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Zukünftige Personen (eBook)

Eine Theorie des ungeborenen Lebens von der künstlichen Befruchtung bis zur genetischen Manipulation

(Autor)

eBook Download: EPUB
2013 | 1. Auflage
270 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-73250-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Zukünftige Personen -  Anja Karnein
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Angesichts von künstlicher Befruchtung, Stammzellforschung sowie der Möglichkeit genetischer Diagnostik und Manipulation ist der moralische Status zukünftiger Personen so umstritten wie nie zuvor. Aber wer gilt überhaupt als zukünftige Person? Nur diejenigen Embryonen, so Anja Karneins provokative These, die zur Geburt bestimmt sind - dann jedoch ab der Empfängnis. Und während liberale Theorien oft das Machtgefälle zwischen den Generationen vernachlässigen, wenn sie weitreichende Eingriffe in das Erbgut erlauben, verkennen restriktivere Ansätze, daß genetische Eingriffe notwendig sein können, um die Unabhängigkeit zukünftiger Personen zu sichern. Karnein liefert eine brillante Verteidigung ihrer Theorie gegen etablierte Ansätze und zeigt anhand eines Vergleichs rechtlicher Regelungen in Deutschland und den USA, wo diese Auffassung unserer Praxis bereits heute zugrunde liegt - und wo noch nicht.

Anja Karnein ist Associate Professor of Philosophy an der Binghamton University (SUNY), New York. Zuletzt erschien: <em>Zukünftige Personen. Eine Theorie des ungeborenen Lebens von der künstlichen Befruchtung bis zur genetischen Manipulation</em> (stw 1986).

Cover 1
Informationen zum Buch / zur Autorin 2
Widmung / Impressum 4
Inhalt 5
Danksagung 7
Einleitung 10
I. Erzeugung und Zerstörung 25
Kapitel 1: Embryonen und zukünftige Personen 27
1.1 Der Schutz von Personen 32
1.2 Warum die Geburt von Bedeutung ist 38
1.3 Der moralische Wert von Embryonen, die geboren werden 43
1.4 Der Wert der Erzeugung von Personen 56
1.5 Fazit 65
Kapitel 2: Menschliche Würde von Embryonen? 
68 
2.1 Die Abtreibungsdebatte in Deutschland 70
2.2 Der Schutz von Embryonen im Straf- und Deliktsrecht 83
2.3 Das Gesetz zum Schutz (einiger) Embryonen 88
2.4 Das Stammzellgesetz 97
2.5 Fazit 98
Kapitel 3: Die moralische Anonymität von Embryonen: Die Situation in den Vereinigten Staaten 102
3.1 Die Abtreibungsdebatte in den Vereinigten Staaten 104
3.2 Das Deliktsrecht: Fälle pränataler Verletzung 113
3.3 Der Fötus im Strafrecht 118
3.4 Technologien künstlicher Befruchtung und die Stammzellforschung 132
3.5 Fazit 138
II. Selektion und Manipulation 141
Kapitel 4: Die Grenzen reproduktiver Freiheit und distributiver Gerechtigkeit 143
4.1 Die Verteidigung reproduktiver Freiheiten: John A. Robertson 152
4.2 Der Vorrang wissenschaftlichen Fortschritts: Ronald Dworkin 159
4.3 Die Sicherstellung der Chancengleichheit: Buchanan et al. 166
4.3.1 Genetische Manipulation, Gerechtigkeit und unsere Moral 167
4.3.2 Die Beschränkung elterlicher Befugnisse: Die Achtung für das Recht eines Kindes auf eine offene Zukunft 171
4.3.3 Die Gefahr intergenerationaler Beherrschung 175
4.4 Fazit 182
Kapitel 5: Beunruhigende Intuitionen: Habermas und die Gefahr, die menschliche Natur zu verändern 185
5.1 Habermas’ Zurückweisung der liberalen Eugenik 186
5.2 Irreversibilität, Verantwortung und angemessene Einstellungen 191
5.3 Die anthropologischen Grundlagen der Moral 200
5.4 Fazit 209
Kapitel 6: Zukünftige Personen und ihre Unabhängigkeit 211
6.1 Prekäre intergenerationale Beziehungen 214
6.1.1 Das Problem der Nichtidentität 214
6.1.2 Zur Bestimmung der Natur intergenerationaler Beziehungen 222
6.2 Die Bedeutung der Unabhängigkeit 228
6.2.1 Natürliche und substanzielle Unabhängigkeit 230
6.2.2 Unabhängigkeit und Behinderung 236
6.2.3 Unabhängigkeit und die Bedeutung von Abhängigkeit 241
6.2.4 Unabhängigkeit und Autonomie 242
6.2.5 Unabhängigkeit als (relativ) unabhängiger Begriff 243
6.2.6 Unabhängigkeit und die Zukunft der Moral 246
6.3. Wer ist verantwortlich? Warum es nicht in erster Linie die Eltern sind 248
6.4 Fazit 256
Literaturverzeichnis 260
Namenregister 266
Sachregister 268

