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Digitale Demenz (eBook)

Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen
eBook Download: EPUB
2012 | 1. Auflage
320 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41706-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Digitale Demenz -  Manfred Spitzer
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Digitale Medien nehmen uns geistige Arbeit ab. Was wir früher einfach mit dem Kopf gemacht haben, wird heute von Computern, Smartphones, Organizern und Navis erledigt. Das birgt immense Gefahren, so der renommierte Gehirnforscher Manfred Spitzer. Die von ihm diskutierten Forschungsergebnisse sind alarmierend: Digitale Medien machen süchtig. Sie schaden langfristig dem Körper und vor allem dem Geist. Wenn wir unsere Hirnarbeit auslagern, lässt das Gedächtnis nach. Nervenzellen sterben ab, und nachwachsende Zellen überleben nicht, weil sie nicht gebraucht werden. Bei Kindern und Jugendlichen wird durch Bildschirmmedien die Lernfähigkeit drastisch vermindert. Die Folgen sind Lese- und Aufmerksamkeitsstörungen, Ängste und Abstumpfung, Schlafstörungen und Depressionen, Übergewicht, Gewaltbereitschaft und sozialer Abstieg. Spitzer zeigt die besorgniserregende Entwicklung und plädiert vor allem bei Kindern für Konsumbeschränkung, um der digitalen Demenz entgegenzuwirken.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer ist Neurowissenschaftler und seit 1997 Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der Universität Ulm, wo er die Psychiatrische Universitätsklinik leitet. Gastprofessuren führten ihn zweimal an die Harvard University und einmal an die University of Oregon. Als Sachbuchautor veröffentlichte er u.a. die Bestseller Digitale Demenz (2012) und Einsamkeit (2018) im Droemer Verlag.

Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer ist Neurowissenschaftler und seit 1997 Lehrstuhlinhaber für Psychiatrie an der Universität Ulm, wo er die Psychiatrische Universitätsklinik leitet. Gastprofessuren führten ihn zweimal an die Harvard University und einmal an die University of Oregon. Als Sachbuchautor veröffentlichte er u.a. die Bestseller Digitale Demenz (2012) und Einsamkeit (2018) im Droemer Verlag.

Neue Zellen in alten Gehirnen


Über lange Zeit galt in der Neurowissenschaft das Dogma, dass die menschlichen Nervenzellen bereits bei der Geburt voll ausgebildet sind. Danach, so die feste Meinung, würden keine neuen Nervenzellen mehr gebildet, aber täglich sterben welche ab. Mich selbst hat das so sehr beunruhigt, dass ich schon vor Jahren einmal der im Volksmund weitverbreiteten Auffassung nachgegangen bin, täglich würden etwa 10 000 Nervenzellen absterben.[42] In wissenschaftlichen Untersuchungen findet sich hierzu zwar keinerlei Begründung, aber beunruhigend war der Sachverhalt allemal. Geht man von 100 Milliarden Nervenzellen aus sowie von 10 000 absterbenden Nervenzellen täglich, zeigt eine einfache Rechnung, dass man unter diesen Annahmen mit 70 Jahren 1,3 Prozent seiner Nervenzellen verloren hätte. Da war ich dann doch wieder beruhigt.

Seit einigen Jahren können wir noch viel, viel beruhigter sein, denn im Laufe der neunziger Jahre wurde immer klarer, dass bei Mäusen und Ratten tatsächlich Nervenzellen nachwachsen; zuvor war dies bereits bei Singvögeln nachgewiesen worden. Mitte der neunziger Jahre entbrannte dann ein heftiger Streit in der neurowissenschaftlichen Gemeinschaft darüber, ob es nachwachsende Nervenzellen auch bei erwachsenen Menschen gäbe. Dieser Streit war fruchtbar, denn er hat zu einer ganzen Reihe von Studien geführt, die den Sachverhalt klären konnten: In der Großhirnrinde, also dem, was man im Wesentlichen sieht, wenn man das Gehirn von außen betrachtet, wachsen bei erwachsenen Menschen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Nervenzellen nach.[43] Im Hippocampus hingegen sterben, wie bereits dargestellt, Nervenzellen sehr leicht ab, andererseits wachsen genau hier auch Nervenzellen nach, also jetzt gerade beispielsweise auch bei Ihnen!

