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Schwester! (eBook)

Mein Leben mit der Intensivstation
eBook Download: EPUB
2011 | 1. Auflage
240 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-42541-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Schwester! -  Katrin Grunwald
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Hinter den Türen der Intensivstation - eine bitterböse medizinische Satire Überforderte Ärzte, hektisches Pflegepersonal, anstrengende Angehörige - die Arbeit auf einer Intensivstation hat wenig mit der heimeligen Welt von Arztroman und Krankenhausserie zu tun. Katrin Grunwald ist Intensiv-Krankenschwester und kämpft zwischen Beatmungsgerät und Defibrillator mit den Ärzten ums Überleben der Patienten. Dabei gerät auch sie manchmal an ihre Grenzen - und sie weiß: Die Realität in deutschen Krankenhäusern ist oft nur mit viel schwarzem Humor zu ertragen. «Ich bin definitiv geheilt von der Illusion, dass die Intensivpflege ein Traumberuf ist - viel zu nah komme ich täglich Krankheit, Tod und dem Bewusstsein, dass alles plötzlich vorbei sein kann. Und viel zu sehr rückt uns die Fehlplanung kühl kalkulierender Geschäftsführungen auf die Pelle, die nach monatelanger Zahlenjonglage zu dem Ergebnis kommen, dass anspruchsvolle Pflege auch mit der Hälfte des Personals locker zu schaffen sei. Und trotzdem macht es Spaß, von einem lächelnden alten Mann mit den Worten «Ach, hallo, da sind Sie ja wieder!» begrüßt zu werden. Es ist schön, wenn Patienten oder Angehörige uns ihren Dank aussprechen, weil sie sich freuen, dass ihr Leben allmählich wieder zur Ruhe kommt. Und es ist ernüchternd, wenn wir den Namen eines Menschen, der sich so über seine Verlegung von der Intensivstation gefreut hat, zwei Wochen später in den Todesanzeigen lesen müssen.»

Katrin Grunwald ist 40 Jahre alt und arbeitet als Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege auf einer Intensivstation in Norddeutschland.

Katrin Grunwald ist 40 Jahre alt und arbeitet als Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege auf einer Intensivstation in Norddeutschland.

Bloody Sunday


Ein Sonntag im Spätsommer. Man könnte jetzt prima mit dem Fahrrad über den Deich sausen und eine waghalsige Slalomfahrt um die x-beinig dahinstöckernden Inline-Skater und die Fahrrad fahrenden Ehepaare machen, die im Schritttempo umhergondeln, ohne umzukippen. Grundsätzlich fährt der Mann vor der Frau, quasi als Fährtensucher, und am Lenker keift aus dem Radio die Liveschaltung der Bundesliga. Der Mann bekäme gar nicht mit, wenn die Frau verschwinden würde. Wie viele Frauen verpassen täglich diese Chance!

Die Pflicht ruft aber auch am Sonntag, und auf der Fahrt in die Klinik treffe ich ein solches Sonntagsfahrrad-Ehepaar an, sogar in der «De-luxe»-Edition: Beide tragen trotz der Wärme ballonseidene Freizeitanzüge im Partnerlook sowie Turnschuhe aus dem gut sortierten Sportfachhandel. Auch das Radio ist an. Perfekt.

Einen Trost für den Spätdienst am Sonntag habe ich, denn ich bin nach der Arbeit mit einem Freund auf ein Feierabendbierchen verabredet und ahne noch nicht, dass ich an diesem Abend noch etwas ganz anderes brauchen werde als ein schnödes Pils. Vor mir liegt einer der ekelhaftesten Dienste meines Berufslebens.

 

In frisches «Grünzeug» gekleidet betrete ich die Station; es herrscht eine geradezu unheimliche sonntägliche Gemütlichkeit. Es passiert selten, dass noch nicht mal alle Betten belegt sind, wahrscheinlich ist das Wetter dafür zu gut. Tatsächlich scheint es manchmal so, als würden die Leute die Behandlung ihrer «akuten» Beschwerden, die sie schon seit drei Wochen haben, verschieben, bis es anfängt zu regnen.

Es ist traumhaft friedlich. Aus einer Ecke hört man leise Musik aus einem Radio, und an einem Monitor poppt ein kleiner, kaum bemerkenswerter Fehlalarm auf. Am Hauptarbeitsplatz herrscht entspannte Ruhe – die Computer befinden sich im Standby-Modus, auf den Abstellflächen stehen leere Kaffeetassen. Die Neonröhren sind ausgeschaltet, denn die Sonne scheint hell durch die Fenster. Umgeben von Regalen, in denen sich Laborscheine, Narkoseprotokolle, Stempel und der übliche Bürokleinkram befinden, sitzen die sechs Kollegen entspannt und müde auf den ergonomischen Stühlen, schreiben Pflegeberichte, unterhalten sich und warten auf die Ablösung.

