe spezifischer historischer Strukturmerkmale (Kaelble 1987): so etwa auf den besonderen Stellenwert der Kernfamilie und das relativ hohe Heiratsalter; auf eine komparativ industrieintensive Beschäftigungsstruktur; auf eine familiengestützte und durch staatliche Regulierung beeinflusste Wirtschaftsmentalität in Großunternehmen; auf eine schwache soziale Mobilität aufgrund stark verregelter Bildungs- und Ausbildungswege; auf eine durch fiskal- und wohlfahrtsstaatliche Instrumente gemilderte soziale Ungleichheit; auf Städte mit einer entwickelten Infrastruktur und funktionsfähigen Räumen des öffentlichen Lebens; auf einen umfassenden Wohlfahrtsstaat sowie relativ starke, in überbetrieblich organisierten Arbeitsbeziehungen und (neo)korpora-tistischen Arrangements aktive Gewerkschaften. Vor allem die letztge-nannten Merkmale bilden zugleich den Kern eines "Europäischen Sozial-modells", auf das sich politische Akteure normativ und wissenschaftliche Beobachter analytisch bezogen haben (Aust u.a. 2002).
Sowohl die normative als auch die analytische Bezugnahme waren nicht unumstritten; zumal der - durch den EG-Binnenmarkt, die Wirtschafts- und Währungsunion, die Finanzmarktintegration und EU-Osterweiterung - forcierte Wettbewerb dieses Modell seit den 1990er Jahren vermehrt unter Druck gesetzt hatte. Ungeachtet vieler arbeits- und sozialpolitischer Reformen erwies sich das Europäische Sozialmodell dabei jedoch als erstaunlich bestandsfähig (Hay u.a. 1999). Dies gilt vielleicht weniger für das Niveau und den Umfang individueller sozialer Rechte und Leistungsansprüche (Cafruny/Ryner 2007: 43ff), so aber doch für die Grundstrukturen der arbeitspolitischen Kooperation und wohlfahrtsstaatlichen Organisation (Eichhorst/Hemerijck 2010).
Diese Bestandsfähigkeit scheint in vielen Ländern nun unter Druck zu ge-raten. Im Kontext der europäischen Krisenprozesse - zunächst der tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise, dann der sog. Staatsschulden- und Euro-krise - sind die Arbeitsbeziehungen, der öffentliche Sektor und die wohl-fahrtsstaatlichen Sicherungssysteme vielfach einem starken Transformati-onsdruck ausgesetzt. Dies ist wenig verwunderlich, werden in Krisenzeiten die bestehenden wirtschaftlichen Strukturen und institutionellen Arrange-ments doch verstärkt in Frage gestellt. Im Verlauf der europäischen Kri-senprozesse lässt sich beobachten, dass der Veränderungsdruck zuneh-mend und übergreifend mit der Vorherrschaft marktliberal-austeritätspo-litischer Strategien korrespondiert. Er entfaltet sich in den Mitgliedstaaten allerdings ungleichzeitig und unterschiedlich. Die Mitgliedstaaten der EU werden von den europäischen Krisenprozessen zwar allesamt, aber alle sehr spezifisch erfasst, was wiederum auf eine besondere Krisenan-fälligkeit oder -resistenz der nationalen Kapitalismusmodelle und ihrer Ar-beits- und Sozialsysteme verweist. Der vorliegende Band möchte die Ge-meinsamkeiten und Unterschiede in vergleichender Perspektive genauer herausarbeiten. Entsprechend geht er folgenden Leitfragen nach: Ob und inwiefern sind die einzelnen Länder von der Krise spezifisch getroffen worden? Mit welchen Strategien und politischen Reformen haben sie auf die Krise reagiert? In welchem Maße haben die Reaktionen zu einer Transformation der arbeits- und sozialpolitischen Institutionen geführt? Und durch welche übergreifenden oder länderspezifischen Faktoren sind die jeweiligen Reaktionen zu erklären?
2 Dimensionen einer integralen Theorie- und Analyseperspektive
Um diese Leitfragen zu beantworten, nehmen die Länderstudien eine ana-lytische Perspektive ein, die vor allem durch zwei Merkmale gekennzeich-net
Erscheint lt. Verlag | 5.3.2015 |
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Reihe/Serie | Labour Studies ; 11 |
Co-Autor | Milan Babic, Pauline Bader, Hans-Jürgen Bieling, Daniel Buhr, Jannis Chasoglou, Stewart Gold, Tobias Haas, Lisa Haug, Corinna Hillebrand-Brem, Niko Huke, Jannis Kompsopoulos, Malte Lühmann, Julia Lux, Volquart Stoy, Carmen Thamm |
Zusatzinfo | ca. 45 Grafiken und Tabellen |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 140 x 215 mm |
Gewicht | 450 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Allgemeine Soziologie |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Mikrosoziologie | |
Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Spezielle Soziologien | |
Schlagworte | Arbeitsbeziehungen • Arbeitsmarkt • Arbeitsmarktforschung • Arbeitspolitik • Arbeitspolitik,Sozialpolitik,Arbeitsmarktforschung,Wohlfahrtsstaatsforschung,Sozialmodell,Reformen,Arbeitsbeziehungen • Arbeitssystem • EU • Europa • Europa,EU,Frankreich,Spanien,Portugal,Griechenland,Italien,Irland,Tschechien,Großbritannien,Schweden,Slowenien • Europäische Union • Frankreich • Gesellschaft • Großbritannien • Irland • Italien • Kapitalismus • Korporatismus • Krise • Liberalisierung • Politik • Portugal • Reformen • Regierungen • Schweden • Slowenien • Sozialmodell • Sozialpolitik • Sozialsystem • Spanien • Transformation • Tschechien • Vergleich • Wohlfahrtsstaat • Wohlfahrtsstaatforschung |
ISBN-10 | 3-593-50276-3 / 3593502763 |
ISBN-13 | 978-3-593-50276-2 / 9783593502762 |
Zustand | Neuware |
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