Warum aber findet dann Gehirnwachstum an ganz unterschiedlichen Orten im Gehirn statt, wenn doch neue Neuronen nur im Hippocampus nachwachsen? Weil Gehirnwachstum und das Nachwachsen von Neuronen nicht das Gleiche sind. Wenn Bereiche der Gehirnrinde durch entsprechendes Training wachsen, dann werden keine zusätzlichen Neuronen gebildet. Die vorhandenen Neuronen werden vielmehr größer, denn ihre Verbindungsstellen werden dicker, und es gibt mehr baumartige Fortsätze, deren Verzweigung ebenfalls zunimmt. Das Wachstum eines Bereichs der Gehirnrinde bedeutet also nicht, dass dort neue Neuronen entstanden sind, sondern dass die bereits vorhandenen Strukturen sich verändert haben.

Ganz anders verhält es sich beim Hippocampus. Dort arbeiten die Nervenzellen permanent auf Volllast und sterben daher auch am leichtesten ab, wenn noch eine zusätzliche Belastung, wie beispielsweise Stress, hinzukommt. Allerdings werden sie durch neu heranwachsende Nervenzellen ersetzt. In Studien an Ratten konnte man beispielsweise zeigen, dass im Hippocampus jeden Tag etwa 5000 bis 10 000 Nervenzellen neu gebildet werden. Im Hinblick auf den Hippocampus des Menschen kennen wir leider bis heute keine Werte, es ist aber nicht zu vermuten, dass diese geringer ausfallen als bei der Ratte.

Vor kurzem konnte nachgewiesen werden, dass diese neu gebildeten Nervenzellen besonders lernfähig sind. Man möchte nun kommentieren: »Kunststück, sie haben ja auch noch nichts gelernt, sind also jung und frisch.« So einfach ist die Sache jedoch nicht. Es ist nämlich keineswegs trivial, dass neu gebildete Nervenzellen auch funktionieren, denn zur Ausübung ihrer Funktion müssen sie ja in vorhandene Netzwerke eingebaut sein. Mein Computer auf dem Schreibtisch wird ja auch nicht einfach schneller, wenn ich ein paar Chips irgendwo einbaue. Nur durch die entsprechenden Verbindungen mit den bereits vorhandenen Chips können zusätzliche Komponenten der Informationsverarbeitung genutzt werden. Bei nachwachsenden Nervenzellen ist das nicht anders. Deren Vorhandensein im Gehirn allein bringt noch gar nichts, denn sie müssen mit den bereits vorhandenen Strukturen vernetzt sein. Nur dann können sie ihren Beitrag zur Funktion des Gesamtsystems leisten.

Wie weitere Studien zeigen konnten, ist dieser Einbau in die vorhandenen neuronalen Netze sogar Voraussetzung dafür, dass die neu gebildeten Neuronen überleben. Werden sie nicht eingebaut, dann sterben sie nach wenigen Wochen wieder ab. Wie geschieht nun dieser Einbau? Mit sehr geschickt durchgeführten Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass die Vernetzung neu gebildeter Nervenzellen durch genau diejenige Tätigkeit erfolgt, für die sie ohnehin geschaffen sind: durch Lernen.[44] Entscheidend ist, dass nicht einfach nur irgendetwas Einfaches gelernt wird, sondern dass die neu gebildeten Nervenzellen mit schwierigen Aufgaben richtig gefordert werden. In Studien mit Ratten konnte man tatsächlich zeigen, dass einfache Lernaufgaben das Absterben neu gebildeter Nervenzellen im Hippocampus nicht verhindern, kompliziertere Lernaufgaben jedoch sehr wohl. Die neuen Nervenzellen müssen also nach ihrer »Geburt« richtig herausgefordert werden, um am Leben zu bleiben.

Seit einigen Jahren ist bekannt, dass bei Ratten Nervenzellen vor allem dann in großer Zahl nachwachsen, wenn sie – beispielsweise durch ein Laufrad im Käfig – die Möglichkeit haben, sich zu bewegen. Diese Erkenntnis ist auch in Bezug auf den Menschen wichtig. Ich werde oft von Patienten gefragt, was man denn tun könne, um sich im Alter geistig fit zu halten. Meine Antwort lautet, für die Patienten oft überraschend: »Vergessen Sie Kreuzworträtsel und Sudoku; gehen Sie joggen!« Denn die moderne Gehirnforschung zeigt: Das beste Gehirnjogging ist schlicht und einfach Jogging. Wenn dann allerdings die neuen Nervenzellen gebildet wurden, dann reicht das Wiederkäuen von vorhandenem Wissen nicht aus, um sie am Leben zu erhalten. Man muss vielmehr etwas richtig Schwieriges lernen.