27Kapitel 1: Embryonen und zukünftige Personen


Die Abtreibungsdebatte zeigt, wie schwierig es ist, sich auf den moralischen Wert von Embryonen zu einigen.[1] Das macht Fragen so kompliziert, die von Technologien aufgeworfen werden, in deren Vollzug Embryonen zerstört werden, so etwa bei der Stammzellforschung (und, zu einem gewissen Grad, bei Technologien künstlicher Befruchtung und der PID). Während die Frage nach der Zulässigkeit einer Abtreibung im Prinzip allein durch den Verweis auf das Recht einer Frau auf Selbstbestimmung beantwortet werden könnte,[2] ist das bei Fragen, die mit diesen Technologien verknüpft sind, nicht möglich. Das hat etwas mit den Interessen zu tun, die im Kontext der Stammzellforschung oder der PID dem Anspruch auf Leben von Embryonen entgegenstehen. Zu diesen widerstreitenden Interessen gehört der Wunsch von Wissenschaftlern (und zukünftigen Patienten), weitere Einsichten in die Entwicklung von Embryonen zu gewinnen sowie Heilungsmethoden für bisher unheilbare Krankheiten zu finden, aber auch das Interesse potenzieller Eltern, Embryonen mit bestimmten genetischen Defekten auszusortieren. So legitim solche Interessen sein mögen, so ergeben sie sich doch im Kontext anderer Arten von Beziehungen zu Embryonen und sind daher schlicht nicht mit denen vergleichbar, die Frauen geltend machen können: Da sich Embryonen nicht entwickeln können, ohne dass eine Frau gewillt ist, sie auszutragen, ist die Entscheidung der Frau, diesen Prozess zuzulassen oder nicht, von besonderer Bedeutung. Demgegenüber ist weder die Existenz noch die Entwicklung eines Embryos abhängig vom Wissensdrang eines Forschers, dem Verlangen von Patienten nach der Entwicklung neuer Heilmittel oder dem Wunsch von Eltern nach Kindern 28mit einer bestimmten genetischen Ausstattung – wie berechtigt diese Anliegen auch immer sein mögen. Um die Frage beantworten zu können, ob und unter welchen Umständen es legitim ist, Embryonen zu zerstören, benötigen wir daher eine Theorie, die nicht ausschließlich auf Interessen zurückgreift, die mit dem Anspruch von Embryonen auf Leben konkurrieren. Erst wenn eine solche Theorie vorliegt, können wir eine biomedizinische Technologie wie etwa die Stammzellforschung beurteilen.