Sie sind guter Dinge – zwar sind alle schon seit den frühen Morgenstunden auf den Beinen, aber alles ließ sich in Ruhe «wegarbeiten», den Patienten ging es so weit gut und es gab keine dramatischen Zuspitzungen. Jetzt freuen sie sich auf den Liegestuhl zu Hause unterm Sonnenschirm.

Bis zur Übergabe ist noch Zeit, wir sitzen draußen in der Sonne, trinken erst mal einen Kaffee und rauchen eine Zigarette. In den umliegenden Parzellen lärmen Familien. Ein Hund bellt. Sicher schmeißen sie bald den Grill an und kippen ein bisschen Benzin drauf, damit es schneller brennt.

Mit von der Partie ist heute der Giftzwerg – eine Kollegin, die wesentlich kleiner als ich ist und ihre geringe Körpergröße durch eine streitbare Persönlichkeit wettmacht. Der Giftzwerg lässt sich längst nicht alles bieten; schlagfertig und mit einer guten Portion Mutterwitz wieselt sie durch den Dienst, mit wirren, in alle Himmelsrichtungen abstehenden Haaren. Ein weiterer Vorteil am Giftzwerg ist ihr absoluter Pragmatismus. Es gibt nichts, was sie nicht irgendwie geregelt kriegen würde. Sie kennt keine Berührungsangst und fasst, ohne mit der Wimper zu zucken, alles an – sicher, mit Gummihandschuhen, aber dann wird nicht lang gefackelt. Andererseits sind wir beide auch schnell mal die «Masters of Desaster», denn wir erleben regelmäßig Schichten, in denen es so richtig zur Sache geht oder merkwürdige Sachen passieren. Es wird also spannend, wir werden es sehen.

Die Aufteilung geht schnell über die Bühne, die kurze Berichterstattung über den morgendlichen Verlauf beinhaltet noch ein kurzes Schmankerl, denn unter den wachen Patienten befindet sich ein älterer Herr im postoperativen Verwirrtheitszustand, der der Kollegin fröhlich mit seiner frisch gefüllten Urinflasche zuprostete und sich dann anschickte, einen tiefen Schluck daraus zu nehmen, bevor ihm der beherzt zugreifende Kollege die volle Flasche wegnahm. In der Intensivmedizin hat die Eigenharntherapie auch noch nicht allzu viele Freunde gefunden, und wir wollen hoffen, dass es dabei bleibt. Diesem Herrn und seinem Zimmerkollegen ist der Giftzwerg heute zugeteilt, und sie scheint mir auch genau die Richtige für den Job.

Ich habe zwei Patienten in meiner Obhut: Frau Hahn und Herrn Petersen. Frau Hahn liegt hinter einem Sichtschutz. Sie war vor einigen Tagen mit ihrem Mann im Einkaufszentrum und erlitt in der Gemüseabteilung plötzlich einen Herzstillstand. Der Ehemann hat trotz seiner Panik alles richtig gemacht und sie reanimiert. Aber es war Mageninhalt in die Lunge der Frau geraten. Nachdem der Notarzt die Frau intubiert hatte, konnte er ein paar unverdaute Erbsen absaugen. Oft erwarten einen kleine oder größere Überraschungen, wenn man Fremdkörper aus den Lungen der Menschen heraussaugt – Erbsen, Champignons (fein geschnitten) oder Nudeln. Manchmal begegnen einem aber auch Dinge, die ein bisschen größer sind und deshalb vor der Lunge querliegen, zum Beispiel so gut wie gar nicht gekauter Entenbraten, Schinkenstücke oder ein Stück Banane. All diese Dinge gehören definitiv nicht in die Lunge. Tut man sie trotzdem dort hinein, entzündet sie sich, so einfach ist das. Trotz dieses Befundes geht es Frau Hahn den Umständen entsprechend gut; sie hat eine Narkose, ist beatmet, bekommt Antibiotika, der Kreislauf ist stabil, und sie scheint auch neurologisch so weit keine größeren Schäden davongetragen zu haben.