Was sind das für »schwierige Aufgaben«, die offenbar für das Überleben neuer Nervenzellen ermöglichen? Im Wesentlichen geht es bei diesen Aufgaben nicht darum, auswendig Gelerntes wiederzugeben. Das ist viel zu leicht. Auch das Erlernen eines einfachen Zusammenhangs – beispielsweise: Immer wenn die Glocke läutet, gibt es etwas zu essen – reicht nicht. Wenn ein Tier (oder auch ein Mensch) dies gelernt hat, dann läuft ihm die Spucke schon im Mund zusammen, wenn die Glocke klingelt und noch gar kein Essen da ist. Solche einfachen Lernvorgänge – man spricht von einem bedingten, d.h. gelernten, Reflex – halten neue Nervenzellen nicht am Leben. Hierfür sind Aufgaben erforderlich, bei denen man sich in einem bestimmten Kontext aufgrund von aktuell vorliegenden Signalen und in Kombination mit Wissen, das in der Vergangenheit erworben wurde, entsprechend verhalten muss. So planen wir (und Ratten auch) die Zukunft sinnvoll aufgrund von Vorerfahrungen, der Kenntnis der Umgebung, und dem, was aktuell wahrgenommen wird – etwa Futter oder ein Feind. Nur wer hier richtig plant, wird entsprechend sinnvolles Verhalten an den Tag legen.

Das klingt ziemlich kompliziert und ist es teilweise auch. Wenn man allerdings ein bisschen darüber nachdenkt, ist es genau das, was wir Menschen täglich tun: Wir haben unsere Erfahrungen, kennen uns in unserer Umgebung aus und bewältigen die Anforderungen und Wechselfälle unseres Alltags. Insbesondere haben wir dauernd mit anderen Menschen zu tun; wir müssen bewerten, entscheiden und handeln und uns dabei permanent mit anderen abstimmen. Wir müssen planen und Pläne auch wieder verwerfen, Vereinbarungen treffen, uns daran halten und vieles mehr. Genau das – also das Leben in seiner vollen Breite und Tiefe – ist es, was unsere Nervenzellen, die gerade nachgewachsen sind, am Leben hält. Kurz gesagt: Beschäftigen Sie sich statt mit Kreuzworträtsel und Sudoku öfter mit einem Ihrer Enkel. Und wenn Sie keinen haben, dann leihen Sie sich einfach einen aus.

Man konnte diese Zusammenhänge – wiederum in Studien mit Ratten – dadurch noch genauer aufklären, indem mittels radioaktiver Bestrahlung die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus verhindert wurde. Die so behandelten Tiere konnten einfache Lernprozesse durchaus bewältigen, bei schwierigen jedoch versagten sie. In einer entsprechenden Übersicht schreibt die amerikanische Neurowissenschaftlerin Tracey Shors, die zusammen mit Elizabeth Gould wesentlich an den hier beschriebenen Entdeckungen beteiligt war: »Alles in allem waren die basalen Lernfähigkeiten von Ratten mit wenigen oder keinen neuen Neuronen relativ unbehindert. Die Tiere hatten jedoch Schwierigkeiten, neue Verbindungen zu lernen, also beispielsweise, dass ein bestimmter Ton immer eine halbe Sekunde vor der Berührung ihres Augenlids erklingt. Wir denken daher, dass die neuen Neuronen nur dann für Lernprozesse notwendig sind, wenn sie in ganz bestimmten Situationen gebraucht werden, die eine gewisse geistige Anstrengung erfordern. In biologischer Hinsicht macht diese Art der Spezialisierung sehr viel Sinn: Ein Tier würde eigentlich keine neuen Neuronen produzieren wollen, nur um die basalen Funktionen des Überlebens zu sichern. Sofern neu gebildete Zellen ausgereift sind, werden sie vielmehr eher dazu verwendet, bereits vorhandene Fähigkeiten zu stärken und zu perfektionieren. In der Sprache der Psychologie nennt man dies das Lernen lernen.«[45]

Was heißt das nun für den Menschen? Was geschieht, wenn man beim Menschen die Bildung neuer Nervenzellen unterbricht? Wir haben es den »Segnungen« der modernen Medizin zu verdanken, dass wir die Antwort darauf kennen:...

Erscheint lt. Verlag 3.8.2012
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Baby-TV • Bleckmann • Computer • Computerspiel • Demenz • Deutschland • Entwicklungspsychologie • Gehirn • Gehirnbildung • Gehirnentwicklung • Gehirngröße • Heute mal bildschirmfrei • Internetführerschein • Laptop • Lernfähigkeit • Manfred Spitzer • Medienabhängigkeit • Medienerziehung • Medienkompetenz • Medienkonsum • Mediennutzung • Mediennutzung Kinder • Multitasking • Neurowissenschaft • Schulleistung • Selbstkontrolle • Smartboard • Smartphone • Smartphone-Epidemie • spitzer • Stress
ISBN-10 3-426-41706-5 / 3426417065
ISBN-13 978-3-426-41706-5 / 9783426417065
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