Dieses Kapitel versucht, genau eine solche Theorie zu entwickeln – eine, die uns dabei hilft, den moralischen Wert von Embryonen so zu begreifen, dass unseren Verpflichtungen ihnen gegenüber in allen Situationen Rechnung getragen wird, in denen ihre Gesundheit auf dem Spiel steht oder ihre Existenz bedroht ist.[3] Dieser Aufgabe werde ich gerecht, indem ich mich auf die mo29ralischen Ansprüche derer konzentriere, die zu schützen wir eine eindeutige Verpflichtung haben – das heißt, indem ich mich auf die Ansprüche von Personen konzentriere. Für wie ungenau und problematisch viele den Begriff der Person auch halten mögen,[4] gehe 30ich doch davon aus, dass wir eindeutige normative Verpflichtungen gegenüber denjenigen identifizieren können, die wir als Personen erachten.[5] Auf Individuen als Personen im normativen Sinne Bezug zu nehmen bedeutet zum Beispiel, dass sie nicht willkürlich getötet oder in eine Lage gebracht werden dürfen, in der es ihnen schlechter geht als in der Situation, in der sie sich ohne unser Zutun befunden hätten.[6] Als individuelle Träger von Rechten werden Personen gemeinhin als nicht ersetzbar angesehen. Zudem nötigt uns unsere Sorge um Personen im Allgemeinen dazu, ihre Interessen ernst zu nehmen.

Wie ich weiter unten etwas ausführlicher darlegen werde (Abschnitt 3), umfassen diese Interessen auch retrospektive Interessen, die sich auf das Wohlergehen der Embryonen beziehen, aus denen sich Personen entwickelt haben. Insofern haben wir gute Gründe dafür, Embryonen, die sich zu Personen entwickeln, in Antizipation der Achtung zu behandeln, die wir den späteren Personen schulden. Ich nenne dies das »Prinzip der zukünftigen Personalität« (PZP). Des Weiteren erkläre ich, dass uns unsere Verpflichtungen gegenüber Personen nicht nur aufzeigen, wie Embryonen, die sich tatsächlich einmal zu Personen entwickeln, (gemäß des PZP) zu bewerten und zu behandeln sind, sondern uns auch grobe Richtlinien dafür liefern, wie wir über jene Embryonen nachdenken sollten, die über die reale Möglichkeit verfügen, Personen zu werden.

Dieses Argument besteht aus vier Schritten: Der erste Schritt skizziert eine mögliche Art, den Begriff der Person zu entwickeln. Ich behaupte, dass diese Kategorie auf moralische Akteure beschränkt ist, das heißt auf Akteure, die sich von moralischen Gründen leiten lassen können. Ich mache jedoch auch geltend, dass es sekundäre Gründe gibt, die moralische Akteure dazu anhalten, den 31Begriff der Person so zu erweitern, dass er alle geborenen menschlichen Wesen umfasst. Ich biete hiermit eine mögliche Definition des Personenbegriffs an, und zwar jene, die mir am plausibelsten erscheint. Von den Fragen, wer genau als Person zählt und wann Personalität beginnt, hängt jedoch nicht viel ab, wenn es darum geht zu zeigen, dass wir Embryonen, die sich zu Personen entwickeln, einen bestimmen Schutz schulden. Die beiden einzig wichtigen Annahmen sind, dass es Personen gibt, denen gegenüber wir bestimmte normative Verpflichtungen haben, und dass Personalität nicht mit der Empfängnis, sondern ab einem späteren Zeitpunkt beginnt (1).

Das bringt mich zum zweiten Schritt des Arguments. Dieser erläutert, weshalb Embryonen – die ebenfalls menschliche Wesen sind – sich auf moralisch bedeutsame Weise von den menschlichen Wesen unterscheiden, zu deren Schutz (als Personen) wir verpflichtet sind. In diesem Schritt verteidige ich ausführlicher die Behauptung, Personalität beginne erst mit der Geburt, weil ein Fötus erst mit der Geburt seine vollkommene Abhängigkeit vom weiblichen Organismus verliert. Bis ein Kind geboren wird, ist ein Fötus strukturell in einer Situation, in der ihm die Frau, die ihn in sich trägt, ihre Hilfe und die Geburt verweigern kann; anders als ein Neugeborenes kann daher der Fötus noch nicht so geschützt werden, wie eine Person geschützt werden müsste (2).