Herr Petersen ist Anfang 50, eigentlich ziemlich drahtig, Typ «sportlicher Manager». Dagegen spricht momentan allerdings seine Hautfarbe: Er ist aschfahl. Seit gestern Vormittag hat er mehrfach Blut erbrochen, eine Magenblutung ist schuld daran. Über ihm schwebt wie ein Damoklesschwert eine Not-OP, sollte die Blutung nicht zum Stillstand gebracht werden. Mit Schweißperlen auf der Stirn liegt er bleich in seinem Bett und ringt sich zur Begrüßung ein Lächeln ab. Den Vormittag ist er einigermaßen gut über die Runden gekommen, ist aber auch zu nichts anderem in der Lage, als sich kurz an die Bettkante zu setzen, wobei er nach wenigen Minuten schon völlig erschöpft ist. Ich werde für eine ruhige Grundstimmung im Zimmer zu sorgen haben, soweit das machbar ist, es kann noch stressig genug werden. Vorsichtshalber erkundige ich mich, wie viele Blutkonserven für Herrn Petersen vorrätig sind.

Mein Schichtbeginn verläuft geordnet, und ich gucke in Ruhe die Kurven durch, kontrolliere die Spritzenpumpen, die Medikamente in einer fest eingestellten und berechneten Geschwindigkeit in meine Patientin hineingeben, und wende mich dann Herrn Petersen zu, der matt in seinem Bett liegt und ängstlich wirkt. «Ich hab so eine Angst, dass ich operiert werden muss», sagt er leise. Er ist kreidebleich und hat riesige Ränder unter den Augen. Seit den späten Abendstunden des gestrigen Tages musste er sich nicht mehr übergeben, was vielleicht dafür spricht, dass man ihm diese OP ersparen könnte. Dass ihm der Konjunktiv nicht unbedingt weiterhilft, ist mir durchaus klar, ich weiß aber im Moment auch nicht so recht, wie ich ihn trösten soll. Er möchte versuchen zu schlafen und hofft, dass vielleicht ein bisschen Ruhe in seinem Kopf einkehrt. Ich sage ihm, dass ich immer in der Nähe bin und er sich jederzeit melden soll, falls es ihm nicht gutgeht. Dann stelle ich die Außenjalousie so ein, dass ihm die Sonne nicht direkt ins Gesicht scheint, und er hebt dankend die Hand.

Ich gucke mal, was in der Nachbarschaft so los ist, und sehe, dass der Giftzwerg schon alle Hände voll zu tun hat: der Mann, der den Inhalt seiner Urinflasche mit einer Fanta verwechselt hat, ist gerade aus dem Bett gestiegen, mit allen Kabeln und Zuleitungen. Man könnte darauf Bass spielen, so straff sind sie alle gespannt.

Der Giftzwerg grinst, als ich um die Ecke gucke: «Du kommst gerade richtig, wir müssen Herrn Recker hier mal in den Sessel helfen.» Ein guter Einfall, den Bewegungsdrang des alten Herren gleich dafür zu nutzen, ihn außerhalb des Bettes zu beschäftigen und ein wenig Normalität einziehen zu lassen, denn im Sessel sitzend könnte er die Zeitung durchblättern und seine besorgten Angehörigen überraschen, die jeden Moment zu Besuch kommen werden. Angetan mit Brille und seinen Hausschuhen wirkt er doch wesentlich vitaler. Auch wird ihn die Bewegung ein wenig anstrengen, um dorthin zu gelangen, was wiederum die Chance erhöht, dass er später müde ist, schläft und nicht ausreißt – oder erst später, wenn wir schon längst zu Hause sind. Der Giftzwerg erklärt Herrn Recker also, dass er in diesem gemütlichen Sessel, der bereits neben dem Bett steht, Platz nehmen darf, was aber auch heißt, dass er jetzt mitmachen muss. Das gelingt ihm leider so gut wie gar nicht, obwohl wir ihm Schritt für Schritt erklären, worauf es nun ankommt: aufstehen und die Knie erst mal richtig durchdrücken. Doch schon die erste Anweisung versteht er falsch, er denkt, er solle Kniebeugen machen und geht bedrohlich tief in die Hocke, so dass er fast auf Augenhöhe mit dem Giftzwerg ist. Wir schaffen es gerade noch, ihn wieder aufzurichten, und wir müssen kichern. Der Giftzwerg ächzt, Herr Recker ist schwer. Nun muss er eine kleine Drehung machen, um sich auf den Sessel setzen zu können. Der hat enorme Ausmaße, ist bezogen mit abwaschbarem Lederimitat und kann mittels einer Fernbedienung sogar in verschiedene Positionen gebracht werden. Für Herrn Recker ist es eine große Herausforderung, sich auf die geforderte Drehung zu...

Erscheint lt. Verlag 1.8.2011
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Comic / Humor / Manga
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Medizin / Pharmazie Pflege
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung
Schlagworte Ärzte • Bericht • Berufsalltag • Deutschland • Intensivstation • Krankenhaus • Krankenpflege • Krankenschwester • Patienten • Schwarzer Humor
ISBN-10 3-644-42541-8 / 3644425418
ISBN-13 978-3-644-42541-5 / 9783644425415
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