Wer sind wir als Organisation?
Organisationsidentität ist ein bedeutender Faktor für die Erklärung der Stabilität und des Wandels von Organisationen. Stefan Kirchner leistet einen grundlegenden Beitrag zur aktuellen Organisationsforschung, indem er mit dem Konzept der Organisationsidentität Ansätze des soziologischen Neo-Institutionalismus und der Pfadabhängigkeitstheorie zusammenführt.
Stefan Kirchner, Dr. rer. pol., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Hamburg.
Inhalt
Einleitung7
A. Organisationsidentität14
1. Grundlagen der Organisationsidentität14
2. Erweiterung: Funktion und Feedback23
3. Diskussion: Grundlagen der Identitätsperspektive31
B. Verbindung von Institutionen und Organisationen33
1. Neo-Institutionalismus: Institutionen und Organisationen33
2. Verbindung von Organisationsidentität und Institutionen71
C. Stabilität und Wandel als Problem von Pfadabhängigkeit109
1. Grundlagen des Pfadansatzes: Technologien und Institutionen110
2. Pfadansatz und Organisation134
3. Organisationsidentität und Pfadabhängigkeit148
D. Organisationsidentität, Wandel und Institutionen164
1. Organisationswandel als Wandel der Organisationsidentität165
2. Umweltabhängigkeit, Coevolutionäres Lock-in und Eigenlogik183
Fazit und Schluss195
Literatur204
Einleitung Gleich ob öffentliche Einrichtungen oder Unternehmen, der Wandel von Organisationen gilt als Garant für Innovationsfähigkeit und stellt in der Praxis doch immer wieder ein Problem dar. Demgegenüber erscheint Stabilität in sich ständig umwälzenden Umwelten beinahe als Defizit, das es zu überwinden gilt. In der aktuellen soziologischen Organisationstheorie wird häufig unterstellt, dass Institutionen einen erheblichen Einfluss ausüben. Organisationen orientieren sich an allgemeinen Erwartungen und streben nach Legitimität. Ein umfassender Organisationswandel wird beispielsweise ausgelöst, wenn neuen Organisationsmodellen Legitimität zugeschrieben wird und sich diese allgemein verbreiten. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass Organisationen sich nicht verändern, obwohl dieses die äußeren Umstände und legitime Erwartungen erfordern. Auch gilt: Selbst wenn es zu Wandel kommt, laufen Veränderungen nicht selten in einer Eigendynamik ab, bei der die allgemeinen Modellvorgaben in den Abläufen der Organisation nur teilweise oder erheblich modifiziert umgesetzt werden. Der Widerstand gegen Wandel erscheint oft als der "hässliche Zwilling" von Anpassungsfähigkeit, Flexibilität und Innovation. Dieser Widerstand ist jedoch für Organisationen ebenso grundlegend wie Anpassungsfähigkeit durch Wandel. Mit dem Ziel einer Weiterentwicklung der Organisationsforschung wird in dieser Arbeit eine bestimmte Herangehensweise vorgeschlagen. So ist bei einer Auseinandersetzung mit der Stabilität und dem Wandel von Organisationen allem voran zu klären, was mit dem Begriff der "Organisation" überhaupt beschrieben wird. Nur wenn die Ebene der Organisation ausreichend bestimmt ist, können die Umstände für Stabilität und Wandel der Organisation und die zugrunde liegenden Mechanismen aufgedeckt werden. Die grundsätzliche und übergreifende Frage dieser Arbeit lautet daher zuerst einmal: Wie sind Stabilität und Wandel von Organisationen in institutionellen Umwelten möglich? Für die Beantwortung der Frage bietet die Organisationsforschung zwei etablierte Positionen an (vgl. Hannan et al. 1996; Lewin/Volberda 1999): (a) Eine erste Argumentationslinie unterstellt, dass sich Organisationen flexibel im Einklang mit institutionalisierten Erwartungen verändern, das heißt Organisationen bleiben ihrer institutionellen Umwelt entsprechend stabil oder passen sich an. Organisationswandel und -stabilität werden in dieser Perspektive weitgehend als ein Reflex auf institutionellen Wandel behandelt. Diese erste Argumentationslinie entspricht im weitesten Sinne der klassischen neo-institutionalistischen Perspektive. Dieser Position kommt eine zusätzliche Bedeutung zu, da es sich beim soziologischen Neo-Institutionalismus um die "default theory of organizations today" (Davis 2010: 8) handelt. Eine entsprechend große Anzahl empirischer Untersuchungen und konzeptioneller Ansätze folgt dieser Argumentation. Die Bedingungen von Stabilität und Organisationswandel entsprechen dabei den Bedingungen institutioneller Stabilität und institutionellen Wandels und beschreiben eine Umweltabhängigkeit der Organisation. (b) Eine zweite Forschungsrichtung behauptet demgegenüber eine relative Unabhängigkeit der Organisation von deren unmittelbaren Umweltbedingungen. Dies drückt sich vor allem dadurch aus, dass Stabilität bis hin zur Hyperstabilität als eine grundlegende Eigenschaft von Organisationen verstanden wird. Selbst angesichts massiver Umweltveränderung wird unterstellt, dass sich Organisationen in bestimmten Kerneigenschaften nicht verändern (können). Im Zweifel gehen Organisationen eher in einem evolutionären Auswahlprozess unter, als dass Veränderungen erfolgreich umgesetzt werden. In jedem Fall ist Organisationswandel aber problematisch und von erheblichen systematischen Widerständen begleitet. Diese Vorstellung prägt den Ansatz der strukturellen Trägheit von Organisationen in der Populationsökologie (Hannan/Freeman 1977, 1984, 1993), das Konzept des "Imprinting" von Eigenschaften in Organisationsformen (Stinchcombe 1965; Johnson 2007), aber auch das Konzept der Pfadabhängigkeit von Organisationen (Sydow et al. 2009). Indem mit dieser zweiten Argumentationslinie auch Widerstandspotenziale gegen Anforderungen der Umwelt in den Blick genommen werden, wird eine Eigenlogik der Organisation sichtbar. Diese Eigenlogik steht institutionellen Erwartungen entgegen und blockiert eine Anpassung systematisch. Mit der Gegenüberstellung dieser beiden Positionen wird ein erheblicher Widerspruch in der aktuellen Organisationsforschung deutlich. Anpassung und Hyperstabilität stehen einander ebenso entgegen wie Umweltabhängigkeit und Eigenlogik. Scheinbar unvereinbar kann man einmal davon ausgehen, dass sich Organisationen entsprechend ihrer Umwelt verändern, oder man kann unterstellen, dass Organisationen auch bei Veränderungen in ihren Strukturen starr bleiben oder sich nur eingeschränkt entwickeln. Zentrale These dieser Arbeit ist, dass dieser Widerspruch aufgelöst werden kann, wenn die Ebene der Organisation bestimmt wird. King et al. (2009) machen auf einen generellen Mangel in der aktuellen Organisationstheorie aufmerksam. Ähnlich argumentiert Peter Walgenbach (2011) in einem aktuellen Beitrag. Während nach King et al. (2009: 291) viele Ansätze Aktivitäten in und um Organisationen herum beschreiben, bleibt die Position des Hauptdarstellers, die der Organisation, meist unbesetzt. Die aktuelle Organisationstheorie erscheint damit als Theorie ohne Protagonisten, da die Organisation als eigenständige Ebene nicht umfassend bestimmt und damit nicht genügend berücksichtigt wird. Entsprechend unscharf bleiben daher bisher Aussagen zur Verbindung von Institutionen und Organisationen. Andrew J. Hoffman (2001) beschreibt beispielsweise, dass die Interaktion von Institution und Organisation bisher nicht deutlich genug herausgearbeitet wurde. Marc Schneiberg (2007) zeigt, dass in bestimmten institutionellen Umwelten von diesen abweichende Organisationsformen lange Zeiträume überdauern können. Wenn unterstellt wird, dass sich Organisationen an institutionelle