Der dritte Schritt legt dar, warum der Schutz, den wir Personen schulden, auf die Embryonen erweitert werden sollte, aus denen sie sich entwickeln. Ich gehe dabei auf vier Probleme ein, die sich aus einer solchen Argumentation ergeben können: Erstens die Frage, inwiefern dieser Vorschlag etwas über die »Natur« menschlicher Embryonen aussagt; zweitens das epistemische Problem, wie wir um den moralischen Wert irgendeines Embryos wissen können, bevor sich dieser tatsächlich zu einer Person entwickelt hat; drittens die Frage, wem die legitime Autorität zukommt, darüber zu entscheiden, welche Embryonen sich zu Personen entwickeln und welche nicht; viertens die Problematik, was es heißt, einen Embryo wie die Person zu behandeln, zu der er sich entwickelt (3).

Die bisherigen drei Schritte des Argumentes explizieren die Annahme, dass wir Personen schützen, und erläutert, weshalb wir die Embryonen, die sich tatsächlich zu Personen entwickeln, vom Moment ihrer Empfängnis an in Antizipation ihrer späteren Perso32nalität behandeln sollten. Dies sagt jedoch noch nichts darüber aus, was wir Embryonen schulden, deren Schicksal noch ungeklärt ist. Ich führe daher in einem vierten Schritt aus, warum der Erzeugung von Personen ein gewisser Wert zukommt. Wenn es also Frauen gibt, deren Wunsch es ist, bereits existierende Embryonen auszutragen, gibt es keine guten Gründe, sie daran zu hindern (4). In ihrem Zusammenspiel ergeben diese vier Schritte einen Vorschlag, der es uns ermöglicht, unser Verhältnis zu Embryonen in all den Debatten zu bestimmen, in denen es um die Zulässigkeit geht, sie zu verletzen oder zu zerstören.

1.1 Der Schutz von Personen


Ein prominenter Grund für die Auffassung, als menschliche Wesen schuldeten wir einander eine besondere Art der Achtung, verweist auf die Fähigkeit zu (moralischem) Handeln, über die typische Exemplare unserer Gattung verfügen. Sie sind mit bestimmten höherstufigen Fähigkeiten ausgestattet, durch die sie für Gründe ansprechbar sind und aufgrund deren sie für ihre Handlungen verantwortlich gemacht werden können. Da der Raum der Gründe auch moralische Gründe umfasst, sind Akteure dieser Art Gegenstand von moralischem Lob und Tadel. Demnach können nur moralische Akteure »Subjekte« der Moral sein: Nur sie sind ansprechbar für deren Forderungen und in der Lage, entsprechend zu handeln. Ein hungriger Tiger kann sich sicherlich nicht durch die Tatsache beirren lassen, dass sein noch lebendiges Mittagessen vor ihm zu moralischem Handeln fähig und deswegen etwas »Besonderes« ist – anders als das Eichhörnchen, welches er zum Frühstück verspeist hat. Aus diesem Grund können auch nur die Subjekte der Moral deren »Objekte« bestimmen. Im Gegensatz zu allen anderen Geschöpfen des Tierreichs vermögen sie darüber zu entscheiden, wer auf welche Weise geschützt wird. Diese Entscheidungsmacht sollte jedoch im Licht guter Gründe gehandhabt werden.

Es ist diese Art des Handelns – die Moralität überhaupt erst möglich macht –, von der häufig angenommen wird, sie verleihe denen, die zu einem solchen Handeln fähig sind, einen bestimmten (intrinsischen) moralischen Status, der für gewöhnlich als Personalität bezeichnet wird. Dieser Status als Subjekt (und nicht allein 33als Objekt) moralischer Überlegungen gebietet, dass seine Träger als Zwecke an sich selbst behandelt werden – und sie umgekehrt alle...

Erscheint lt. Verlag 15.4.2013
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Theorie
Schlagworte Bioethik • Embryo • Menschenwürde • Person • STW 1986 • STW1986 • suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1986 • Ungeborene
ISBN-10 3-518-73250-1 / 3518732501
ISBN-13 978-3-518-73250-2 / 9783518732502
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