Erwartungen anpassen, dann handelt es sich bei dauerhaften Abweichungen um ein erklärungsbedürftiges Phänomen. Um Eigenlogik unterstellen zu können, sind Ressourcen der Organisation erforderlich, die eine dauerhafte Abweichung ermöglichen. Andernfalls kann der These einer Tendenz zur Umweltabhängigkeit wenig hinzugefügt werden. Daher ist eine Bestimmung der Bedingungen von Stabilität und Wandel der Organisation notwendig, die zuerst einmal unabhängig von Institutionen existieren. Entsprechend wird in dieser Arbeit Folgendes unterstellt: Aussagen zu Stabilität und Wandel von Organisationen sowie zur Verbindung von Institutionen und Organisationen lassen sich nur treffen, wenn die Ebene der Organisation ausreichend bestimmt ist. In dieser Arbeit wird die Ebene der Organisation, wie von King et al. (2009) vorgeschlagen, mit Hilfe des Konzeptes der Organisationsidentität erfasst. Im Anschluss an diesen Vorschlag steht die Diskussion der Möglichkeiten für Stabilität und Organisationswandel im Mittelpunkt. Dabei wird die Rolle von Organisationsidentitäten ins Zentrum der Argumentation gerückt. Antworten der Organisationsmitglieder auf die Frage "Wer sind wir als Organisation?" sind Teil der Identität der Organisation (Albert/Whetten 1985). Die Beantwortung dieser Wer-sind-wir-Frage bestimmt in der Praxis die Möglichkeiten für Stabilität und Wandel einer Organisation. Einerseits begrenzt diese kollektive Selbstdefinition Entwicklung, andererseits werden Möglichkeitsräume erst erschlossen. Ziel der Arbeit ist eine Ergänzung des soziologischen Neo-Institutionalismus. Während in anderen Ansätzen eine Mikro-Fundierung vorgeschlagen wird (Powell/Colyvas 2008), verfolgt diese Arbeit eine "Meso-Fundierung". Durch die Einführung der Organisationsidentität wird ein zentraler Mechanismus im Verhältnis von Umwelt und Organisationsmitgliedern eingeführt, der die spezifischen Eigenschaften und Dynamiken der Organisation als eigenständige Ebene abbildet. In der aktuellen Literatur findet sich eine starke Konzentration auf Erklärung institutionellen Wandels - beispielsweise durch soziale Bewegungen (Rao et al. 2000; Zald et al. 2005; Schneiberg/Lounsbury 2008) oder durch institutionelle Unternehmer (DiMaggio 1988; Beckert 1999; Greenwood/Suddaby 2006). Der letzte Ansatz gilt dabei als Lösungsversuch der Paradoxie der "Embedded Agency", also der Frage nach der Möglichkeit von Alternativen unter den Bedingungen institutioneller Beeinflussung. Diese Vorschläge für eine Mikro-Fundierung sollen zur Erklärung von institutionellem Wandel beitragen. Anders als bei der Mikro-Fundierung geht die Arbeit jedoch davon aus, dass eine fundierte Analyse des Organisationswandels auf einer Klärung der Bedingungen für Stabilität von Organisationen basiert. Letztlich sind gerade Abweichungen von allgemein etablierten Modellen Ausgangspunkt von institutionellen Diffusionsdynamiken. Es ist also notwendig zu klären, wie Abweichungen auf der Ebene der Organisation entstehen und sich auch gegen allgemeine Erwartungen in der Umwelt stabilisieren können.
Erscheint lt. Verlag | 16.8.2012 |
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Reihe/Serie | Campus Forschung ; 958 |
Verlagsort | Frankfurt |
Sprache | deutsch |
Maße | 141 x 213 mm |
Gewicht | 283 g |
Themenwelt | Sozialwissenschaften ► Soziologie ► Allgemeine Soziologie |
Schlagworte | BWL • Neo-Institutionalismus • Organisationsforschung • Organisationsidenität • Organisationssoziologie • Pfadabhängigkeit • Politikwissenschaft • Soziologie • Umwelt |
ISBN-10 | 3-593-39730-7 / 3593397307 |
ISBN-13 | 978-3-593-39730-6 / 9783593397306 |
Zustand | Neuware |
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